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Schnell zur Sache

Digitale fabrik: Datendurchmarsch senkt kosten und spart zeit
Schnell zur Sache

Noch ist die virtuelle Fabrikumgebung Vision. Damit die realen Fertigungsabläufe von der digitalen Produktentwicklung profitieren können, arbeiten Industrie und Forschung in vielen Projekten – und nähern sich schrittweise dem ehrgeizigen Ziel.

Sind die herkömmlichen Fabrikstrukturen am Ende? Droht selbst hochgerüsteten Werken trotz moderner Produktionskonzepte der Garaus? Zu unflexibel in einem höchst turbulenten Umfeld, zu ineffizient im Nutzen der Ressourcen, zu hohe Anlaufverluste und zu lange Durchlaufzeiten, warnen die Kritiker. Viel Zündstoff! Dabei gibt es doch in Deutschland „die härtesten Leistungsanforderungen und wir können die besten Fabriken der Welt bauen – mit allem, was Fabriken brauchen“, konstatiert Professor Engelbert Westkämper.

Dass der Stuttgarter Produktionsexperte aber auch die Ansicht der Kritiker teilt, hat Grund: Für den Leiter des Uni-Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) sowie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) ist der Blick auf die Märkte von Morgen Profession. Was der Wissenschaftler dort zu erkennen vermag, verlangt von den Produktionsstätten „eine nie gekannte Anpassungsfähigkeit und Flexibilität“, formuliert der Professor künftige Anforderungen. Auslöser sind die Kunden, die in immer kürzerer Zeit individuellere und variantenreichere Lösungen verlangen. Zeit wird zum entscheidenden Faktor – und mithin die Fähigkeit einer Fabrik, sich ständig verändern und adaptieren zu können.
Umso mehr muss die Gesamtleistung des Systems Fabrik gesehen werden, und nicht nur die Leistung einzelner Prozesse. Wenn Wandlungsprozesse extrem beschleunigt werden, schließt dies alle Ebenen ein: vom Produktionsnetzwerk samt Zulieferern über Standorte und Produktionssysteme bis runter zu den Arbeitsplätzen, Maschinen und Prozessen. Kontinuierliches Optimieren von Produktionsstrukturen, Fabriklayouts und Einrichtungen wird in Zukunft auf der Tagesordnung stehen. Kurzum: Gefragt sind Konzepte, die die Umgestaltung der Fabrik beschleunigen und sie effizienter machen.
Hilfreich sei es, „Fabriken als Produkte zu verstehen“, setzt Westkämper den Rahmen für das ehrgeizige Thema. „Damit dieses oft langlebige Produkt ständig die wirtschaftlich optimalen Betriebspunkte erreicht, muss es permanent angepasst werden.“ Hierfür werde das Industrial Engineering, also die Arbeits- und Prozessplanung, mit Werkzeugen der digitalen Fabrik und modularen Produktionssystemen verknüpft, gibt der Institutschef die Richtung vor. Nur wenn dies im Virtuellen durchgeführt werde, fordert Westkämper ein neues Verständnis ein, „lassen sich Veränderungen beim Produkt und in der Fertigungsstruktur schnell herbeiführen“.
Sein Vorgriff auf die Zukunft basiert auf dem Manufuture-Projekt. In dieser europäischen Dach-Initiative arbeiten Industrie, Politik und Wissenschaft gemeinsam daran, einen Wandel in der Struktur der europäischen produzierenden Industrie einzuleiten. Entstanden ist auch ein Referenzmodell, eine Art Blaupause für das Gestalten von Fabriken und Prozessen. Als Ergebnis sehen die Ingenieurwissenschaftler die Schaffung eines eigenen Produktionssystems, denn, so Westkämper, „japanische Produktionsmethoden nachzumachen reicht nicht, um im Wettbewerb zu gewinnen“.
Damit steht fest: Zeit und Aufwand für das Engineering von Fabriken, Produkten und Produktionen müssen drastisch verkürzt werden. Das Grundkonzept baut auf einer ganzheitliche Sicht, wobei neben dem Schulterschluss von Konstruktion und Produktion auch durchgängige, integrierte IT-Werkzeuge eine zentrale Rolle spielen. Doch während das Produkt-Engineering mit digitalen Tools auf Effizienz getrimmt wird, hat die Entwicklung der digitalen Produktion in den Unternehmen noch kaum Fuß gefasst.
Verantwortlich dafür ist der Bruch zwischen den Welten der Konstrukteure und der Produktioner. Die Lücke verwehrt den eingesetzten IT-Werkzeugen die Durchgängigkeit und versperrt ihnen die Nähe zur Realität. Doch eben diese ist wichtig, um die Produktion virtuell so lange zu verbessern, bis alle Fehler und Probleme so weit behoben sind, dass der realen Fabrik ein ausgereifter Prozess zur Verfügung steht. Aber auch der umgekehrte Weg ist wichtig: Bei einer Modernisierung kann direkt auf das digitale Modell aufgesetzt und entsprechend geändert werden.
Um die Lücke zu schließen, arbeiten Industrie und Wissenschaft mit Hochdruck. Als gangbarer Weg für die Kopplung „digital – real“ gelten vor allem Plattformen für das Datenmanagement. Erfolge auf ersten Etappen kann auch Michael Sauter vorweisen. Laut dem Zentraleuropa-Chef von PTC mit Sitz in München-Unterschleißheim verfolgt der US-Softwerker die Maxime, „mit überschaubarem Aufwand großen Nutzen zu erzielen“.
Sauter hält nichts davon, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen. Das Gros seiner Kunden sehe die Herausforderung darin, von der Engineering- in die Fertigungs-Welt zu kommen. Erst wenn dies geschafft sei, was die PTC-Lösung Windchill MPMLink nahtlos ermögliche, könnten weitere Schritte erwogen werden, etwa die virtuelle Inbetriebnahme und die virtuelle Fabrik.
Um Entwicklung und Produktion zu verzahnen, haben die PTC-Entwickler ein integrales Datenmodell geschaffen, das Schnittstellen vermeidet. Das Augenmerk liegt dabei auf der gesamten Prozesskette. Zwei Herausforderungen galt es zu meistern: „Die Engineering- und die Produktionsstückliste müssen aus einer Liste bestehen und das Know-how darüber, wie eine Fertigung zu planen und wie Ressourcen einzubinden sind, muss verknüpft sein“, betont der Geschäftsführer. Überhaupt setze die Integration der Konstruktion mit der Fertigung eine Menge Prozess-Wissen voraus. PTC habe deshalb zwei Dutzend Kernprozesse für verschiedene Aufgaben in unterschiedlichen Branchen der Fertigungsindustrie definiert. Um dieses Prozess-Know-how datentechnisch abbilden zu können, hat der PLM-Anbieter vor drei Jahren den Lösungsanbieter Polyplan übernommen. In einem Kraftakt wurde der Quellcode der Polyplan-Software, die Arbeits- und Prozesspläne erstellt und Engineering-Daten aufnimmt, komplett neu geschrieben und auf die integrale PTC-Windchill-Architektur angepasst. Entstanden ist so das Modul Windchill MPMLink, das zusammen mit der PLM-Lösung Windchill „eine Datenbasis bildet, die durchgängig funktioniert“, hebt Sauter den Nutzen hervor.
Ein Anwender plant damit seine Fertigung mit dem gleichen System, mit dem er auch die Produkte entwickelt. Doch das Produkt und der zugehörige Fertigungsprozess werden nicht nur parallel definiert. Auch das Änderungsmanagement erfolgt auf diesem Weg. Jede Änderung in der Konstruktion wirkt sich sogleich auf die Ressourcen aus. Umgekehrt kann damit aber auch die Entwicklung an die Produktionsmöglichkeit einzelner Werke angepasst werden. Auf diese Weise verkürzt sich laut Sauter die Gesamtdurchlaufzeit deutlich, zugleich steige die Qualität der Planungsprozesse.
Auch Siemens-Manager Dr. Wolfgang Schlögl sieht die Entwicklung rund um die Digitale Fabrik „an einem Punkt, an dem sich das Thema massiv ändert, erweitert und fortentwickelt“. Aufgrund der Perspektiven, die Anwendern sich künftig bieten sollen, liebäugelt er mit dem Begriff „Digitale Fabrik 2.0“. Den Status quo sieht er vor allem auf die Produktionsplanung gerichtet. „Doch erst wenn auch die Aufgaben in der Elektrik und Automatisierungstechnik mit einbezogen werden, entstehen Rechnermodelle der Produktionsanlagen, die vollständige digitale Spiegelbilder der realen Produktion darstellen“, argumentiert Schlögl die Generationsfolge 2.0. Dann könnten sich Produktionsbetriebe über den gesamten Produktionslebenszyklus hinweg neue Optimierungs- und Rationalisierungspotenziale erschließen.
Der Digital-Engineering-Manager bei Siemens leitet seit dem Vorjahr ein Projekt, das die digitalen Fabriksysteme von Tecnomatix mit Simatic-Softwareprodukten integriert. Mit deren Zusammenführung begegnet Siemens laut Schlögl „schon jetzt den künftigen Anforderungen, die an Planung und Engineering gestellt werden“. Das Augenmerk legt er auf Daten, die heute noch in getrennten Systemen lagern und zusammengeführt werden müssen – Daten, die aus Aufgabenstellungen der Mechanik, Elektrik, Automatisierung und des Fabrikablaufs resultieren.
Ein Merkmal der Digitalen Fabrik 2.0 sind für Wolfgang Schlögl exakt an die Realität angepasste Datenmodelle, die direkt in den Fabrikbetrieb übernommen werden können. Auf diese Weise lasse sich das mechatronische Planungsmodell auch mit einer realen Fabriksteuerung betreiben, und zwar sowohl mit einer SPS als auch mit PPS- und MES-Systemen. Folgerichtig hat er die synchrone digitale Fertigung im Visier. Schlögl: „Wenn die mechatronischen Engineering-Daten integriert und mit den Daten und Prozessen aus der realen Produktion abgeglichen sind, gewährleistet dies zum ersten Mal eine Datensynchronisation zwischen allen Lebenszyklusphasen einer Produktion und allen daran Beteiligten.“ Dann würden sich auch Veränderungen der realen Fabrik zurück in das digitale Modell synchronisieren lassen. Basierend auf der aktualisierten digitalen Welt schaffe dieses Vorgehen wiederum neue Ansätze, um Anlagen zu steuern, zu visualisieren oder zu warten.
Bei alldem sei ein durchgängiger Daten-Backbone für die Beteiligten entscheidend, hebt Schlögl auf das Thema Datenmanagement ab. Darauf zielt auch die Langfristperspektive, die Prof. Engelbert Westkämper verfolgt, zumal in einer virtuellen Fabrik riesige Datenbestände entstehen. Ihm schwebt ein Satz von Daten über den wirklichen Stand einer Fabrik. Das aber ist ein Schwachpunkt in vielen Betrieben. „Es gibt in enormes Defizit, eine saubere Struktur von Fabrikdaten zu zu managen“, weiß der Professor. Das sei „vermutlich die eigentliche Schlüsseltechnologie“ des Themas Digitale Fabrik.
Fabrik 2.0: Übergang digital – real gewinnt Kontur

Neue technologien
Fabriken müssen sich mit Blick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit wandeln können und ständig anpassbar sein. Trotz Veränderung müssen sie Hochleistung erbringen. Eine Strategie zielt darauf ab, die digitale mit der realen Fabrik zu koppeln. Forscher und Industrieexperten betonen, dass nur der geschlossene Kreis aus digitaler Planung, Auftragsmanagement und realer Produktion auf Dauer überhaupt einen Mehrwert in Planung und Produktion bringen wird.

„Auch für Maschinenbauer ein Riesenthema“

Nachgefragt

Was verspricht der Übergang von der digitalen in die reale Fabrik?
Die Durchlaufzeiten im Gesamtprozess verkürzen sich deutlich. Zudem steigert der synchronisierte Ablauf die Qualität, weil im Vorfeld des Produktionsanlaufs geändert wird und nicht danach. Das wiederum senkt die Kosten. Ramp-up-Kosten fallen ja nicht nur in der Automobilindustrie an. Auch die mittelständische Fertigungsindustrie belasten Anlaufkosten. Deshalb ist es gerade für den Maschinenbau ein riesiges Thema.
Wo hat die Fertigungsplanung ihren größten Schwachpunkt?
Liegt ein Produkt nach der Entwicklung digital vor, gelangen die Daten nicht nahtlos in den Fertigungsprozess. Das ist die größte Schwachstelle. Dazu müsste man den Prozess, etwa für die Arbeitsvorbereitung, kennen, also die Schritte dazu und die Verzweigungen. Der Schritt in die Produktionsvorbereitung und die anschießende Fertigungsprozessplanung ist ein umfangreicher und anspruchsvoller Prozess.
Und wo drückt die Anwender am meisten der Schuh?
Sie brauchen maximale Flexibilität, wenn sie über die einzusetzenden Ressourcen entscheiden müssen. Wie wirken sich Änderungen, die in der Entwicklung vorgenommen werden, auf die Arbeitspläne und die Ressourcen aus? Das zu wissen, darauf kommt es an. Doch das geht heute nicht.
Was macht Sie so sicher in Ihrer Ansicht?
Wir stoßen in den Betrieben auf diese Probleme. Dass sich PTC hier so engagiert, liegt auch daran, dass uns die Kunden dorthin treiben. Deshalb haben wir die Lücke zwischen Engineering und Fertigung geschlossen. Unser integrales Windchill-Modul MPMLink ermöglicht es, ein Produkt zu entwickeln und parallel dazu die Fertigung zu planen – mit einem einzigen System, nahtlos und ohne Datenbruch.
Welche Betriebsgröße ist dazu nötig?
Ab einer mittleren Betriebsgröße ist der Ansatz für Unternehmen höchst interessant, da diese mit dem Systemgedanken vertraut sind. Gerade beim mittelständisch geprägten Maschinenbau kommt das Thema jetzt langsam an. dk

Nah am Wandel

Lernfabrik

Damit auch mittelständische Unternehmen ihre Fabrik wandlungsfähig machen können, gibt es seit kurzem eine Schulung für Industrial Engineers. Ihnen bietet das Stuttgarter Universitätsinstitut IFF in seiner Lernfabrik eine nachuniversitäre Ausbildung, die in Abstimmung mit den Verbänden MTM und Refa erfolgt.
Unter dem Label „advanced Industrial Engineering“ kombiniert die Lernfabrik ein flexibles konfigurierbares Fertigungs- und Montagesysteme mit digitalen Lerninseln samt allen Werkzeugen der digitalen Fabrik. Die Teilnehmer lernen, Fabriksysteme in der digitalen Welt zu entwickeln und zu konzeptionieren. Der Clou: Sie können das Konzept auch physisch in der Werkstatt verändern. Das digitale System erkennt die reale Konfiguration. Viele technische Neuheiten der Wandlungsfähigkeit wurden implementiert. Die Teilnehmer setzen die Ergebnisse anschließend direkt in der realen Fabrik um und testen sie.
Wer in der Lernfabrik ausgebildet wird, lernt den Umgang mit den modernsten Werkzeugen. Im überschaubaren Maßstab wurde hier das Modell der digitalen und wandlungsfähigen Fabrik bereits realisiert.
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