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Die Claims der Standorte sind schon abgesteckt

Ostdeutschland gegen MOE gut behauptet
Die Claims der Standorte sind schon abgesteckt

Die deutschen Zulieferer investieren immer mehr Geld im Ausland. Sie gehen dorthin, wo die Automobilhersteller hingehen – wo die Kosten niedrig und die Märkte dynamisch sind. Die aufstrebenden Automotive-Standorte in Ostdeutschland müssen sich gegen die Konkurrenz aus Mittelosteuropa behaupten.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Die deutschen Zulieferer zieht es in die Ferne. Rund 80 % wollen in den nächsten Jahren im Ausland investieren, glaubt man einer Erhebung der IKB Deutsche Industriebank AG in Düsseldorf. Beachtlich: Mehr als die Hälfte der kleinen Firmen mit einem Umsatzvolumen unter 10 Mio. Euro pro Jahr plant ein Auslandsinvestment, fanden die Analysten in ihrer Umfrage heraus. Bei den großen Zulieferern über 500 Mio. Euro Jahresumsatz wollen fast alle demnächst Geld im Ausland investieren.
Die Umfrageergebnisse spiegeln den internationalen Trend in der Automobilindustrie wieder. „Die Globalisierung treibt den Wettbewerb der Standorte voran“, urteilt der Verband der Automobilindustrie (VDA) in Frankfurt/M. Das internationale Werben um Investitionen und Arbeitsplätze habe „eine neue Qualität“ gewonnen, stellt der Verband in seinem Jahresbericht 2002 fest. Weltweit buhlen die Regionen um Automobilhersteller als Investoren. Das geschieht fast immer mit Subventionen: beispielsweise mit kostenlosem Bauland, Zuschüssen zur Mitarbeiterqualifizierung oder Steuernachlässen.
Entscheidend sind jedoch die Rahmenbedingungen wie Löhne, Steuern und Infrastruktur. Hat sich einer der Hersteller für eine Produktionsstätte entschieden, folgen im Kielwasser die großen Zulieferer, die wiederum ihre Unterlieferanten mitbringen. Die Wanderung ist in vollem Gange. Laut einer Untersuchung des VDA zusammen mit dem Center of Automotive Research (CAR) und der Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers haben in den vergangenen fünf Jahren 61 % der befragten Zulieferer neue Standorte im In- oder im Ausland eröffnet.
Bei den inländischen Investitionen haben sich nach VDA-Urteil die jungen Standorte in den neuen Ländern gut behauptet. In Ostdeutschland ist die Ansiedlung der Automobilindustrie seit der Wiedervereinigung gediehen: Sechs deutsche Hersteller beschäftigen in den Ländern Thüringen, Brandenburg und Sachsen insgesamt 23 000 Menschen. Den größten Erfolg bei der Ansiedlung hat Sachsen. Das Land ist traditionelle Heimat des Automobilbaus: Horch, Audi, Wanderer und DKW – die spätere Auto-Union – haben dort ihre Wurzeln, deren Geschichte 100 Jahre zurückreicht.
„Wir haben mit Volkswagen, Porsche, BMW und Neoplan vier OEM in Sachsen. Das ist schon ganz ordentlich“, urteilt Markus Lötzsch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH in Dresden. Hinzu kommen 450 Zulieferer und 60 000 Beschäftigte insgesamt. Lötzsch sieht den Standort mittlerweile in einer Liga mit Baden-Württemberg und Bayern (s. „Nachgefragt“).
Noch attraktiver bei den Investments waren nach offiziellen Zahlen die EU-Beitrittsländer ein paar Kilometer weiter östlich. Und sie bleiben attraktiv: Laut der IKB-Erhebung will fast jeder dritte deutsche Zulieferer, der eine Investition plant, das Geld in einen MOE-Standort stecken. Fast gleichauf folgen bei der Umfrage die alten EU-Länder, die Nafta-Länder USA, Kanada und Mexiko sowie der Newcomer China. Das Reich der Mitte trat vor dem WTO-Beitritt kaum in Erscheinung.
Der Aufschwung der MOE-Länder – allen voran Polen, Tschechien und Ungarn – wird durch den EU-Beitritt langfristig sein, sind sich Experten einig. Zwei Faktoren treffen dort aufeinander: Kostenvorteile und die neuen Absatzmärkte. Hersteller aus aller Welt haben dort schon ihre Claims abgesteckt. Polen produziert schon fast so viele Autos wie der traditionsreiche Automobilstandort Sachsen. Allerdings: Die Investments sind häufig weniger kapitalintensiv: Wo im Westen ein Roboter steht, wird dort mancher Arbeitsschritt manuell erledigt. Häufig genannter Nachteil ist die manchmal noch wacklige logistische Anbindung.
Je mehr die MOE-Standorte allerdings aufholen, desto mehr befürchtet der Branchenverband VDA ein Ungleichgewicht bei der Förderpolitik durch die Europäische Union. Sollten die bisherigen Förderrichtlinien auch nach dem EU-Beitritt beibehalten werden, so der Verband, entstünde eine Schieflage zum Nachteil der deutschen Automobilregionen und der Standorte in Westeuropa.
Der VDA fordert als Ergebnis der Studie des CAR und Pricewaterhouse-Coopers, dass die EU-Richtlinien neu ausgerichtet werden sollen, um einen fairen Standortwettbewerb zu gewährleisten.
Aber: Auch Deutschland müsse seine Hausaufgaben erledigen. Das heißt, ein besseres Ausbildungssystem und eine Gewerbesteuerreform müssten her, fordern die Lobbyisten. Zudem sollen die ostdeutschen Automobilregionen ihre Vorteile kontinuierlich ausbauen, beispielweise durch die Weiterentwicklung von Zukunfts-Technologien.
VDA: EU-Förderpolitik für fairen Standortwettbewerb international anpassen

„Wir sind als Aufsteiger in derselben Liga wie Bayern und Baden-Württemberg“

Nachgefragt

Markus Lötzsch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH, sieht in Sachsen Automobil-Hersteller und Zulieferer gut aufgestellt.
Wann wird der Automobilbau in Sachsen zum Selbstläufer und muss nicht mehr gezielt gefördert werden?
Wir haben mit Volkswagen, Porsche, BMW und Neoplan vier OEM in Sachsen. Wir haben weiterhin 450 Zulieferer mit 60 000 Beschäftigten. Das ist schon ganz ordentlich. Das heißt nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können. So haben wir soeben die Dachmarke „Autoland Sachsen“ geschaffen, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Anderes geschieht schon fast von selbst: Nach der Ansiedlung von BMW entschied sich der italienische Zulieferer Magnetto für Sachsen.
Wer sind die größten Konkurrenten des Standortes?
Ich denke, wir sind Aufsteiger in derselben Liga, in der etwa auch Baden-Württemberg oder Bayern spielen. Wir haben vielleicht noch nicht so große Rücklagen, dafür haben wir andere Vorteile, zum Beispiel die Nähe zu den neuen EU-Nachbarn und eine hervorragende Infrastruktur.
Wie bewerten Sie die Wettbewerber aus Osteuropa?
Beim Buhlen um Investoren haben wir einerseits eine klare Standortkonkurrenz. Andererseits sehe ich auch die Chancen für neue Partnerschaften. Da haben zwar mittlerweile fast alle großen Hersteller und Zulieferer Standorte in Tschechien oder Polen aufgebaut, doch sie haben die alten Lieferbeziehungen beibehalten. Das rächt sich schon bei einem Stau auf der Autobahn. Da liegen die gut aufgestellten sächsischen Zulieferer als unmittelbare Nachbarn einfach näher.
Worin sehen Sie die größte Gefahr für die Entwicklung der Automobilregion?
Die größte Gefahr sehe ich darin, die Chancen, die sich jetzt bieten, nicht oder nicht schnell genug zu ergreifen. Ich denke an die hohen Anforderungen der Zertifizierung und an das Auditing. Hemdsärmeligkeit genügt nicht, um Zulieferer von VW Sachsen zu werden. Hier sehen wir eine Aufgabe für uns, gerade im Verbund mit der sächsischen Automobilzulieferinitiative AMZ 2005.
Aus welcher Richtung erwarten Sie in Zukunft positive Impulse für die Branche?
Der erste Aspekt: Sachsen ist nicht nur Automobil-, sondern auch High-Tech-Land, ist IT-Land und ist traditionell stark im Maschinen- und Anlagenbau. Daneben haben wir hervorragende Universitäten. Das zusammen und der sächsische Erfindergeist führen dazu, dass sich die Branchen gegenseitig befruchten – davon profitiert auch der Automobilbau. Der zweite Aspekt: Die sächsischen Betriebe sind generell kleiner als die im Westen. Netzwerke bilden sich blitzschnell und kundenorientiert und entwickeln neue Ideen. Da sind die Sachsen einfach stark.tv
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