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Raus aus der Wachstumslücke

Automobilzulieferer: Weichen stellen für profitables Wachstum
Raus aus der Wachstumslücke

Der ungehemmte Autoboom in China verdeckt die Risiken, denen sich vor allem kleinere und mittlere Zulieferer mittelfristig ausgesetzt sehen. Denn nur Lieferanten, die dorthin expandieren, werden auch die Zuwachsraten des Gesamtmarktes realisieren können. Wer davon profitieren will, muss also eine klare Wachstumsstrategie entwickeln.

Automobilzuliefermanager wie Klaus Dieter Frers sind einiges gewohnt. Nach überstandener Insolvenz hat der Vorstandsvorsitzende der Paragon AG den börsennotierten Mittelstandsbetrieb für die Zukunft neu ausgerichtet. Im November 2008 erwischte die Automobilkrise die Delbrücker kalt. Zu dieser Zeit setzte der vormalige 600-Mitarbeiter-Betrieb, der sich auf Luftqualität, Antriebsstrang, Akustik, Media-Interfaces und Cockpit konzentriert, etwa 108 Mio. Euro um. Doch bei der erhofften Finanzierung im Abwärtsstrudel der Krise kniffen die Banken. Schließlich schaffte Paragon im Vorjahr aus eigener Kraft die Wende. Inzwischen ist der Zulieferer wieder in der Erfolgsspur. „Der Aufwärtstrend hat sich verfestigt“, freut sich Klaus Dieter Frers ebenso wie über auskömmliche Gewinne. Für 2011 strebt er einen Umsatz von mehr als 60 Mio. Euro an.

Zurückgemeldet hat sich Paragon auch mit einer Fähigkeit, die deutschen Zulieferern eigen ist: innovative Produkte entwickeln. Rund 75 % der Wertschöpfung und Innovation beim Automobil gehen auf das Konto der Lieferanten. Paragons neues Gurtmikrofon Belt-mic räumte erst kürzlich einen renommierten Innovationspreis ab. Die Art und Weise, wie Sicherheit und Komfort beim Freisprechen im Fahrzeug umgesetzt worden sind, hat die Jury der Society of Plastics Engineers, Inc. Europe überzeugt. Zustande gekommen ist die Innovation zustande ohne konkreten Auftrag eines Autobauers. „Dazu braucht es finanzieller Kraft, und die muss man dem Partner lassen“, zielt Frers darauf ab, dass mancher Hersteller, kaum dass die schwerste Krise der Branche überwunden ist, offenbar wieder auf Konfrontationskurs zu seinen Lieferanten geht.
Derzeit scheinen vor allem Volumenhersteller davon abzurücken, manchem Zulieferer der metallverarbeitenden Industrie auskömmliche Preise zu gewähren. Dabei hätte keiner etwas gegen einen Preiswettbewerb, der mit fairen Mitteln einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herstelle, beteuert Werner Liebmann, Geschäftsführer des Fachverbands Metallwaren- und verwandte Industrien in Düsseldorf. „Wenn aber große Hersteller oder Systemlieferanten ihre Marktmacht nutzen, um Preise soweit zu drücken, dass die mittelständischen Zulieferer unter der Gewinnschwelle liegen, dann ist das aus unserer Sicht unverantwortlich“, erbost sich der Branchensprecher.
Hinzu kommen die steigenden Einkaufspreise, die den Lieferanten zusetzen. Nach Berechnungen des DIHK dürfte die Rohstoffrechnung für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 40 Mrd. Euro höher ausfallen als noch 2009. Das wäre ein Anstieg von mehr als 40 %. Diese Sandwich-Position zwischen Rohmateriallieferanten und Automobilherstellern stellt somit ein weiteres erhebliches Risiko der Zulieferindustrie dar.
Geht es dann nur noch ums Überleben, droht die langfristige Planung, die Strategie auf der Strecke zu bleiben. So liegt der durchschnittliche zeitliche Planungshorizont der Automobilzulieferer laut Experten der Managementberatung Kienbaum bei gerade einmal drei bis sechs Jahren. Zudem würden die meisten nur geringen Bedarf sehen, die Unternehmensstrategie an neue Märkte anzupassen. Doch das Fahren mit angezogener Handbremse bringt so manchen Zulieferer selbst in einer länger andauernden Wachstumsphase der PS-Branche wie der jetzigen leicht ins Hintertreffen. Getrieben von den neuen Märkten in China, Indien und Osteuropa eilt die Autoindustrie von Rekord zu Rekord. Um 6 % auf 62,8 Mio. wächst laut Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen in diesem Jahr die weltweite Pkw-Nachfrage. Konservativ geschätzt, würden im Jahr 2025 rund 92 Mio. Pkw verkauft, prognostizierte der Autoexperte auf dem 11. Internationalen CAR Symposium in Bochum.
Auch wenn der US-Markt wieder Tritt fasst und so zum weltweiten Auto-Boom beiträgt, findet das Wachstum zu 70 % in Asien statt. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen kommen für Daimler-Chef Dieter Zetsche „die besten Tage des Autos erst noch“. Automobile würden elektrischer und asiatischer, beschwört er die Zeitenwende. Die Zukunft der Automobilindustrie entscheide sich in China und anderen BRIC-Staaten. „Keine starke Position in China zu haben, ist das größte Risiko“, appellierte er. Dabei werde die strategische Fähigkeit, die eigenen Kräfte mit den richtigen Partnern vorausschauend zu bündeln, ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Dass in diesem Rennen die Zulieferer für die OEMs eine wichtige Rolle spielen werden, liegt auf der Hand. Bei dem in den kommenden 15 Jahren zu erwartenden Wachstumsschub könne sich vor allem die global ausgerichtete Zulieferindustrie sehr stark entwickeln, ist Andreas Brauchle vom Stuttgarter Consulter Horváth & Partners überzeugt. Dabei stelle sich die Frage nicht nach dem Wachstum allein, sondern danach, wie profitabel ein Unternehmen wachsen könne. Brauchle plädiert dafür sicherzustellen, dass die Führungsorganisation auch tatsächlich in der Lage ist, das Wachstum performanceorientiert zu managen.
Die Voraussetzung dafür, derartige Führungs- und Steuerungssysteme einzusetzen, fällt großen Systemlieferanten leichter als kleineren Komponentenanbietern. Auch sind diese längst den Herstellern zu deren Produktionsstätten in China, Indien, Russland oder Brasilien gefolgt. Etablierte deutsche Zulieferer vor Ort haben schon deshalb einen Wettbewerbsvorteil, weil die OEM Komponenten und Teile verstärkt an ihren Auslandsstandorten beziehen werden. Bei den kleinen und mittelgroßen Unternehmen hingegen klafft auf dem Weg ins Ausland noch eine strategische Lücke. Doch der „Global Footprint“ werde auch für diese immer wichtiger, zeigt Ulrich Grillo, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle, den Mittelständlern die Richtung auf. „Eine Wachstumsstrategie in eine volatile Zukunft“, gilt für Erich Jürgens „als Pflicht“. Auf dem Zulieferforum der ArGeZkürzlich in Düsseldorf stellte der Generalbevollmächtigte der Trimet Aluminium AG die Frage, wie die Branche damit umgehe, um in der nächsten Krise nicht wieder der Dumme zu sein? Verliert also, wer bremst?
Nachhaltig wachsen heißt das Schlüsselwort. Neben der „Metallpreissicherung gegen Preisschwankungen als Muss“, empfiehlt der Trimet-Manager den regionalen Gießern, zunächst die Rentabilität zu erhöhen, um sich für die globale Expansion zu rüsten. In diese Richtung zielt auch eine soeben veröffentlichte Studie der Kölner Management-Beratungsgesellschaft Struktur Management Partner, bei der CAR-Direktor Prof. Ferdinand Dudenhöffer mitgewirkt hat. Die Autoexperten liefern darin ein Erklärungsmodell, wie eine erfolgreiche Wachstumsstrategie aussieht und welche Voraussetzungen nötig sind. Auskunft dazu gaben im Vorjahr 114 Zulieferunternehmen, 27 OEM- und 45 Bankmanager. Demnach setzt erfolgreiches Wachsen in der Autoindustrie langfristige jährliche Zuwachsraten bei Umsatz und Ergebnis von über 5 % voraus. Richtig und damit dauerhaft zu wachsen, bedarf aber laut Peter Faulhaber, dem Gründer von Struktur Management Partner in Köln, weitaus mehr. Fünf Faktoren müssten gegeben sein, um die Wachstumsziele umzusetzen:
  • der richtige Produkt- und Dienstleistungsmix,
  • eine fokussierte Vertriebsstrategie,
  • eine ausgewogene Auslandspräsenz und Internationalisierungsstrategie,
  • ambitionierte Produktentwicklungs- und Innovationsbudgets sowie
  • eine maßgeschneiderte Finanzierungsstrategie.
Faulhaber sieht zwar einen Großteil der Zulieferer bereits ordentlich gerüstet für die neuen Wachstumsherausforderungen. Kleineren und mittleren Betrieben würde aber oft die kritische Masse fehlen, um die Internationalisierung zu forcieren. Auf 15 bis 20 Mio. Euro taxiert er das erforderliche Geschäftsvolumen, um einen Standort in Asien aufzubauen. Doch ohne entsprechendes Eigenkapital hält er dies kaum für möglich.
Eine Einschätzung, die auch Paragon-Chef Klaus Dieter Frers teilt. 60 % der Automobilzulieferer hätten in der Krise rote Zahlen geschrieben. Aber immerhin 5 %, so zitiert er eine Studie der IKB, hätten es selbst 2009 noch geschafft, eine Rendite von 5 % und mehr zu erzielen. Den Unterschied innerhalb der Zulieferfraktion wähnt er im vor der Krise angesetzten Polster, um in schlechten Zeiten das Geschäft finanzieren zu können. Eine, die diesen Pfad schon seit langem verfolgt, ist die Brose-Gruppe. Der Wuppertaler Zulieferer kann laut Torsten Greiner, Geschäftsführer und zuständig für den Bereich Schließsysteme, dank finanzieller Unabhängigkeit und Gesellschaftern, die den Großteil des Gewinns in der Firma lassen, gesund wachsen. Indem Brose „Jahr für Jahr organisch um zehn Prozent zulegt“, benennt er das interne Ziel, wachse die Firma schneller als der Markt und könne damit die Strukturen dieses ingenieurgetriebenen Unternehmens auch finanzieren. Mit einem Rekordvolumen von 300 Mio. Euro investiere Brose in diesem Jahr in den Ausbau, vor allem in Asien, um am Boom teilzuhaben, sagt Greiner.
Angesichts der rund 35 Mio. Automobile, die bis 2015 in Asien vorhergesagt werden, wird für den Autoexperten Peter Faulhaber „die Asienausrichtung in den nächsten 15 Jahren den Wachstumserfolg von Zulieferern bestimmen“. Deshalb rät er auch kleineren Betrieben, Asien zum Strategiethema zu machen. Ansonsten drohe Gefahr, dass sie sich mit ihrem zu starken Fokus auf Westeuropa in eine Wachstumslücke manövrieren.
Faulhaber spricht dem VDMA-Präsidenten Dr. Thomas Lindner aus der Seele. Immerhin versammelt der Maschinenbau-Verband Fachzweige wie etwa die Antriebstechnik mit starkem Automobilzulieferbezug unter seinem Dach. Lindner, selbst Unternehmer und Chef des Industrienadeln-Marktführers Groz-Beckert im schwäbischen Reutlingen, mahnt an: „Das Modell, in Deutschland oder Europa produzieren und nach China liefern, wird nur begrenzt auf Dauer funktionieren.“ Wer gemäß chinesischem Rat nachhaltig für sich arbeiten wolle, komme um eine stärkere Präsenz in diesem Land nicht herum. Für Lindner geht es keineswegs um die Verlagerung von Arbeitsplätzen. Vielmehr sieht er allein „den Zuwachs, der zu bewältigen ist“.
Neben der Internationalisierung haben die Branchenexperten ein weiteres Hindernis vieler Mittelständler auf dem Weg zu mehr Wachstum ausgemacht: „Ohne qualifizierte Mitarbeiter kann die Automobilindustrie ihr Wachstumsprogramm nicht verfolgen“, nennt Prof. Ferdinand Dudenhöffer einen limitierenden Faktor. „Diese Ressourcen sind unsere Seltenen Erden“, mahnt er zur Bildung eines Pools, in den Autobauer und Zulieferer in guten Zeiten einzahlen sollten, um auch in konjunkturell schlechteren Zeiten Hochschulabsolventen einzustellen. Würde keine antizyklische Nachwuchsförderung betrieben, ließe sich die Autoindustrie nicht weiter stabil aufbauen.
Industrieanzeiger
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