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Lohnbeschichtung mausert sich zum Milliarden schweren Geschäft

Mit neuen Hartstoffen und Verfahren drängen Dienstleister in die Bauteilveredelung
Lohnbeschichtung mausert sich zum Milliarden schweren Geschäft

Härter im Nehmen als unbehandeltes Material, gelten beschichtete Tools und Teile als Garant für hohe Standzeit. Die Entwicklung der Verfahren verläuft rasant und macht den Einsatz in Bereichen möglich, die bisher als Laborsache galten. Entscheidend ist vor allem, wie schnell der Beschichtungsservice arbeitet.

Von Chefreporter Wolfgang Filì chefreporter@fili.net

Takashi Watanabe ist ein Mensch von feinem Gespür. Wenn er die deutschen Metallermessen besucht – und das tut Watanabe häufig, weil es sein Job ist, den Markt zu beobachten – schiebt er sich zwischendurch gerne ein Schneidplättchen in den Mund. Dann lässt er kurz die Zunge kreisen und denkt nach. Mitunter nimmt er auch zwei oder drei von den gelben, blauen und grauen Eckchen, und die einheimischen Manager gucken komisch.
Hans Brändle hingegen zeigt sich verständig. Das hat weniger damit zu tun, dass er aus der Schweiz stammt. Der Geschäftsführer der Balzers GmbH in Bingen hat gelernt, dass nicht wenige Japaner Hartstoffschichten auf diese Art vergleichen und zu überraschend klaren Ergebnissen kommen. Sein Verschleißschutzunternehmen – 2004 mit 50 Mio. Euro deutschem Umsatz sowie 150 Mio. in Europa Primus in Sachen Lohnbeschichtung – bietet insoweit prallen Stoff für die Sinne. Die Messestände sind jedenfalls gut besucht.
Das Unternehmen veredelt Zerspanungstools, Formen und andere Bauteile. Über die Liechtensteiner Konzernschwester Balzers AG haben die Bingener darüber hinaus auch direkten Einfluss auf die Entwicklung und Leistung der dazu erforderlichen Anlagen. Das schafft doppelten Vorsprung. Die Stellung ist exponiert. „Fast alle großen Werkzeughersteller wie Sandvik, Gühring, LMT oder Kennametal beschichten auf unseren Maschinen“, bestätigt Brändle. Der Service und die Anlagentechnik zusammengenommen, konnte Balzers 2004 weltweit 233 Mio. Euro umsetzen. Knapp 15 Mio. Euro davon flossen in die Forschung und Entwicklung.
Teile mit Hartstoff zu beschichten, ist ein relativ junges Geschäft. Aber die Entwicklung verläuft rasant. Ging es bei den ersten Titan-Nitrid und -Carbid-Schichten in den 70er-Jahren nur darum, die Werkzeugstandzeiten zu verbessern, lassen sich harte Schichten heute für fast jede Art Präzisionsteile designen. Was an Eigenschaften Not tut, bestimmt der Kunde. Betriebe wie Hans Brändles Balzers GmbH greifen dann in ihre Baukästen und können prinzipiell alles beschichten, was keine Poren aufweist, elektrisch leitet und den zwischen 100 und 1000 °C liegenden Verfahrenstemperaturen standhält. Mit dieser Einschränkung darf es auch Kunststoff sein.
Die Standard-Schichtdicke liegt bei herkömmlichen Herstellverfahren wie CVD (siehe Kasten) zwischen 2 und 3 µm. Bei neueren, zur PVD-Technologie zählenden Methoden wie dem Zerstäuben der Stoffe durch hochenergetische Teilchen – dem so genannten Sputtern – bilden sich dichte, glatte und kraterfreie Hartstoffschichten bereits im Nano-Bereich. Hier fände Takashi Watanabes feine Zunge wenig Anstoß.
Weit jenseits der anfänglichen Werkzeugveredelung setzt sich die Hartstoffbeschichtung mittlerweile auch in der Optik sowie Mikromechanik oder -elektronik durch. Entsprechend wächst die Nachfrage. Wurde in Europa 2000 noch für rund 300 Mio. Euro lohnbeschichtet, liegt das Volumen derzeit bei 450 Mio. Für 2010 werden rund 800 Mio. Euro erwartet. Global würde die Milliardengrenze damit locker passiert. Branchenkenner rechnen damit, dass die Zusammensetzung der Beschichtungsobjekte – heute zwei Drittel Präzisionsschneiden, Werkzeuge und Formen, der restliche Anteil Komponenten – sich bis dahin zumindest umkehrt.
Prof. Bernd Schultrich vom Dresdner Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) wundern solche Prognosen wenig: „In der Tat ist jedes Zahnrad ein mögliches Beschichtungsobjekt.“ Der Wissenschaftler, der auch zum Vorstand der Europäischen Forschungsgesellschaft Dünne Schichten e.V. in Dresden gehört, sieht das größere Potenzial jedoch immer noch in der Zerspanungstechnik. „Nehmen Sie die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung von eisenbasierten Werkstoffen, von Graphit, schwer spanbaren Stahl- und Aluminiumlegierungen oder Verbundmaterial – da ist noch eine Menge an der Produktivität zu holen.“ Auch funktioniere die Trockenbearbeitung und das Spanen bei Minimalschmierstoffmengen längst nicht so reibungslos wie häufig vermittelt. Bessere Beschichtungen könnten auch hier helfen.
Insoweit macht für Schultrich die Arbeit an höherer Warmhärte sowie niedrigen Reibungskoeffizienten Sinn. Superharte amorphe Kohlenstoffschichten, wie sie sein IWS jüngst entwickelt hat und die sich vor allem in der Bearbeitung von Al-Legierungen bezahlt machen könnten, seien der Schritt in die richtige Richtung. Probleme sieht Schultrich in der industriellen Umsetzung: „Die Anlagentechnik hinkt der Forschung meist hinterher und macht die Ergebnisse kostspielig.“
Rund fünfzig Lohnbeschichter teilen sich den Markt. Die meisten sind Europäer, andere – etwa wie der eidgenössisch/amerikanische Ionbond-Bodycoat-Konzern – haben sich quer über den Atlantik zusammengeschlossen. Von den japanischen Unternehmen mischt allein Kobelco Steel im größeren Stil in Europa mit. Gemeinsam ist allen dasselbe Problem: Weil Präzisionswerkzeuge teuer sind und beim Nachbeschichten Kapital gebunden wird, sind die Betriebe immer näher an die Kundschaft gerückt. So unterhält allein Marktführer Balzers weltweit 61 Beschichtungszentren, davon 23 in Europa. Ionbond-Bodycote – global die Nummer zwei im Geschäft mit harten Schichten – betreibt insgesamt 30 und in der alten Welt 13 Zentren. Die deutsche Cemecon AG wiederum, 2004 mit 35 Mio. Euro Umsatz und dem europaweit größten Beschichtungszentrum am Unternehmenssitz Würselen, hat einen Shuttle-Dienst installiert, der über Nacht die Werkstücke holt und beschichtet wieder zurückfährt. Maximal 48 h zwischen Holen und Bringen sind Branchenstandard. Die Auswirkung ist, dass in den letzten fünf Jahren Überkapazität aufgebaut wurde.
In Flauten bedeutet dies Marktbereinigung. Betriebe wie Balzers, Cemecon, die holländische Hauzer BV in Venlo oder auch die vergleichsweise kleine PVT GmbH in Bensheim sind hier insofern gut gestellt, als sie neben dem Beschichtungsservice auch die Anlagentechnik in der Hand haben. Andere Unternehmen wie die Nürnberger H-O-T GmbH+Co. KG profilieren sich allein über Beschichtungsservice plus Logistik. Lachender Dritter ist freilich der Kunde, der für relativ kleines Geld – 60 bis 70 Euro-Cent sind der Durchschnitt für eine Wendeplatte – harte Schneiden und spiegelglatte Flächen bekommt. Asiatische Manager lassen sich solche Aussichten auf der Zunge zergehen.
Bald mehr beschichtete Bauteile als Werkzeuge
Industrieanzeiger
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