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Interview mit Dassault-Systèmes-Geschäftsführer Andreas Barth

Interview
Warum Dassault-Systèmes-Geschäftsführer Andreas Barth auf den Prozess setzt

Firmen im Artikel
Die Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation lohnt sich für den Mittelstand mehr denn je. Allerdings müssen die Unternehmen ihre Projekte deutlich schneller umsetzen. Wie dies gelingen kann, sagt Andreas Barth, Geschäftsführer Zentraleuropa des Design- und Engineering-Software-Spezialisten Dassault Systèmes.

Das Interview führte Dietmar Kieser

Herr Barth, eine Marktstudie von IDC aus dem Vorjahr warnt, dass wer jetzt nicht die Weichen in Richtung Industrie 4.0 stellt, von seinen Wettbewerbern abgehängt wird. Warum verkennt das verarbeitende Gewerbe in Deutschland immer noch zu häufig die anstehenden Herausforderungen?

Vor allem der geschäftliche Erfolg ist ein Hemmschuh. Wer seit Jahren mit seinem Geschäftsmodell wächst, ist kaum bereit, sich zu verändern. Zumal die Lage im Maschinenbau besser denn je ist. Die größten Veränderungen bewirken aber immer Entscheidungen, etwas komplett anderes zu tun, da das jetzige Modell nicht mehr funktioniert. Soweit sind wir leider noch nicht.

Aber zielt das Thema Industrie 4.0 denn nicht gerade auf den Mittelstand ab?

Doch, aber die Unternehmen haben offenbar noch nicht genau verstanden, worum es hierbei geht und welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Offenbar besteht vielfach kein Bedarf, Prozesse anders zu gestalten. Genau das sollte uns aber zu denken geben. Ich befürchte, dass wir in Deutschland zwar wieder die besten Technologien entwickeln. So sind wir diejenigen, die Big Data am schnellsten auswerten können und vermutlich auch als erste KI-Tools anbieten werden. Aber wir sind vermutlich die letzten, die sie anwenden werden. Beispiele aus der Vergangenheit gibt es genug.

Statt der Technik sollten wir uns also lieber um Prozesse kümmern?

Schlagworte wie Big Data, künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 oder Internet of Things sind für mich Luftblasen. Ein Schuh wird nur daraus, wenn sich ein Unternehmen überlegt, wie es seinen Prozess digitalisieren könnte. Die Technik allein hilft nicht. Der Start beginnt immer mit einem Prozess, der beschreibt, wie man die Firma schlanker, schneller, intelligenter und risikoärmer macht. Erst dann kommt die Technologie.

Aber auch Dassault Systèmes ist ein Technikanbieter. Wie lösen Sie das Dilemma?

Gewiss bieten wir mit unserer 3DExperience Plattform und ihren Anwendungen unseren Kunden eine technische Lösung, die ihnen das Zusammenspiel von Marketing, Vertrieb, Fertigung, Konstruktion und Simulation unterbrechungsfrei ermöglicht. Aber wir reden heute nicht über das Produkt als solches, sondern über Prozesse, die wir optimieren, harmonisieren und auch schlanker gestalten wollen. Gerade mit dieser Plattform lassen sich Prozesse, Abläufe und Verfahren parallel zur Produktentwicklung optimieren. Produkt und Fertigung entstehen sozusagen im Gleichklang und in gegenseitiger Beeinflussung.

Was hat sich in dem einen Jahr seit Erstellung der IDC-Studie getan?

In Einzelbereichen viel. Am meisten bewegt sich, wenn einzelne Fachbereiche erkennen, dass es einfacher ist, wenn ihnen alle Daten in einer bestimmten Form zur Verfügung stehen und sie abteilungsübergreifend zusammenarbeiten können. Bisweilen habe ich das Gefühl, dass im gehobenen Mittelstand aus lauter Verzweiflung ein Chief Digital Officer eingestellt wird, der versucht, in irgendeiner Form das Thema anzugehen. Ich halte dies nicht für die beste Lösung. Eigentlich müsste es einen Chief Process Officer geben, der die IT als Enabler nutzt und direkt mit dem CEO zusammenarbeitet. Aber die große Veränderung, dass sich der Mittelstand mit dem Thema auseinandersetzt, haben wir bis heute noch nicht erreicht.

Wo stehen die Unternehmen derzeit auf einer Reifegradskala von eins bis fünf?

Höchstens auf zwei. Wir sind noch nicht einmal bei 50 Prozent angekommen. Andererseits nennen viele ein Lab ihr eigen und bauen ein kleines Testfeld auf. Gewiss mögen dort manche Innovationen entstehen, von denen jedoch zu wenige ins Unternehmen fließen. Deshalb sind wir angetreten, insbesondere mit der Industrie-4.0-Initiative der Bundesregierung, um die Vorteile an ganz konkreten Beispielen zu zeigen. Direkt am Prozess wird der Vorher-Nachher-Vergleich sehr deutlich.

Wie könnte ein solcher Prozess aussehen?

Beispielsweise bauen wir zusammen mit dem Fraunhofer IEM im Rahmen des Technologie-Netzwerks it’s OWL eine deutschlandweite Testumgebung auf, das E-Co-Lab. Dort zeigen wir Mittelständlern durchgängiges Engineering, das heißt wie ihr mechanischer Konstruktionsprozess mit dem elektrischen verschmelzen kann. In der Praxis sind das oft noch getrennte Bereiche. Am praktischen Beispiel können unsere Mittelstandskunden nachvollziehen, wie ein solcher, auf ihren Daten basierender Prozess aussehen könnte und welcher Nutzen für sie entsteht. Ich halte das für das A und O.

Spielt nicht auch eine gewisse Aversion gegen Software als Kostentreiber eine Rolle?

Software wird häufig im Zusammenhang mit Geld gesehen, mit Einführungskosten und Ausgaben für Beratung und Service. Deshalb verlagern wir heute vieles in die Cloud. Auf diesem entfernten Server versuchen wir alles anzubieten, was wir an Szenarien beim Kunden vorfinden und was er braucht. Insofern gehen wir hier einen anderen Schritt, damit IT-Kosten heute kein Hinderungsgrund mehr sind.

Kann die Cloud-Nutzung Berührungsängste abbauen?

Den Zugang zu einer Cloud richten wir einem Interessenten innerhalb einer Stunde ein. Damit kann er unser komplettes Software-Angebot als Out-of-the-Box-Lösung nutzen. Mit den dort bereitgestellten vorkonfigurierten Software-Funktionalitäten kann er seinen Prozess sofort abbilden und sein Produkt zum Leben erwecken. Unsere Erfahrungen mit vielen Kundenprojekten sind in zahlreiche Best Practices eingeflossen. In der Regel sollte sich der Kunde darin wiederfinden. Da dieses Modell skaliert ist, verpflichtet sich der Anwender zu nichts. Nutzt er die Funktionalitäten nicht, sind sie dennoch in der Cloud für ihn verfügbar. Ich nenne dieses Prinzip „goldene Wasserhähne versus Industriestandard“. Damit wollen wir Kunden die Scheu davor nehmen, sie würden sich hier ein Fass ohne Boden öffnen.

Was wäre denn ein konkretes Lösungsbeispiel dafür?

Die Digitalisierung vereinfacht es, die mechanische und elektrische Konstruktion zu integrieren und zugleich die Daten mit der Produktion und der Simulation auszutauschen. Soll die Simulation zusätzlich einbezogen werden, sind bisher Schnittstellen nötig, um die Systeme der einzelnen Abteilungen zu integrieren. Aber jede dieser Abteilungen hegt und pflegt ihre Daten. In der Cloud hingegen sind alle Daten zusammengeführt. Um zu simulieren, braucht es keine gesonderte Installation. Vielmehr fließen die Daten ohne Hand anlegen zu müssen am einen Ende hinein und am anderen wieder hinaus. Die Scheu vor diesem automatisierten Prozess zu nehmen, daran müssen wir am meisten arbeiten. Dies umso mehr, da die Abteilung doch des Prozesses Tod ist.

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