Die Elektromobilität spiegelt als neue Branche alle alten Rechtsprobleme noch einmal wider. Patentrechtliche Herausforderungen sind ebenso zu meistern wie die großen produkt- und vertragshaftungsrechtlichen Risiken in der Vertriebskette. Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Klindt von Noerr LLP rät, Sicherheit ernst zu nehmen und die Nachmarkt-Beobachtung aktiv anzugehen.
Herr Professor Klindt, schafft ein innovatives Produkt wie das Elektroauto neue rechtliche Herausforderungen?
Nein! Aber was heißt das schon? In dem seit langem bestehenden Rechtsrahmen, der für die Old wie die New Mobility gilt, bewegen sich jetzt neue Unternehmen, denen dieser Rahmen jedoch noch fremd ist. Eine besondere Herausforderung! Das etablierte Rahmengefüge, das die klassischen Industrien der Mobilitätsindustrie gut kennen, müssen sich frische, unkonventionell denkende, oft kleine Newcomer überstülpen, die weder über Rechtsabteilungen noch die Erfahrung verfügen, um zu wissen, was das alles bedeutet. Genau an dieser Stelle stehen der New Mobility manche Lerneffekte noch bevor.
Wo stecken die eigentlichen Risiken für die junge Zulieferindustrie der New Mobility?
Das Patentrisiko und damit den ganzen IP-Schutz nenne ich vorweg. Denn vielfach wird technisch in Know-how investiert, in der überschwänglichen Begeisterung aber nicht früh genug bedacht, das Know-how rechtlich abzusichern. Klar, hier entstehen erste Kosten. Das macht wohl nur, wer Innovationen absichert, weil er an spätere Serienreife glaubt. Wie wichtig dieser Schutz ist, wird erst erkannt, wenn man sein Know-how rechtsfolgenlos verletzt sieht, weil es nie geschützt war. Dicke Risiken stecken zudem in der Produkt- und der Vertragshaftung. Vor allem in Lieferketten sind die Fragen der vertraglichen Haftung etwas knifflig. Was der OEM vertraglich spezifiziert, wird in der Tier-Kette nach unten durchgereicht. Wie ernst alle Unterlieferanten ihre Spezifikationen genommen haben, kommt oft erst in einem großen Schadensfall zum Tragen, wenn beim OEM erhebliche Summen an Rückrufkosten und Schadenersatzpositionen angefallen sind, die dann von Lieferanten eingefordert werden. Solche Regresse sind schon in der Old Mobility gang und gäbe…
Aber muss sich ein Branchen-Newcomer nicht schon deshalb mit solchen Fragen befassen, um in diesen Zirkel überhaupt aufgenommen zu werden?
In der Regel zertifiziert der OEM seinen Systemlieferanten; vielleicht hat er noch eine Mitsprache beim Tier-2. Ein Tier-4 ist von ihm weit entfernt, jedenfalls was die vertraglichen Haftungsketten betrifft. In neuen Bereichen wie der Elektromobilität könnte ein Newcomer versucht sein, mit viel Engagement wenig Vorbereitung wett zu machen. Den dürfte die Realität dann schnell einholen. Dass diese Zahl statistisch zunimmt, damit ist gerade bei hochinnovativen Technologien zu rechnen.
Ist das mathematische Risiko, dass es zu Haftungsfällen kommt, auch nicht schon deshalb höher, da diese Techniken noch nicht ausgereift, robust und jahrzehntelang erprobt sind?
Das ist naheliegend. Produkthaftungsrisiken sind die juristische Abrechnung mit technischen Fehlern – und dort müssen sie auch vermieden werden. Wird dagegen eine Hypothek falsch ausgestellt, ist das ein purer juristischer Fehler. Im Fall eines Produktrückrufs antwortet das Recht jedoch nur auf eine technische Schwäche. Deshalb gilt: Produkthaftungsrisiken sind nie juristisch, sondern immer nur technisch zu vermeiden. Man sollte Sicherheit, und damit auch das „design to safety“, ernst nehmen. Doch gerade dieser Aspekt wird während der Startphase einer neuer Technologie oft nicht richtig eingeschätzt.
Sicherheit ernst nehmen heißt konkret?
Dass über safety sowohl im Produkt als auch im Prozess und natürlich auch in der Dokumentation nachgedacht wird. Wenn das leidlich stimmt, entsteht ein sauber aufgesetzter Vertriebserfolg.
Haben mittelständische Autozulieferer, die jetzt auch die Elektromobilität angehen, hier nicht einen großen Vorsprung?
Den haben sie. Umso mehr könnte in den nächsten fünf bis acht Jahren eine Welle entstehen, in der die etablierten Player der Branche sich durch Zukäufe verstärken. Damit lässt sich das Beste aus beiden Welten kombinieren: hier die innovative neue Technologie, dort die gefestigte, sattelfeste Prozessorientierung eines Fertigungsvorgangs. Vor allem Newcomer müssen sich fragen, ob ihnen in der ungeheuren Eile der Branchenentwicklung Zeit für diesen Erfahrungsprozess bleibt, oder ob sie sich nicht an einen Partner andocken, der die Routinen beherrscht. Entwicklungshektik birgt ja auch Versicherungsrisiken…
Wie sollte ein Zulieferer grundsätzlich vorgehen, um Haftungsrisiken möglichst gering zu halten?
Hilfreich ist die Einsicht, dass es diese Risiken gibt. So sollte sich ein Unternehmer von Anfang an klar machen, dass sein wirtschaftliches Handeln in einem Umfeld des Wirtschaftsrechts stattfindet. Wer das einsieht, wird sich auch absichern. Zweitens sollte die eigene Versicherungssituation hinterfragt werden: Hat man die richtigen Versicherungen, in welcher Höhe, mit welchem Selbstbehalt und für welche Schadensfälle? Die eigentlichen Kernfragen des Risikos stellen sich am Produkt in zwei Konstellationen: Entweder ist das Produkt richtiggehend unsicher. Oder es ist „nur“ qualitativ schlecht, der Mangel infiziert aber das Tier-Folgeprodukt mit einem Sicherheitsproblem. Erste Frage also: hat das Produkt aus sich heraus sicherheitskritische Aspekte? Wer das bejaht, ist im Vorteil, da einen das Sicherheitsthema förmlich anschreit. Hinzu kommen Themen wie Pflichten- und Lastenheft oder Kontrollen.
Aus der Photovoltaik sind Fälle bekannt, bei denen bereits nach sechs Jahren Verschleiß zu Sicherheitsmängeln geführt hat, die jetzt erst sichtbar werden. Wenn neue Technologien marktreif werden, sind deren wechselseitigen Abhängigkeiten zu anderen technologischen Umfeldern kaum bekannt. Was folgern Sie daraus?
Es folgt daraus zumindest eine gesteigerte Notwendigkeit zur Produktbeobachtung, eine Art After-Sales-Monitoring. Ich rate dringend, ein offenes Ohr dafür zu haben, ob die eigenen Produkte im Feld unvermutete Probleme machen. Ein Minus an robuster Kenntnis über das eigene Produkt muss durch ein Plus an intensivierter Nachmarkt-Beobachtung ausgeglichen werden. Das Radar schlägt dann früh an, wenn draußen irgendwo ein Stromschlagrisiko lauert, das niemand auf dem Schirm hat. Übrigens legt die Rechtsprechung der Industrie bereits seit bald 50 Jahren die Pflicht zur Produktbeobachtung auf.
Wie relevant sind Standardisierung und Normung bei einer neuen Technologie wie der Elektromobilität aus juristischer Sicht?
Grundsätzlich sind Standards zu begrüßen, da sie der Industrie sehr dienlich sind. Mit Blick auf die Verlässlichkeit gekoppelter Systeme ist es hilfreich zu wissen, woran sich der Systempartner orientiert. Zweitens können durch eine Norm langatmige Spezifikationen in den Verträgen verschlankt werden. Oft hört man aber den Irrtum, mehr als die Norm müsse nicht erfüllt werden. In diese Falle laufen jene Ingenieure, die glauben, sie hätten normkonform und damit automatisch auch rechtskonform konstruiert. Juristisch safe ist man erst, wenn der Stand von Wissenschaft und Technik eingehalten ist. Ob eine technische Norm diesen Status abbildet, ist im Einzelfall zu klären. Gerade bei hoch innovativen Technologien kann es passieren, dass eine soeben erst erlassene Norm bereits wieder veraltet ist – wenn es überhaupt eine gibt…
Nach zig Jahren Handynutzung gibt es immer noch kein einheitliches Ladekabel…
Ein schönes Beispiel. Eine spannende Frage wird sein, ob angesichts des politisch gewollten Ziels umweltgerechterer Elektromobilität der Staat industriepolitisch intervenieren muss, weil wir uns keine 50 Jahre Zeit mehr lassen können, bis sich – wie beim Handykabel – der Markt irgendwie von selbst bereinigt. Es wird Stimmen geben, die für gute Ziele dirigistischer werden wollen.
Welche Hausaufgaben des Gesetzgebers sehen Sie als am dringlichsten an?
Die gesetzgeberische Arbeit für die New Mobility steht vielfach noch an. Aber nicht das eigentliche Produkt ist unterreglementiert, sondern die notwendige Infrastruktur. Sharing-Modelle, Linienführungen im Straßenasphalt, sichergestellte Car2Car-Kommunikation in Tunneln und Parkhäusern, Barrierefreiheit des Ladebereichs bis hin zu Städtebauplanung – überall hier lauert rechtlicher Modernisierungsbedarf. Davon am wenigsten betroffen ist noch das eigentliche OEM-Produkt, für dessen Serienproduktion immer noch das Kraftfahrt-Bundesamt die Typgenehmigungen erteilt.
- Dietmar Kieser dietmar.kieser@konradin.de
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