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Die USA werden zum Land des Mittelstands

US-Städte wie Grand Rapids sind Zentren des Wachstums
Die USA werden zum Land des Mittelstands

Investieren in den USA | Die Vereinigten Staaten sind fast ein Kontinent. Das prägt die ungeheuren Dimensionen dieses Wirtschaftsraumes. Obwohl die Scheinwerfer auf Megastädte und Weltkonzerne gerichtet sind, wird die Kraft und Dynamik vom amerikanischen Mittelstand geprägt. German Engineering und das duale Ausbildungssystem sind Vorbild.

Dipl.-Kfm. Hans-Andreas Fein Selbständiger Marketing- und Strategieberater in Stuttgart, spezialisiert auf deutsche und amerikanische Autozulieferer, Fabrikausrüster und Gebäudeausrüster

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind gemessen an Fläche und Bevölkerung ein Riese, aber im Export ein Zwerg. Die USA sind nach Fläche das drittgrößte Land der Erde, knapp hinter Kanada und etwas größer als China. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 15,6 Billionen Dollar im Jahr 2012 ist die amerikanische Wirtschaft noch immer doppelt so stark wie die zweitgrößte Volkswirtschaft China und fast fünfmal so groß wie Deutschland. Beim Export allerdings liegen die USA hinter China und kurz vor Deutschland mit dem drittgrößten Exportwert.
Rechnet man die Ausfuhren als Anteil der Wirtschaftsleistung, macht das Auslandsgeschäft der US-Wirtschaft 2012 nur knapp 10 % aus. Dagegen kommt das der Deutschen im Schnitt auf 41 %, in den starken Investitionsgüterbranchen noch mehr. Und während Deutschland als Export-Nation gilt, wird die US-Industrie überwiegend von der Binnenwirtschaft geprägt. Amerikanische Mittelständler haben die Auslandsmärkte nicht so stark im Blick. Doch diese Sichtweise wird sich in den kommenden Jahren stark ändern.
Während die deutschen „mittelständischen Multis“ der Größenklasse 1000 bis 2000 Mitarbeiter oft über bis zu 30 Tochtergesellschaften und einige Produktionsstätten in aller Welt haben, verfügen Firmen derselben Größe in den USA oft nur über zwei bis fünf Tochterfirmen, die ersten in Mexiko oder Kanada, weitere in China, Japan und in Europa. Und dennoch hängt in den USA die industrielle Landschaft beim genauen Hinsehen vor allem vom Mittelstand ab. Wer hätte das gedacht? Leider suggerieren Filme und allerhand Klischees sowie das große Medieninteresse an den börsennotierten Multis bis heute ein anderes Bild. Aber wie die jüngste Wirtschaftskrise zeigte, mussten die Großen Federn lassen.
Fast symbolhaft spiegelt sich in der Entwicklung der Megastädte das neue Bild in der Industrie: Während Los Angeles unter der Schuldenlast stöhnt und das große Detroit fast zerfällt, gibt es unter den Mittelstädten im Land regelrechte Boom-Towns, in denen die Wirtschaft sehr dynamisch wächst. Dazu gehören neben den Software-Zentren an der Westküste auch die Orte in der Nähe der Automobilwerke: Birmingham/Alabama mit dem Daimler-Werk Tuscaloosa, die Schwesterstädte Greenville und Spartanburg in South Carolina, wo BMW sein Werk hat, Chattanooga in Tennessee mit dem neuen Produktionsstandort von Volkswagen, Jackson/Mississippi mit seinem Nissan-Werk vor den Toren der Stadt und Lexington/Kentucky, wo ein großes Toyota-Werk zu Hause ist.
Breiter Aufgestellt ist das Wachstum in Städten mit traditionell mittelständisch geprägter Struktur an der Ostküste und im Mittleren Westen wie etwa Baltimore/Pennsylvania, der Metropole Cincinnati im Süden Ohios oder Grand Rapids in Michigan. Diese Orte bekommen im Ausland bisher wenig Beachtung, prägen aber das wirtschaftliche Wachstum des Landes ganz entscheidend mit.
Aus der Ferne betrachtet bevorzugt die amerikanische „Autofahrer-Seele“ nach wie vor großvolumige Fahrzeuge wie Vans, SUVs und Pick ups. Jedoch wird beim näheren Hinsehen sichtbar, dass sich in puncto Benzinverbrauch, Leichtbau und neue Werkstoffe sehr viel getan hat. Der massige F150, Fords Flaggschiff bei den Pick ups, wurde kürzlich durch eine komplette Aluminium-Karosserie und andere Maßnahmen um mehr als 300 kg abgespeckt. Die Gewichtsreduktion brachte dem in den Vereinigten Staaten beliebten Pritschenwagen über 20 % mehr Reichweite.
Bei der Gewichts-und Spritreduktion spielen auch ausländische Hersteller und Zulieferer ebenfalls eine gewichtige Rolle. Von allen Beschäftigten in den Autowerken des Landes arbeiten heute bereits 39 % in den sogenannten Transplants, also den Werken der japanischen, koreanischen und deutschen Automobilfirmen. Und diese haben ehrgeizige Pläne für den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten. Für diese zusätzlichen Werke werden auch entsprechende Kapazitäten in der nordamerikanischen Zulieferkette entstehen müssen, und so rückt eine neue Frage in den Vordergrund: Wie können die mittelständischen Zulieferer den notwendigen Kapazitäts-Aufbau in der Teilefertigung leisten? Eines der sichtbaren Zeichen sind große Investitionen in neue Fertigungsanlagen und in ausgeklügelte Produktions-Prozesse bei den vielen mittelgroßen Herstellern.
Mittelstand und Mittelstädte prägen die Dynamik
Exemplarisch für diese Dynamik ist der Großraum Grand Rapids im Westen Michigans. Mit über 1 Mio. Einwohnern ist die Region nach Detroit der zweitgrößte Ballungsraum in Michigan und eine Hochburg von mittelständischen Familienunternehmen. Die Stadt am nahegelegenen Lake Michigan ist die Nummer sechs in der Automobil-Branche, auf Platz neun in der Metallverarbeitung und die zwölftgrößte in der Kunststoffindustrie. Medizintechnik und Biopharma sind weitere industrielle Schwerpunkte. Aus den geschichtlichen Wurzeln der Holzverarbeitung entstanden im Umfeld auch die drei größten Büromöbelkonzerne der USA, Steelcase, Herman Miller und Haworth. Sie sind heute bedeutende metallverarbeitende Unternehmen.
Dieser breite Mix an Wirtschaftszweigen ist kennzeichnend für solche Kraftzentren wie Grand Rapids. Ebenso eine enge Zusammenarbeit der lokalen Firmen über die Branchengrenzen hinweg. So tragen die Autozulieferer viel zur Produktionseffizienz und professionellen Logistik auch in anderen Branchen der Region bei. Umgekehrt lernten die Hersteller von mechanischen Teilen von ihren Nachbarn viel über Elektronik. Und aus dem pragmatischen Austausch der Büromöbelindustrie mit der ansässigen medizinischen Krebsforschung entstand ein schnell wachsender Produktbereich an hochfunktionalen Labormöbeln, exakt zugeschnitten auf die Bedürfnisse in der Spitzenforschung.
Diese Form von natürlichem Austausch an runden Tischen, wie etwa des lokalen Manufacturing Councils, themenbezogenen Breakfast- oder Lunch-Meetings oder betriebsübergreifenden Arbeitsgruppen zu beruflicher Aus- und Weiterbildung, erleichtert Innovationen wie Kooperationen. Der unternehmerische Schwung ist in der Region am Lake Michigan geradezu greifbar.
Das zeigt sich bei den vielen mittelständischen Zulieferern aus Grand Rapids und Umgebung mit ihrer unerschöpflichen Innovationskraft. Anders als das Klischee es suggerieren mag, liegen die technischen Neuerungen auf so zentralen Gebieten wie Leichtbau, Werkstoffrecycling oder Fahrzeugelektronik und nicht nur in der Vernetzung von iPhone und Auto. Dazu gehören thermogeformte Unterbodenabdeckungen aus recyceltem Polyethylen wie von Corvac Inc., modulare Radkappen/Felgen-Systemen wie von Lacks Industries oder festigkeitsoptimierte Verbundmaterialien wie vom Kunststoffspezialisten Cascade Engineering – stets stammen die Entwicklungen von dynamischen Familienfirmen.
Vor diesem Hintergrund gewinnt der US-Markt auch für Mittelbetriebe aus Deutschland an Attraktivität, zumal deren hohe technische Kompetenz und Zuverlässigkeit dort sehr geschätzt wird. Und Mittelständler sind als Lieferanten und Partner willkommen. Davon profitieren im Großraum Grand Rapids über 80 internationale Firmen, darunter deutsche Zulieferer wie Benteler, Mahle, Swoboda, Suspa sowie Ausrüster wie Dematic, Bucher und Viastore.
Nicht zufällig ist West-Michigan mit dem Herzstück Grand Rapids auch die Region, die schon immer Wert auf berufliche Qualifizierung gelegt hat. So galten ein ausgebildeter „Tool Maker“, also ein Werkzeugmacher, oder ein „Skilled Machine Operator“, ein ausgebildeter Maschinenbediener, schon immer als Garanten für Qualität und Unternehmenserfolg. Trotz aller Schwächen des amerikanischen Schulsystems gehört Grand Rapids bei der Ausbildung zu den Top 3 im Land. Neben den Schulen gehören zahlreiche Qualifizierungs-Programme mit Unterstützung der sehr effektiven regionalen Wirtschaftsförderung, Studien und Lehrgänge an den praxisnahen Hochschulen schon lange zu den Erfolgsrezepten.
Nicht weniger effektiv sind die innerbetrieblichen Ausbildungssysteme wie die bei Cascade Engineering. Vielen war das Duale System Deutschlands schon immer ein Vorbild. Und durch die jüngsten Reisen von Präsident Barack Obama und noch mehr von Michigans Governor Rick Snyder nach Deutschland mit besonderem Interesse an der beruflichen Ausbildung hierzulande bekamen diese Programme neue Impulse.
Mit ihrer kraftvollen Dynamik und Flexibilität werden sich die amerikanischen Mittelständler immer stärker durchsetzen. Mit einem Qualitätsanspruch nach Art des German Engineering und einer Ausbildung wie im Dualen System sind sie ein Vorbild auch für die US-Multis. Die Tür ist offen: Die Mittelständler aus den mittelgroßen Metropolen haben eine enorme Kraft und ein fast grenzenloses Potenzial. „So let’s go and do it“ würde der Amerikaner da sagen. •
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