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Betriebe wehren sich gegen ein starres Tarif-Korsett

Betriebsverfassungsgesetz: Reform verärgert den Mittelstand
Betriebe wehren sich gegen ein starres Tarif-Korsett

Beim Betriebsverfassungsgesetz scheiden sich die Geister der deutschen Maschinenbauindustrie. Während die IG-Metall die Reform als notwendige Modernisierungsaufgabe sieht, fühlen sich die Unternehmen in ihrer innerbetrieblichen Flexibilität eingeschränkt.

Monika Etspüler ist Journalistin in Sindelfingen

Eigentlich bräuchten wir für die mittelständischen Unternehmen mehr Deregulierung. Stattdessen erfahren wir eine zunehmende Bürokratisierung“. Mit seinem Unmut steht Ulrich Hermani, Geschäftsführer des VDMA Baden-Württemberg, nicht allein. Immer lauter wird in der Maschinenbauindustrie die Forderung nach mehr innerbetrieblicher Flexibilität.
Statt sich in das tarifvertragliche Korsett einzwängen zu lassen, wollen die Unternehmen selbst entscheiden, was für Betrieb und Belegschaft gut ist, um so auf wirtschaftliche Gegebenheiten schneller reagieren zu können.
Knackpunkt der ganzen Diskussion ist der Paragraph 77(3) des Betriebsverfassungsgesetzes, wonach nur solche Themen Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen, die nicht durch den Tarifvertrag geregelt sind. Das aber erscheint vielen Unternehmern zu wenig. Sie wollen auch auf dem tarifvertraglichen Sektor mehr Entscheidungskompetenz haben. Doch selbst die zum 1. Januar 2002 in Kraft tretende Reform des Betriebsverfassungsgesetz bringt voraussichtlich keine Lockerung dieser Bestimmung.
Für zusätzlichen Ärger sorgt, dass die Gesetzesreform eine Erweiterung des Vorschlagsrechtes für Betriebsräte in Fragen wie Umweltschutz und Mitarbeiterqualifizierung vorsieht und mehr Freistellungen ermöglicht. Die Unternehmen befürchten deshalb „Eingriffe in die Direktionsrechte der Geschäftsleitungen“ so der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) in einer Stellungnahme.
Frank Stroh, Pressesprecher die IG-Metall Baden-Württemberg, versteht die ganze Aufregung nicht. „Das ist keine Reform, das ist ein Reförmchen, das da in Kraft tritt“, sagt er. Außerdem beträfen die Neuerungen sowieso nur Punkte, die in einem gut geführten Unternehmen schon längst realisiert seien. „Ein Werkzeug, das mittlerweile 30 Jahre alt ist, muss dringend den Erfordernissen einer modernen Industriegesellschaft angepasst werden“. Diese Einschätzung teilt Frank Stroh mit Dr. Gerhard Rübling, dem Personalchef bei dem Ditzinger Maschinenbauer Trumpf, auch wenn die Beurteilung der beiden aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln geschieht.
Mitarbeiter sind heute viel aufgeschlossener und mündiger
„Es wäre dann eine richtige Reform zustande gekommen, wenn endlich akzeptiert würde, dass die Belegschaften in den letzten Jahrzehnten viel mündiger und aufgeschlossener geworden sind. Auf dieser Tatsache aufzubauen, hätte grundsätzliche Änderungen gebracht und nicht das, was wir jetzt vorliegen haben, nämlich vom Gleichen ein bisschen mehr“, so Rübling.
Für Martin Bertinchamp, dem Sprecher des Vorstandes der Metabo AG sind viele Kämpfe um Betriebsvereinbarungen reine Spiegelfechterei. „Spätestens, wenn einem Unternehmen das Aus droht, gelten diese überbetrieblichen Regelungen sowieso nur noch bedingt“. Bertinchamp spricht aus Erfahrung, denn nachdem die Elektrowerkzeugbranche 1996 in ein konjunkturelles Tief gerutscht war und der rückläufige Markt zu einem massiven Preisverfall führte, funkte Metabo SOS. „Unser Ziel war, das Unternehmen am Leben zu halten und die Arbeitsplätze zu sichern“, so Martin Bertinchamp rückblickend. 1997 wurde im Rahmen eines innerbetrieblichen Bündnisses für Arbeit eine Standort- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung getroffen.
Flexible Zeitkonten wurden eingerichtet und die Belegschaft erklärte sich bereit, monatlich sieben Stunden zusätzlich ohne Entgelt zu arbeiten. Im Gegenzug garantierte Metabo den Mitarbeitern, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.
1999 wurde eine Neuauflage dieser Vereinbarung abgeschlossen, deren Laufzeit im Dezember dieses Jahres endet. Die unbezahlte Mehrarbeit beträgt danach nur noch drei Stunden, wovon die Hälfte für Qualifizierungsmaßnahmen genutzt wird. Metabo verpflichtete sich zu weitreichenden Investitionen in die Produktionsanlagen.
Die Betriebsvereinbarungen zahlten sich aus. 10 Millionen Mark konnte Metabo aufgrund der ersten Beschäftigungssicherungsvereinbarung erwirtschaften, voraussichtlich weitere fünf Millionen Mark haben die Maßnahmen der letzten drei Jahre erbracht. Inzwischen drängt der Betriebrat bereits auf Vertragsverlängerung. Doch die Geschäftsführung gibt sich bedeckt. Eine neue Vereinbarung werde es so lange nicht geben, solange die Auswirkungen des reformierten Betriebverfassungsgesetzes nicht endgültig abzusehen sind, erklärt Martin Bertinchamp. „Wenn die jetzige Fassung bestehen bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass wir in einem der Billiglohnländer ein neues Werk errichten“.
Wirtschaftliche Gesichtspunkte waren auch für die Sartorius AG in Göttingen, einem Hersteller von Filtrations- und Wägetechnik, ausschlaggebend, 1999 einen Standortsicherungsvertrag abzuschließen. Anders als bei Metabo war dieser Schritt nicht aus der Not geboren.
Das Auftragsvolumen war zu dem Zeitpunkt so groß, dass ohne Verlängerung der Maschinenlaufzeit es nicht möglich gewesen wäre, alles zu bearbeiten. „Hätten wir die Aufträge jedoch abgelehnt, wären wir in den darauf folgenden fünf Jahren in Schwierigkeiten geraten, denn das sind etwa die Zeiträume, über die unsere Produkte für einen pharmazeutischen Prozess eingesetzt werden“, erläutert Dorothea Tacke-Hager aus der Personalabteilung die Situation.
In Spitzenzeiten wurde bei Sartorius sogar an Samstagen und Sonntagen im Dreischicht-Betrieb gearbeitet. Im Gegenzug gab das Unternehmen eine Bestandgarantie für die 1 500 Arbeitsplätze. Und wie um die Ernsthaftigkeit des Vorhabens zu bestätigen, investierte Sartorius in den darauf folgenden Monaten rund 100 Millionen Mark in neue Produktionsstätten in Göttingen.
Auch die Firma Trumpf schloss seit 1996 bereits zwei Standortsicherungsvereinbarungen ab. „Zwischen damals und heute hat sich vieles geändert“, stellt Dr. Gerhard Rübling rückblickend fest. „Die Einsicht in die alte Weisheit, dass man dann sparen muss, wenn es einem gut geht, um in schlechten Zeiten etwas haben, setzt sich langsam durch“.
Mehr Freiheit auf betrieblicher Ebene würde solche Prozesse allerdings beschleunigen, davon ist der Personalchef überzeugt. „Wir laufen Gefahr, dass durch die Regulierungswut alle Kreativität erstickt wird“.
Doch auch mit dem Paragraph 77(3) bleiben den Unternehmen noch eine ganze Reihe an Möglichkeiten den betrieblichen Alltag zu gestalten. So erwähnt der Tarifvertrag mit keinem Wort so wichtige Punkte wie Arbeitszeitkonten, Gleitzeiten und Qualifizierungsvereinbarungen. Das alles kann auf dem kleinen Dienstweg zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat entschieden werden.
Der Ditzinger Maschinenbauer Trumpf beispielsweise regelt in einer Betriebsvereinbarung, dass allen Mitarbeitern insgesamt 25 bezahlte Arbeitsstunden für Weiterbildungsmaßnahmen zustehen. In einem Zusatztarifvertrag vereinbarte das Unternehmen, dass jeder Arbeitnehmer außerdem bis zu 75 Überstunden pro Jahr sammeln und als Versorgungsbaustein für das Alter anlegen kann. Die Regelung bezieht sich auf den Bruttolohn und ist seit Januar diesen Jahres gültig. In der Branche ist man sich weitestgehend einig, dass mehr Liberalität nicht gleichzeitig das Ende der Tarifverträge bedeuten würde, und das will eigentlich auch niemand.
Liberalität muss nicht das Ende der Tarifverträge bedeuten
„Ein Flächentarifvertrag, der Löhne und Gehälter regelt und dazu Betriebsvereinbarungen, die jedes Unternehmen auf seine spezifische Situation hin zurecht schneidern kann, wäre das Optimale“, bestätigt denn auch Dr. Gerhard Rübling. Was dagegen viele Unternehmen an der jetzigen Regelung ärgert, ist, dass sie bei Entscheidungen häufig auf den guten Willen der Gewerkschaften angewiesen sind – und Gentleman Agreement lässt sich bekanntlich nicht einfordern.
Infos und Meinungen im Internet
Weitere Informationen und Meinungen finden Sie unter dem Stichwort Betriebsverfassungsgesetz auf folgenden Seiten:
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Berlin
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) e.V., Frankfurt/M.
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e.V., Frankfurt/Main
IG-Metall, Frankfurt/M.
Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Berlin
Deutscher Industrie- und Handelstag, Berlin
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