Der äußerst brutale Druck der Autogiganten auf ihre Zulieferer nimmt seit Jahrzehnten stetig zu und treibt immer mehr Lieferanten an den Rand ihrer Existenz. Inzwischen pressen nicht nur die Fahrzeugbauer ihre Teileproduzenten aus, sondern auch die mächtigen Zulieferer (Branchenjargon: „Tier 0,5“) nutzen ihre Einkaufmacht gegenüber den kleineren Lieferanten aus.
Bis zu fünf Mal im Jahr werden Lieferanten heute in die Preisdruck-Zange genommen. Das kann zu ganz unterschiedlichen Anlässen sein. Und während Autohersteller 2017/18 Preiszugeständnisse von 4,6 % im Durchschnitt forderten, verlangten die Einkäufer der milliardenschweren Zulieferriesen sogar Nachlässe von 5,3 %. Das ist eine der aktuellen Trendaussagen aus der Marktstudie über Preissenkungs-Forderungen in der Automobilbranche 2017/18 der Hans-Andreas Fein Unternehmensberatung, Stuttgart. Die Untersuchung (Panel) wird seit 2002 anonym in regelmäßigen Abständen in Europa durchgeführt. Diesmal wurden 678 Lieferanten angeschrieben, wovon indes nur vier Prozent antworteten. Auch diese Vorsicht dokumentiert die Ängstlichkeit, die heute auf Seiten der meisten –mittelständischen – Zulieferfirmen herrscht.
Brutale Methoden fördern Konzentrationsprozess
„Diese Preisdrückerei entzieht einem langfristig verlässlichen Geschäft die Basis und ist in ihrer Form mit den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns nicht mehr vereinbar“, kritisiert der Autor der Studie Hans-Andreas Fein. Die brutalen Methoden der Einkäufer, befürchtet der Stuttgarter, „höhlen spürbar die Innovations- und Investitionskraft der Zulieferbranche aus und fördern den Konzentrationsprozess“. Laut Studie drückten die Autobauer von ihren Rabattforderungen 63 % durch. Das waren im Schnitt 2,9 % Nachlass auf den Teilepreis, während die Zulieferriesen gar 3,3 % jährliche „Savings“ durchpeitschten.
Doch es gab interessante Unterschiede: so erzwangen Massenproduzenten wie VW, Opel oder Renault mit 3,8 % Rabatt noch höhere Nachlässe, doch gegenüber früheren Erhebungen konnten die Premiumhersteller wie Audi, BMW, Daimler oder Porsche von ihren Rabattforderungen von 4,6 % diesmal kaum zwei Prozent durchsetzen. Fein: „Die Erfüllungsquote der Einkäufer war hier nur 43 Prozent, bei Volumenherstellern dagegen 84 Prozent.“ Den Grund für die aus Einkaufssicht relativ schwachen Ergebnisse im Premium-Segment sieht Fein in der anhaltend hohen Nachfrage für SUVs, Vans und teure Sportwagen. „Die Fabriken brauchten dringend mehr Teile, und es gab ein Ringen um knappe Kapazitäten.“ Einige Lieferanten konnten gar ihre Preise erhöhen oder Mehraufwendungen in Rechnung stellen – was in den bisherigen Konjunkturzyklen nur sehr selten gelang.
Schlechte Laune hat Methode
Nochmals verstärkt hat sich bei der Verhandlungstaktik der Einkäufer, dass sie fast keinerlei Gesprächsbereitschaft zeigten. „Faktenbasierte Argumente, wie Lohn- oder Materialkostensteigerungen oder die spezielle Situation eines Lieferanten sind ihnen egal oder werden trickreich abgeblockt“, erfuhr Fein. Viele der Einkäufer geben sich schlecht gelaunt, der Nachwuchs scheut persönliche Beziehungen zu den Lieferanten. Bei den Verhandlungen herrscht ein rauer, angespannter bis aggressiver Ton. Die Gesprächsatmosphäre muss in zwei Dritteln aller Fälle als „schikanös“ bezeichnet werden.
Schwache Nerven darf beim Preispoker niemand zeigen. Drohungen mit Auftragsentzug oder mit einem günstigeren Zweitangebot eines Konkurrenten zählen fast zum Standard. Zum Drohpotenzial gehören lange Wartezeiten, Verhandlungen in stickigen oder unwirtlichen Räumen mit der verwirrenden Frage des Einkäufers: „Warum kommen Sie erst so spät?“ Nur wenige der Befragten schildern die Atmosphäre als „freundlich“, „entspannt“, „gut“ oder „vertrauensvoll“.
Die Forderungen nach pauschalen Einmal- oder Extrazahlungen waren eigentlich auf dem Rückzug. Nun sind sie wieder da. Da werden „Quick Savings“ fürs laufende Geschäft erhoben, just in der Phase, bei der im Hintergrund um einen neuen Vertrag gerungen wird. Oder der Einkäufer wünscht so vage wie nebulös eine „Einmalkosten-Umlage“. Ebenso direkt lehnte daraufhin ein Lieferant diese unklare Forderung nach Quick Savings mit dem „rechtlichen Hinweis auf eine mögliche Bestechung“ (Fein) ab.
Daumenschrauben und Höchstleistungen
Diese erneut in der Studie dokumentierte Druck- und Drohkulisse steht vor dem Hintergrund eines gravierenden Wandels in der Fahrzeugbranche. „Einerseits bekommen die Mittelständler Daumenschrauben angelegt wo‘s nur geht, andererseits erwarten die Autobauer von ihnen Höchstleistungen bei Investitionen und Innovationen“, bringt Fein den Gegensatz auf den Punkt. Immerhin trägt die mittelständische Zulieferindustrie zu gut 70 % dazu bei, dass ein Auto entsteht. „Nur wenn es den Lieferanten gelingt, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen – Leichtbau, Elektronik, neue Antriebe, selbstfahrende Autos –, werden auch die europäischen Hersteller eine Zukunft haben“, folgert Fein.
Im Umkehrschluss zu den ernüchternden Ergebnissen seiner aktuellen Preisstudie regt Fein als Folge „mehr langfristiges Denken und gemeinsam erarbeitete Verbesserungen an Kosten und Prozessen“ an, so wie das bei der von Toyota geprägten Praxis seit langem der Fall ist. Die Hände in den Schoß zu legen, meint der Stuttgarter Strategieberater, reicht nicht mehr aus. Stattdessen sollten Zulieferer ihr Schicksal viel aktiver in die eigene Hand nehmen. Kooperation statt Konfrontation müsste die Devise lauten. Fein: „Das gilt sowohl für die Zusammenarbeit der Lieferanten untereinander als auch für das künftige Verhältnis der Zulieferer zu den Autoherstellern.“ Mit einem solchen Ansatz wären viele in der Lage, das Auto der Zukunft viel besser mitzugestalten und sich für die nächste Wachstums-Phase abzusichern“. (dk)