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Der Beschaffer als Wertschöpfer

Entwicklung und Produktion profitieren von den Innovationen der Lieferanten
Der Beschaffer als Wertschöpfer

Der Einkauf muss ebenso in die Supply Chain eingebunden werden wie die Entwicklung und die Produktion. Das schafft nicht nur Transparenz in den Geschäftsprozessen, sondern es verhindert auch, dass der Vertrieb Produkte bewirbt, die wegen Verzögerungen beim Lieferanten noch gar nicht fertig sind.

„Der Einkauf erfolgt nicht mehr linear, sondern in einer netzwerkartigen Beziehung“, erklärt Thomas Hillek, Partner bei der Beratungsgesellschaft KPMG. Das heißt: Anstatt nur das zu beschaffen, was Forschung, Entwicklung und Produktion benötigen und vorgeben, bringt der Einkauf Innovationen ein. „Er erfüllt eine Querschnittsfunktion, deren wichtigste Belange in der Supply Chain abgebildet sein müssen“, so Hillek. Gerade in den Bereichen Automotive, Telekommunikation und Industrieanlagen stammen technische Neuerungen oft von den Lieferanten. „Die tragen viel zur Wertschöpfung bei.“ In der Automobilindustrie übernehmen Tier1-Lieferanten einen großen Teil der Entwicklungsarbeit. „Die Innovationsfähigkeit der Lieferanten kann bei den Kunden sogar einen höheren Umsatz generieren.“

Bevor sich vernetzte Teams bilden können, brauchen die Fachabteilungen ein Vorbild. Das beginnt bei der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit auf Geschäftsführungsebene. Der oberste Einkäufer, der Chief Procurement Officer (CPO), muss mit am Tisch der Entscheider sitzen. In vielen Fällen untersteht der CPO direkt dem Chief Financial Officer (CFO), oder beide Positionen sind in Personalunion besetzt. Die beiden Bereiche müssen eng mit dem Chief Operating Officer (COO) sowie dem Vertriebsvorstand zusammenarbeiten. „Diese Aufgaben und Kooperationen sollten im Organisationsmodell verankert werden“, so Hillek.
Bisher denken Unternehmen immer noch in Abteilungen – etwa Einkauf, Marketing und Vertrieb. Dieses Schubladendenken muss einer funktionsübergreifenden Prozessführung weichen. Dazu gehört beispielsweise die Absatz-, Kapazitäts-, Produktions- und Beschaffungsplanung. Ein vernetzter Prozess erfordert eine enge Kooperation über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. „Wenn ein Lieferant in Verzug kommt, muss man das sofort an den Vertrieb melden“, betont Hillek, „das funktioniert in manchen Unternehmen sehr schlecht.“ So führt etwa der Vertrieb eine große Werbeaktion für Handys durch und merkt viel zu spät, dass es bei einer kritischen Komponente Lieferschwierigkeiten gibt. „Diese Querschnittsprozesse sind nicht transparent, weil die Abteilungen nicht integriert arbeiten“, bemängelt Hillek. Bei schnellen Märkten wie etwa der Elektronikgüter empfiehlt er einen wöchentlichen Austausch. Bei volatilen Märkten mit hohen Risiken sei sogar ein tägliches Meeting der Einkaufs-, Vertriebs- und Produktionsleiter sinnvoll.
Sobald die organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen sind, muss der Einkauf auch technisch in die Supply Chain integriert werden. „Es genügt nicht, wenn ein IT-Architekt ein ERP-System mit dem Modul Materialwirtschaft einrichtet“, betont Hillek. Stattdessen sei ein Supplier Relationship Management (SRM) erforderlich, das neben dem Lieferanten- auch ein Kategorienmanagement beinhaltet. Das ERP-System muss weiterhin vernetzt werden mit dem Produkt Lifecycle Management (PLM) und dem Advanced Planning System (APS). Für wenig IT-affine Einkäufer klingt das wie Böhmische Dörfer, doch auch sie werden von der Transparenz und dem Datenaustausch profitieren. In Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von mehr als 500 Mio. Euro funktioniert die funktionsübergreifende IT schon sehr gut, „aber in kleineren Unternehmen fristet der integrierte Einkauf ein Schattendasein“, so Hillek. Meist klemmt sich nur das Mittlere Management dahinter. „Um die Vernetzung zu verankern, muss das Top-Management die gegensätzlichen Ziele auf einen Nenner bringen.“ Das heißt: Der Vertriebsvorstand, der an seinem Absatz gemessen wird, muss sich mit dem Produktionsvorstand abstimmen, der nach der Kosteneffizienz beurteilt wird. „Der Produktionsleiter will einfache Produkte herstellen, doch entscheidend ist, was der Kunde will.“ Daraus folgt, dass sich der Vertrieb in die Entwicklung, Produktion und den Einkauf einmischen darf und sollte. Außerdem muss das Bonussystem überarbeitet werden, denn der Vertrieb wird sich nicht freiwillig das Wasser abgraben.
Bei der Umstellung von der Linie zum Netzwerk sind einige Hürden zu nehmen. Mitarbeiter hegen Ressentiments gegen jegliche Veränderung ihrer Abteilung, Rollen, Verantwortung und Hierarchien. „Alle Beteiligten müssen Beschaffungskompetenzen erwerben“, findet Hillek, „die Begleitung über Trainings ist jedoch oft zu gering ausgeprägt.“ Zu einem differenzierten Schulungskonzept gehören beispielsweise Workshops für vernetztes Arbeiten sowie Fallbeispiele darüber, was schief laufen kann.
Wie lange die Umstellung dauert, kommt auf die Größe, Struktur und Komplexität des Unternehmens und der Produkte an. In der ersten Phase wird ein Organisationskonzept erstellt, das die Vorteile herausstellt. Das dauert circa zwei bis drei Monate. In der Konzeptionsphase werden ein Organisations-, Prozess- und IT-Modell erstellt, was weitere drei bis neun Monate in Anspruch nimmt. Für die schrittweise Umsetzung sollten sechs bis 24 Monate eingeplant werden.
Kirsten Seegmüller Freie Journalistin in Leinfelden
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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