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Rohstoffversorgung nicht mehr selbstverständlich

Rohstoff-Krise: Wirschaft und Politik entwickeln Langfriststrategie
Rohstoffversorgung nicht mehr selbstverständlich

Rohstoffversorgung nicht mehr selbstverständlich
Investitionssicherheit erfordert für BDI-Präsident Jürgen R. Thumann auch Versorgungssicherheit mit Rohstoffen, die er als Voraussetzung für eine wachstumsorientierte Standortpolitik sieht (Bild: BDI)
Um aus der Teuerungs- und Knappheitsfalle zu kommen, hat sich der BDI dafür eingesetzt, dass die Versorgungssicherheit der Industrie mit Rohstoffen wieder auf der politischen Agenda steht.

Von unserem Redaktionsmitglied Dietmar Kieser dietmar.kieser@konradin.de:

Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich oft sehr viel später. Seit 30 Jahren wächst die Weltwirtschaft – und mit ihr der Verbrauch an Rohstoffen. Doch in den vergangenen Jahren ist der Hunger vor allem Chinas nach Kokskohle, Erz, Stahl, Schrott, Öl und Energie so groß geworden, dass das Angebot auf den Weltmärkten heute knapp und teuer ist wie nie. Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland aber sind preiswerte Ressourcen „das Fundament für unser Wirtschaftswachstum“, stellt RAG-Chef Werner Müller den Zusammenhang her. Für ihn steht fest: „Explodieren die Preise, wackelt das Fundament.“
Schäden drohen, die den Verlust von zigtausend Arbeitsplätzen nach sich ziehen könnten. Die Brisanz des Themas hat auch die Bundesregierung mobilisiert. Kanzler Gerhard Schröder ist sich im Klaren darüber, dass „eine sichere Rohstoffversorgung Grundvoraussetzung für das Funktionieren unserer Volkswirtschaft ist“. Der Regierungschef räumte auf dem Rohstoff-Kongress des BDI in Berlin ein, dass es versäumt worden sei, früh genug und prophylaktisch über Strategien für eine sichere Rohstoffversorgung zu reden. Allerdings sei es „nicht zu spät für eine Diskussion“.
Problem erkannt, Gefahr gebannt? Eine schnelle Lösung, gar ein Patentrezept gibt es nicht. Zwar zielt das Angebot des Kanzlers, Wirtschaft und Politik müssten sich eng abstimmen, um die Handlungsspielräume wirklich offensiv zu nutzen, in die richtige Richtung. Doch kurzfristig sind bessere Zeiten für die von der angespannten Lage betroffenen Unternehmen wohl nicht in Sicht. Und betroffen ist „fast die gesamte Industrie“, zieht BDI-Präsident Jürgen R. Thumann den Kreis. Da Schwellenländer wie Indien dem Beispiel Chinas folgen würden, sieht er „die Rohstoffprobleme von einiger Dauer“.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Metall be- und -verarbeitenden Betriebe ihren Rohstoffeinsatz in der Produktion dank technischem Fortschritt und gestiegenem Umweltbewusstsein extrem reduziert haben. Die aktuellen Probleme können sie „kaum noch durch weitere Einsparungen oder durch Innovationen aufhalten“, weiß Thumann. Je schlechter die wirtschaftliche Lage, desto weniger sieht der BDI-Vorsitzende aber Möglichkeiten, die gestiegenen Materialkosten an die folgenden Stufen der automobilen Wertschöpfungskette oder an den Endkunden durchzureichen.
Darunter leiden vor allem die mittelständischen Zulieferbetriebe, die sich „in einer bedrohlichen Sandwich-Lage befinden“, warnt Friedhelm Sträter. Für den stellvertretenden Präsidenten des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) und Geschäftsführer der Sträter Stanzerei GmbH aus Solingen ist „die Wertschöpfungskette in Gefahr, weil auf der einen Seite der Stahl immer teurer wird, auf der anderen Seite die Abnehmer auf die Preise drücken“. Nach Angaben des WSM gefährdet dieser Schraubstock-Effekt rund 40 000 Arbeitsplätze in der mittelständisch geprägten Branche.
Bei allen Spannungen, die das Thema in die Industrie trägt, mahnt BDI-Chef Thumann, sich nicht auseinander dividieren zu lassen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen: „Ein Wegbrechen von Teilen unserer industriellen Struktur schadet allen. Das müssen wir gemeinsam verhindern.“ Dass die Kette reißt, sieht Bernd Gottschalk, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) immer noch als große Gefahr an. Das, so der Verbandschef, wäre jedoch „die teuerste aller Optionen“. Würde hierzulande wie in Japan die Produktion wegen Rohstoffmangels unterbrochen, käme dies die Fahrzeughersteller teurer zu stehen, als die ohnehin schwer zu verkraftende Materialverteuerung. Gottschalk setzt auf gemeinsame Lösungen der Partner in der Wertschöpfungskette.
Die Art des Umgangs miteinander wird zukunftsbestimmend sein. Denn die Versorgung mit Rohmaterialien „ist in erster Linie Aufgabe der Industrie“, spricht sich Jürgen R. Thumann, selbst mittelständischer Firmenchef, für eine vorausschauende unternehmerische Rohstoffstrategie aus. Dass die Wirtschaft sich diesem schwer zu lösenden Problem stellen muss, sieht er aber nicht „als Freibrief für Untätigkeit seitens der Politik“. Vielmehr verpflichtet er die Bundesregierung darauf, ihre Verantwortung für die Rahmenbedingungen ernst zu nehmen. Thumanns Sorge gilt der Ertragskraft und dem Eigenkapital der Betriebe, die gestärkt werden müssten. Auch erwartet der BDI-Präsident von der Politik „überall da eine Antwort, wo nicht Marktmechanismen am Werk sind, sondern politische Motive“.
Und diese finden sich in einer globalisierten Welt zuhauf. Viele Regierungen unterlaufen mit Protektionismus und Importsubventionen den offenen und fairen Güteraustausch. Selbst die Welthandelsorganisation WTO, die seit 1995 die Handelsregeln festschreibt, kommt gegen politisch motivierte Wirtschaftskriege kaum an. Wo der freie und faire Zugang zu den internationalen Rohstoffmärkten verwehrt sei, Märkte also nicht mehr funktionierten, müsse die deutsche und europäische Politik eingreifen und Wettbewerbsverzerrungen beseitigen, fordert der BDI.
Den Ball hat der Kanzler aufgenommen. An die EU-Kommission sei die Aufforderung ergangen, „konsequent gegen marktfeindliches Verhalten wie im Falle der Eisenerz- und Schrottmärkte vorzugehen“. Indes erachtet er die Mittel der nationalen Politik gegen Missbrauch von Marktmacht für begrenzt. Gleichwohl stelle sich die Aufgabe, sowohl fragile Zulieferregionen als auch von Zerfall bedrohte Staaten politisch zu stabilisieren und so eine verlässliche und bezahlbare Rohstoffversorgung sicherzustellen. Überdies werde sich seine Regierung dafür einsetzen, dass „unsere heimischen Rohstoffe effizient und nachhaltig genutzt werden“. Neben dem sparsamen Umgang mit den Ressourcen und dem Ausbau der erneuerbaren Energien plädiert er dafür, auf Koks und Kokskohle zu setzen, da diese auch ohne weitere Subventionierung einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten könnten.
Das vom Kanzler als „unternehmerische Herausforderung“ bezeichnete Vorhaben hat der Essener RAG Konzern bereits vergangenen Herbst eingefädelt. Da ohne Koks kein Stahl – Koks aus China laut RAG-Chef Müller aber „inklusive Fracht rund 340 Dollar je Tonne kostet“ –, plant RAG den Ausbau neuer Kokereikapazitäten. Den Bau auf dem Gelände der Kokerei Prosper in Bottrop will Müller gemeinsam mit der Stahlindustrie stemmen. 300 Mio. Euro kostet das Projekt, bei dem RAG mit Arcelor, Voest-Alpine und Regesa kooperieren will. Kommt der Kontrakt zustande, könnten ab 2007 weitere 1,3 Mio. t Koks gedrückt werden.
Da es letztlich keine neuen Wege aus der Teuerungsfalle gibt, müssen die Versorgungsweichen so gestellt werden, dass entsprechende Maßnahmen mittel- und langfristig greifen können. Diese wiederum könnten unterstützt werden „durch Analysen des aktuellen Rohstoffbedarfs, Prognosen des künftigen Bedarfs sowie Transparenz auf den Rohstoffmärkten“, rät BDI-Präsident Thumann. Vorschub leisten will der Berliner Industrieverband mit Hilfe einer präsidialen Arbeitsgruppe. Ihr Thema: internationale Rohstofffragen. Ein bis maximal zwei Jahre räumt Thumann diesen Experten ein, damit Ergebnisse und noch offene Fragen in eine Langfrist-Strategie gegen die wirtschaftlichen Risiken steigender Rohstoffpreise münden.
Kein Freibrief für Untätigkeit seitens der Politik

Brennpunkte in der Wertschöpfungskette
Bergbau/Energie
Im Januar haben die Rohstoffkonzerne die Preise für Kokskohle zur Stahlerzeugung gegenüber Vorjahr glatt verdoppelt. Für australische Kokskohle müssen inklusive Fracht rund 190 US-$/t bezahlt werden, Koks aus China kostet samt Fracht rund 340 US-$/t, sagt RAG-Chef Werner Müller. Seit Monaten wird heftig über den Ausbau der inländischen Kokserzeugung für die Stahlindustrie diskutiert. Das Vorkommen an förderbarer Kokskohle, die hierzulande staatsfrei erschlossen werden könnte, beziffert Müller auf 1 Mrd t. (Bild: RAG)
Stahlproduktion
Der Stahlboom hat den Erzeugern trotz Kostenanstiegs bei allen wichtigen Roh- und Einsatzstoffen 2004 Rekordgewinne beschert. Dennoch stellt die Industrie Preiserhöhungen in den kommenden Quartalen in Aussicht. Der Grund: Aufschläge sollen die zu erwartenden exorbitanten Kostensteigerungen für einige Rohstoffe für die Stahlproduktion kompensieren. Für Eisenerz etwa fordern die beiden führenden Produzenten ein Plus von 90 %. Diese Belastungen sollen laut Branchenverband im Markt weitergegeben werden. (Bild: Thyssen-Krupp)
Stahlverarbeitung
Ist der Werkstoff Stahl ein Produkt aus Rohstoff plus Energie, addiert sich beim Preis für Stahl eine weitere Komponente dazu: Rohstoff plus Energie plus Markt. Letztere hat den Stahl je nach Produktkategorie seit Mitte 2003 zwischen 40 und 60 % verteuert und die Stahl und Metall verarbeitenden Betriebe in eine Sandwich-Position gebracht. Lag ihr Materialanteil bezogen auf den Umsatz früher bei etwa 50 %, hat sich dieser Anteil auf 70, vielfach sogar auf über 75 % erhöht, gibt BDI-Präsident Thumann zu bedenken. (Bild: Edscha)
Automobilbau
Die OEMs blicken im Inland auf einen im vierten Jahr fallenden Markt. Zugleich ist die Situation von Incentives geprägt. „In Deutschland und in den USA müssen die Händler sogar noch Euro oder Dollar ins Handschuhfach legen“, so VDA-Präsident Gottschalk zur Lage. Ein Materialmehrpreis von 200 Euro je Fahrzeug führe in die Irre. Vielmehr müsse dieser Wert mit den 5,2 Millionen in Deutschland produzierten Fahrzeugen multipliziert werden, um die Belastung für die OEM darzustellen. (Bild: BMW)

Kostenfalle
Eine Verdoppelung der Rohstoffpreise und ein Anstieg der Rohmetallpreise um 50 % würde zu einer Kostenbelastung der deutschen Wirtschaft von rund 35 Mrd. Euro im Jahr und zu einem Verlust von 75 000 Arbeitsplätzen in Deutschland führen. Dies haben Forscher des Instituts for Energy, Environment, Forecast and Analysis in Münster und Berlin im Rahmen einer kürzlich veröffentlichten Studie errechnet.
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