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Die Anlagen gehören jetzt jemand anderem

Energie-Contracting bietet Unternehmen große Flexibilität
Die Anlagen gehören jetzt jemand anderem

Jedes dritte Unternehmen ist mit seinem Energieversorger unzufrieden, aber kaum einer zieht Konsequenzen. Man muss nicht gleich wechseln: Mit Contracting-Verträgen können Unternehmen Kosten senken und ein effizientes Energiemanagement betreiben.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

Sieben Jahre nach der Liberalisierung des deutschen Strommarktes haben nur rund 5 % der Haushalte ihren Stromanbieter gewechselt, und auch in der Wirtschaft zeigen sich Beharrungstendenzen: Nur 19 % der Unternehmen haben seit 1998 einen oder mehrere neue Versorger ausprobiert. Das ergab eine Forsa-Umfrage im vergangenen Jahr, die vom Frankfurter Energieunternehmen Watt Deutschland GmbH und dem Magazin Impulse in Auftrag gegeben worden war.
Demnach hat jedes dritte ostdeutsche Unternehmen den Anbieter gewechselt, aber nur jedes achte westdeutsche. Ausschlaggebend für den Wechsel war für 97 % der Befragten der geringere Preis bei einem anderen Stromanbieter. In der Umfrage unter 501 mittelständischen Unternehmern zeigten sich 35 % unzufrieden mit den Leistungen ihres bisherigen Stromversorgers; doch über die Hälfte der Befragten hat in der ganzen Zeit nicht einmal Preise oder Dienstleistungen anderer Anbieter verglichen.
Das ist kaum zu verstehen, denn durch einen Wechsel könnten Stromkunden bis zu 20 % sparen, meint Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbandes neuer Energieanbieter (BNE) in Berlin. „Energieverbraucher in Deutschland nutzen ihr Wahlrecht beim Stromanbieter noch viel zu wenig“, sagt Busch. Dabei sei der Wechsel auch ein politisches Bekenntnis: Wer sich für einen neuen Anbieter entscheide, erteile der „rüden Preispolitik“ der Ex-Monopolisten eine Absage.
Die machen längst wieder den Markt unter sich aus: Die Strompreise liegen über dem Niveau des Jahres 1998, die Zahl der Anbieter ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Von knapp 100 neuen Lieferanten, die nach der Liberalisierung gestartet sind, sei keine Handvoll mehr übrig, stellt der BNE fest. Parallel zum unfreiwilligen Rückzug der neuen Stromanbieter ist die Marktmacht der vier großen Anbieter auf dem deutschen Strommarkt – RWE, Eon, Vattenfall und EnBW – stetig gestiegen. Diese vier beherrschen rund 80 % der Stromproduktion und einen Großteil der Verteilernetze.
Dennoch steigt das Interesse der Industrie, für energietechnische Dienstleistungen das Know-how externer Experten heranzuziehen. Das glaubt jedenfalls RWE Solutions herausgefunden zu haben, ein Unternehmen der Essener RWE AG. In ihrer Trendanalyse „Contracting Barometer 2004“ befragten die Energieexperten über 280 Betriebe aller Größen aus unterschiedlichen Branchen in Deutschland.
Vor allem im Contracting liege Einsparpotenzial. Diese Strategie verbindet für Industriekunden zweierlei Vorteile: niedrigere Kosten durch bessere Energieeffizienz und höhere Wettbewerbsfähigkeit. Die geringeren Energiekosten gehen meist mit einer Modernisierung der Anlagen einher, deren Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit erhöht wird. Dabei umfasst „Energie“ nicht nur Strom, Öl und Gas, sondern auch Versorgungsmedien wie Kühl- und Heizwasser, Druckluft oder die Vakuumerzeugung. Unternehmen verschaffen sich durch die Vergabe finanziellen Freiraum für Investitionen ins Kerngeschäft und können auf Marktschwankungen flexibler reagieren.
Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit der Philips Semiconductor GmbH und der Vattenfall Europe Contracting GmbH (VEC), beide Hamburg. Der Anbieter von Halbleitern für Unterhaltungselektronik und Kommunikationstechnik hat sich beim Ausbau eines Entwicklungszentrums für Halbleiterbauteile ohne eigenen Kapitaleinsatz moderne Technologie für das Energiemanagement gesichert.
Im Zuge der Erweiterung der Gebäude für System- und Produktentwicklung sollten die neuen Büro- und Laborräume kostengünstig und effizient klimatisiert werden. 3500 zusätzliche Quadratmeter waren mit Wärme und Kälte zu versorgen. Die vorhandenen 11 000 m² Arbeitsfläche wurden mit Kesseln und Kaltwassersätzen klimatisiert. Zunächst hatte man diese Anlagen erweitern wollen, um die benötigten 500 kW Heizleistung und 400 kW Kälteleistung zu erzielen.
Eingesetzt wurde schließlich aber eine Wärmepumpe, auch weil VEC Erfahrungen mit dieser Technologie hatte. Die neue Wärmepumpe ist mit Plattenwärme- und Rohrbündeltauschern ausgestattet und liefert den Grundbedarf an Wärme und Kälte. Bei Spitzenlasten wird auf die bestehenden Anlagen zurückgegriffen.
Im Vergleich zur ursprünglich angedachten Lösung war für dieses Konzept eine doppelt so hohe Investitionssumme nötig. Die Wärmepumpe braucht aber wesentlich weniger Primärenergie als die Kessellösung. Die Einsparungen bei Erdgas und Strom kompensieren die teurere Anschaffung schon nach relativ kurzer Betriebszeit. Die Investitionskosten übernahm vollständig der Contractor, der auch für den Betrieb verantwortlich zeichnet. Refinanziert wird die Anlage allein über den geringeren Energieeinsatz. Dafür reiche sogar ein marktgerechter Medienpreis aus, betont Vattenfall. Dieser werde Philips Semiconductor für den tatsächlichen Energieverbrauch pro gelieferter Kilowattstunde in Rechnung gestellt.
Bei der Hannoveraner Continental AG verantwortet VEC die Energiezentralen und regelt die Versorgung für den Standort in eigener Regie. Dazu erwarb VEC die alten Versorgungsanlagen nebst Leitungsnetzen und investierte in deren Modernisierung. Der Contractor garantiert festgelegte Einsparergebnisse – per sofort: In den ersten beiden Jahren sinken die Energiekosten vertragsgemäß um jeweils 5 %. VEC hat deshalb ein starkes Interesse daran, dass die Anlagen dem Stand der Technik entsprechen und hochgradig verfügbar sind. Die Hamburger refinanzieren die Investitionen über die Differenz zwischen garantierten und realisierten Einsparungen. VEC gründete eine eigene Betriebsgesellschaft auf dem Werksgelände von Continental und übernahm alle 28 Mitarbeiter des Bereichs, die vorher auf der Lohnliste des Reifenherstellers standen.
Für die energieintensive Herstellung der Autoreifen benötigt Continental Dampf, Strom, Druckluft, Vakuum, Kühlwasser, Heißwasser, Wasser und Abwasser, Druckwasser bis 300 bar sowie Sondergase. Diese Medien müssen just in time zur Verfügung stehen. Beispiel Kühlwasser: Als VEC zum ersten Mal das Werksgelände inspizierte, wurde das zugeführte Kühlwasser nach Gebrauch entsorgt. Um größere Einspareffekte zu erreichen, bauten die Hamburger vier Kühltürme mit integriertem Rückführsystem. Das zurückgeführte erwärmte Wasser wird in zwei Wasserbecken gesammelt und durch ein Bypass-Filtrations-System gereinigt. Zudem werden vier Sprühpumpen für die Kühltürme und drei energiesparende, drehzahlgeregelte Netzpumpen plus einer Reservepumpe eingesetzt, die das Wasser – dem jeweiligen Bedarf der Produktion angepasst – zu den Verbrauchern transportieren. Durch die Wiederverwertung des Kühlwassers ergeben sich jährliche Einsparungen von etwa 1,2 Mio. m³ Wasser. Zusätzlich sinkt der Stromverbrauch.
Solche Beispiele sprechen sich herum. In der RWE-Solutions-Umfrage zeigte schon jedes dritte Unternehmen Interesse am Energiecontracting. Jedes zehnte habe bereits ein Contracting-Projekt begonnen oder werde dies innerhalb der kommenden zwei Jahre tun. Das Marktpotenzial ist beträchtlich: Nach Zahlen des Contracting-Forums des Fachverbandes Energietechnik im ZVEI, Frankfurt/M., erwartet die Branche – wie in den letzten Jahren – mittelfristig ein dynamisches jährliches Wachstum von 15 bis 20 %; das aktuelle Marktvolumen allein für das Industrie-Contracting schätzt der Geschäftsführer des Fachverbandes, Rüdiger Haake, in Deutschland auf rund 1 Mrd. Euro. Zusätzlich tätigen die Contractor Anlageninvestitionen in Höhe von etwa 5 bis 10 % dieses Umsatzes für Modernisierungen und Neubauten und kurbeln so das Wachstum weiter an.
Nach Ansicht Haakes können Industriekunden mit Contracting-Verträgen ihre Energiekosten dauerhaft um 10 bis 20 % senken. „In einzelnen Projekten wurden aber schon deutlich höhere Einsparungen erzielt“, sagt Haake. Dennoch sollten die Möglichkeiten nicht überschätzt werden: 77 % der von Forsa befragten Mittelständler gaben an, die Jahresstromkosten ihrer Unternehmen lägen unter 10 000 Euro. Selbst bei Einsparungen von 10 % reicht das kaum für eine Weihnachtsfeier der, sagen wir, Personalabteilung.
Industriekunden haben mehr Geld für Investitionen
Einsparungen von 5 % pro Jahr vertraglich fixiert
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