Startseite » Allgemein »

Fahren statt gehen: Industrie will Ergonomie-bewusst hochstapeln

Flurförderzeuge: Lagerhausgeräte zeigen sich auf der Cemat ergonomischer und leistungsfähiger
Fahren statt gehen: Industrie will Ergonomie-bewusst hochstapeln

Besonders bei den Lagerhausgeräten spürt die Stapler-Branche seit einiger Zeit eine starke Belebung. Weil der Fahrer als teuerste Komponente zu Buche schlägt, fordern die Kunden eine bessere Ergonomie, die sich in schnellerer Auftragsabwicklung niederschlagen soll. Ein Beispiel: Die Fahrer sollen mitfahren statt laufen. Aber auch die Vernetzung der Stapler schreitet voran.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

In der Staplerbranche herrscht Optimismus: „2004 wurden weltweit so viele Flurförderzeuge verkauft wie noch nie“, freut sich Matthias Fischer, Vorstand Vertrieb der Hamburger Jungheinrich AG. Vor allem das Segment Lagertechnik, ergänzt Georg Silbermann, habe 2004 überdurchschnittlich zugelegt und werde sich auch in diesem Jahr sehr positiv entwickeln. Nach Ansicht Silbermanns, Mitglied der Geschäftsleitung des Geschäftsbereichs Material Handling (MH) der Aschaffenburger Linde AG, wird dieses Wachstum vor allem durch den Logistik- und Distributionsbereich gespeist, der mit zahlreichen Großaufträgen zu Buche schlägt.
Jungheinrich-Vorstand Fischer hat zudem eine Teilverlagerung von Produktionsstandorten zahlreicher Zulieferer nach Osteuropa ausgemacht. „Damit entstehen deutlich mehr Transporte, beispielsweise zwischen den Fertigungen der Zulieferer und den Montagestandorten. Es fahren mehr Lkw, und die müssen beladen werden.“ Und schon sind die Staplerhersteller wieder mit von der Partie. Während Jungheinrich traditionell gut bei Lagerhausgeräten aufgestellt ist, hat Linde für 2005 das „Jahr der Lagertechnik“ ausgerufen. Auch die Duisburger Toyota Gabelstapler Deutschland GmbH zeigt, dass sie aufs richtige Pferd setzt: 2004 stieg der Absatz der Lagerhausgeräte um über 27 % – wenngleich von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau aus.
Um den Nerv der Zeit zu treffen und auch 2005 wieder vorn dabei zu sein, setzen alle Hersteller unisono auf Ergonomie, wie sich auf der Intralogistik-Messe Cemat Mitte Oktober in Hannover zeigen wird. Dazu gehört auch der Wunsch nach dem „Mitfahren statt Gehen“, wie Fischer sagt: Er hat eine verstärkte Nachfrage nach Plattform-Fahrzeugen festgestellt, die in einigen Fällen den Mitgänger-Geräten Konkurrenz machen. Seiner Ansicht nach kommt dieser Trend aus Skandinavien, wo der Komfort des Fahrers an seinem Arbeitsplatz einen höheren Stellenwert habe als im Süden Europas, Deutschland eingeschlossen. „Dort wurden einige Studien zur Krankheitsentwicklung durchgeführt, die eine klare Sprache sprechen.“
Diese Entwicklung sieht auch Hartmut Druba, Produktmanager Lagertechnik beim Staplerhersteller BT Deutschland GmbH in Langenhagen: „Wenn im Lager genügend Platz ist, setzt die Industrie gern Plattformfahrzeuge ein, um größere Entfernungen schneller zurückzulegen.“ Bei den Kunden habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Arbeitskraft „das Teuerste ist, was es gibt“. So mancher Anwender greife etwa bei einem Deichselstapler heute eher auf ein Mitfahr-Gerät zurück.
So erhalten diese Produkte – an sich traditionell Mitgänger-Fahrzeuge –, heutzutage Plattformen, auf denen der Bediener während der Fahrt stehen kann. Jüngstes Beispiel sind die Deichselstapler 7SLL von Toyota: Sie sind konzipiert für Einsätze, bei denen Ware in kleineren Mengen in hohe Regale ein- und ausgelagert werden muss, sowie für den Transport von schweren Lasten. Durch ein Proportionalventil sollen sich die Lasten feinfühlig und schnell heben und senken lassen. Die Fahrzeuge haben eine ausklappbare, gefederte Fahrerplattform, auf der der Fahrer schnell und bequem den Einsatzort wechseln kann.
Grundsätzlich, meint Matthias Fischer, herrsche in der Industrie ein „höheres Ergonomiebewusstsein als im Handel“. Im Vergleich zu den europalettengenormten Logistikzentren des Lebensmittel- oder Pharmahandels sind in der Industrie längere Wege zurückzulegen. Zudem werden oft gleich zwei Gitterboxen aufgenommen, die die Sicht des Fahrers einschränken. Speziell für diese Zielgruppe hat Jungheinrich im Frühjahr den ersten Stapler mit Drehkabine auf den Markt gebracht, den EFG D30. Die Fahrer bekommen so beim Rückwärtsfahren keine Genickstarre mehr, sondern sie können sich in Fahrtrichtung positionieren. Das Fahrzeug fällt zwar nicht in die Sparte Lagerhausgeräte, zeigt aber, wohin ergonomisch die Reise geht. Wenn die Kunden das Konzept annehmen, könnte es auf weitere Fahrzeuge ausgedehnt werden. Sinnvoll ist der Einsatz einer drehbaren Kabine jedoch nur, wenn große, sperrige und die Sicht verdeckende Lasten über lange Strecken transportiert werden müssen.
Vielleicht können solche Ideen das Geschäft mit der Industrie weiter in Gang bringen, das nach Erkenntnis Hartmut Drubas seit einiger Zeit strukturelle Schwächen zeigt. „Viele produzierende Unternehmen habe ihre Auslieferungslager ausgelagert oder stehen kurz davor, dies zu tun.“ Die Logistik werde von spezialisierten Dienstleistern übernommen; der eigene Staplerbedarf sei folglich eher gering, so der BT-Experte. Gleichwohl gelte hier, wie auch in den Logistiklagern, die Maxime „höher, schneller und weiter“.
Um Umschlagsmenge und -geschwindigkeit zu steigern, setzen die Hersteller nicht nur auf schnellere Hub- und Senkgeschwindigkeiten, sondern vor allem bei der Bedienung auf Ergonomie: Dazu gehören Servolenkungen und Multifunktions-Bedienelemente, die alle Funktionen zum Steuern, Bedienen und Kontrollieren vereinen. Beispielhaft erwähnt seien der Horizontalkommissionierer CS 20 der Hamburger Still GmbH, ein Mitfahrgerät, oder deren jüngste Niederhubwagen-Baureihe EXU, ein klassisches Mitgänger-Fahrzeug. Bei den EXU-Fahrzeugen sind alle Bedienfunktionen so in den Deichselkopf integriert, dass nach Angaben der Hamburger Links- und Rechtshänder ohne Umgreifen schnell arbeiten können sollen.
Interessenten sollten auf der Cemat solchen Merkmalen Aufmerksamkeit schenken, denn Kommissionieren ist der teuerste Vorgang in der Warenverteilung. Einsparungen in der Lieferkette werden erzielt, indem zum Beispiel der Einzelhandel gleich Viertel- oder Halbpaletten aufstellt und das Kommissionieren im Vorfeld schlicht vermieden wird. Wo das nicht geht, wie in der Industrie, muss die Ergonomie der Fahrzeuge dem Bediener ein schnelleres Arbeiten ermöglichen.
Dazu passt die steigende Nachfrage bei Doppelstockstaplern, wie sie Hartmut Druba bei BT-Kunden festgestellt hat. Diese Fahrzeugklasse kann zwei Paletten übereinander aufnehmen. Zwei mit Metallteilen gefüllte Gitterboxen dürften allerdings die Tragfähigkeiten mancher Geräte überfordern. Doch wo es die Gewichte zulassen, werden mit Doppelstöckern Lkw schneller beladen.
Auch Man-up-Fahrzeuge sind derzeit gefragt; mit ihnen wird der Fahrer samt Plattform in die Höhe befördert, um dort Waren zu kommissionieren. Das soll nicht nur schneller gehen und mit größeren Tragfähigkeiten als früher; nein, die Waren lagern auch höher als früher, weil die Kunden ihre Hallen höher bauen, um Fläche zu sparen. Folglich erreicht beispielsweise der neue BT-Kombistapler C15 Hubhöhen von 14,5 m – beim Vorgänger CTX waren es noch 12 m. Gesteigert wurden zudem die Hub- und Senkgeschwindigkeit. Beim Senken speichern von BT eigens entwickelte Druckspeichersysteme Energie, die sie beim Heben wieder abgeben. Weil das Konzept weniger mechanische Teile enthält als gängige Energiesparsysteme, ist es weniger störungsanfällig. Ein Grund vielleicht, weshalb sich der C15 in diesem Jahr „zu einem sehr guten Renner“ entwickelte, wie Druba feststellt.
„Höher, schneller und weiter“ gilt aber auch beim Datenfluss: „Waren-, transport- und lagerwirtschaftsbezogene Daten sollen ihren Weg vom Hersteller zum Kunden möglichst ohne Medienbrüche finden“, fordert Linde-Manager Georg Silbermann von der Branche. Das heißt: Die Daten sollen nur noch im Computer vorliegen, auf Papierbelege beim Auftragseingang und nach der Abwicklung sollte möglichst verzichtet werden, um die Logistikprozesse zu beschleunigen.
Weil auch Stapler und Lagertechnikgeräte in die Informationskette eingebunden sind, müssen die Staplerhersteller ihre Fahrzeuge mit Monitoren ausstatten. Darüber stehen die Fahrer mit dem Lagerverwaltungssystem des eigenen Betriebes in Verbindung. Alte Stapler können nachgerüstet werden, aber das schränkt oft die Sicht auf den Mast, die Palette und die Welt um den Fahrer herum ein. Denn ein Display, auf dem die aktuelle Geschwindigkeit oder Hubhöhe angezeigt wird, ist ohnehin vorhanden, so dass die logistische Vernetzung zusätzliches Equipment am Fahrzeug bedeutet. Neue Displays von BT vereinen beide Funktionen auf einem Monitor. Die Fahrzeuge müssen dafür allerdings konstruktiv vorbereitet sein.
Apropos Informationskette: Wer als Anwender nicht weiß, welche und wie viele Stapler er in seinem Lager benötigt, kann sich an die Berater der Hersteller wenden. Sie arbeiten mit eigenen Lösungen, die die nach Art und Umfang wirtschaftlichste Fahrzeugflotte für den spezifischen Einsatz herausfinden. Bei umfassenden Lagerhaus-Projekten greifen etwa Linde und Jungheinrich auf Materialflussanalysen und Simulationen zurück, in denen beispielsweise mannbediente Lager samt Fahrwegen abgebildet werden. Die Analysen ergeben dann, welche Regalzeilen wo stehen und wo die Übergabepunkte angeordnet werden müssen. Dazu muss der Kunde freilich einen Einblick in sein Produktportfolio und seine Bestände erlauben.
Analysieren lässt sich über eine Betriebsdatenerfassung der gesamte Fahrtbetrieb eines Staplers oder einer Staplerflotte: wie oft wurde wie viel gehoben oder gesenkt, wie hoch ist der Energieverbrauch, wie schnell ist wer gefahren. Mit Software der Hersteller, wie dem LFM-Basic-Modul von Linde, können Einsatz- und Standzeiten ausgewertet und danach die Flotte nach Art und Umfang optimiert werden.
Hartmut Druba von BT hat aber die Erfahrung gemacht, dass derartige Programme nur auf eine geringe Nachfrage stoßen: „Viele Kunden haben ein Lagerverwaltungssystem, mit dem sie die Fahrzeugeinsätze sehr genau analysieren können. Denn dort ist ja hinterlegt, wie lang, breit und hoch das Lager ist, und das Programm weiß auch, welche Paletten wann wie weit gefahren wurden.“ Da sei es nur ein kleiner Schritt hin zur statistischen Analyse.
Auch wenn die Nachfrage begrenzt scheint, gilt hier wie bei der Drehkabine oder dem Stickstoff-Energiespar-Trick: Je mehr Pferde man auf der Bahn hat, umso besser stehen die Chancen, das Rennen zu machen.
Nachfrage nach Lagerhausgeräten steigt stärker
Höher, schneller und weiter gilt nach wie vor
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de