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„Faktor Mensch ist weiterhin entscheidend“

Marco Schülken, Vorsitzender des VDMA-Werkzeugbaus, über die aktuelle Lage in der Branche
„Faktor Mensch ist weiterhin entscheidend“

„Faktor Mensch ist weiterhin entscheidend“
„Die Kommunikation zwischen Werkzeug und Bearbeitungsmaschine würde den Weg ebnen zu sich selbst optimierenden Systemen. Die Technik dazu gibt es bereits. Es ist eher eine Frage der Rechte“, sagt Marco Schülken. Er ist Vorsitzender der Fachgruppe Werkzeugbau im VDMA-Fachverband Präzisionswerkzeuge sowie Geschäftsführer und Inhaber der Schülken Form GmbH in Waltershausen. Bild: Schülken
Für den Werkzeugbau ergeben sich durch aktuelle Trends – etwa die Elektromobilität oder das autonome Fahren – auch neue Chancen. Welchen Herausforderungen sich die Branche in absehbarer Zeit stellen muss, sagt Marco Schülken. Es ist Vorsitzender des VDMA-Werkzeugbaus . ❧ Mona Willrett

Herr Schülken, dem deutschen Werkzeug- und Formenbau scheint es im Moment gut zu gehen. Gilt das für die ganze Branche oder ist die Entwicklung eher heterogen?
Aus meiner Sicht trifft das für die ganze Branche zu. Unsere Auftragsbücher sind voll und nach dem, was ich von anderen Betrieben höre, scheint das bei den Kollegen ähnlich zu sein. Insgesamt scheint es der Gesamtbranche derzeit recht gut zu gehen.
Volle Auftragsbücher bedeuten nicht immer auch gute Geschäfte. Sind inzwischen auch die Vertragskonditionen in Ordnung?
Diese Knebelverträge, die Sie ansprechen, sind vor allem im Automobilbereich ein Thema, in anderen Branchen weniger. Aber ich weiß auch von Kollegen, die für Kunden aus der Automobilbranche tätig sind, dass sie faire Verträge bekommen. Ein Problem ist, dass einige große Kunden aus dem Tier1- und Tier2-Bereich die Werkzeugbauer als Bank missbrauchen, indem sie Zahlungen mit nicht nachvollziehbaren Argumenten hinauszögern. Lange Vorfinanzierungsphasen können auch für gute Werkzeugbauer zu einem echten Problem werden. Insofern ist die Vorfinanzierung ein großes Thema. Jeder Werkzeugbauer sollte sich ernsthaft fragen, ob er überhaupt in Vorleistung gehen muss. Anbieter aus Asien beispielsweise tun das meist nicht.
Bestätigt sich die Prognose des VDMA-Werkzeugbau vom Jahresbeginn, die 2017 von einem Plus von vier Prozent ausging?
Unsere Prognosen sind ja recht konservativ. In den letzten Jahren wurden sie aber immer vom jeweiligen Geschäftsverlauf bestätigt. Natürlich ist es schwierig, nach dem ersten Quartal einen Kommentar zur Jahresprognose abzugeben, aber das Gefühl ist nach wie vor positiv, so dass ich unsere Erwartungen derzeit nicht revidieren würde.
Wie hat sich die Situation im internationalen Wettbewerb verändert?
Da sehe ich keine dramatischen Veränderungen. Unser Hauptwettbewerb kommt nach wie vor aus Italien, Portugal und Asien. Je anspruchsvoller und komplexer die Werkzeuge werden, umso mehr lässt der große Wettbewerbsdruck aus Asien nach, den wir vor einigen Jahren noch spürten. Das betrifft heute vor allem Kollegen, die vergleichsweise einfache Werkzeuge bauen.
Welche Märkte sind für deutsche Werkzeugbauer derzeit besonders interessant, welche eher schwierig?
Zukunftsmärkte sehe ich vor allem in Richtung Iran oder Vietnam. Dort ist die Situation ähnlich wie in den sogenannten BRICS-Staaten vor etwa zehn Jahren. Aufgrund des starken Frankens haben wir da gegenüber unseren Schweizer Kollegen einen kleinen Vorteil. Unsere wichtigsten Exportmärkte waren bislang die USA und China. Da müssen wir jetzt mal abwarten, welche Entwicklungen auf uns zukommen. Speziell die USA sind ja gerade ein spannendes Thema.
Spürt die Branche schon Veränderungen?
Im Moment ist noch nichts zu spüren. Derzeit können wir noch Spritzformen problemlos in die USA liefern. Aber wie sich das entwickeln wird, ob und wann Werkzeuge in den Vereinigten Staaten gebaut werden, das lässt sich im Moment noch nicht abschätzen. Auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Märkte in Mittel- und Südamerika fehlt noch die passende Glaskugel.
Welche weitere Entwicklung des Marktumfelds erwarten Sie?
Im Fahrzeugbau werden viele Kunststoffteile wegfallen. Künftige Modelle werden nur noch wenige Bedienelemente haben. Das hat sicher auch für uns Werkzeugbauer massive Auswirkungen, so dass sich die betroffenen Kollegen über neue Wege Gedanken machen müssen. Es werden Märkte wegfallen, aber auch neue entstehen. Ein sehr spannendes Thema ist sicher der Wandel hin zur Elektromobilität, der auch wieder neue Chancen für den Werkzeugbau bietet. Beispielsweise werden für die Entwicklung der Infrastruktur, für Ladesäulen oder für Steckverbinder Werkzeuge gebraucht.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den deutschen Werkzeugbau?
Da gibt es mehrere. Zu den ganz großen Herausforderungen gehört sicher, den Personalbestand zu halten. Schon allein aufgrund des demografischen Wandels. Ältere Mitarbeiter, die in den Ruhestand gehen, zu ersetzen, ist nicht einfach. Ein riesen Problem sehe ich auf jene Betriebe zukommen, die eine Nachfolgeregelung suchen. Es gibt heute zu wenige Jungunternehmer, die bereit sind, einen Betrieb zu übernehmen. Deshalb werden sich Betriebe zusammenschließen müssen, andere werden vom Markt verschwinden. Und eine weitere Herausforderung – aber die haben wir ja immer – besteht darin, die Technik – sowohl in der Fertigung als auch die unserer Produkte – immer auf dem letzten Stand zu halten.
Wie wollen Sie den Nachwuchs- und Fachkräftemangel beheben?
Wir versuchen uns unter anderem als interessante Ausbildungsbetriebe darzustellen. Es muss für die jungen Leuten cool und sexy sein, in einem Werkzeugbaubetrieb zu arbeiten. Um die Jugend anzusprechen und die Faszination des Werkzeugbaus zu vermitteln, hat der VDMA-Werkzeugbau einen tollen Imagefilm produziert.
Welche Bedeutung haben die Themen Industrie 4.0 und Werkzeugbau 4.0 aktuell in der Branche?
Wir leben das tagtäglich. Das ist in den guten Betrieben überall zu sehen und kein Neuland für uns – was das Vernetzen der betrieblichen Prozesse angeht. Sehr kontrovers diskutieren wir allerdings die Frage, ob wir uns mit unseren Kunden und unseren Lieferanten vernetzen müssen. Hier sind wir überwiegend der Meinung, dass wir das nicht müssen. In vielen externen Kontakten ist einfach der Faktor Mensch, das persönliche Gespräch noch immer sehr wichtig. Das lässt sich nicht alles digitalisieren.
Welche weitere Entwicklung erwarten Sie?
Was die innerbetrieblichen Prozesse angeht nicht mehr viel. Da sind wir bereits auf einem hohen Stand. Mit Blick auf unsere Produkte wird interessant sein, ob wir als Werkzeugbauer künftig auf das Werkzeug beim Kunden zugreifen können, um beispielsweise bei Bedarf aus der Ferne unterstützend einzugreifen – technisch wäre das heute – zumindest teilweise – bereits möglich. Das ist eher eine Frage der Bereitschaft der Kunden und der Rechte. Ein anderer Aspekt: Wann wird das Werkzeug in der Lage sein, Rückmeldungen an die Bearbeitungsmaschine zu geben, so dass sich das System selbst optimieren kann? Spannend finde ich auch die Thematik Smart Glases. Das heißt, ich kann über die Brille des Kunden in ein Werkzeug schauen, Fehler sofort erkennen und in vielen Fällen aus der Ferne helfen.
Spannende Entwicklungen, die da noch zu erwarten sind…
Deswegen machen wir ja Werkzeugbau, weil Werkzeugbau nie stehen bleibt!
Welche Rolle spielen die additiven Verfahren heute im Werkzeugbau?
Das ist keine Technologie, die jeder Werkzeugbau zwingend im Haus haben muss. Zumal es nicht reicht, einfach eine Maschine zu kaufen. Man braucht auch die Mitarbeiter mit dem nötigen Know-how. Für viele ist es sicher besser, die benötigten Leistungen zukaufen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings ein guter, kompetenter Partner. Sehr spannend finde ich die Hybridmaschinen, die jetzt nach und nach auf den Markt kommen, und auf denen man zerspanen und aufbauen kann. Eine reine 3D-Druckmaschine lastet kaum ein Werkzeugbau aus, kombiniert mit anderen Technologien kann das aber doch sehr interessant sein.
Wie wirken sich die Themen Digitalisierung, Automatisierung oder auch die generative Fertigung auf die erforderliche Qualifikation der Mitarbeiter aus?
Fakt ist: Wir beschäftigen nur gut ausgebildete Fachkräfte. Hinsichtlich neuer Qualifikationen muss man sich aber fragen: Welche Mitarbeiter brauchen dieses Wissen wirklich. Im eigenen Betrieb haben wir das in der Konstruktion angesiedelt. Unsere Konstrukteure werden zum Beispiel geschult, wo und wann es sinnvoll ist, additive Technologien einzusetzen. Sie müssen wissen, was technisch möglich ist und unsere Anforderungen an den Lieferanten kommunizieren können. Für den Fertigungsmitarbeiter reicht im ersten Schritt ein gewissen Basiswissen. Das Thema Digitalisierung der Werkzeuge können wir Werkzeugbauer ohnehin nicht alleine umsetzen. Hier brauchen wir Kooperationen mit anderen Spezialisten – auch von Hochschulen. Außer einigen großen Playern im Werkzeugbau, beispielsweise Audi, ist mir kein Betrieb bekannt, der das komplett alleine stemmen könnte.
Was bietet der VDMA-Werkzeugbau in Sachen Aus- und Weiterbildung?
Ich würde das nicht auf den VDMA-Werkzeugbau beschränken wollen, denn unsere Mitglieder haben Zugang zu allen VDMA-Angeboten, un die reichen von der Betriebsratsschulung über Weiterbildungen im Bereich der IT-Sicherheit bis zur Kooperation mit der Werkzeugbau Akademie WBA in Aachen. Wir sind gerade dabei, aus dem riesigen Angebot des Gesamtverbandes die Maßnahmen zusammenzustellen, die für Werkzeugbau-Betriebe interessant sein können, so dass sich jeder schnell zurechtfindet.
Ihr eigenes Unternehmen Schülken Form wurde – wenige Monate, nachdem Sie übernommen hatten – zum besten externen Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitern gekürt. Wie haben Sie das Unternehmen weiterentwickelt?
Wir haben sehr schnell den Wandel vom Handwerks- zum Industriebetrieb vollzogen. Teil der Veränderungen war eine komplette neue Organisationsstruktur. Wir führten eine PPS-Software ein, veränderten die CAD-CAM-Software , strukturierten die betriebliche Abläufe komplett um und wir haben neue Maschinen angeschafft, Teilbereiche vollautomatisiert. Wir arbeiten jetzt – beispielsweise beim Fräsen – mit ganz anderen Technologien. Die Logistik im Unternehmen wurde ebenso umgestaltet wie etwa die Arbeitsplätze in der Montage, wo wir großen Wert auf beste Ergonomie legen.
Lässt sich eine so massive Umstrukturierung heute noch finanzieren?
In unserem Fall hat das funktioniert.
Welche Bedeutung haben Wettbewerbe wie „Excellence in Production“ für Sie?
Der EIP ist der Oscar im Werkzeug- und Formenbau. Der Preis ist bekannt und hat im Markt einen hohen Stellenwert. Wir sind unheimlich stolz auf diese Auszeichnung. Sie war auch für unsere Mitarbeiter eine zusätzliche Motivation. Aber der Hauptgrund, warum wir an diesem Wettbewerb teilnehmen, ist aber der kostenlose Benchmark im Rahmen der Bewertung. Die Datenbasis der Aachener Institute ist so groß, dass jeder Teilnehmer wertvolle Anhaltpunkte erhält, wo er im Wettbewerbsumfeld steht, wo man bereits gut ist und wo man sich weiter verbessern kann. Deshalb hat gerade dieser Wettbewerb für mich einen sehr hohen Stellenwert.
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