Obwohl das Thema der Nachhaltigkeit aus der öffentlichen Debatte mittlerweile kaum wegzudenken ist, stehen viele Unternehmer vor großen Fragen bezüglich der Bedeutung für ihre Firmen und deren Strategie. Wo bisher allein über ESG (Environment, Social, Governance) oder Dekarbonisierung gesprochen wurde, gewinnt nun ein neues Thema an Relevanz. Spätestens seit der Veröffentlichung des letzten IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) [1] Berichts im März dieses Jahres, der den aktuellen Stand der Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise darlegt, sind nun auch auch ‚Klimaanpassung‘ und ‚Klimaresilienz‘ in aller Munde.
Prof. Dr. David Bendig, Katharina Hennes, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Angesichts der Neuheit dieser Begriffe im deutschen Wirtschaftskontext, ist bislang noch keine Definitions- und somit Diskussionsbasis für produzierende Industrien entstanden. Ist dieses Thema mehr als nur ein Trend? Da das Carbon Disclosure Project schätzt, dass bis zum Jahr 2030 – in nur sieben Jahren – 3,6 Billionen Euro an Unternehmensvermögen klimabedingten Risiken ausgesetzt sein werden [2], möchten wir dieser Frage auf den Grund gehen. Im Rahmen dieses Artikels geben wir einen Überblick zu den Begriffen ‚Anpassung‘ und ‚Resilienz’ und erarbeiten deren Bedeutung für in Deutschland agierende Industrieunternehmen.
Bis vor wenigen Jahren war Nachhaltigkeit in der Wirtschaft keine viel diskutierte Herausforderung. Aufgrund der Konfrontation mit zunehmend spürbaren Auswirkungen des Klimawandels sowie einer wachsenden öffentlichen Debatte, wird ihnen jedoch mehr und mehr Bedeutung beigemessen.
Aktuell stehen für Unternehmen insbesondere zwei Faktoren in diesem Zusammenhang im Vordergrund: (1) Einerseits bringt das Pariser Klimaschutzübereinkommen regulatorische Unsicherheit mit sich – (2) andererseits sind Auswirkungen des Klimawandels auf globale Lieferketten und lokale Produktionsstätten zunehmend spürbar.
(1) Im Rahmen des im Jahr 2015 geschlossene Übereinkommens von Paris wurde eine globale Einigung der Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad beschlossen. Diese multinationale Übereinkunft fungiert als globales Leitwerk für die Festlegung nationaler Klimaschutzziele und -maßnahmen [3]. Jedoch tragen bspw. Debatten rund um spezifische Emissionsreduktionsziele für Sektoren der deutschen Wirtschaft [4] zu Verunsicherung rund um Nachhaltigkeitsregulatorik bei. Diese Unsicherheit kann zu Verzögerungen von und Einschränkungen langfristiger Investitionsplanungen im Klimaschutz führen.
(2) Darüber hinaus treten vermehrt physische Auswirkungen des Klimawandels auch in Deutschland auf. Unter anderem gehören zu diesen Extremwetterereignissen einerseits wasserbasierte Starkregenevents, beispielsweise Fluten, und andererseits Trockenheitsevents wie Hitzeperioden und Dürren [1]. Solche Extremwetter sind heutzutage nicht mehr nur ein Thema, das wir durch die Nachrichten in weit entfernten Ländern wahrnehmen – diese treten nun spürbar auch in Deutschland und Europa auf und werden mit einer Erwärmung um jedes zehntel Grad massiv zunehmen [1, 5].
Wie im Sommer 2021 im Ahrtal erlebt, sind diese Ereignisse nur schwer und sehr kurzfristig absehbar [6]. Aufgrund dieser Unvorhersehbarkeit sind sowohl Menschenleben gefährdet alls auch globale Lieferketten unterbrochen [7]. Allein die Ahrtalflut – ein lokales Ereignis mit der Dauer von nur 24 Stunden – hat schätzungsweise über 40 Milliarden Euro Schäden unter anderem in Umsatzausfällen, Zerstörung von wirtschaftlicher Infrastruktur und Lebensräumen generiert [8].
Somit haben diese Entwicklungen der Umwelt ernstzunehmende operative wie finanzielle Implikationen für die Wirtschaft [9] – auch in Deutschland. Unter anderem wird der reguläre Geschäftsbetrieb beeinträchtigt, Kosten in die Höhe getrieben und als Konsequenz die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens gefährdet [10]. Lieferkettenunterbrechungen sind keine Seltenheit mehr, da lokale Firmen in globale ‚Value Chains‘ eingespannt sind. Produktionsstandorte von Zulieferern auf der ganzen Welt können beispielsweise durch Stürme, Fluten oder Waldbrände beschädigt oder daran angeschlossene Infrastrukturen wie Auto- und Eisenbahnen oder Häfen zerstört werden.
So kommt es sehr schnell und zukünftig vermehrt zu Verzögerungen in den Lieferketten [11]. Darüber hinaus sind Ressourcenknappheiten vorhersehbar, die einschneidende Folgen für die Produktion und Budgetierung einer Firma mit sich bringen – denn bei unvorhergesehenen Extremwetterereignissen verschärft sich der Wettbewerb um Rohstoffe, was letztendlich zu Kostensteigerungen führt [12, 13].
Langfristig kann dies weitreichende finanzielle Auswirkungen wie regelmäßige Umsatzeinbrüche oder schlechtere Kreditkonditionen zur Folge haben [14]. Gerade das produzierende Gewerbe hat bereits in den Hitzesommern 2018/2019 in Deutschland Schäden in Höhe von über neun Milliarden Euro verzeichnet, die beispielsweise auch durch verminderte Arbeitsproduktivität oder zusätzliche Krankheitstage entstehen [15].
Trotz dieser so offensichtlichen physischen Klimarisiken und deren Konsequenzen, mangelt es an unternehmerischen Perspektiven, um diese Herausforderungen zu bewältigen [16]. Zudem stellen wir basierend auf unseren Gesprächen mit Manager:innen der deutschen Industrie, sowohl in mittelständischen Unternehmen als auch in Großkonzernen, fest, dass der bisherige Schwerpunkt auf den sehr wichtigen Dekarbonisierungsstrategien liegt, d.h. der Reduzierung von Emissionen. Da die Reduktion aber noch nicht schnell genug voranschreitet, entstehen physische Risiken für die Firmen sich wappnen müssen. Diese zusätzliche Handlungsaufforderung hin zur Anpassung ist für viele Unternehmer:innen bisher nicht eindeutig greifbar. Um Klarheit zu schaffen, richten wir unsere Forschung wie folgt aus:
- Wie sind ‚Klimaanpassung‘ und ‚Klimaresilienz‘ definiert?
- Wie ist die Relevanz dieser Themen für die deutsche Wirtschaft aktuell einzuschätzen? Handelt es sich hierbei um einen neuen Nachhhaltigkeitstrend?
- Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf bestehende Nachhaltigkeitsinitiativen von Unternehmen?
Bedeutung von ‚Klimaanpassung‘ und ‚Klimaresilienz‘
Um zu einem kohärenten Verständnis der oben genannten Begriffe zu gelangen, wurde zunächst eine umfangreiche Untersuchung relevanter Publikationen durchgeführt. Das Ergebnis der Analyse zeigt, dass ‚Klimaanpassung‘ und ‚Klimaresilienz‘ sich in erster Linie durch ihre Lang- respektive Kurzfristigkeit voneinander abgrenzen, d.h. durch ihren Zeithorizont [1]. Über den Planungshorizont hinaus, kann eine weitere Unterscheidung auf Basis der Maßnahmenart vorgenommen werden (siehe Abbildung 1) [17, 18].
Grundsätzlich beinhaltet Klimaanpassung den ersten und aktuell wichtigsten Schritt neben der Dekarbonisierung: die Planung von Maßnahmen mit dem Ziel, negative Auswirkungen des Klimawandels präventiv zu mindern [1, 19]. Gleichermaßen können hierbei neue ‚Geschäftschancen‘ wie die Entwicklung neuer Produkte oder Erschließung neuer Märkte entstehen, die sich diese Herausforderungen zunutze machen. Dem gegenüber steht die Klimaresilienz, die auf die effiziente und kurzfristige Absorption von plötzlichen ‚Schocks‘, d.h. Extremwetterereignisse, abzielt.
Dieses Durchhalte- und Widerstandsvermögen ist somit reaktiver Natur – ein Unternehmen zeichnet sich als resilient aus, wenn es von diesen Ereignissen nicht in Bedrängnis gerät [1, 19].
Abbildung 1: Differenzierung zwischen Klimaanpassung und -resilienz (basierend auf Beermann, 2011 [19])
Relevanz für die deutsche Wirtschaft
Auf Basis der anfänglichen Erläuterungen ist klar festzustellen, dass das Thema spätestens seit den letzten Hitzesommern und der Ahrtalflut für die deutsche Wirtschaft greifbar nahe ist. Anpassungs- sowie Resilienzmaßnahmen setzen einen weiteren Schwerpunkt des hiesigen Nachhaltigkeitsdiskurses. Dass Klimaanpassung aus unternehmerischer wie risikoaverser Perspektive eine Priorität haben muss, wird aufgrund der immer spürbarer werdenden Konsequenzen klar. Werden diese nicht berücksichtigt, setzen sich Firmen unnötigerweise massiven und sehr absehbaren Gefährdungen aus. Entsprechend betrachten wir dieses neue Thema keineswegs als vorübergehenden ‚Trend‘, sondern als einen wichtigen Bestandteil des Risiko- und Nachhaltigkeitsmanagements.
Fazit und Einordnung zu bestehenden Nachhaltigkeitsinitiativen
Zukünftig wird es von zentraler Bedeutung sein, Klimaanpassung unter keinen Umständen als Substitution der Dekarbonisierungsbemühungen zu betrachten, sondern als zwingend notwendige Erweiterung. Um die genannten physischen Auswirkungen zu minimieren, sollten produzierende Firmen sowohl im Rahmen ihrer eigenen Unternehmensgrenzen als auch in Partnerschaften die Anfälligkeit für Klimarisiken bewerten – für Status quo Szenarien sowie für zukünftige Entwicklungen.
Für den deutschen Raum kann dies unter anderem auf Basis der Modellierungen der ‚Klimawirkungs- und Risikoanalyse‘ des Umweltbundesamtes geschehen [20]. So kann entlang regionaler Analysen zu Hitze- oder Starkregenereignissen beispielsweise die Produktionsstättenplanung der nächsten Jahre ausgelegt werden. Darüber hinaus liegen branchenspezifische Erkenntnisse zu Klimarisiken und Handlungsoptionen vor [20]. Entsprechend der identifizierten Risiken müssen Unternehmen handeln und wirksame Anpassungsstrategien konzipieren – dies kann beispielsweise Investments in widerstandsfähigere Infrastruktur und Prozesse oder auch eine Diversifikation der Inputmaterialien oder Lieferketten umfassen [21].
Dekarbonisierungsmaßnahmen allein reichen nicht aus, um eine Firma nachhaltig auszurichten, diese gegen physische Klimarisiken zu wappnen sowie die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu erhöhen [22, 23]. Entsprechend ist es empfehlenswert, existierende Bestrebungen um Anpassung und Resilienz zu ergänzen, sodass diese eine neue, zweite Säule der unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategien bilden.
Literatur
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- Climate change. 2023, Carbon Disclosure Project.
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