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„Einkauf braucht Visionen und Kostendisziplin“

Hans-Georg Nussbaum über die Rolle des Einkaufs bei der Unternehmensentwicklung
„Einkauf braucht Visionen und Kostendisziplin“

„Einkauf braucht Visionen und Kostendisziplin“
„Der Einkauf muss mit seinem Kenntnisvorsprung über die Marktgegebenheiten das Unternehmen versorgen.“
Hans-Georg Nußbaum, Inhaber und Geschäftsführer der Nußbaum-Gruppe, behält die Wertschöpfung gern im eigenen Haus. Dem Einkauf kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.

Herr Nußbaum, Ihr Unternehmen setzt auf eine hohe Fertigungstiefe, obwohl fast alle Welt vom Outsourcing redet. Warum?

Es ist eine Frage des unternehmerischen Selbstverständnisses. Ich habe vor 35 Jahren die Schlosserei meines Vaters übernommen und während meiner Schulzeit seine hohe Handwerkskunst, die er bei Zeppelin in Friedrichshafen erlernte, erfahren. Dies befähigte unsere Mitarbeiter wie mich, schon als Schüler „das Unmögliche“ zu wagen – aber unter der Bedingung, dass sich möglichst alle Mitarbeiter in diesen Prozess einbringen. Das ist unser eigentlicher USP und schafft die Voraussetzung für den weltweiten Erfolg der Nußbaum-Gruppe.
Ihre strategischen Eckpunkte sind Innovations- und Kostenführerschaft. Wie erreichen Sie diese?
Fertigungstiefe bedingt Prozesskompetenz und den Mut zu neuen Verfahren und Anwendungen. Das wiederum befähigt zu Produktinnovation und beschleunigt den Entwicklungsprozess. Wertanalyse in Produktdesign und Herstellungsverfahren, eingebunden in einer flachen Organisationsstruktur, spart Ressourcen und damit Kosten. Die umfassende Verfügbarkeit aller Prozesse möglichst unter einem Dach bringt uns weitere Alleinstellungsmerkmale, nämlich das Know-how der Mitarbeiter. So ist es unseren weltweiten Wettbewerbern bis heute nicht gelungen, unsere seit Jahren marktführende Commodity-Hebebühne – von denen wir über 10 000 Stück jährlich produzieren – zu kopieren, weil die Netzwerke unserer Mitarbeiter die entscheidende Funktionalität und Qualität sicherstellen.
Welchen Beitrag kann der Einkauf leisten, um die unternehmerischen Ziele zu verwirklichen?
Im Einkauf liegt der Gewinn, diese Redewendung gilt heute mehr denn je, wenn man den dramatischen Anstieg der Materialkosten und damit das Abschmelzen der Roherträge betrachtet. Der Einkauf ist die wichtigste Instanz für den größten Kostenblock. Für mich war es lange selbst operatives Kerngeschäft, aber immer mit strategischer Dimension.
Und welche Strategie verfolgen Sie?
Die besten Lieferanten meinen wir auch heute in Deutschland für uns auszumachen, und das über langjährige Bindungen in einer offenen fairen Vertrauensbeziehung. Die vorgenannten wertanalytischen Kreativprozesse können nicht mit Partnern in Billiglohnländern in der vorgegebenen kurzen Zeit abgewickelt werden.
Was ist für Sie ausschlaggebend für eine gute Beziehung zu den Lieferanten?
Vertrauen als wesentliche Voraussetzung ist für beide die Grundlage. Das Verständnis für die beiderseitigen Anliegen ist nicht immer leicht zu erreichen. So hatten wir erst mit Verspätung die Stahlpreisentwicklung zu verstehen und akzeptieren gelernt. Nämlich, dass wir uns in Deutschland 20 Jahre lang daran gewöhnt hatten, wie selbstverständlich hochsubventionierte Stahlpreise als Grundlage unserer Stücklisten und Kalkulationen anzusetzen. Gerade für uns als stahlintensiver Verbraucher hat dies fundamentale Veränderungen ausgelöst. So müssen wir heute nachholen, was wir versäumt haben.
Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Möglichst schnell alternative, kostengünstigere Werkstoffe zu finden. Vor Jahren noch undenkbar, werden dies Bauteile aus Kunststoff sein. Wir sind dabei, Kunststoffe in tragenden Strukturen zu entwickeln und diese dann auch selbst zu fertigen, einschließlich der dazu notwendigen Werkzeuge. Was wir über die Jahre nicht bedacht haben: Kunststoffe waren nie subventioniert, Stahl dagegen erheblich und die früher hohe Preisdifferenz ist ganz erheblich abgeschmolzen. Es wird für uns eine spannende Aufholjagd werden.
An der auch die Beschaffung beteiligt ist. Welche Eigenschaften muss ein Einkäufer besitzen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden?
Ein Einkäufer muss eine sehr breite Wissensaffinität mitbringen und kommunikativ eine ausgeprägte Wissbegierde nach innen und nach außen umsetzen, um letztlich die oben genannten Prozesse aktiv nicht nur zu begleiten, sondern mit seinem Kenntnisvorsprung der Marktgegebenheiten das Unternehmen zu versorgen. Er muss zunächst durch Kostendisziplin, gleichzeitig aber auch als Visionär hervorragen.
Welchen Herausforderungen wird sich der Einkauf in Zukunft stellen müssen?
Vom Einkauf – der den entscheidenden Einfluss auf die größte Kostenposition des Unternehmens ausübt – wird nicht nur Augenmaß, sondern ein klares Bekenntnis zur Gesamtverantwortung gefordert. Allerdings müssen Unternehmer, Gesellschafter und letztlich auch die Aktionäre dafür einstehen, sonst ist dies alles in den Wind gesprochen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Unternehmenskultur?
Es wird in letzter Zeit viel über Unternehmenskultur und Compliance gesprochen. Unternehmerisches Handeln ist gebunden an soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Hier ist ein Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Führen und Leiten seit langem überfällig, wie auch die Finanzkrisen der letzten Wochen zeigen. Kurzfristige Gewinnprognosen und Kursentwicklungen können langfristig nicht mehr Leitlinie sein, zumindest gilt dies für unsere Volkswirtschaften in Europa.

Die Nussbaum-Gruppe
Gegründet 1943 als Schlossereibetrieb in Bodersweier, hat sich das Unternehmen heute zu einem der weltweit führenden Hersteller von Hebebühnen und Prüftechnikgeräten für die Automobilwerkstatt entwickelt.
  • Mitarbeiter: etwa 1000, davon 125 Auszubildende
  • Standorte: Bodersweier, Kempten, Markränstadt bei Leipzig, Seehausen bei Magdeburg, Kehl-Auenheim, Kehl-Sundheim
  • Umsatz: rund 120 Mio. Euro (2007)
  • Exportquote: 70 %
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