Der aktuelle Entwicklungsstand von KI-basierten Anwendungen lässt sich am besten an den Fortschritten beim autonomen Fahren ablesen. Dabei müssen kontinuierlich ebenso komplexe wie dynamische Vorgänge wahrgenommen, analysiert und in Handlungen umgesetzt werden. Inzwischen machen diese Systeme nicht mehr Fehler als das Vorbild Mensch. In naher Zukunft werden sie uns in puncto Sicherheit und Effizienz überlegen sein. Der Durchbruch von Künstlicher Intelligenz im Industrie-4.0-Umfeld steht indes noch aus. Zwar soll sich laut einer Prognose des Branchenverband Bitkom der Umsatz in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Cognitive Computing und Machine Learning in den nächsten drei Jahren auf 21,2 Mrd. Euro mehr als verfünffachen – aber das zeigt weniger die aktuelle Akzeptanz als vielmehr das zukünftige Potenzial, das in diesem Thema steckt.
Die Berater von McKinsey rechnen in ihrer 2017 veröffentlichten Studie „Smartening up with Artificial Intelligence (AI) – What’s in it for Germany and its Industrial Sector?“ vor, dass sich das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands durch den konsequenten Einsatz von intelligenten Robotern und selbstlernenden Computern bis 2030 jährlich um 4 % steigern ließe. Dies entspricht einem zusätzlichen jährlichen Wachstum von 0,25 Prozentpunkten oder insgesamt einer Summe von 160 Mrd. Euro.
Für den wachsenden Einsatz Künstlicher Intelligenz im Industrie-4.0-Umfeld sprechen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch technische Gründe: Sie können zum Beispiel als Cloud-Service angeboten werden und sind damit omnipräsent verfügbar. Gleichzeitig sinken die Investitionskosten und die Anwendungsreife steigt dank lernfähiger Algorithmen. Die aktuellen KI-Entwicklungen unterscheiden sich deutlich von den Ansätzen in der Vergangenheit. Wurde früher versucht, mit leistungsstarken Rechnern riesige Datenmengen durchzurechnen, setzen die Forscher heute primär auf selbstlernende Systeme, die in Echtzeit mit Menschen und Maschinen kommunizieren, sich dabei an frühere Interaktionen erinnern und eigenständig Schlüsse ziehen können. Dabei analysieren sie mit Hilfe von Sensoren ihr Umfeld und verarbeiten in Echtzeit große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen.
Mögliche Anwendungsbereiche
Drei Einsatzgebiete für KI im Umfeld von Industrie 4.0 zeichnen sich ab: die Automatisierung von Vorgängen und Prozessen, die automatisierte Datenverarbeitung sowie die automatische Mustererkennung. Die Automatisierung von Routineaufgaben wird damit eine der vorrangigen Anwendungen für intelligente Programme und Maschinen. Sie ermöglicht beispielsweise eine gezielte Fehleranalyse und damit eine bisher unerreichte Qualitätssteigerung. Dabei wurden gerade in den letzten Jahren technische Durchbrüche erreicht: Lag die Fehlerrate bei computergestützter Bilderkennung 2010 noch bei 28 %, waren es 2016 weniger als 5 %.
In der Praxis sieht das so aus: Ein Sensor, ein Antrieb oder ein Bildverarbeitungssystem lernt im Realbetrieb und optimiert auf Basis der gewonnenen Informationen die aktuellen Betriebsparameter. Diese einzelnen Daten können meist auf ähnliche Prozesse übertragen werden. Ein konkretes Beispiel dafür ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung von Maschinen und Werkzeugen mithilfe Künstlicher Intelligenz. Hierbei werden historische Maschinendaten analysiert, um Vorhersagen über den zu erwartenden Ausfall eines Bauteiles zu treffen. Um die Funktionsfähigkeit einer Predictive-Maintenance-Lösung zu gewährleisten, arbeitet das zugehörige KI-System in einer Trainings- und in einer Anwendungsphase. Die Aufgaben beider Phasen unterscheiden sich grundlegend. Während der Trainingsphase werden typische Zusammenhänge auf Basis der bestehenden Datensätze dokumentiert. Dabei werden meist große Datenmengen, normalerweise alle verfügbaren historischen Daten, verwendet. In der Anwendungsphase steht dagegen der einzelne Datensatz im Fokus. Dieser wird auf Basis der bisherigen Erkenntnisse für Vorhersagen bewertet.
Die McKinsey-Berater erwarten eine um 20 % verbesserte Anlagennutzung, wenn durch KI die Wartungsarbeiten vorausschauend durchgeführt werden. Durch die gezielte Zusammenarbeit von Robotern und Mitarbeitern soll darüber hinaus die Produktivität bei einzelnen Arbeitsschritten um weitere 20 % wachsen. Bei der Qualitätssicherung durch KI – etwa durch automatische visuelle Fehlererkennung – halten die Wirtschaftsberater eine Produktionssteigerung um 50 % und eine Reduktion des Ausschusses von bis zu 30 % für realisierbar.
Aber auch für ERP- und MES-Systeme sind zukünftig KI-Anwendungen denkbar. Dafür eignen diese sich bestens: Denn die Systeme arbeiten mit Regeln und sind bereits in leistungsstarke Rechenstrukturen integriert. Meist ist auch eine große Datenbasis vorhanden. Der nächste Schritt, aus diesen vorhandenen Daten zu lernen und daraus Optimierungsvorschläge abzuleiten, ist nur logisch. Auch hier wagen die McKinsey-Spezialisten eine präzise Prognose: Ihrer Einschätzung nach kann eine Optimierung der Lieferkette – beispielsweise durch exaktere Abverkaufsprognosen – zu einer Reduktion der Lagerhaltungskosten um bis zu 50 % führen. In der Forschung und Entwicklung sind demnach Kostenreduktionen von 10 bis 15 % sowie 10 % schnellere Markteinführungszeiten möglich.
Zu den Branchen, die vor allen anderen aktuell bereits auf KI-Technologien setzen, zählen die Automobilindustrie und das verarbeitende Gewerbe. Als Zielsetzung werden dabei nach der Potenzialanalyse „Künstliche Intelligenz“ von Sopra Steria Consulting vor allem die Beherrschung der stetig wachsenden Datenmenge, die Reduzierung der Arbeitskosten sowie eine Beschleunigung der Prozesse genannt.
Zwar erwarten branchenübergreifend fast acht von zehn Entscheidern (78 %) positive Auswirkungen des KI-Einsatzes auf die Personalkosten in der Produktion. Allerdings befürchten die befragten Führungskräfte nicht, dass menschliche Arbeit weiträumig durch Roboter ersetzt werden. Der Fokus von KI-Systemen liegt momentan darin, mit intelligenten Assistenzsystemen monotone sowie gefährliche Tätigkeiten deutlich zu reduzieren und zu unterstützen.
Lesen Sie zu diesem Thema auf den nächsten Seiten auch das Interview mit Prof.
Dr. – Ing. Martin Ruskowski, Leiter des Forschungsbereichs Innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).