Startseite » Allgemein »

Komplex – aber mit weniger Teilen

Rapid-Technologien: Konstrukteure sind am Zug
Komplex – aber mit weniger Teilen

Spritzgegossene Kunststoffteile lassen sich mit den Rapid-Technologien heute in geeigneten Anwendungsfeldern oftmals schneller und wirtschaftlicher herstellen. Insbesondere die Funktionsintegration bietet Vorteile.

Wer in seiner Jugend den Lautstärkeregler nicht sachgemäß bediente und deswegen ein Hörgerät braucht, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Rapid-Bauteil im Ohr. Denn hier kommen die Vorteile der Rapid-Manufacturing-Verfahren voll zum Tragen: Individuell angepasste Hörgeräteschalen fertigen sie mit geringem Aufwand innerhalb eines Tages. Die ursprünglich für den Prototypenbau entwickelten generativen Verfahren (siehe Kasten) liefern fertige Bauteile, die allenfalls noch der Optik zuliebe poliert oder lackiert werden müssen.

Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. 8000 per Laser-Sintern hergestellte Schwimmer etwa messen im Londoner Untergrund den Wasserpegel, berichtet Dr. Christof M. Stotko, Marketingleiter bei der Kraillinger EOS GmbH. „Viele Formel-1-Teams setzen bei Windkanaltests und der Produktion von Gehäusen im Cockpit auf diese Technologie, und rege Anwender sind auch in Unternehmen der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik und im Sondergerätebau zu finden“, so Stotko weiter. „Die Automobilbranche stellt auf diese Weise Betriebshilfsmittel her.“ Anders bewertet die Situation Michael Junghanß, Geschäftsführer der Schorndorfer Alphacam Fertigungssoftware GmbH, die in Deutschland Stratasys-Geräte vertreibt. „Das Rapid Manufacturing befindet sich erst im Anfangsstadium. Meistens wird es im Vorrichtungsbau sowie bei der Herstellung von Montagehilfswerkzeugen eingesetzt.“ Aber es gebe bereits Anwendungen, die auch im Sichtbereich von Endprodukten lägen.
Dass von einer Marktdurchdringung im üblichen Sinne noch nicht gesprochen werden könne, räumt auch Dr. Matthias Meindl, Geschäftsführer des Anwenderzentrums Augsburg des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (IWB) der TU München ein. Der Wissenschaftler sieht den Bedarf, sowohl die Fähigkeiten der Verfahren besser zu nutzen als auch intensiv an den noch vorliegenden Defiziten zu arbeiten. „Lassen sich Zusatzfunktionen integrieren, können mehrere herkömmliche Bearbeitungsschritte ersetzt werden. Hier zeigt sich das Potenzial des Rapid Manufacturings deutlich“, fährt Meindl fort. „Insbesondere Studierende müssen bereits die neuen konstruktiven Freiheiten kennenlernen, die ihnen die generativen Verfahren bieten.“ So lasse sich bei neugestalteten Bauteilen die Montage mehrerer Teile durch die Funktionsintegration in ein einzelnes Bauteil ersetzen.
Derzeit seien die meisten Bauteile eigentlich für das Spritzgießen konstruiert, bestätigt auch Alphacam-Geschäftsführer Junghanß. „Die Möglichkeiten des Rapid Manufacturings, wie Konzeptionsfreiheit und Baugruppengestaltung, Leichtbau und bewegliche Teile, werden nur selten genutzt.“ Früher lernte ein Konstrukteur, dass kreisförmige und lineare Werkzeugbewegungen das Produktdesign beeinflussen und limitieren, ergänzt EOS-Mitarbeiter Stotko. Heute müsse der Konstrukteur wissen, dass eben diese Restriktionen nicht mehr zutreffen. Die Kraillinger arbeiten deswegen mit Hochschulen, Konstruktionsbüros und Schlüsselkunden, sogenannten E-Manufacturing-Partnern, zusammen, die Aufklärungsarbeit leisten.
Vergleicht man die verschiedenen, derzeit am Markt erhältlichen Verfahren, so sind vor allem drei zu unterscheiden:
  • 3D-Drucken,
  • Fused Deposition Modeling (FDM) und
  • Laser-Sintern (LS).
Festzustellen ist, dass sich das 3D-Drucken vor allem für den Bau von Anschauungsmodellen eignet, FDM verstärkt auch im Bereich der Funktionsmodelle zu finden ist und hochwertige Serienbauteile im Wesentlichen mittels LS hergestellt werden. Ein Vorteil des FDM ist dabei, dass entsprechende Anlagen auch in Büroumgebungen betrieben werden können und sich verschiedene thermoplastische Werkstoffe verarbeiten lassen. „Das Material liegt in Drahtform auf leicht nachladbaren Spulen vor. Es wird im Maschinenkopf aufgeschmolzen und über der Bauplattform aufgetragen, wo es sich durch Schmelzen mit den unteren Schichten verbindet und verfestigt“, erklärt Michael Junghanß von Alphacam. Die teilweise notwendigen Stützstrukturen würden dabei gleichzeitig aus einem anderen Material automatisch aufgebaut und mit dem Bauteil keine Verbindung eingehen. „Ein Bad löst diese Stützen auf, bevor das Bauteil einsatzbereit ist“, so Junghanß weiter.
Anlagen für das Laser-Sintern eigneten sich dagegen in der Vergangenheit aufgrund des Pulverhandlings nur für Produktionsumgebungen. Ein Nachteil, den die Kraillinger EOS-Ingenieure mit ihrer neuesten Maschine, der Formiga P 100 nun ausgleichen wollen. „Mit ihrem 200 mm x 250 mm x 330 mm großen Bauraum ist die Formiga unser erstes türgängiges System, das nicht mehr zwingend in einer Produktionsumgebung installiert werden muss“, erläutert Marketingleiter Christof Stotko. Darüber hinaus sei die Maschine mit einem luftgekühlten Laser ausgestattet – und benötige so weniger Energie. Die Leasingrate des Systems betrage rund 100 Euro pro Tag. Wenn eine Firma regelmäßig über einen längeren Zeitraum Bedarf an lasergesinterten Produkten habe, lohne sich die neue Maschine deswegen als Einstieg, so Stotko weiter. Wer nur ab und zu lasergesinterte Kunststoffteile benötigt, kann aber auch allein in Deutschland über 30 Firmen finden, die die Laser-Sinter-Technologie als Dienstleistung anbieten.
Moderne Maschinen für das Laser-Sintern wie die Formiga P 100 erreichen heute minimale Schichtdicken von 0,1 mm und bauen bis zu 0,4 mm dünne Wände. Dies sei deutlich geringer als bei den bisherigen Modellen, erläutert Stotko. „Die Anlage bietet zudem insbesondere bei vertikalen Wänden eine verbesserte Oberflächenqualität.“ Dennoch seien die technologischen Grenzen überwiegend von der Physik vorgegeben, die Geschwindigkeit des Lasers nicht unbegrenzt steigerbar. „Der derzeitige Fokusdurchmesser von 0,4 mm, den wir bei der Formiga einsetzen, ist bereits der geringste Wert für einen CO2-Laser“, fährt der Marketingleiter fort. „Bei der Schichtdicke sehen wir noch Verbesserungspotenzial im Hinblick auf zukünftige Schichtstärken von 0,05 mm.“ Potenzial sei ebenso noch bei der Entwicklung weiterer Serienwerkstoffe im Kunststoffbereich vorhanden.
Hans Reims Fachjournalist in Gießen
Schichtdicken könnten 0,05 mm erreichen

Generative Verfahren
Für das Rapid Manufacturing sind insbesondere die folgenden drei Verfahren interessant, die sich aus dem Rapid Prototyping entwickelt haben:
Laser-Sintern (LS)
Hierbei wird zunächst eine dünne Schicht des pulverförmigen Werkstoffs auf eine Plattform aufgetragen. Ein fokussierter Laserstrahl belichtet anschließend die Oberfläche, gesteuert von den Geometriedaten des in Schichten zerlegten 3D-Bauteils. Das Pulver schmilzt lokal und sintert zusammen. Der Prozess wird dann mit der nächsten Schicht fortgeführt.
Fused Deposition Modeling (FDM)
Ähnlich dem Auftragsschweißen wird der Werkstoff hier aufgeschmolzen und entsprechend der zu bauenden Kontur aufgebracht. Parallel zum Werkstück muss jedoch je nach Geometrie eine Stützstruktur gebaut werden, die nach Abschluss des Bauvorgangs wieder zu entfernen ist.
3D-Drucken
Ähnlich dem Laser-Sintern entstehen hier die Bauteile im Pulverbett. Allerdings wird das Material zunächst nicht aufgeschmolzen, sondern über einen zugeführten Binder verklebt. Ist das Teil aufgebaut, muss es in einem zweiten Schritt nachversintert werden. Wie bei einem 2D-Drucker geht man davon aus, dass er von jedermann in der unmittelbaren Arbeitsplatzumgebung bedient und verwendet werden kann, was zu der Bezeichnung 3D-Drucken führte.

Neue Technologien
Drei Bauteile sind besser als 32. Entfallen dadurch Montagekosten sowie der Bedarf für eine ganze Reihe von Spritzgussformen, wird das Potenzial schnell deutlich. Nutzen lässt es sich aber erst, wenn die Konstrukteure die Freiheiten der generativen Verfahren erkennen und anwenden – etwa, indem sie Hinterschneidungen nicht zwangsläufig vermeiden. Erst auf diese Weise finden sie neue Lösungen für Baugruppen mit weniger Teilen bei gleicher Funktionalität.

„Verfahren richtig wählen“

498338

Nachgefragt

Herr Kahnert, welche Rapid-Verfahren setzen sich zur Herstellung von Kunststoffteilen durch?
Das hängt stark von den Anforderungen ab. Sollen Anschauungsobjekte schnell und kostengünstig erzeugt werden, so sind andere Verfahren zu wählen als bei Bauteilen mit hoher Oberflächengüte und speziellen Werkstoffanforderungen. Ein weiteres Kriterium kann der Zeitaufwand sein. Das gilt nicht nur für die Fertigung, sondern je nach Verfahren auch für das Entfernen der Stützkonstruktion.
Welche Methoden empfehlen Sie, wenn die Kosten gering sein sollen?
Insbesondere das FDM- oder das analog arbeitende MJM-Verfahren gewährleisten ein einfaches Werkstoff- und Bauteilhandling. Der Werkstoff wird einfach per Kartusche in die Anlage eingebracht. Zudem lassen sich hier für die notwendigen Stützkonstruktionen oft wasserlösliche Materialien verwenden. Das erleichtert das spätere Entfernen ohne Hilfsmittel deutlich. Einfache Anlagen sind bereits für wenige zehntausend Euro zu bekommen.
Was mache ich, wenn ich hochwertige Bauteile produzieren will?
Diese werden meistens mit Hilfe des Laser-Sinterns hergestellt. Dazu ist eine höhere Investition in die Anlage erforderlich. Es lassen sich aber Pulver aus unterschiedlichen Ausgangsmaterialien verarbeiten und entsprechend vielfältige Bauteileigenschaften realisieren. Auch Stützkonstruktionen sind kaum mehr nötig, da das unversinterte Pulver ausreichend Halt bietet. Dafür ist andererseits das Entpacken der Bauteile aufwändiger, da spezielle Arbeitsschutzmaßnahmen zum Entfernen des unversinterten Pulvers zu ergreifen sind.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de