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Urbane Produktion: Die Fabrik zieht zurück in die Stadt

Urbane Produktion
Die Fabrik zieht zurück in die Stadt

Schon heute müssen produzierende Unternehmen in gesteigertem Maße bestehende Wertschöpfungsnetzwerke stetig anpassen. In diesem Zusammenhang forscht das WZL der RWTH Aachen an Lösungen für die Fabrikplanung mit einem besonderen Fokus auf die innerstädtische Produktion.

Prof. Dr. Peter Burggräf, Matthias Dannapfel, Jérôme Uelpenich und Oliver Matzke
Abteilung Fabrikplanung, Lehrstuhl für Produktionssystematik, Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen

Megatrends wie Urbanisierung, Digitalisierung, Klimawandel und die Verknappung von Ressourcen zwingen Unternehmen seit mehreren Jahren dazu, ihre Produktionsnetzwerke und Standorte anzupassen. Urbane Produktion und die urbane Fabrik als neuartige Fabrikarchitektur wird als Antwort auf diese teils disruptiven Veränderungen gesehen. Der Kunde fordert zum einen eine schnelle Lieferung seines Produkts und eine räumliche Nähe zum Serviceangebot und zum anderen eine individuelle Leistungserstellung (die richtige Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort). Hierbei stehen große, zentrale Standorte im Widerspruch zur dezentralen, reaktionsschnellen Bedarfsdeckung durch urbane Standorte.

Eine stadtnahe Produktion kann durch geringe Logistikkosten und eine flexible Arbeitszeiteinteilung für Mitarbeiter sowie implizit weniger Emissionen durch kürzere Wege für Kunden und Belegschaft bestechen. Die Digitalisierung ermöglicht durch eine anwendungsgerechte Datenbereitstellung und eine intelligente Vernetzung der Fertigungsprozesse eine flexible und agile Produktion, die maßgeblich für den Erfolg einer lokalen Fertigung verantwortlich ist. Auf der Kehrseite stehen jedoch nicht nur Nachteile wie etwa eine begrenzte und mit hohen Kosten verbundene Flächennutzung, sondern auch Restriktionen, Herausforderungen und Fragen, die sich bei der Produktion im urbanen Umfeld stellen, beispielsweise Beschränkungen der Emissionsausstöße.

Fabrikplanungsprojekte im Greenfield und Brownfield verändern sich

Die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen führen ebenfalls zu Veränderungen in Fabrikplanungsprojekten im Greenfield und Brownfield. Die urbane Fabrik samt ihrer Anforderungen an das Produktionssystem wird als neuartige Fabrikarchitektur verstanden, welche neben ,Megafabriken’ (automatisiert, große Skalen, rural gelegen) und ,Nanofabriken’ (mobil, kleine Skalen, vernetzbar) eine mögliche Fabrik der Zukunft darstellt. Diese beschreibt eine Produktionsstätte, die sich bewusst in das städtische Umfeld integriert.

Um die Gesamtheit des Konzeptes der urbanen Produktion betrachten zu können, wurden die Anforderungen der urbanen Fabrik in Hinblick auf Unternehmen untersucht. Hierzu wurde ein dreistufiges Vorgehen angewandt, um verschiedene Herangehensweisen an die urbane Fabrik zu beschreiben. Die erste Stufe erklärt die urbane Fabrik als Kooperationspartner des globalen Fertigungsnetzwerks eines Unternehmens. Die zweite Stufe untersucht die Fabrik im Umfeld des Stadtgebietes. In der dritten Stufe werden die Fertigungsprozesse innerhalb der urbanen Fabrik betrachtet. Das WZL der RWTH Aachen hat innerhalb einer Forschungsarbeit die Prozess- und Fertigungsmittelplanung als Bereiche der Fabrikplanung und den Bezug zur urbaner Produktion untersucht.

Modell bewertet Machbarkeit von Fertigungsverfahren in urbaner Umgebung

Die Untersuchungen zeigen, dass zusätzlich zu bekannten Aspekten wie Flexibilität und Wandlungsfähigkeit neue Einflüsse wie die städtische Lage sowie neuartige Technologien und Fertigungsverfahren bei der Planung von stadtnahen Fabriken berücksichtigt werden müssen. Es wurde ein Modell entwickelt, welches passende Fertigungsverfahren in einer stadtnahen Fabrik untersucht. Basis dafür ist eine modifizierte Nutzwertanalyse, in der bestehende und neue Fertigungsverfahren – insbesondere unter Berücksichtigung neuer Herausforderungen und Rahmenbedingungen sowie technischer Befähiger – untersucht werden. In einem ersten Schritt wurden die Fertigungsverfahren in 14 Untergruppen gegliedert, um Prozesse und Fertigungsverfahren sinnvoll zu strukturieren. In einem zweiten Schritt wurden sieben Bewertungskriterien festgelegt:

  • Flächenbedarf
  • Emissionen
  • Individualisierung
  • Digitalisierung und Vernetzung
  • Automatisierungsgrad
  • Lean Production
  • Integrationsfähigkeit (in ein globales Produktionsnetzwerk)

Im dritten Schritt wurden die Einflussfaktoren und die Fertigungsverfahren in eine Nutzwertanalyse integriert. In Interviews mit Experten aus verschiedenen Branchen wurden erste Ergebnisse gewonnen, die das erarbeitete Modell in einem Fragenkatalog bewertet haben.

Integration in globales Produktionsnetzwerk höchst relevant für urbane Fabrik

Zu Beginn der Umfrage wurde die Liste der Kriterien über einen paarweisen Vergleich nach ihrer Relevanz gewichtet. Anschließend wurden die verschiedenen Fertigungsverfahren der 14 Untergruppen auf ihren Status quo sowie auf ihren Zielstatus hin untersucht. Die sich hieraus ergebene Potenzialanalyse veranschaulicht, inwiefern die Aspekte der Bewertungskriterien für eine urbane Produktion als wichtig erscheinen und ob Verbesserungspotenziale in den einzelnen Themengebieten bestehen.

Der Vergleich der Kriterien zeigt, dass die Integration der urbanen Prozesse in das globale Produktionsnetzwerk die höchste Relevanz aufzeigt und Emissionen sowie der Flächenbedarf eine sehr große Wichtigkeit aufweisen. Die weiteren Kriterien folgen mit einer relativ geringen Bedeutung für die urbane Produktion.

Das Ergebnisdiagramm der Potenzialanalyse zeigt die Differenz des Ist- und Soll-Zustands. Im Gegensatz zur Relevanz der beschriebenen Themen weisen die Automatisierung und darauffolgend die Digitalisierung und Vernetzung der Fertigungsverfahren die größten Verbesserungspotenziale auf. Die Individualisierung befindet sich aktuell auf einem weniger verbesserungsbedürftigen Stand. Emissionen, Lean Production, Platzbedarf und die Integration in das globale Produktionsnetzwerk weisen eine mittelmäßige Verbesserungsnotwendigkeit auf. Insgesamt lässt sich feststellen, dass in allen Aspekte der gewünschte Zielzustand noch nicht erreicht wurde.

Urbane Fabrik ist von den verwendeten Fertigungsverfahren abhängig

Letztlich lässt sich festhalten, dass nur durch die Integration der Fertigungsverfahren in bestehende, globale Produktionsnetzwerke Synergien der Globalisierung und zwischen dem städtischen sowie dem ländlichen Umfeld genutzt werden können. Außerdem kann es ohne eine Verringerung der ausstoßenden Emissionen und einer Reduzierung des benötigten Platzbedarfes nicht zu einer stadtverträglichen urbanen Produktion kommen. Die urbane Fabrik ist mithin von den verwendeten Fertigungsverfahren abhängig. Dabei müssen die positiven Einflüsse der stadtnahen Herstellung den Einschränkungen und Nachteilen eines urbanen Produktionsstandortes überlegen sein. Die Individualisierung und insbesondere eine Produktion der Losgröße eins, spielt für bisherige Unternehmen als Befähiger für urbane Produktion jedoch eine untergeordnete Rolle.

Bisher haben sich Unternehmen nur wenig mit dem Thema „Urbane Produktion“ auseinandergesetzt. Um das Bild einer urbanen Fabrik weiter zu schärfen, bedarf es eines interdisziplinären Austauschs zwischen Städten, Unternehmen und der Umwelt. Des Weiteren werden heute noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um das Bild einer urbanen Fabrik ganzheitlich zu erfassen. Das WZL der RWTH Aachen arbeitet in einer kollaborativen Arbeitsgruppe zu diesem Thema und initiiert eine „Organisation Urbane Produktion“ mit Stadt- und Industrievertretern auf dem Kongress „Exzellente Fabriken planen+bauen“ im Herbst dieses Jahres.

Veranstaltung zum Thema

Wer mehr zum Thema erfahren möchte, erhält auf dem Fachkongress „Exzellente Fabriken planen+bauen“ am 27. und 28. September in Aachen den nötigen Input. Namhafte Referenten präsentieren interessante Ergebnisse und Lösungen rund um das Thema ‚Urbane Fabrik‘ und ‚Fabrikplanung – Next Generation‘. Parallel zum Kongress finden themenverwandte Veranstaltungen unter einem Dach statt, wie die 9. Aachener Montage-Tagung, wodurch in den veranstaltungsübergreifenden Slots Synergien geschaffen und neue Kontakte geknüpft werden können. Weitere Infos unter www.exzellente-fabriken.de (siehe Kasten).


Informationen zum Fachkongress

  • Kongress: Exzellente Fabriken planen + bauen
  • Datum: 27. und 28. September 2017
  • Ort: Eurogress Aachen, Monheimsallee 48, 52062 Aachen
  • Tagungsgebühr: 1250 Euro (inklusive Tagungsunterlagen, Mittagessen, Pausenerfrischungen sowie die Abendveranstaltung)
  • Zielgruppe der Tagung: Produktions- und Fabrikplaner, Bauingenieure und Nutzer sowie Architekten
  • Referenten von Autodesk GmbH, Henkel AG, Goldbeck GmbH, Bayer AG, Deutsche Post DHL Group, Claas KGaA mbH, Daimler AG, WZL der RWTH Aachen sowie PEM der RWTH Aachen.
  • Anmeldung unter www.wzlforum.de. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, sodass ein effizienter Wissenstransfer im Dialog zwischen Teilnehmern und Referenten gewährleistet ist.
  • Kontakt: WZLforum an der RWTH Aachen, Maike Mertens, M.Sc., Tel. 0241/8023614, m.mertens@wzl.rwth-aachen.de
  • Weitere Informationen: www.exzellente-fabriken.de/
  • Veranstalter: Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT

www.wzl.rwth-aachen.de
www.ipt.fraunhofer.de

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