Wenn Lufthansa Technik ein Großraumflugzeug in ein VIP-Flugzeug mit exklusiver Ausstattung umbaut, steht zu Beginn die „Entkernung“ der Rumpfstruktur des Flugzeugs an. Das heißt, alle Serieneinbauten werden ausgebaut, um Platz zu schaffen für die neue Kabine mit ihren Möbeln und Systemen. „Aber es bedarf erheblicher Entwicklungsarbeit und einiger handwerklicher Geschicklichkeit“, sagt Sebastian Riedemann, Projektmanager bei Lufthansa Technik. Eine Herausforderung besteht nach seinen Aussagen darin, dass die Kabelführung und die Kabelkanäle des Flugzeugs in den 2D-Schaltplänen des vorhandenen Flugzeugs dokumentiert werden. Diese Diagramme bieten jedoch keine spezifischen Informationen über die räumliche Lage der Kabel und Kanäle. Daher kann die Raumplanung für die neuen Kabel nicht zuverlässig vor der Ankunft des Flugzeugs erfolgen. Riedemann: „Unsere Ingenieure können lediglich 2D-Schaltpläne erstellen – die endgültige Koordination ist erst nach der Ankunft des Flugzeugs möglich. Dies hat zwei Auswirkungen: Erstens haben die Möbeldesigner kein Digital Mock-up, mit dem sie Kollisionen überprüfen können. Zweitens haben die Mechaniker am Dock, die die Kabel und Leitungen installieren, keine digitalen Hilfsmittel, um die Kabelführung mit den Kollegen anderer Gewerke, die im Flugzeug arbeiten, zu koordinieren.“
Genau hier setzt Lufthansa Technik eine selbst entwickelte Augmented-Reality-Lösung (AR) ein. Sie wird aktuell im neuen, vor wenigen Wochen in Betrieb genommenen 5G-Campusnetz der Lufthansa-Tochtergesellschaft am Hamburger Flughafen erprobt. Gemeinsam mit Vodafone hat Lufthansa Technik das 8.500 m2 große Netz aufgebaut, das in einer ersten Phase zunächst drei Monate getestet wird. Die Netztechnik ist dabei vom Server über das Kernnetz bis zur Antenne autark und basiert auf dem sogenannten 5G Stand Alone Standard (5G SA). Das heißt, sämtliche Daten werden vor Ort in einem kleinen Rechenzentrum verarbeitet. Das ermöglicht den Datenfluss in Echtzeit. Das Netzwerk bietet Latenzzeiten von weniger als 10 ms und Bandbreiten von mehr als 1 Gbit/s.
Sehr stabile Datenübertragung auch im Flugzeugrumpf
Dies ist für die AR-Anwendung von Lufthansa Technik gut, denn die Übertragung der umfangreichen CAD-Daten auf das Endgerät erfordert hohe Bandbreiten – und zwar auch im Inneren der geparkten Flugzeuge. Das 5G-Netz muss deshalb auch deren Rümpfe aus Aluminium oder Composites möglichst gut durchdringen. „Unsere ersten Tests haben gezeigt, dass eine sehr stabile Datenübertragung ohne Verbindungsverluste auch in geschlossenen Räumen wie dem Flugzeugrumpf in unserem Projekt möglich ist“, berichtet Riedemann.
Neben den hohen Datenübertragungsraten hat 5G für ihn „weitere Stärken, die diese Technologie äußerst interessant machen“. Dazu gehöre das sogenannte Beamforming, eine Funktion, die es ermöglicht, lokal unterschiedliche Bandbreiten bereitzustellen. „Wenn die Antenne erkennt, dass sich viele Geräte in einem bestimmten Bereich und weniger in anderen Bereichen befinden, werden der Empfang und die Übertragung automatisch auf die Zone mit mehr Geräten ausgerichtet, um sicherzustellen, dass deutlich höhere lokale Datenraten zur Verfügung stehen. Das System nimmt alle notwendigen Einstellungen selbstständig vor“, erklärt der Projektmanager. Lufthansa Technik kann das 5G Campusnetz außerdem nach eigenen Wünschen und dem jeweiligen Bedarf frei konfigurieren, zum Beispiel das Verhältnis zwischen Upload- und Download-Geschwindigkeiten.
Der Test zeigt: Mit Hilfe der AR-Technologie und 5G sind Ingenieure und Facharbeiter bei Lufthansa Technik in der Lage, die CAD-Modelle aller geplanten Möbel und Kanäle in der leeren Kabine zu visualisieren. So kann das Fertigstellungsteam schnell feststellen, ob Installationen mit bestehenden Systemen kollidieren werden. Das Team kann auch ein eigenes Digital Mock-up erstellen, indem es Kanäle und Kabel in AR zeichnet. Dieses Bild wird dann in das digitale Versuchsmodell exportiert und kann von allen Teammitgliedern in Echtzeit betrachtet werden.
Im nächsten Schritt will Lufthansa Technik eine Fernunterstützungsfunktion zwischen Facharbeitern und Ingenieuren über das 5G Campusnetz erproben. Riedemann: „Stellt ein Mitarbeiter fest, dass etwas nicht passt, kann er einen Ingenieur per Videostream in die AR-Welt bringen. Der Ingenieur kann dann die notwendigen Änderungen direkt im 3D-CAD vornehmen. Der Mitarbeiter verfolgt diesen Prozess in Echtzeit und kann überprüfen, ob die Änderungen das Problem gelöst haben. Dieser Ansatz ermöglicht beträchtliche Einsparungen bei den Wartezeiten, der Reisezeit und der Dokumentation.“
Lufthansa Technik gehört zu den 28 Unternehmen in Deutschland, die Stand Mitte März 2020 über eine Lizenz der Bundesnetzagentur für den Aufbau lokaler 5G-Netze im Frequenzbereich von 3,7 bis 3,8 GHz verfügen. Nach Auskunft der Bundesnetzagentur sind bislang 34 Anträge auf Zuteilung eingegangen. Seit Ende November läuft das Antragsverfahren.
Viele der Unternehmen, die über Lizenzen verfügen, wollen diese wie Lufthansa Technik für die Digitalisierung und Automatisierung ihrer Fertigung nutzen – allen voran die Automobilhersteller BMW, Daimler, Audi, Volkswagen und E-Go. Daimler lässt das 5G Campusnetz in der sogenannten „Factory 56“ im Mercedes-Benz Werk in Sindelfingen vom Telekommunikationsunternehmen Teléfonica aufbauen. Den Betrieb übernimmt der Autobauer selbst.
BMW geht einen anderen Weg: Das neue 5G-Netzwerk im Werk in Dingolfing wird vom Rosenheimer Unternehmen M3connect geplant und betrieben. Es ist im Februar in die Praxisphase gegangen, und zwar innerhalb des Forschungsprojekts „Autonomous and Connected Logistics“. Es geht dabei also vor allem um den Betrieb von autonomen Transportsystemen, Logistikrobotern und mobilen Geräten in der vollvernetzten Produktion. Und am BMW-Standort in Leipzig hat die Deutschen Telekom im Februar ein Campusnetz in Betrieb genommen, das noch auf dem LTE-Standard basiert, aber für 5G nachgerüstet werden kann. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Stand Alone Netzwerk wie bei Lufthansa Systems, sondern um ein sogenannte Dual-Slice-Lösung, die privates und öffentliches Mobilfunknetz miteinander verbindet.
Das chinesische Joint Venture BMW Brilliance Automotive (BBA) hat alle drei Werke seit Sommer 2019 bereits flächendeckend mit 5G-Mobilfunk ausgestattet – etwa um große Mengen an Prüfdaten in Echtzeit von Fahrzeugen ins Rechenzentrum zu übertragen. Auch hier hat sich BMW für den Netzbetrieb Partner an Bord geholt.
Bosch plant Robotersteuerung per 5G aus der Cloud heraus
Automobilzulieferer Bosch hat zwei Lizenzen für 5G Campusnetze bei der Bundesnetzagentur beantragt: Eine für sein großes Werk in Stuttgart-Feuerbach, die andere für den Forschungscampus in Renningen. Laut Andreas Müller, Forscher bei Bosch und gleichzeitig Vorsitzender der internationalen Allianz 5G-ACIA, sorgt ein 5G-Netzwerk in der Fabrik nicht nur für eine effiziente Vernetzung mobiler Endgeräte und drahtloser Sensoren, sondern es stellt gleichzeitig die Grundlage für komplett neue Systemkonzepte dar. So könne beispielsweise mittels 5G die Steuerung eines mobilen Roboters in Echtzeit aus einer lokalen Cloud in der Fabrik heraus erfolgen. Das reduziert Kosten, erhöht die Flexibilität und vereinfacht die Wartung.
Auch die Bedienung der Maschinen werde optimiert. „Geht man heute in eine Fabrik, hängt an nahezu jeder Maschine ein Bediengerät mit einem Not-Halt-Schalter. Wenn ich den Schalter drücke, bleibt die Maschine stehen. Mit 5G können viele dieser stationären Bedienelemente durch ein mobiles Endgerät ersetzt werden, inklusive der Not-Halt-Funktion. Auf diese Weise wird die Arbeit komfortabler und wir sparen gleichzeitig Kosten“, so Müller.
Es sind also vor allem große Unternehmen, die bislang Lizenzen für 5G Campusnetze beantragt haben. Lohnt sich dies auch für kleine und mittelständische Unternehmen? „5G ist definitiv keine Nummer zu groß. 5G kann auch Mittelstand“, stellt Kenan Seba, Geschäftsführer von Seba Consulting, in einem Gastbeitrag auf dem Webportal Fuenf-G klar. „Wichtig für die Entscheidung, ob 5G zum Einsatz kommen soll, ist zunächst einmal, die Bedürfnisse des eigenen Produktionsablaufs auszuarbeiten.“ Mittelständler müssen dabei auch nicht mit den großen Netzbetreibern oder -ausrüstern zusammenarbeiten: Es gibt nach Sebas Aussagen „eine ansehnliche Zahl an 5G-Netzausrüstern, die recht gut die Bedürfnisse des Mittelstands abbilden können“ – und dies „zu tragbaren Kostenstrukturen für den Mittelstand“.
Neben dem Aufbau und dem Betrieb des Netzes fallen natürlich auch Kosten für die Lizenz an. Im Gegensatz zu öffentlichen Mobilfunknetzen werden diese lokalen Frequenzen nicht versteigert, sondern von der Bundesnetzagentur gegen Gebühren und Beiträge erteilt. Diese errechnen sich laut der Behörde aus einem Sockelbetrag von 1.000 Euro, der zugeteilten Bandbreite (mindestens 10 bis maximal 100 MHz), der Laufzeit der Zuteilung in Jahren sowie aus der Fläche des Zuteilungsgebietes in Quadratkilometer, unterschieden nach Siedlungs- und Verkehrsflächen und anderen Flächen. Ein Beispiel Bei einer Bandbreite von 100 MHz kostet eine Lizenz bei 1 km2 Fläche über eine Laufzeit von zehn Jahren 31.000 Euro. Dabei muss ein Unternehmen die Frequenzen auch nicht zwingend alleine beantragen, so der Hinweis von Thomas Heutmann, Referatsleiter bei der Bundesnetzagentur. „Es ist vorteilhaft, dass mehrere Grundstücksinhaber, zum Beispiel eines Gewerbegebiets, einen gemeinsamen Antrag auf Frequenzzuteilung für das gesamte Gebiet stellen.“
Mehr Informationen zum Thema Campusnetze bietet der 5G-Industrie Summit, den die Deutsche Messe Technology Academy am 2. September 2020 in Hannover gemeinsam mit dem Industrieanzeiger veranstaltet: Mehr Informationen: http://hier.pro/eezRC