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„Beherrschbarkeit ist die größte Herausforderung“

Dr. Robert Bauer zur Entwicklung des Familienunternehmens Sick
„Beherrschbarkeit ist die größte Herausforderung“

Seit zehn Jahren führt Dr. Robert Bauer als Vorstandsvorsitzender den Sensorspezialisten Sick AG aus Waldkirch. Ein Gespräch über 70 Jahre Firmengeschichte und -strategie, Industrie 4.0 und Dateneigentum. ❧ Das Interview führte Dietmar Kieser

Sick feiert in diesem Jahr 70. Geburtstag. Wie geht das mit fast 7500 Mitarbeitern?

Über das ganze Jahr hinweg veranstalten wir verschiedene Events. Dem Auftakt im Januar mit der Familie Sick und der Geschäftsleitung folgte Ende Februar ein Tag der offenen Tür in unserem neuen Logistikzentrum. Neulich feierten die Mitarbeiter weltweit das 70-jährige Bestehen. Musikalisch sorgten Kollegen aus Schweden, Japan, Donaueschingen und Waldkirch für gute Stimmung. Und zwischen den Auftritten schalteten wir live per Videokonferenz zu zahlreichen Tochtergesellschaften – vormittags im europäischen und asiatischen Raum, nachmittags im amerikanischen.
Wie sehr steigert eine solche Aktion das Wir-Gefühl?
Derart mit der Welt verbunden zu sein, erzeugt eine beachtliche Wirkung. Den deutschen Mitarbeitern verdeutlicht dies, wie groß das Unternehmen Sick überhaupt ist. Immerhin arbeitet die Hälfte der Belegschaft im Ausland. Und weit entfernte Mitarbeiter erhalten einen tieferen Blick auf das Mutterhaus. Der visuelle Eindruck ist nicht zu unterschätzen.
War in diesen sieben Jahrzehnten eine strategische Neuausrichtung notwendig?
Sick verzeichnet eine kontinuierliche Entwicklung vom ersten Tag an. Die frühen Entwicklungen waren revolutionär, indem Licht für den Arbeits- und Umweltschutz eingesetzt wurde. Unser Firmengründer Dr. Erwin Sick war Optiker, seine ersten Erfindungen waren optischer Natur. In den 90er-Jahren wurde das Motto Elektrooptik in eine Gesamtsensorstrategie weiterent-wickelt, die seit 2004 unser Claim „Sensor Intelligence.“ hervorhebt. Mit Blick auf die Kundenstruktur haben wir uns in fast allen industriellen Investitionsgüterindustrien weiterentwickelt. Es gab und gibt bei Sick keine Brüche, aber eine stetige Anpassungen der Strategie hinsichtlich Technologie und Märkte.
Ist dem Unternehmen das Forscher-Gen seines Gründers erhalten geblieben?
Die grundsätzlichen Innovationen wie Sicherheitstechnik, Automatisierungstechnik und Umweltmesstechnik sind heute zu Geschäftsbereichen mit Umsatzgrößen von 200 bis 300 Mio. Euro ausgebaut. Forschung und Entwicklung mit heute rund 800 Mitarbeitern betrachten wir von Anfang an als Grundlage des Unternehmens. Die daraus entstandenen Patente sind kontinuierlich mit dem Wachstum des Unternehmens angestiegen. Zu den im Schnitt 3000 Patenten kommen jährlich zwischen 100 bis 130 neue hinzu. Die Innovationsarbeit ist somit Grundlage unserer Firmenkultur.
Wie hat sich das Portfolio von 40 000 Produkten in den letzten Jahren entwickelt?
Die Entwicklung verlief linear mit dem Umsatzwachstum. Ausschlaggebend ist die Anforderung der Kunden. Da die Sensorik direkt an die Applikation angepasst sein muss, entsteht eine hohe Varianz. Diese war früher durch Mechanik bestimmt, immer mehr verstärkt durch Software.
Was steht auf der strategischen Agenda der nächsten Jahre?
Vor allem die Bedürfnisse, die aus der Industrie 4.0 kommen. Die Sensorik ist Voraussetzung für die Datenerzeugung, was uns ein ganzes Bündel an Herausforderungen verschafft. Das spiegelt sich auch in unseren Geschäftsmodellen wider. Einst war Sick ein Lösungsanbieter für spezielle Anforderungen. In den 70er- bis in die 90er-Jahre hinein entwickelten wir uns weiter zum Hersteller von Seriengeräten. Ab dem Jahr 2000 erfolgte die Erweiterung auf Systeme und Service. Heute bieten wir Serienprodukte, Systeme und Service – und insbesondere die Mischung aus allen. Das ist eine für die Zukunft wichtige Grundlage, da Industrie 4.0 auch Systemcharakter hat.
Gibt es eine Strategieaussage, um die Zukunftsfähigkeit zu demonstrieren?
Hier greifen zwei Aspekte: 2004 haben wir den Claim „Sensor Intelligence.“ eingeführt. Das ist eine sehr langfristig ausgerichtete Strategie, da Intelligenz im Sensor bei weitem nicht ausgereizt ist. Und in der langfristigen Ausrichtung bis 2020 und darüber hinaus gibt es Strukturanpassungen im Systemgeschäft, aber auch in der Technologie selbst, da diese immer höher integriert wird. Die Integration von digitalen Bausteinen auch in unseren Geräten geht massiv voran.
Die industrielle Produktion steht vor einem gewaltigen Umbruch. Welche Rolle will Sick hier spielen?
Wir wollen durch einfach handhabbare Intelligenz diese hohe Komplexität beherrschbar machen. Die Beherrschbarkeit ist heute die größte Herausforderung. Es gibt viele Methoden, um intelligente Technik Schritt für Schritt einzuführen. Aber nicht disruptiv, sondern rückwärtskompatibel. Dabei lassen sich die alten Strukturen verwenden, während die neuen bereits eingeführt werden. Kaum jemand wird eine Fabrik abreißen und komplett neu aufbauen.
Wird der Softwareanteil am Sensor signifikant ansteigen?
Definitiv, und aus physikalische Gründen erfolgt dies in direkter Nähe des Sensors, da sich Totzeiten in diesem Umfeld negativ auswirken. Totzeiten, die kürzeste ist die Lichtlaufzeit, sind physikalisch bedingt. Ungünstig sind aber auch Verzögerungszeiten in den Übertragungsmedien. Umso mehr ist eine intelligente Vorverarbeitung zur Reduktion der Bandbreite Voraussetzung für zunehmenden Software-Einsatz. Denn grundsätzlich ist die Netzwerküberlastung problematisch, sowohl bei der Datenübertragung im Kabel als auch drahtlos. Das sind weitere Herausforderungen.
Kann ein Sensoranbieter dies beeinflussen?
Durch Überlastungen der Netzwerke lassen sich bestimmte Funktionen nicht sinnvoll anwenden, da sie bereits durch andere belegt sind. Umso wichtiger ist deshalb eine bandbreitenreduzierte Sensorik, vergleichbar dem Speichern von Bildern im komprimierten JPG-Format.
Welche Themen sind Ihnen bei Industrie 4.0 besonders wichtig?
Auf der politischen Ebene ist es das Daten-eigentumsproblem. Deshalb engagieren wir uns bei der Initiative „Industrial Data Space“. Das Bestreben ist es, die digitale Souveränität über Daten und Dienste für Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten. Denn wird das Eigentumsproblem nicht gelöst, hat die Industrie 4.0 einen riesigen Hemmschuh. Mit der eher kurzfristigen Sicht verbinde ich Normen und Austauschmechanismen.
Wann lässt sich die Lücke beim Dateneigentum schließen?
Industrial Data Space will einen sicheren Datenaustausch mit gemeinschaftlichen Regeln für alle Unternehmen möglich machen. Auf Basis des offenen Architekturmodells werden noch in diesem Jahr Demonstratoren vorgestellt. Aber alles hängt letztendlich ab von der Durchsetzung dessen als Standard. Es ist definitiv keine singuläre Lösung, sondern eine offene, die nicht an ein einzelnes Unternehmen gebunden ist.
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