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Während der Monteur schlummert, wird das Servicefahrzeug beladen

Lagertechnik/Ersatzteilversorgung: Staplerhersteller nutzen die Nacht für den Service
Während der Monteur schlummert, wird das Servicefahrzeug beladen

Wenn sich die Kunden auf eine schnelle und reibungslose Ersatzteil-Lieferung verlassen können, sind sie zufrieden. Denn dann können sie auf kostenträchtige Redundanzen verzichten. Voraussetzung ist ein effizientes Ersatzteilmanagement.

Von unserem Redaktionsmitglied Michael Corban michael.corban@konradin.de

Das Hydrauliköl, das am Hubzylinder seines Staplers herunterläuft, gefällt Fahrer Norbert Meier gar nicht, denn diese Woche verspricht ausreichend Arbeit. Aber Meier und sein Chef wissen, dass sie mit einer schnellen Reparatur rechnen können. „Wo auch immer unsere Fahrzeuge im Einsatz sind, müssen wir sie blitzschnell versorgen können“, bestätigt Jens-Peter Petersen, Serviceleiter bei der Hamburger Still GmbH. Das ist auch notwendig. Denn die Kosten für Stapler lassen sich nur senken, wenn redundant vorgehaltene Ressourcen überflüssig werden. Im Klartext: Meiers Chef hat keine Stapler in Reserve, das wäre zu teuer. Alle Fahrzeuge sind im Einsatz. Er muss sich also auf sie verlassen können.
Diese Situation beobachtet auch der IML-Forscher Dr.-Ing. Gerhard Bandow vom Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) immer häufiger, und geht noch einen Schritt weiter. „Viele Kunden wollen dazu möglichst wenige Ersatzteile lagern, denn nur so lassen sich die damit verbundenen Ausgaben gering halten.“ Dies ginge aber nur dann, wenn der entsprechende Hersteller in der Lage ist, im Falle des Falles benötigte Teile schnell zu liefern. Für den Staplerhersteller heißt dies also: Bei der Lieferbereitschaft sollte er einen Wert von 95 % und mehr erreichen. „Das ist die Voraussetzung, um wirklich die Kosten beim Anwender zu senken“, fährt Bandow fort. Denn ein Stapler, der dringend benötigt wird, darf nicht mehrere Tage defekt auf dem Werkshof stehen. Er muss schnellstmöglich wieder betriebsbereit sein.
Gefordert ist also seitens der Hersteller ein effizientes Ersatzteilmanagement. Dies umfasst auf der einen Seite ein ausreichend dimensioniertes Lager, das die erforderliche Lieferbereitschaft von 95 % ermöglicht. Auf der anderen Seite müssen die Ersatzteile aber so schnell wie möglich den Kunden oder Servicetechniker erreichen. „Die rund 800 Servicetechniker in Deutschland haben deshalb ein Notebook mit Funkmodem. Damit können sie ihre Ersatzteile direkt im Zentrallager in Hamburg bestellen“, berichtet Still-Serviceleiter Petersen. Binnen kurzer Zeit erfahre der Techniker, ob die Teile verfügbar sind. In mehr als 95 % der Fälle sei die Antwort positiv. Dann folge der schnelle Versand. „Waren, die bis 16 Uhr bestellt worden sind, liefern wir noch über Nacht an jeden Ort in Deutschland“, fährt Petersen fort. „Der Service bekommt die Teile direkt in seinen Kundendienstwagen gelegt.“ Binnen eines Tages kann Fahrer Meier also sicher sein, dass sein Stapler wieder läuft und die Woche nicht im Stress endet.
Bei den Flurförderzeugen bieten die Hersteller in vielen Fällen ihren Kunden einen vergleichbaren Service. Auch Crown, Jungheinrich, Linde und Toyota erreichen eine Lieferbereitschaft von 95 % und mehr. Das Ersatzteillager der Toyota Gabelstapler Deutschland GmbH aus Duisburg ist dazu ebenfalls online an alle Ersatzteilstützpunkte angebunden. Zusätzlich verfügen die Vertragshändler in Deutschland über ein eigenes Ersatzteillager mit allen Schnelldrehern, also den Teilen, die sehr häufig gefragt sind. „Den Rest, etwa Teile von nicht mehr produzierten Staplerbaureihen, liefert die europäische Ersatzteil-Zentrale in Frankreich binnen 24 Stunden“, sagt Parts & Service Manager Karl Hielscher. Auch die Außendienst-Techniker der Jungheinrich AG aus Hamburg, können „über ihren Mobilen Techniker Arbeitsplatz, kurz MTA, direkt nachschauen, ob das benötigte Ersatzteil als Standardteil verfügbar ist“, berichtet Hans-Jürgen Rothkegel, als General Parts Manager für das Ersatzteilgeschäft verantwortlich. „Am nächsten Morgen um 7 Uhr kann es dann umgehend losgehen.“
Eine Lieferbereitschaft von bis zu 98 % erreicht die Aschaffenburger Linde AG Geschäftsbereich Linde Material Handling, wie Bruno Kulick, Mitglied der Geschäftsleitung, berichtet. „Wir betreuen unsere Kunden von unserem zentralen Ersatzteillager Kahl am Main aus, das in der Mitte Deutschlands liegt, sowie von dezentralen Lagern bei insgesamt 27 Vertragshändlern vor Ort.“ Online löst eine Ersatzteilbestellung im Lagerverwaltungssystem direkt die Verfügbarkeitsprüfung aus. „Das Ergebnis wird sofort zurückgemeldet“, fährt Kulick fort, in 96 % der Fälle sei das Teil vorrätig. Zusammen mit den Ersatzteillagern der Händler betrage die erreichte Verfügbarkeit vor Ort sogar 98 %.
Ein zweistufiges Liefersystem findet sich bei der Münchener Crown Gabelstapler GmbH & Co. KG. Sie unterscheidet zwischen Rush-Order- und Stock-Order-Bestellungen. „Erstere werden noch am selben Tage oder über Nacht ausgeliefert“, erzählt Ken Dufford, Geschäftsführer European Business und Market Development, „Stock-Order-Bestellungen innerhalb von 48 Stunden.“ Innerhalb von 24 h liege die Lieferbereitschaft bei 95 %, innerhalb von 48 h bei 98 %.
IML-Experte Bandow kennt aber für den Anwender einen Weg, der Ersatzteilthematik komplett aus dem Weg zu gehen: „Er muss die Fahrzeuge ja nicht kaufen, sondern er kann sie mieten und damit das Risiko des Ausfalls auf einen Dienstleister übertragen.“ Hierzu gebe es inzwischen von vielen Herstellern entsprechende Betreibermodelle, die auch immer häufiger genutzt würden. Zurückhaltung seitens der Kunden gebe es gerade bei den Staplern immer weniger. „Gilt in vielen anderen Bereichen noch die Devise, dass der Produktbesitz wichtiger ist als die Produktleistung, hat sich dies bei den Flurförderzeugen bereits geändert“, erläutert Bandow. Dies könne daran liegen, dass die Transportleistung eines Staplers transparenter und damit eine Kosten-Nutzen-Abwägung einfacher ist.
Zukünftig könnte beim Ersatzteilversand auch noch ein anderes Konzept greifen. So beschreibt IML-Forscher Thomas Bone in seinem Bericht zum Tower-24-Konzept auch das Szenario, auf diese Weise effizient Servicetechniker zu versorgen. Hinter diesem Konzept zur Warenübergabe steht der Gedanke, die sogenannte letzte Meile – also die Lieferung bis zum Kunden – schneller zu überwinden. Wer etwa im Internet ein Buch bestellt, löst einen Transportvorgang aus, der je nach Umständen sehr zeitaufwendig sein kann. Schneller geht es, wenn eine Übergabestelle – der Tower – häufiger und damit schneller bedient wird, und sich jeder Kunde dort seine Ware selbst abholt. Was für den Kontakt von Unternehmen zu Endkunden (B2C) gedacht ist, lässt sich in gleicher Weise auf den Kontakt zwischen Unternehmen (B2B) übertragen, meint Bone. Denn Nachteile des Nacht-Expressgeschäfts seien die Vorhaltung des Schlüsselpools, sowie der zuvor zu vereinbarende Standort des Wagens. Dies alles koste Zeit. Die zentrale Anlaufstelle über das Tower-24-Konzept könne hier dazu beitragen, die Lieferung von Ersatzteilen noch schneller und zuverlässiger zu machen.
Einen positiven Nebeneffekt hat der Ersatzteilservice besonders für die Hersteller. „Das Feedback, generiert aus dem täglichen Einsatz, deckt sehr schnell mögliche Konstruktionsfehler auf“, berichtet IML-Forscher Bandow. Je eher der Hersteller dies merke, desto eher könne er darauf reagieren. Unterstützung kommt von Seiten der CAD/CAM-Anbieter mit ihren Lösungen für das Product Lifecycle Management (PLM). Bandow hält sie für sinnvoll, weil sie Service und Konstruktion miteinander verzahnen. „Wenn man an mögliche Folgekosten denkt, kann sich ihr Einsatz sehr schnell rechnen.“
Eine spezielle CAD/CAM-Software vernetzt bereits die Toyota-Produktionsstätten, „so dass eine Rückkoppelung zwischen Ersatzteilbedarf und Konstruktion genutzt werden kann“, erzählt Toyota-Gabelstapler-Mitarbeiter Karl Hielscher. Auch für Ken Dufford von Crown sind Rückkoppelungen zwischen Ersatzteillager, der Abteilung Sales und der Konstruktionsabteilung selbstverständlich. Bei Linde gibt es diese Kontakte zu verschiedenen Zeitpunkten, wie Bruno Kulick erläutert. „Im Vorfeld des Serienstarts gilt es, den Ersatzteilkatalog abzustimmen. Nach dem Serienstart werden dann Rückmeldungen zu Servicefällen gesammelt und ausgewertet.“
Eine selbst entwickelte PLM-Lösung sorgt bei Jungheinrich für die notwendige Abstimmung, wie Hans-Jürgen Rothkegel berichtet. „Kommt es zu einer Neukonstruktion, laufen in der Entwicklung und dem Service zwei Projekte parallel.“ Aus den vorliegenden Betriebsdaten definiere der Service ein Lastenheft, das zum Pflichtenheft des Konstrukteurs wird. „Beide Seiten geben ihr O.K. für den Serienstart und stehen gleichermaßen in der Verantwortung“, fährt Rothkegel fort.
Für die Servicetechniker von Still ist der Einsatz von PLM-Programmen derzeit in Vorbereitung. Gleichwohl nutzen die Hamburger die Erkenntnisse aus der Praxis. Fahrer Meier kann sich also sicher sein, dass nach den Gründen für die Undichtigkeit des Hubzylinders gesucht wird.
Das Konzept des Tower 24 kann auch den Service beschleunigen
Service liefert den Konstrukteuren wichtige Praxisinfos

Richtiger Griff spart 20 % der Zeit

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Um das Ersatzteilgeschäft verlässlich betreiben zu können, investieren Staplerhersteller zunehmend in die erforderliche Infrastruktur. So nahmen die Manager der Still GmbH etwa 11 Mio. Euro in die Hand, um das Hamburger Service-Zentrum in seiner heutigen Form aufzubauen. Dieses wurde konzeptionell mit dem Logistik-Beratungsunternehmen TSM Logistik Beratung Gesellschaft m.b.H. aus Gießhübl/Österreich entwickelt und von der Klinkhammer Förderanlagen GmbH aus Nürnberg als Generalunternehmer umgesetzt. Im Servicezentrum finden sich auf 6400 m2 Fläche
  • ein viergassiges automatisches Kleinteilelager (AKL),
  • eine Palettenregalanlage für größere Teile,
  • ein Sonderlager für Sperriges sowie
  • ein Gefahrgutlager, in dem sich unter anderem Lacke und Farben befinden.
Die speziell entwickelten Regalbediengeräte und die Kommissionierstapler sind mit einem Staplerleitsystem verknüpft. „Dank der fortschrittlichen Greiftechnik generieren wir bei der Regalbedienung einen Zeitvorteil von bis zu 20 Prozent gegenüber herkömmlichen Lösungen“, sagt Serviceleiter Jens-Peter Petersen. Rund 36 000 von insgesamt 65 000 Artikeln lagern im Kleinteilelager. Eingelagert wird über die ABC-Analyse, so dass die am häufigsten benötigten Ersatzteile ganz vorn liegen.
Die Linde AG, Geschäftsbereich Linde Material Handling, investierte rund 26 Mio. Euro für den Neubau des zentralen Ersatzteillagers in Kahl/M. Dort stehen rund 65 000 Teile auf einer Fläche von 11 250 m2 bereit, aufgeteilt auf ein automatisches Kleinteile- sowie ein Hochregal- und ein Sonderlager. In Kahl kommt die chaotische Lagerhaltung zum Zug. Alle Behälter und Teile sind mit einem Barcode versehen. Alle Arbeitsplätze und Fahrzeuge verbindet eine Funkanlage, so dass das Kommissionieren papierlos erfolgt.
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