Die menschenlose Fabrik ist selbst auf lange Sicht ebenso eine Utopie wie das papierlose Büro. Auch angelernte Hilfskräfte werden dort in Zukunft gebraucht – zumindest in begrenzter Anzahl und solange sie günstiger arbeiten als Kollege Roboter. Das gilt überall dort, wo Automation an ihre Grenzen stößt. Das ist zum Beispiel bei permanent wechselnden
Tätigkeiten der Fall oder wenn adhoc-Entscheidungen getroffen werden müssen – seien sie noch so trivial.
Immer mehr Beschäftigte
Ob die Digitalisierung unter dem Strich Arbeitsplätze kostet, wurde und wird kontrovers diskutiert. Pessimisten verweisen auf den Wegfall von Produktions-Arbeitsplätzen und fordern im Gegenzug eine Steuer auf Roboter und/oder ein bedingungsloses Grundeinkommen für „freigesetzte“ Menschen. Optimisten
sehen zwar den drohenden Stellenabbau, rechnen aber mit neu entstehenden Stellen; beispielsweise in der Arbeitsvorbereitung, der Wartung sowie im IT-Bereich. Im Rückblick betrachtet haben die Optimisten bisher recht behalten. So galt die beginnende Automatisierung (Industrie 3.0) in den Achtziger-jahren lange Zeit als Jobkiller. Trotzdem – oder auch gerade deswegen – gibt es in Deutschland heute mehr Beschäftigte als damals. Die Zahl der Arbeitnehmer im produzierenden Gewerbe stieg zumindest vor Corona von Jahr zu Jahr.
Die mit der Automatisierung verbundene Effizienz- und Qualitätssteigerung führte zur Sicherung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und damit zu mehr Wachstum. Parallel dazu wuchs der Dienstleistungssektor. Unbestritten ist aber, dass Veränderungen auf Unternehmer, Entscheider und Ausbilder zukommen.
Alles bleibt anders
Nicht zuletzt auch die Mitarbeiter werden sich auf veränderte Anforderungen einstellen müssen. Eine banale Erkenntnis sollte man meinen. Doch fast die Hälfte der heutigen Schulabgänger wünscht sich
Berufe, die in den nächsten zehn Jahren massiv an Bedeutung verlieren werden – das hat die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Rahmen der vorangegangenen Pisa-Studien herausgefunden. Am häufigsten wurden dabei Bürokauffrau/Bürokaufmann, Kfz- und
Industrie-Mechaniker sowie Einzelhandelskauffrau/Einzelhandelskaufmann genannt. Tätigkeitsfelder, die in ihrer traditionellen Ausrichtung keine Zukunft mehr haben. Dabei haben Berufseinsteiger heute immer mehr Wahlmöglichkeiten: Während im Wintersemester 2010 in Deutschland 13.000 Studiengänge angeboten wurden, waren es 2020 schon mehr als 20.000. Ohne Praktika, Jobmessen und ausführliche Berufsberatung wird eine Orientierung immer schwieriger. Das erklärt zumindest ansatzweise die Fokussierung auf bekannte Berufsbilder.
Handwerk hat digitalen Boden
Digital geprägte Berufe erfordern ein höheres Bildungsniveau. Die meisten Schulabgänger streben deshalb automatisch nach einem Hochschul-
abschluss, zumal viele Unternehmen diesen als Einstellungskriterium in gehobenen Berufsfeldern
voraussetzen. Und das, obwohl das Wissen aus dem ersten Studienjahr bei der Diplomierung schon zur Hälfte veraltet ist.
Das Handwerk folgt dem technologischen Wandel: So wurden Mitte 2021 beispielsweise die Ausbildung in den handwerklichen Elektroberufen überarbeitet. In diesem Zuge wurden neue Berufe wie Informationselektroniker/in oder Elektroniker/in für Gebäudesystemintegration geschaffen. Bereits 2018 hat das Ministerium für Bildung und Forschung weitere elf industriell ausgerichtete Berufsausbildungen für die Industrie modernisiert – vom Anlagenmechaniker bis hin zum Zerspanungsmechaniker. Die reformierten Ausbildungspläne beinhalten jetzt auch die digitale Auftragsabwicklung, dazu crossmediale Lernmedien, Diagnose- und Visualisierungssysteme sowie die
Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams.
Weiterentwicklung statt Neueinstellung
Für die Unternehmen ist Personalentwicklung das Mittel der Wahl. Diese erfordert allerdings eine langfristige Weiterbildungsstrategie: Ein einzelnes Seminar macht aus einem Maschinenbediener noch keinen Automations-Experten. Kontinuierliche Aus- und Weiterbildung sowie höhere Löhne für qualifizierte Mitarbeiter werden einen guten Teil der eingesparten Personalkosten aufzehren – ganz zu schweigen von den Hardware-Investitionen für Industrie 4.0. Bis zum Return on Investment braucht es einen langen Atem. Die Vorteile für Unternehmen werden sich eher in Produktivitätssteigerungen und Qualitäts-
gewinnen auszahlen.
Gegenwart und Zukunft
Die wichtigsten aktuellen Berufsfelder im IT-Bereich drehen sich um Security, Big Data, Cloud-Architekturen, Internet of Things und Künstliche Intelligenz. Diese IT-Jobs werden darüber hinaus zukünftig an Bedeutung gewinnen:
KI-Sicherheitsbeauftragter
Elon Musk und Stephen Hawking haben bereits angemahnt, dass die Entwicklung Künstlicher Intelligenz überwacht werden muss – sowohl in Bezug auf Fehlfunktionen als auch gegen Missbrauch. Aber schon im Regelbetrieb müssen vorab Kompetenzgrenzen der KI diskutiert und festgelegt werden. Dazu werden zukünftig auch KI-Ethik-Manager benötigt, welche die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf Mitarbeiter, Kunden und das Unternehmen beleuchten.
Roboterkoordinator
Cobots und Robots übernehmen immer mehr mechanische Arbeiten beziehungsweise unterstützen „ihren“ Menschen. Die Aufgabe des Roboterkoordinators wird darin bestehen, automatisierte Insellösungen in übergeordnete, integrierte Prozessketten zu überführen. Darüber hinaus wird er die vorausschauende Wartung verantworten und Ausfall-Szenarien vorbereiten.
IT/IoT-Lösungsarchitekt
Während Roboterkoordinatoren sich auf die Hardware konzentrieren, entwerfen Lösungsarchitekten das Systemdesign aller in Echtzeit verbundenen Menschen, Maschinen, Materialien, Plattformen und Produkte. Sie bilden die Geschäftsanforderungen in der IT-Architektur ab.
Industrieller SW-Entwickler
Die vom Lösungsarchitekten entworfenen IT-Infrastrukturen werden von industriellen Entwicklern zum Leben erweckt. Er oder sie programmiert die Smart Factory, sprich sämtliche Anlagen sowie die dazugehörenden Devices. Im weiteren Sinne zählen auch User Interface- (UI) und User Experience (UX)-Entwickler zu diesem Berufsfeld. Sie konzipieren und
realisieren intuitiv bedienbare Dashboards auf Tablets und Smartphones, für Maschinenoberflächen und
Roboterinteraktionen. Dazu kommen Augmented Reality-Anwendungen für Produktion und Wartung.
Industrieller Datenanalyst
Das ist laut Harvard Business Review der attraktivste Beruf des 21. Jahrhunderts. Nachdem Datenanalysten in E-Commerce-Unternehmen bereits eine entscheidende Rolle spielen, verändern sie zunehmend auch industrielle Arbeitswelten. Ihr Schwerpunkt besteht aus Datenanalysen, mit denen sie Produkte und Produktionsverfahren optimieren. Dazu müssen sie komplexe Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen erkennen und daraus ableitend umsetzbare
Lösungen entwickeln.
Glänzende Aussichten
Derzeit fehlen laut Bitkom mehr als 120.000 Fachkräfte im industriellen IT-Sektor. Laut einer Studie der Gartner Group ist der IT-Fachkräftemangel inzwischen das größte Hindernis für Smart Manufacturing. 64 % der von Gartner befragten Führungskräfte werden nach eigener Einschätzung von Personallücken ausgebremst, 2020 waren nur 4 % dieser Meinung. Glänzende Aussichten also für Berufsanfänger – wenn sie sich durch den Dschungel der verschiedenen Möglichkeiten kämpfen und ihren eigenen Weg finden.
Fazit
Einsteiger und Ausbilder müssen umdenken: Neue Technologien erfordern neue Inhalte.