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Zulieferer krempeln die Ärmel hoch

Noch ist deutsche Spitzentechnologie in der Windkraft-Branche der Renner
Zulieferer krempeln die Ärmel hoch

Windkraftanlagen sind auf der ganzen Welt gefragt wie nie. Nach Europa entdecken nun Nordamerika und Asien diese Form der erneuerbaren Energie. Die deutsche Industrie mischt auf den Wachstumsmärkten kräftig mit – und es werden dringend mehr Komponenten gebraucht.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann

Umsatzsteigerung von 200 %. Umsatzprognose um 12,5 % erhöht. Rekordjahr für die Installation neuer Anlagen. Solche Meldungen lassen keinen Zweifel aufkommen: Der steigende Energiebedarf beschert der Windkraft-Branche einen internationalen Boom – allen kritischen Stimmen zum Trotz, die man aus der Bundesrepublik gewohnt ist. „In seinem Ausmaß ist dieser Ansturm fast überraschend“, sagt Norbert Giese, Geschäftsführer der Bremer Siemens Wind Power GmbH. Weil die Nachfrage unter anderem in Frankreich, Großbritannien, Norwegen, Portugal, Griechenland, aber auch in Nordamerika und Asien beständig wächst, kommen die Hersteller mit dem Liefern kaum nach.
Nach Auskunft von Thorsten Herdan, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Power Systems, hätten 2006 und 2007 etwa 20 % mehr Anlagen verkauft werden können, wenn es die Engpässe bei den Kapazitäten der Hersteller sowie bei einigen Zulieferteilen nicht gegeben hätte. Das Know-how der Windkraftanlagenhersteller liegt vor allem in der Planung und Konstruktion sowie in der Montage einer Anlage. Das „große Portfolio an Technik“, wie Giese es nennt, werde hingegen zugekauft: Lager, Getriebe, Gondelverkleidungen, Türme, Stellantriebe, Umrichter – schon das Fehlen einer Komponente könne den Bau einer Anlage in Frage stellen.
Daher ist aus Sicht der Hersteller in nächster Zeit ein Kapazitätszuwachs bei den Zulieferern wünschenswert. „Wir stellen die Rotorblätter als einzige Komponente selbst her und haben die Kapazitäten dafür schon ausgebaut“, sagt der Chef von Siemens Wind Power Deutschland.
Für die derzeitigen Nachschubprobleme gibt es laut Herdan eine Reihe von Gründen. Vor allem die rasante Entwicklung in Nordamerika, die mit den steigenden Preisen für Öl und Gas zusammenhänge, sei nicht vorhersehbar gewesen. Darüber hinaus hätten sich manche Zulieferer nicht auf optimistische Prognosen der Hersteller verlassen wollen. „Es hat in den vergangenen Jahren Fälle gegeben, in denen die Zulieferer auf Teilen sitzen geblieben sind. Und das macht natürlich vorsichtig.“ Der VDMA will daher den Dialog zwischen Herstellern und Komponentenanbietern intensivieren, um zu möglichst realistischen Einschätzungen zu kommen und nicht noch einmal eine Chance zu verpassen.
Auf „äußerst positive“ Marktaussichten für Lager hat sich die Herzogenauracher Schaeffler-Gruppe eingestellt und in ihren Bereich Großlager investiert, der Lager mit Durchmessern von 320 bis 4250 mm herstellt. Bedarf für solche Komponenten ist vorhanden: Lieferzeiten von mehreren Monaten seien die Regel, und dem Wettbewerb erginge es nicht anders. Mit einer Erhöhung der Fertigungskapazitäten soll sich das ändern. „Im Lauf des kommenden Jahres werden wir voraussichtlich wieder fast normale Lieferzeiten erreichen“, sagt Ernst Roth, Leiter des Branchenmanagements Heavy Industries.
Seine Großlager werden nicht nur, aber eben auch in Windkraftanlagen gebraucht. Für Herdan zählen sie mit den Großgetrieben und den Rotorblättern zu den „kritischen Komponenten“, bei denen sich ein Anbieter von Anlagen ohne Not nicht auf Experimente oder neue Anbieter einlassen würde. Zu den besonderen Anforderungen, die solche Komponenten erfüllen müssen, gehören Zuverlässigkeit und ein möglichst geringes Gewicht. So sind 7 t für ein Großlager schon ein guter Wert. Zum Spezialwissen, mit dem ein Zulieferer punkten kann, zählt bei solchen Giganten auch ein gutes Konzept für das Handling des Lagers.
Abgesehen von den etablierten Zulieferern könnte die stark wachsende Nachfrage aber auch solchen Maschinenbauern neue Marktchancen eröffnen, die sich in Sachen Windenergie bisher bedeckt gehalten haben. „Natürlich haben diejenigen einen Wettbewerbsvorteil, die sich schon vor Jahren auf die Branche spezialisiert haben“, räumt Giese ein. Dennoch sei der Markt auch offen für Neulinge. Weniger für die kritischen Komponenten, wie Herdan betont, aber bei Stellgetrieben, Kabeln, Generatoren, dem Turm oder auch der Steuerungstechnik seien Neueinstiege denkbar.
Maschinenbauer aus Deutschland haben hier traditionell gute Karten. Etwa die Hälfte der weltweiten Branchenumsätze von 11 Mrd. Euro entfallen auf Hersteller und Zulieferer aus der Bundesrepublik, wie eine Studie des Deutschen Windenergie-Institutes (Dewi) aus dem Jahr 2005 ergab. Für Dr. Matthias Hochstätter vom Bundesverband Windenergie e. V. in Osnabrück ist das nicht überraschend, gehörten doch Deutschland wie auch Dänemark zu den Pionieren.
Weltmarktführer unter den Herstellern ist nach wie vor die dänische Vestas. In deren Anlagen aber werden laut Hochstätter viele Komponenten deutscher Zulieferer verbaut. Platz zwei nimmt die US-amerikanische GE Wind ein, die ihren Produktionsstandort im niedersächsischen Salzbergen hat. An dritter Position findet sich die Auricher Enercon, dicht gefolgt vom spanischen Anbieter Gamesa. Platz fünf hat sich jüngst der indische Windkraftanlagenhersteller Suzlon erobert und damit die deutschen Anbieter Siemens Wind Power, Repower und Nordex überrundet.
Allen Herstellern zusammen brachte das vergangene Jahr für die außereuropäischen Märkte ein Plus von 73 %. Der Markt in Europa, wo bisher mit mehr als 47 000 MW Leistung beinahe drei Viertel der weltweiten Leistung installiert sind, verzeichnete 2005 einen Zuwachs von 16 %. Und laut Dewi-Studie sind die Prognosen für die kommenden Jahre ebenfalls mehr als optimistisch. „Wir haben ein Szenario in Händen, das jährlich von zehn bis zwanzig Prozent Wachstum ausgeht“, sagt Siemens-Wind-Power-Chef Giese. Auch wenn längerfristige Prognosen „an Kaffeesatzleserei“ grenzten, geht er davon aus, dass die Vorhersage für die nächsten fünf Jahre trägt.
Das könnte Grund genug für einen Zulieferer sein, über den Einstieg in das Geschäft mit dem Wind nachzudenken – wobei sich laut VDMA-Experten Herdan eine sorgfältige Risikoabschätzung empfiehlt, „da jede Marktentwicklung stark von politischen Entscheidungen im jeweiligen Land abhängt“. Und dass sich das Geschäft stark international orientiert, steht außer Frage. Den Anlagenherstellern in die Welt folgen zu können, ist nach Auskunft des Großlager-Herstellers aus der Schaeffler-Gruppe eine der Voraussetzungen für den Erfolg als Zulieferer.
In Deutschland ist nach Auskunft der Fachleute nicht mehr mit einem Zubau von Windkraftanlagen in größerem Maß zu rechnen. Hier sind die besten Plätze an Land seit Jahren vergeben. Größere Chancen dürfte in ein paar Jahren das Repowering haben – der Austausch alter Anlagen durch neue, leistungsfähigere – sowie der bevorstehende Neubau von Anlagen auf offener See.
An diesem Punkt allerdings fürchten Insider, dass Deutschland seine Spitzenposition verlieren könnte. Zwar stehen in Nord- und Mitteldeutschland mit drei Prototypen, die 4,5 bis 5 MW liefern sollen, die größten Windkraftanlagen der Welt, die mit ihrer großen Leistung für den Offshore-Einsatz sehr gut geeignet wären. Nur laufen Genehmigungsverfahren für Parks auf See in Deutschland nach Auskunft der Experten „extrem langsam“, während in Skandinavien oder Großbritannien Offshore-Parks längst Strom produzieren. Zwar sind dort kleinere Anlagen mit maximal 2 bis 3 MW im Einsatz. Doch könnte es am Ende die Praxiserfahrung sein, die bei internationalen Windparkprojekten einem Hersteller den entscheidenden Vorsprung bringt.
Das Risiko, dass der deutsche Maschinenbau seine Führungsposition verliert, sei vor diesem Hintergrund gegeben. Der Abfluss von Know-how in die neuen Märkte trage sicher dazu bei. Ein Umfeld, das die Entwicklung neuer Technologien bremse, sagt VDMA-Experte Herdan, könne den bislang erfolgreichen Unternehmen aber genauso schaden. „Ohne einen Markt im Inland wird wohl auch die Wertschöpfung früher oder später aus Deutschland verschwinden.“
Deutscher Maschinenbau macht die Hälfte der weltweiten Umsätze
Den Off-Shore-Zug droht Deutschland zu verpassen

5-MW-Technik für Offshore-Parks

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Die Multibrid Entwicklungsgesellschaft hat 5-MW-Anlagen speziell für die Bedingungen in den Offshore-Parks konzipiert. Noch laufen Anlagen dieser Größe im Prototypenstadium.
Um in einem Offshore-Windpark fern der Küste zu bestehen, müssen Windkraftanlagen möglichst zuverlässig, robust und einfach zu montieren sein – und möglichst viel Energie liefern, damit sich die Installation auch lohnt. Anlagen mit rund 5 MW Leistung werden dieser Tage als Prototypen an Land für solche Anwendungen getestet.
Bisher sind für Leistungen von 2 bis 3 MW technische Lösungen mit und ohne Getriebe auf dem Markt. Die Enercon GmbH aus Aurich setzt Spezialgeneratoren ein, die die niedrigen Drehzahlen der Rotoren durch eine hohe Polzahl ausgleichen und dennoch eine Wechselspannung von 50 Hz erzeugen. Sie können damit auf das Gewicht des Getriebes in der Gondel verzichten, nehmen aber einen schwereren Rotor in Kauf. Andere Hersteller übersetzen die Rotor-Drehzahl von rund 20 min-1 durch ein Getriebe auf 1500 min-1. Kritiker monieren, dass solche schnelldrehenden Komponenten besonders anfällig seien. Beide Konzepte haben Hersteller schon in die Offshore-Leistungsklasse übertragen. Nahe Magdeburg läuft eine getriebelose Version von Enercon mit 4,5 MW, und in der Nähe von Brunsbüttel steht die mit einem mehrstufigen Getriebe ausgestatte Anlage vom Typ 5M der Repower AG seit 2005 auf dem Prüfstand.
Die Bremerhavener Multibrid Entwicklungsgesellschaft mbH hat eine dritte Variante entwickelt. Für ihre Windkraftanlagen vom Typ M5000 setzt sie ein integriertes Triebstrangkonzept mit permanenterregtem Synchrongenerator ein. Dieser läuft mit einer mittleren Drehzahl von rund 250 min-1, so dass ein kompaktes Planetengetriebe ausreicht, die Drehzahl des Rotors zu übersetzen. Das spart Gewicht und senkt die Kosten, da Fundament und Turm weniger stabil ausgeführt sein müssen. 100 t weniger in der Gondel bringen laut Hersteller ein Sparpotenzial von über 1 Mio. Euro pro Anlage. Die 200 t wiegende Gondel der M5000 lässt sich am Boden zusammenbauen, und ein Kran benötigt fünf Hübe, bis Gondel und Rotorblätter auf der 102 m hohen Nabe angebracht sind. Möglichst wartungs- und verschleißarme Bauteile sowie die gekapselte Bauweise der Gondel sollen sie zuverlässig machen: In der Gondel herrscht beständig Überdruck, der die Technik vor Schäden durch die salzige Seeluft schützt.

Messe Wind Energy
Zur internationalen Messe Wind Energy erwarten die Veranstalter vom 16. bis 19. Mai rund 400 Aussteller in drei Hallen der Neuen Messe Hamburg. Dort präsentieren sich im zweijährigen Turnus Hersteller und Zulieferer von Windenergieanlagen, Planer, Finanzierungsinstitute sowie Mess- und Zertifizierungsstellen. Die USA, Kanada, Großbritannien, Dänemark, Spanien, Norwegen und Schweden werden mit Gemeinschaftsständen vertreten sein.
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