Ein anschauliches Beispiel für die vielfältigen Auswirkungen von Geschäftsprozessen ist die Durchführung von Bewerbungsgesprächen. Die Entscheidung, ein Interview online oder persönlich zu führen, hat offensichtlich unterschiedliche direkte Auswirkungen auf die Umwelt. Doch der Blick muss weitergehen: Führt eine online durchgeführte Einstellung zu einer Fehlbesetzung, kann der daraus resultierende erneute Einstellungsprozess insgesamt eine höhere Belastung für Klima und Umwelt darstellen. Dieses Beispiel zeigt, dass für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbewertung eine Berücksichtigung des gesamten Geschäftsprozesses wichtig ist.
Zudem ist damit zu rechnen, dass Gesellschaft und Gesetzgeber zunehmend erwarten, dass Unternehmen ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit nicht nur leisten, sondern diesen auch transparent nachweisen können. Gesetzesinitiativen, wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, markieren hier nur den Anfang einer Entwicklung hin zu einer umfassenden Verantwortungsübernahme für ökologische und soziale Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit.
Digitalisierung als Schlüssel zur Nachhaltigkeit: Potenziale von ERP- und CRM-Systemen
In diesem Kontext bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten: Moderne Informationstechnologien, wie beispielsweise ERP- und CRM-Systeme, erfassen detailliert Daten über Geschäftsprozesse. Diese Daten bilden eine wertvolle Grundlage für die Analyse und Bewertung der Nachhaltigkeit von Geschäftsprozessen. Hier setzen Techniken des Process Mining an, indem sie aus den gesammelten Prozessdaten Muster erkennen und auch Performance-Kennzahlen messen können, wie beispielsweise Durchlaufzeiten, was eine evidenzbasierte Analyse der Prozesse ermöglicht.
Dennoch fokussieren sich viele bestehende Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung vorrangig auf einzelne Indikatoren wie CO2-Emissionen. Eine solch eindimensionale Betrachtung greift jedoch zu kurz. Um den wahren ökologischen Fußabdruck eines Geschäftsprozesses zu erfassen, ist eine ganzheitliche Sichtweise erforderlich. Diese muss über die bloße Messung von Emissionen hinausgehen und auch weitere Umweltaspekte, wie den Einfluss toxischer Substanzen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, berücksichtigen.
Innovation durch Integration: Process Mining und Lebenszyklusanalyse (LCA)
Eine Lösung bietet die Kombination von Process Mining mit der Lebenszyklusanalyse (LCA). Die LCA, auch bekannt als Umweltbilanz, ermöglicht eine umfassende Bewertung der Umweltauswirkungen von Produkten, Dienstleistungen und Systemen über ihren gesamten Lebenszyklus – von der Beschaffung der Rohmaterialien über Nutzung bis zur Entsorgung. Insbesondere zieht die LCA eine Vielzahl von Indikatoren hinzu, die über CO2-Emissionen hinausgehen, und berücksichtigt Umwelteinflüsse anhand einer Vielzahl von Dimensionen. In Kombination mit Process Mining kann so ein detailliertes und umfassendes Bild der Umweltauswirkungen von Geschäftsprozessen erstellt werden.
Indem Informationen, die während der Prozessausführung gesammelt wurden, mit Informationen aus der LCA von involvierten Produkten und Services verbunden werden, kann sowohl ein Eindruck der Umweltauswirkungen einzelner Schritte als auch des Gesamtablaufs eines Geschäftsprozesses gewonnen werden. So können insbesondere Prozessabläufe, die weniger vorteilhaft hinsichtlich der Umweltkosten sind, oder Prozessschritte, die überproportional zu den Gesamtkosten beitragen und bspw. durch die Verwendung anderer Materialien gesenkt werden können, identifiziert werden.
Zur Überprüfung möglicher Verbesserungen kann in einem zweiten Schritt die sogenannte Geschäftsprozesssimulation genutzt werden. Dabei werden, basierend auf erfassten Prozessausführungsdaten, alternative Szenarien entworfen und evaluiert. So können Details des Prozessablaufs günstiger gestaltet und die Reduktion an Umwelteinflüssen beziffert werden, oder der Einfluss von einem Wechselspiel zwischen Prozessverhalten und Prozessschritten eruiert wird. Wenn ein Prozessschritt, in dem er für die Umwelt ungünstiger gestaltet wird, dazu beiträgt, das Prozessverhalten insgesamt zu verbessern, ermöglicht hier die Simulation eine quantitative Abwägung. Zudem können finanzielle Überlegungen angestellt werden, ob eine gewisse Ersparnis an Umwelteinflüssen im Verhältnis zu den nötigen Ausgaben steht.
Forschung und Praxis: Entwicklung eines integrierten Tools an der TU München
An der TU München, in der Forschungsgruppe Information Systems am Campus Heilbronn, wird an der Entwicklung eines Verfahrens und eines IT-Tools gearbeitet, das genau diese Untersuchungen ermöglicht. Essenziell ist dabei die Kombination von Process Mining und Geschäftsprozesssimulation mit LCA. Das Ziel ist es, Unternehmen ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie die Umweltauswirkungen ihrer Geschäftsprozesse nicht nur messen, sondern auch gezielt reduzieren können. Durch die Erstellung von Umweltbilanzen für einzelne Prozesse und das Testen alternativer Szenarien mittels Simulation können Unternehmen fundierte Entscheidungen treffen, die sowohl ökonomische als auch ökologische Kosten berücksichtigen. Durch die Forschungsarbeit und die Entwicklung von Tools, wie wir sie in Heilbronn vorantreiben, möchten wir den Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen.
Über die Autorin
Prof. Luise Pufahl forscht am TUM Campus Heilbronn an der Schnittstelle von Wirtschaftsinformatik und nachhaltigen Unternehmensprozessen. Ihr Projekt „SimuBridge“ beschäftigt sich mit der Messbarkeit und Umsetzung dieser Prozesse. Mit ihrem Team entwickelte Prof. Pufahl einen Prozess-Simulator, der nicht nur die Simulation von Geschäftsprozessen ermöglicht, sondern auch die transparente Darstellung der Nachhaltigkeitskosten. Hierbei werden der CO2-Ausstoß sowie umfassendere Umweltfaktoren berücksichtigt. Das Projekt bietet präzise Prozessdokumentation und ermöglicht Unternehmen eine einfache Abschätzung des „Nachhaltigkeitsgewinns“.