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Rüstzeiten sind keine Naturkonstanten

Festo Tooltechnic verdoppelt Umsatz bei sinkenden Kosten
Rüstzeiten sind keine Naturkonstanten

Weniger Lager, weniger Wege, weniger Überproduktion: Festo spart an Platz und Rüstzeiten – und hat seit 1995 im stagnierenden Markt der Elektrowerkzeuge den Umsatz verdoppelt.

Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Preuß

Vor fünf Jahren hat die Festo Tooltechnic GmbH & Co. begonnen, in ihrem Neidlinger Werk Verschwendung systematisch zu vermeiden. „Unsere Ziele“, sagt Dr.-Ing. Thorsten Hartmann, „waren vor allem, Raum zu sparen und Rüstzeiten zu verkürzen.“ Optimieren ließen sich vor allem Lager und Puffer, die Kapital binden und Transporte im Betrieb erforderlich machen. Verschwendung liegt aber auch in allgemeinen Wartezeiten, in Bewegungen der Mitarbeiter, in Überproduktion und in Produktionsfehlern (siehe Industrieanzeiger 37-38/2000).
Hartmann, verantwortlich für Produktion und Einkauf und laut Visitenkarte Leiter Order Fulfilment, bezeichnet sich selbst bescheiden als Lagerleiter. „Von einem richtigen Produktionsleiter bin ich noch weit entfernt.“ Dabei will er wohl weniger sich selbst kritisieren als andeuten, dass die derzeitige Struktur im Werk immer noch eher einem Lager als einer durchgestylten Fertigung ähnelt, obwohl sich der Gesamtbestand in fünf Jahren um 40 % reduziert hat.
Seit 1995 wurden Produktion und Umsatz verdoppelt, und das in dem stagnierenden, zum Teil gar rückläufigen Markt der Elektrowerkzeuge. Zugleich sanken die Fertigungskosten um 40 %, der Umlaufbestand um 80 %, die Durchlaufzeiten im Werk um 90 %. Dies gelang, indem gezielt der Flächenbedarf gesenkt wurde, Laufwege zwischen Lager oder Puffer und Fertigung ebenso verkürzt wurden wie die Greifwege an der Montageinsel. „Die Mitarbeiter sollen ihre Arbeit verrichten“, hat Hartmann die Marschroute festgelegt, „und nicht durch die Halle laufen, um sich ihre Werkstücke abzuholen.“ Um das hinzubekommen, gleicht das Hallenlayout nun dem Stadtplan von New York. „Früher war er eher mit Venedig vergleichbar“, grinst Hartmann.
Auch die Rüstzeiten wurden radikal reduziert. An einem Chiron-Bearbeitungszentrum betrug die Rüstzeit 1995 noch 214 min – mit einem Mitarbeiter. 1999 mutete diese Zahl an, als käme sie aus der Steinzeit: In nur 17 min war dieselbe Maschine bestückt. Erst wurden in- und externes Rüsten getrennt (minus 77 min), dann die Bereitstellung von Spannvorrichtungen verbessert (minus 66 min) und schließlich Rüsthelfer eingesetzt. Mit ihnen kam Festo auf 27 min. Festanschläge auf dem Maschinentisch, an die das Vorrichtungs-Wechselsystem nur noch angedockt werden muss, brachten noch einmal 10 min Ersparnis. „Ein solcher Quantensprung war damals überhaupt nicht vorstellbar“, schüttelt Thorsten Hartmann heute den Kopf. „Aber wir haben gelernt, dass Rüstzeiten keine Naturkonstanten sind.“
Auch die Losgrößen wurden verringert. Das reduzierte Durchlaufzeiten und Bestände. Kürzere Durchlaufzeiten bedeuten mehr Flexibilität in der Fertigung, und mehr Flexibilität heißt, die Reaktionszeit bei verändertem Bedarf wird schneller.
„Wir wollten optimale Qualität und jederzeitige Lieferfähigkeit bei niedrigen Beständen“, verdeutlicht Hartmann das Ziel. „Das heißt, eine synchrone Produktion mit der Fähigkeit zu Losgröße eins und Rüstzeiten unter drei Minuten.“ Bei der synchronen Produktion befinden sich die Werkstücke in einem „One-Piece-Flow“ oder „Ein-Stück-Fluss“. Um die Prozesskette auf diesen Fluss hin zu optimieren, sind die Arbeitsplätze und Prozessschritte meist in U-Form angeordnet. Jede Art von Verschwendung wird aus dem Prozess nach und nach eliminiert.
Die Fertigungseinrichtungen bei Festo sind nun gruppenorientiert, das Layout flussorientiert. Unterstützt wird das durch ein Kanban-System, eine Art werksinterne Kunden-Lieferanten-Beziehung. Kurz gesagt, bedeutet das: Gefertigte Lose bleiben in der Verantwortung der Fertigungsinsel und werden in deren Nähe gelagert. Die Insel gibt benötigte Teile erst nach Abruf in kleinen Mengen an den Folgeprozess weiter. Die Verbesserungen wurden flankiert durch Workshops, flexiblere Arbeitszeiten, Belohnungen, wenn das Ziel erreicht wurde, und Visualisieren des Erreichten.
Doch bessere Organisation ist längst nicht alles. Eine pfiffige technische Lösung für die Materialversorgung in der Sägen-Montage etwa spart auch Zeit und Geld. Dabei handelt es sich um ein fahrerloses Transportsystem, ein so genanntes Low-Cost-FTS, das Festo zusammen mit dem Institut für Fabrikanlagen der Universität Hannover entwickelt hat.
Das nur rund 30 000 DM teure Gerät ver- und entsorgt die Montageinsel mit Teilesets. Diese werden im Kommissionierbereich zusammengestellt, vom FTS im Vorbeifahren an Rollenbahnen abgeholt und an den Montagestationen, ebenfalls ohne anzuhalten, durch einfache Mechanik abgeliefert. Gleichzeitig nimmt das FTS leere Behälter von der Insel mit. „Die Bestände im Montagebereich und damit der Flächenverbrauch sind deutlich gesunken“, freut sich „Lager“leiter Thorsten Hartmann. Auch die Kommissionierflächen und -wege hätten sich reduziert, der Kommissionierer selbst werde um über 20 % entlastet. Warum man dieses FTS selbst entwickelt hat, begründet Hartmann lakonisch: „Wir wollen alles möglichst einfach und preisgünstig halten, sonst könnten wir ja gleich einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen.“
Industrieanzeiger
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