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Die Grauen sind auf dem Vormarsch

Demographische Entwicklung lässt Unternehmen umdenken
Die Grauen sind auf dem Vormarsch

Mit 50 zum alten Eisen? Mit 55 verschrottet wegen Unbrauchbarkeit, wegen fehlender Leistungs- und Lernbereitschaft? Das Bild vom Arbeitnehmer, der möglichst früh „verrentet“ werden soll, muss sich ändern, sonst stehen viele Firmen bald vor gewaltigen Personalproblemen.

Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Im Jahr 2020 wird, so die Prognos GmbH in Berlin, der Anteil der Arbeitskräfte zwischen 20 und 49 Jahren um geschätzte 5 Mio. Menschen zurück gehen. Der Anteil der 50- bis 64-Jährigen nimmt im gleichen Zeitraum aber um rund 5 Mio. zu. Das klingt nüchtern, hat aber weitreichende Konsequenzen: Die Deutschen werden insgesamt immer älter und der Anteil der Alten gegenüber den Jungen steigt. Nur spiegelt das Arbeitsleben diese Realität heute noch längst nicht wider.
Heute verlassen Beschäftigte jenseits der 50 häufig so früh es eben geht ihr Unternehmen. Die Wissensträger gehen, doch der gehätschelte Nachwuchs kommt nicht nach – nicht ausreichend jedenfalls, um die Lücken zu füllen. Und trotz aller Warnungen der Demographen beginnen die Personalchefs nur langsam umzudenken.
Einer, der es tut, ist Armin Zisgen, Personalleiter der KSB AG in Frankenthal. Das Traditionsunternehmen, das am Standort Frankenthal rund 1700 Mitarbeiter beschäftigt, hat sich des Themas „demographischer Wandel“ auf seine Weise angenommen. „Als Maschinenbauer, der Pumpen und Armaturen herstellt, haben wir es ständig mit neuen technischen Herausforderungen zu tun“, sagt Zisgen. „Deshalb können wir es uns nicht leisten, auf das Know-how älterer Mitarbeiter zu verzichten.“ Immerhin sind in Frankenthal ein Drittel aller Beschäftigten älter als 50 Jahre. Deshalb hat KSB im Jahr 2001,unterstützt vom Land Rheinland-Pfalz, mit einem besonderen Projekt begonnen: „Motivierende Arbeitsstrukturen für ältere Arbeitnehmer“ sollten geschaffen werden.
Am Anfang herrschte Skepsis – und die Angst, womöglich jetzt doch länger als geplant arbeiten zu müssen. „Wir konnten schnell klar machen, dass es uns nicht darum geht, bestehende Rechte zu beschneiden und dass alle unsere Angebote freiwillig sind“, erinnert sich Zisgen. So bleiben auch bestehende Altersteilzeitregelungen weiter in Kraft. Dennoch will das KSB mehr Mitarbeiter motivieren, sich und ihre Arbeitskraft auch jenseits des 55. Lebensjahres voll für die Firma einzusetzen.
Dazu gehört ein kostenloser Gesundheits-check durch den Werksarzt und die ausdrückliche Aufnahme der beruflichen Perspektive in die persönliche Beurteilung. Ab dem 58. Lebensjahr kann sich ein Mitarbeiter von der Nachtschicht befreien lassen und die wöchentliche Arbeitszeit aus den Beständen des Langzeitkontos gemindert werden. Ab dem 60. Lebensjahr bleibt auch bei Versetzungen das Entgelt konstant und ab dem 63. Lebensjahr können drei Tage zusätzlicher Urlaub beansprucht werden. Die Angebote überzeugen: Bereits 20 % der Belegschaft zeigt sich interessiert.
„Alle diese Maßnahmen haben wir zusammen mit dem Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft entwickelt und erproben sie gerade“, sagt Zisgen. Für ihn besonders positiv: „Das kann sich eben auch ein mittelständisches Unternehmen leisten.“ Die Kombination macht es möglich. Denn neben der Anerkennung der Leistung geht es bei älteren Arbeitnehmern eben auch um wirtschaftliche Aspekte. Und da zählen Entgeltgarantie und mehr Urlaub auf der Habenseite.
Über eines ist sich Armin Zisgen im Klaren: „Jeder Mitarbeiter hat seine eigene Erwerbsbiographie. Wer jahrzehntelang körperlich schwere Arbeit geleistet hat, kann unter Umständen nicht länger als unbedingt nötig arbeiten. Will er es dennoch, ist es auch Sache des Vorgesetzten, rechtzeitig Planungen für eine adäquate Beschäftigung zu finden.“ Die individuelle Ausrichtung auf den Mitarbeiter geschieht bei KSB durch Patenmodelle, aber auch durch altersgemischte Teams, spezielle Gesundheitsangebote oder besondere Arbeitsplätze.
Damit kommt KSB einer Forderung entgegen, die von Experten immer wieder aufgestellt wird: Ältere Arbeitnehmer wollen bis zu ihrem Ausscheiden ernst genommen werden und eine Entwicklungs- und Beschäftigungsperspektive für sich sehen. „Sie wollen eine altersgerechte Laufbahnentwicklung und einen flexiblen Übergang in die Nacherwerbsphase“, weiß Hartmut Buck vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Buck hat auch das Projekt „Öffentlichkeits- und Marketingstrategie demographischer Wandel“ (Demotrans) koordiniert. Bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Vorhaben ging es unter anderem darum, Themen wie „Alternsgerechte Arbeits- und Personalpolitik“ zu diskutieren und Lösungen für die Praxis zu entwickeln.
„Es gibt hierzulande immer noch sehr wenige Best-Practice-Beispiele, die vorbildlich mit dem Thema Integration älterer Arbeitnehmer umgehen“, bedauert Buck. „Die wenigsten Firmen beschäftigen sich strategisch mit dem demographischen Wandel und seinen Auswirkungen“, kritisiert er. Demotrans hat versucht, Multiplikatoren wie Branchenverbände oder Kammern ins Boot zu holen, um Aufklärungsarbeit zu betreiben. Und das Ergebnis? „Wir haben vielleicht nicht die breite Masse an Unternehmen erreicht, aber dafür handfeste Beispiele und Firmen gewonnen, die weiter als Multiplikatoren wirken werden“, zieht Buck ein nüchternes Fazit.
Er ist ein solcher Multiplikator: Otmar Fahrion, Geschäftsführender Gesellschafter der Fahrion Engineering GmbH & Co. KG in Kornwestheim, 62 Jahre alt, ist von seiner Mission überzeugt. Und die heißt, mehr Menschen jenseits der 50 eine Chance im Arbeitsleben zu geben. Und dabei geht es dem schwäbischen Firmenchef, der mit seinem Unternehmen weltweit Fabriken plant, baut und ausrüstet, durchaus um harte Zahlen und Fakten. „Durch das Outsourcing der Großen sind in unserer Branche wieder die klassischen Ingenieurleistungen wie Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Anlagenmontage, Erprobung und Wartung gefragt – nur eben in der Rolle des Dienstleisters für Kunden.“ Tugenden wie „Berufserfahrung, Verhandlungsgeschick und Stehvermögen“ werden damit wieder verlangt, glaubt Fahrion – und ältere Arbeitnehmer, die diese Tugenden mitbringen.
„Wir konnten keinen Ersatz für zwei jüngere Planungsingenieure finden“, erinnert er sich. Der Ersatz kam – und zwar mehr als je gedacht, über eine Stellenanzeige. „Mit 45 zu alt? Mit 55 überflüssig? Wir stellen an bis 65“, hieß es. 522 Bewerbungen insgesamt, 290 interessante und 19 neue Mitarbeiter, davon 13 über 50-jährig – das war das Ergebnis.
Aber der Kostenfaktor höhere Gehälter? „Wer mit über 50 eine neue Stelle antritt, der sieht seine Chance und ist bereit, vom letzten Gehalt Abstriche zu machen“, ist der Fahrion-Chef überzeugt. „Aber dafür kann er auch qualifizierte Aufgaben übernehmen, die große Erfahrung voraussetzen. Außerdem ist diese Mitarbeitergruppe oft familiär sehr viel ungebundener, reisebereiter und steht uns, anders als jemand mit Mitte 30, mit großer Sicherheit das restliche Berufsleben zur Verfügung. Und das rechnet sich in jedem Fall.“
Auch mit 55 noch voll im Einsatz für die Firma

„Lebenslanges Lernen ist wichtig, um Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten“

nachgefragt

Dr. Martina Morschhäuser, Diplom-Psychologin am Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken (ISO), forscht zum Thema Altersgerechte Personalpolitik.
Gabriele Müller
Worin sehen Sie als Wissenschaftlerin die größten Herausforderungen beim Thema demographischer Wandel?
Die bestehen für mich darin, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen „alternsgerecht“ zu gestalten und die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zukunftsorientiert zu erhalten. Konkret beinhaltet dies: beständige Weiterbildung und Personalentwicklung für alle Generationen, verstärkte Anstrengungen betrieblicher Gesundheitsförderung und Förderung des Erfahrungsaustausches zwischen Alt und Jung.
Über das Thema wird schon länger diskutiert – was tut sich in den Betrieben wirklich?
In einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der viele Unternehmen ums Überleben kämpfen, lässt sich keine flächendeckende Auseinandersetzung mit Entwicklungen erwarten, deren Folgen erst in zehn Jahren deutlich spürbar werden. Aber es gibt eine wachsende Anzahl von Betrieben, die der Alterung ihrer Belegschaften gewahr werden, die einen Mangel an jungen Fachkräften registrieren oder die Ältere aufgrund ihres Know-how länger im Unternehmen halten wollen.
Sind Mittelständler eher bereit, sich der Auswirkungen des Altersstrukturwandels auf ihre konkrete Unternehmenssituation anzunehmen als Großfirmen?
Wenn kleine oder mittlere Unternehmen Maßnahmen einer alternsgerechten Arbeits- und Personalpolitik wichtig finden, sind sie eher in der Lage, diese auch in die Tat umzusetzen. In großen Unternehmen müssen die Promotoren in der Altersfrage erst eine meist umfangreiche Sensibilisierungs- und Überzeugungsarbeit innerhalb des Betriebes leisten.
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