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Bikini-Schönheiten erhöhen nur die Zahl der Besucher

Clevere Aussteller setzen auf Beratung statt auf blinden Aktionismus
Bikini-Schönheiten erhöhen nur die Zahl der Besucher

Kaum eine Branche will auf einen kunstvoll inszenierten Messe-Event verzichten. Vom Schnellzeichner bis zur Formel-1-Simulation – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber was bringen die Aktionen tatsächlich?

Elke Clausen ist Unternehmensberaterin und Fachbuchautorin in München

Ein Messestand auf der Metav in Düsseldorf: Menschentrauben haben sich gebildet, der Gang ist voll – was gibt es hier zu sehen? Eine Formel-1-Simulation! Unterstützt von einem Live-Moderator, der passenden Geräuschkulisse und drei Rennsimulatoren versuchen sich die Teilnehmer als Formel-1-Piloten. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Akteure allerdings mehrheitlich als Schulklassen oder Schaulustige. Und das Ausstellerteam? Denen brummt der Schädel, konzentrierte Messegespräche sind bei diesem Geräuschpegel unmöglich – außerdem haben Kunden oder ernsthafte Interessenten kaum eine Chance, die Menschenansammlung vor dem Stand zu durchbrechen. Das Ergebnis nach einer Messe: weniger Messegespräche und schlechtere Qualität der Messekontakte. Fazit des Ausstellers, Hersteller von Werkzeugmaschinen: Nie wieder so eine Aktion.
Szenenwechsel: A + A, Arbeitsschutzmesse Düsseldorf. Ein Hersteller technischer Laminate will sein Produkt einmal in einer ganz anderen Form präsentieren. Das hauseigene Designteam hat ausgefallene Taschen entworfen, die auf der Messe live produziert werden sollen. Der Erfolg ist überwältigend, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Die Taschenidee hat sich in Windeseile auf der Messe herumgesprochen. Mit dem Ergebnis, dass der Aussteller förmlich überrannt wird – Kunden- oder Kontaktgespräche? Fehlanzeige.
Einzelfälle? Nein, keineswegs. Es gibt heute keine Messe und keine Branche, in der nicht krampfhaft nach Event-Ideen gesucht wird. Besonders abenteuerlich wird es dann, wenn die Aktion in keinem Bezug zum ausstellenden Unternehmen, seinen Produkten oder Dienstleistungen steht. Messe-Events generieren Massen – entscheidend für den Messeerfolg im Business-to-Business ist jedoch nicht die Qualität. Einzig und allein die Qualität der Messekontakte bestimmt den späteren Geschäftserfolg.
Messe-Aktionen machen daher grundsätzlich nur dann einen Sinn, wenn sie einen Produktnutzen für die anvisierte Zielgruppe erlebbar werden lassen, wie das nächste Beispiel zeigt: Ein Hersteller von Sanitäreinrichtungen will auf der Fachmesse eine neue Badewanne vorstellen, die sich konstruktionsbedingt sehr schnell und einfach montieren lässt. Während Mitbewerber exotische Schönheiten einfliegen lassen, die nichts anderes zu tun haben, als sich in knappen Bikinis im Wasser zu räkeln, nach dem Motto „Männer fliegen doch auf so was…“, entschließt sich unser Aussteller für einen Montage-Wettbewerb. Kunden und potentielle Kunden können sich in diesem Zeit-Wettbewerb höchstpersönlich und hautnah von dem Produktvorteil der neuen Badewanne überzeugen. Positiver Nebeneffekt: Die Besucher sind heilfroh, dass sie endlich mal den Sakko ausziehen und zupacken können.
Dieser Event ist nicht nur glaubwürdig, sondern garantiert dem Aussteller, dass sich der Besucher noch Monate nach der Messe an das Erlebte erinnern wird. Warum? Weil er mit dieser Aktion den Produktvorteil erlebt hat und die Erinnerung daran bei der Zielgruppe automatisch positive Emotionen erweckt. Eventspezialisten begründen ihren Einsatz auf der Messe gerne mit dem Argument, dass sich Produkte aufgrund ihrer Austauschbarkeit nur noch über Emotionen verkaufen lassen.
Mit „Emotionen“ haben sie zwar recht, aber die Frage ist, welcher Umstand diese emotionale Bindung zum Besucher aufbaut. Was nützt ein Event, wenn ein schlecht gelauntes, inkompetentes Standteam überhaupt keine Anstalten macht, den Messebesucher wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, ihn anzusprechen?
Der erfolgreichste Emotionsfaktor auf der Messe ist das Standteam. Ein Aspekt, den die vom Auma, Köln, in Auftrag gegebene Studie „Ziele und Nutzen von Messebeteiligungen“ bestätigt. Die Messe wird von ausstellenden Unternehmen den „Face-to-face-Kommunikationsinstrumenten“ zugerechnet. Nach dem persönlichen Verkauf durch den Außendienst sowie dem Kundenservice vor und nach dem Kauf rangiert sie auf Platz 4 in der Hierarchie der Kommunikationsinstrumente.
Es ist also gerade die zwischenmenschliche Beziehung, die dem Besucher nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Schließlich drängt er sich nicht durch überfüllte Messehallen, um dann in den Genuss eines zweifelhaften „Mini-Disney-Erlebnisses“ zu kommen, sondern er sucht mehrheitlich die Lösung für sein Problem – bei Fachbesuchern sind es immerhin bis zu 60 % – oder neue Ideen für sein Arbeitsfeld. Ein freundliches, aufgeschlossenes Messeteam, das ihn wahrnimmt und sich durch ein verbindliches, kompetentes Gespräch auszeichnet, wird ihm deshalb allemal länger in Erinnerung bleiben als das hunderste Event.
Anstatt potenzielle Kunden durch das Auftreten des Standteams und eine kundenorientierte Präsentation zu beeindrucken, bieten viele Aussteller den gleichen gedankenlosen Klamauk an, wie der Wettbewerber. An welchen Differenzierungsmerkmalen soll ein Besucher seine Entscheidung pro oder contra Anbieter A oder B denn festmachen? Im schlimmsten Fall kehrt sich die Absicht einer emotionalen Beeinflussung durch ein Event genau ins Gegenteil um.
Der Mensch trifft auch im 21. Jahrhundert trotz seiner Erziehung zu rationalem Denken und logischem Handeln in weiten Bereichen Entscheidungen aus dem Bauch heraus, das heißt unbewusst. Die Werbung macht sich diese Tatsache zunutze und versucht so ziemlich jedes Produkt über Emotionen an den Mann oder die Frau zu bringen. Und mit der gleichen Argumentation werden auch Messeevents begründet und eingesetzt.
Was nicht in diese Strategie passt, ist das Phänomen der selektiven Wahrnehmung, die den Menschen vor Reizüberflutungen schützt. Nach sechzig bis neunzig Minuten ist die Grenze der menschlichen Aufnahmefähigkeit nämlich erreicht. Mit anderen Worten, nach ungefähr zwei Stunden Messerundgang greift die selektive Wahrnehmung. Der Besucher klinkt sich sozusagen geistig aus. Auch wenn ihn die visuellen Eindrücke von seinem ursprünglichen Vorhaben abzubringen scheinen – der originäre Grund seines Besuches bleibt unbewußt präsent. Event hin oder her, ihn wird nichts mehr beeindrucken – es sei denn, er findet in einer Präsentation die Schlüsselbotschaft, die ihm signalisiert, dass er hier eventuell die Lösung für sein Problem finden könnte. Schlussendlich muss sich ein Aussteller im klaren darüber sein, dass alle Effekthascherei dort ihre Grenzen hat, wo ein Verständnisproblem beim Besucher bleibt.
Ist es Produktverliebtheit oder nur Betriebsblindheit, die Aussteller zu extravaganten Events oder Präsentationen verleitet, die niemand versteht, außer sie selbst? „Produkte müssen inszeniert werden …“ – Wohl wahr, aber bitte immer noch so, dass ein Besucher nachvollziehen kann, was ihm hier präsentiert wird. Und genau das ist allzu oft nicht der Fall! Die Folge: Er wird zwar im Moment magisch angezogen, ist sehr überrascht und bleibt interessiert stehen, um dann enttäuscht festzustellen, dass er nicht nachvollziehen kann, was ihm mit der Präsentation vermittelt werden soll. Wenn dann zu allem Unglück kein Ansprechpartner auf dem Messestand frei ist, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Es entstehen die gefürchteten Fragezeichen im Kopf des Besuchers, die jeder Aussteller unbedingt vermeiden sollte. Frappierende Effekte sind nur so lange gut, wie sie sich in Erklärungen auflösen. Fazit: Ein Aussteller sollte sich auf keinen Fall von seinem Umfeld auf Biegen oder Brechen zu Aktionen verleiten lassen, die ihm am Ende mehr schaden als nutzen. Glaubwürdigkeit ist die oberste Maxime für die Entscheidung pro oder contra Messe-Event. Denn im Business-to-Business-Bereich will ein Aussteller nicht Besuchermassen auf seinen Stand ziehen, sondern qualifizierte Gespräche mit seiner Kernzielgruppe führen. Messeaktionen haben aber nun mal die Eigenschaft, in erster Linie Quantität zu generieren.
Industrieanzeiger
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