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Der digitale Wandel ist Chefsache

Neue Serie: Industrie 4.0 – Update für die Produktion
Der digitale Wandel ist Chefsache

Was ist Industrie 4.0? Der Aufbruch in eine neue Ära oder schlicht gutes Marketing? Wie Firmenchefs darüber denken und wie sie sich dem grundlegenden Wandel stellen – dazu haben wir unsere Leser befragt. ❧ Dietmar Kieser

Industrie 4.0 – die Wortschöpfung schafft es selbst auf die Titelseiten regionaler Tageszeitungen, wenn der örtliche Top-Arbeitgeber am Standort seine neue Zukunftsfabrik eröffnet. Was vor Kurzem noch als Hype stilisiert und von nicht wenigen Angehörigen verarbeitender Branchen wegen des oft überstrapazierten Gebrauchs als Modewort geflissentlich abgetan wurde, hat sich binnen kurzer Zeit zum Megathema entwickelt, auch und gerade für den Mittelstand.

Doch warum ist die Relevanz der Thematik in derart kurzer Zeit offensichtlich geworden? Einerseits ist Industrie 4.0 zu einer Art Synonym geworden für die digitale Umwälzung der Fabrik. Andererseits geht es nicht um Technik per se, sondern um die internationale Wettbewerbsfähigkeit produzierender Unternehmen und die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter. Der deutsche Begriff „Industrie 4.0“ wie auch das international etablierte „Internet of Things“ – bisweilen ist vom „Internet of Everything“ die Rede – steht nicht nur für die vernetzte Fabrik oder „Smart Factory“, wie eine weitere populäre Bezeichnung lautet. Er kennzeichnet auch einen funktionalen und strukturellen Wandel aller Geschäftsprozesse und trägt einen fundamentalen gesellschaftlich- und technologisch-disruptiven Charakter.
Im Zeitalter der Digitalisierung aller Bereiche wird eine Produktion nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie einen hohen Grad an Anpassungsvermögen zeigt – gerade auch bezüglich Änderungen, die sich nicht zur Gänze vorherberechnen lassen. Stichworte sind hier individualisierte Produkte in kleinster Losgröße zu Konditionen der industriellen Großserienfertigung, produziert in hoher Produktivität und Qualität. Mit hinein spielen eine vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance), Mensch-Roboter-Kollaboration, eindeutige Identifikation von Gütern im Produktionsprozess sowie durchgängige Transparenz in der Produktion bis hin zur Rückverfolgbarkeit von Produkten über Wertschöpfungsnetzwerke hinweg.
Dies funktioniert jedoch nur, wenn aus starren Produktionsstrukturen modulare, effiziente Systeme werden, vernetzt mit Werkstücken und Menschen. Letztendlich steuert das Produkt den Produktionsprozess auf Basis relevanter Umgebungsinformationen. Dabei nehmen Maschinen und Werkstücke als sogenannte cyber-physische Systeme über Sensoren Daten auf, die direkt an die Produktionsumgebung kommuniziert und in Echtzeit ausgewertet werden.
Diese Zukunft findet statt – ob schneller in China, Amerika oder in Europa wird sich bald schon zeigen. Längst ist überall bekannt, dass Digitalisierung das Wachstum einer Volkswirtschaft stimulieren kann. Noch ist Deutschland der Ausrüster für die Industrialisierung der Welt. Vor allem bei Software, die in Geräte und Maschinen eingebaut wird, ist die heimische Wirtschaft stark. Für Vizekanzler Sigmar Gabriel ist es aber „nicht ausgemacht, wer der Innovationstreiber der Industrialisierung bleibt“. Dennoch glaubt der Wirtschaftsminister, „dass wir eine große Chance haben, diesen gerade erlebten Innovationswettbewerb weiter anführen zu können, jedenfalls in vielen Branchen“.
Evolutionärer Weg zum Leitbild
Die vierte Stufe der industriellen Revolution macht sich mit vernetzten, intelligenten technischen Systemen auf, die Produktionstechnik radikal zu wandeln. Ganz sicher wird dieser Weg zum Leitbild nicht revolutionär, sondern evolutionär verlaufen. Zumindest im Hinblick auf die Technologien. Revolutionär hingegen werden sich Industrie-4.0-Konzepte auf etablierte Geschäftsprozesse auswirken und neue Geschäftsmodelle über Dienste im Internet ermöglichen. Dies ändert zugleich die Art und Weise, wie die industriellen Kernprozesse Entwicklung, Produktion, Logistik und Service integriert sind. Alle Informationen, die entlang des Lebenszyklus‘ eines Produktes anfallen, sollen durchgängig verknüpft werden. Umso mehr rückt das Zusammenspiel von realer und virtueller beziehungsweise digitaler Welt in den Mittelpunkt.
Gleich an mehreren Stellen setzt das Zukunftskonzept den Hebel an – schließlich geht es um mehr Transparenz, mehr Effizienz, mehr Planungssicherheit und ein höheres Automatisierungsniveau. Das macht es nicht einfacher, eine allgemeingültige Definition für Industrie 4.0 zu finden.
Folgt man dem Lenkungskreis der ,Plattform Industrie 4.0’, einem gemeinsamen Projekt der drei Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI, ist Industrie 4.0 „eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. All dies basiert auf der Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie auf der Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.“
Auch wenn diese umfassende Digitalisierung in evolutionären Schritten vollzogen wird – eine Revolution der Arbeitsgestaltung ist sie allemal. Angesichts der Tragweite liegt es auf der Hand, dass die größten Herausforderungen die Hemmnisse sind, die aus den zumeist mittelständischen Unternehmen selbst kommen. Doch die Furcht, dass traditionelle Geschäftsmodelle wegbrechen, schwindet in dem Maße, wie ganze Wertschöpfungsketten mit Informations- und Kommunikationstechnologien ausgestatten werden, welche die Industrie auf neue Grundlagen stellen.
So weiß Oliver Herkommer, der CEO des Ulmer Beratungsunternehmens Ingenics, dass in zunehmendem Maße auch Mittelständler akzeptieren, dass Industrie 4.0 keineswegs ein geschlossenes Konzept ist. Vielfach sei ihnen bewusst, dass der Einstieg mit kurzfristig wirksamen Einzelmaßnahmen bereits erhebliche Erfolge bringen könne. Inzwischen, betont Herkommer, „schreitet die intelligente Vernetzung schneller voran, als viele es für möglich hielten“. Auch Dr. Klaus Mittelbach, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, gibt sich optimistisch: „2015 haben wir wichtige Schritte nach von gemacht. 2016 wird das erste große Jahr der Umsetzung von Industrie 4.0 in den Unternehmen.“
Trotz des disruptiven Charakters bezüglich neuer Geschäftsmodelle wird der Weg dennoch ein evolutionärer sein. Zwar bilden Mittelstands-Ikonen wie etwa Trumpf, Festo, Wittenstein und die Maschinenfabrik Reinhausen in ihren Smart Factorys die völlig neue Produktionslogistik in Teilen bereits ab. Festo beispielsweise hat in seiner für 70 Millionen Euro ausgebauten Technologiefabrik am Standort Scharnhausen die Ventilmontage vollautomatisiert. In zwei 20 m langen Automaten können jeweils mehr als 50 Varianten kompakter Magnetventile in mehreren Größen zusammengebaut werden. Dabei ermöglicht es die Anlage, auf Kundenwünsche schnell und präzise zu reagieren.
Gleichwohl wissen viele Unternehmer noch nicht genau, was da passiert und was sie tun müssen. Auch wenn vielen inzwischen klar zu sein scheint, dass eine neue Ära anbricht. Die strategische Bedeutung des Themas macht es notwendig, mehr darüber zu erfahren, wie die Entscheider in mittelständischen Produktionsbetrieben die Situation einschätzen: Welche Bereiche beschäftigen sich mit Internet 4.0? Wer sind die Treiber und wer die Beauftragten, die das Thema vorwärts bringen? Welche Herausforderungen stehen dabei im Vordergrund – von der technischen Umsetzung über Personal, Kosten, Produktion und Kunden? Wie werden die Vorteile, wie die Chancen bewertet, aber auch die Nachteile und Gefahren? Gibt es überhaupt eine einheitliche Definition für das Thema innerhalb des Unternehmens? Und wie relevant ist die Transformation für das Unternehmen und die Branche?
Studie liefert wichtige Erkenntnisse
Diese Fragen waren Ausgangspunkt einer von der Konradin Mediengruppe in Zusammenarbeit mit einer namhaften Mediaagentur durchgeführten qualitativen Studie. In deren Rahmen wurden von Juli bis September 2015 mehr als 1000 Entscheidungsträger in produzierenden Unternehmen der Metallerzeugung und -bearbeitung, Elektrotechnik/Elektronik, Maschinen- und Anlagenbau, Fahrzeugbau und Medizintechnik befragt.
In diesen Unternehmen mit ihren im Durchschnitt 693 Mitarbeitern ist das Thema Industrie 4.0 eindeutig Chefsache: Hauptakteur (59 %) und Haupttreiber (37 %) sind die Geschäftsführung und das Technische Management, gefolgt von Entwicklung und IT. Mehr als zwei Drittel dieser Akteure sehen die größten Herausforderungen in der technischen Umsetzung, wobei die Schnittstellenanpassung und Datensicherheit ganz vorn rangieren, gefolgt vom Personalaspekt mit Schulung, Qualifizierung und Rekrutierung.
Bei der Gewichtung der Vorteile und Chancen gegenüber den Nachteilen und Gefahren von Industrie 4.0 überwiegen die erstgenannten Kategorien. Beispiel: höhere Produktivität 43 %, höhere Erträge/Wettbewerbsvorteile 32 %, Datenunsicherheit 40 %, fehlende Akzeptanz 18 %. Über alle Kategorien hinweg überwiegen für 78 % der Befragten die Vorteile von Industrie 4.0. Lediglich 9 % sehen Nachteile oder Gefahren.
Insgesamt, so zeigt sich, klafft eine große Lücke bei der Definition des Industrie-4.0-Konzepts innerhalb des eigenen Unternehmens – gerade einmal 9 % der Befragten bejahen dies. Aber 89 % konnten sich begrifflich noch nicht festlegen, geschweige denn, sich mit einer unternehmensweiten Digitalstrategie befassen. Kein Wunder, sind doch viele Nutzenversprechen noch nebulös. Und oft wird vernetzte Digitalisierung vornehmlich als IT-relevantes Thema und weniger als Herausforderung für bestehende Geschäftsmodelle erachtet.
Smarte Technologien vielfach im Einsatz
Andererseits ist so mancher mittelständische Produktionsbetrieb bereits im Industrie-4.0-Zeitalter angekommen – wenn auch zunächst nur in Teilbereichen der Produktion oder im Rahmen von Pilotprojekten. Vielfach sind smarte Technologien, von der vernetzten Fertigungsanlage bis zur Analyse von Maschinendaten für die Wartung, im Einsatz. So mancher Firmenchef ist sich oft nicht bewusst, dass sein Unternehmen in Teilen bereits Industrie-4.0-konform arbeitet. Letztendlich muss er herausfinden, inwieweit sich in seiner Firma die internen Prozesse ändern, vielleicht sogar das Geschäftsmodell – und wie das Unternehmen dem begegnet.
Es gibt ganz viele Ideen und viele Richtungen. Aber wie das jetzt in Lösungen gegossen wird, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Grund genug, Ihnen zum Thema Industrie 4.0 mehr Impulse zu geben (siehe Infokasten). Wir treten an, Ihr Navigator zu sein auf diesem spannenden und zuweilen aufregenden Weg. Orientierungshilfe in puncto Industrie 4.0 erhalten die Leser dieser Fachzeitschrift deshalb von uns künftig verstärkt medien- und kanalübergreifend, neudeutsch: crossmedial – also im Heft, per Newsletter, auf der Website wie auch bei Round-Table-Gesprächen und Events.

Was Experten empfehlen
Um Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort zu sichern, erarbeitete der Arbeitskreis Industrie 4.0 im Auftrag der Bundes-regierung erste „Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0“. Koordiniert durch die Acatec, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, identifizierten die Experten acht Handlungsfelder, die sie in Berichtsform gossen. Handlungsbedarf sehen sie von der Standardisierung und Referenzarchitektur über eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur für die Industrie bis hin zu Sicherheit, Aus- und Weiterbildung sowie der Ressourceneffizienz. Der Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 ist als PDF per Download verfügbar: http://t1p.de/xcnr
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