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Standort D ist wieder topp

Produktionsverlagerung
Standort D ist wieder topp

Ja, er lebt noch: Der Industriestandort Deutschland ist vital wie lange nicht mehr. Die Unternehmen nutzen die sich verbessernden Standortbedingungen und investieren wieder in der Bundesrepublik. So mancher kehrt sogar reumütig aus dem billigen Ausland zurück.

In Deutschland zu produzieren ist in, verlagern ist out. „Es wird weniger im Ausland und wieder mehr in Deutschland investiert“, verkündete dieser Tage Stefan Ortseifen, Vorstandssprecher der IKB Deutsche Industriebank, als er das jüngste Mittelstandspanel präsentierte. Die IKB erhebt diese Umfrage regelmäßig gemeinsam mit dem BDI und führenden Wirtschaftsforschungs-Instituten. In Einzelfällen würden sogar Kapazitäten in Osteuropa abgebaut und wieder nach Deutschland zurückgeholt, weiß Banker Ortseifen zu berichten.

Dass die verlängerte Werkbank in Osteuropa nicht zwangsläufig günstiger ist, erlebte beispielsweise Wolfgang Kienzler. Der Geschäftsführer der Stopa Anlagenbau aus Achern holte vor zwei Jahren Schweißarbeiten und die mechanische Bearbeitung aus Tschechien und der Slowakei zurück an den badischen Heimatstandort. „Die Rückverlagerung war aus der Not geboren“, gibt er zu. Probleme mit einem Lieferanten seien der Grund gewesen. „Dann haben wir festgestellt, dass wir die Produkte in Deutschland zum Teil günstiger herstellen können“, berichtet der Chef des Spezialunternehmens für Lagereinrichtungen.
Die Durchlaufzeiten sind nun um ein bis zwei Wochen kürzer. Massengüter beschafft das Unternehmen, das 170 Mitarbeiter beschäftigt, komplett aus Osteuropa. Komplexe Teile entstehen am Stammsitz. Kienzler beobachtet, dass das Thema Produktionsverlagerung heute differenzierter betrachtet wird als noch vor Jahren. „Früher hat man nicht groß vorher geprüft, ob sich eine Verlagerung rechnet“, sagt er. Den Logistik- und Zeitfaktor habe man völlig unterschätzt.
Nach Berechnungen des DIHK hat die deutsche Industrie vergangenes Jahr 50 000 Jobs an das Ausland verloren, meist gering qualifizierte. Demgegenüber sind erstmals seit sechs Jahren mehr Jobs in Deutschland entstanden als abgewandert sind: rund 60 000.
Allein der Maschinen- und Anlagenbau schuf nach Zahlen des VDMA im Jahr 2006 rund 20 000 Stellen in Deutschland. „Dieses Jahr könnten es nochmals 10 000 werden“, zeigt sich Verbandspräsident Dr. Dieter Brucklacher optimistisch. Das Job-Wunder wird getragen von einer außerordentlichen Konjunktur. 2006 legten laut Ifo-Institut die Ausrüstungsinvestitionen in der Branche um 16 % zu.
Der Standort D hat seine Stärken, die erfolgreiche Unternehmen strategisch nutzen. „Wir belassen die hoch automatisierten und Hightech-Prozesse in Deutschland, außerdem Prozesse, bei denen es sich nicht lohnt, sie zu verlagern, weil sie hohe Anforderungen an die Qualität oder Logistik stellen“, erläutert beispielsweise Friedrich Scherzinger, Geschäftsführer des Zulieferers und Heizelemente-Spezialisten Eichenauer aus dem pfälzischen Hatzenbühl (Interview S. 20). Unternehmer sind durch die Probleme vieler anderer gewarnt.
Eine der ersten Firmen, die vor Jahren für Schlagzeilen sorgte, war die Optotechnische Gerätebau GmbH aus Rathenow. Der Inhaber wollte mit seinem Sieben-Mann-Betrieb Geld sparen und beschloss Ende der 90er-Jahre, mit einem bulgarischen Partner Druckgusswerkzeuge im Billigland zu produzieren. Erst nach Jahren merkte der Unternehmer laut Berichten, dass die Kosten aus dem Ruder liefen. Eine Analyse des Fraunhofer-Institutes für System- und Innovationsforschung (ISI) brachte das Ausmaß zutage: Im ersten Jahr kamen auf eine Mark Umsatz sieben Mark Kosten. Mertens kehrte zurück. Er erbringt nun vier Fünftel der Produktion in Brandenburg. Nur einfache Metallarbeiten lässt er in Bulgarien erledigen.
Das Fraunhofer-ISI hat – ausgehend von ähnlichen Fällen – in einer Untersuchung die wichtigen Gründe für die Rückverlagerungen ermittelt:
  • Das Qualitätsniveau am ausländischen Standort war nicht ausreichend.
  • Die Kostensituation vor Ort wandelte sich grundsätzlich, so dass die ehemaligen Vorteile keinen Bestand mehr hatten.
  • Einzelne Faktorkosten wie zum Beispiel günstige Löhne wurden durch andere Faktoren wie Materialkosten überkompensiert.
  • Schlechte Flexibilität und Lieferfähigkeit.
Ein Hauptgrund für die Flucht vieler Unternehmer waren und sind die hohen Arbeitskosten. Im europäischen Vergleich rangiert Deutschland mit 31,15 Euro pro Stunde im Verarbeitenden Gewerbe nach wie vor in der Spitzengruppe, wie das Statistische Bundesamt dieser Tage erneut bestätigte.
Fällt ein Unternehmer angesichts des Lohnniveaus die Entscheidung für den Umzug ins Ausland, neigt er dazu, den ins Auge gefassten Standort schön und billig zu rechnen. Die Entrepreneure blenden Faktoren bei der Standortentscheidung aus, wie das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft (RKW) in einer Analyse beobachtet hat. „Wer die Chancen und Risiken eines Auslandsengagements im Vorfeld realistisch bewertet, kann das Risiko eines Misserfolgs erheblich senken“, so lautet das Ergebnis der Studie. Mancher Unternehmer komme so „mitunter zu überraschenden Ergebnissen in Bezug auf die Wahl des idealen Produktionsstandortes“.
Dass der Standort D wieder attraktiver wird, hat mehrere Gründe: Seit Jahren sinken nach offiziellen Zahlen die Lohnstückkosten; das heißt, die Löhne steigen langsamer als die Produktivität wächst. Seit der Massenabwanderung von industriellen Arbeitsplätzen Ende der 90er-Jahre sind Bündnisse für Arbeit in erfolgreichen Betrieben die Regel – obschon sie keine rechtliche Grundlage besitzen. Außerdem schätzen die Unternehmen die Standortstärken: zum Beispiel gut ausgebildete Arbeitskräfte, Rechtssicherheit, Kundennähe und die Forschungslandschaft.
Besonders kapitalintensive Investitionen fallen zugunsten von Deutschland aus. Zwei aktuelle Beispiele unterschiedlicher Größenordnung: Der Bosch-Konzern baut in Reutlingen für über 500 Mio. Euro ein Halbleiterwerk. Nicht unweit davon auf der Schwäbischen Alb in Münsingen entsteht das nach Angaben des Bauherrn Walter AG „weltweit modernste Wendeschneidplattenwerk“. Investitionsvolumen: 20 Mio. Euro.
Und im Mittelstand heißt die neue Devise: Selbermachen. Denn ein Ergebnis des Mittelstandspanels besagt, dass in den Unternehmen das Insourcing wieder wichtiger ist als das Outsourcing, weiß Dr. Frank Wallau, Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM). Er betreut in dem Institut das Panel und beobachtet, dass mehr Prozesse in die Unternehmen zurückgeholt werden. Seine Analyse: „Die Unternehmen haben in der Vergangenheit zu viel nach draußen gegeben. Sie haben einfach übers Ziel hinausgeschossen.“
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
Logistik und Zeit werden unterschätzt Realistischer Blick für Standort-Faktoren

Kosteneffizienz
Viele Unternehmer unterschätzen die Kosten der verlängerten Werkbank im Ausland. Häufig werden die geringeren Lohnkosten durch die anderen Faktorkosten wieder aufgewogen: Komplizierte Logistik, fehlende Management-Kapazität, Sprachprobleme und die oft anders geartete Qualifikation der Mitarbeiter sind Fallstricke.

Jungheinrich: Konsequent in Deutschland

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Norderstedt, Lüneburg, Moosburg: So heißen jetzt die europäischen Produktionsstandorte des Staplerherstellers Jungheinrich. Das Unternehmen setzt komplett auf die Bundesrepublik. Die Werke in Frankreich (Argentan), Spanien (Madrid) und Leighton Buzzard (UK) wurden 2004 geschlossen.
Das Unternehmen profitiere derzeit „von den sich verbessernden Standortbedingungen in Deutschland“, heißt es aus Hamburg. Vorstandsmitglied Dr. Erich Kirschneck zu den Vorteilen: „Das Land ist politisch stabil und verfügt über eine sehr gute Infrastruktur, die Arbeitskräfte sind hoch motiviert und sehr gut ausgebildet. Die Zusammenarbeit im Jungheinrich-Produktionsverbund wird nicht durch Sprachbarriere erschwert. Und der Weg zu den meisten Kunden ist nicht weit – ein nicht unerheblicher Faktor bei großen und schweren Produkten wie Gabelstaplern.“ Jungheinrich betreibt darüber hinaus ein Montagewerk bei Shanghai in China, um vor Ort für den asiatischen Markt zu produzieren.
Die nächste Investition in Deutschland ist schon beschlossen: Von Ende 2008 an sollen an einem neuen Standort in Ostdeutschland Niederhubwagen gefertigt werden.
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