Der technologische Fortschritt der additiven Fertigung (engl. Additive Manufacturing – AM) und die damit verbundene zunehmende Verbreitung in Branchen wie der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt, in der Medizintechnik und dem Werkzeug- und Formenbau haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass der AM-Markt ein beträchtliches Wachstum verzeichnet hat. Der Erfolg eines einzelnen Unternehmens hängt jedoch stark von seiner Ausrichtung ab. Wer sich gut positionieren will, muss mittlerweile die ganze AM-Wertschöpfungskette im Blick behalten. Partnerschaften können die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Dr. Gerret Lukas, Managing Director und Jan Schenk, Senior Consultant vom ACAM Aachen, Center for Additive Manufacturing,
Bernd Haase, Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung und Tom-Niklas aus der Fünten, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen
Inhaltsverzeichnis
1. Wer den Markt beherrschen will, muss die Prozesskette beherrschen
2. Strategische Partnerschaften führen zur Schaffung von Mehrwert
3. Strategische Ziele klar definieren
4. Sieben Punkte zur Auswahl geeigneter strategischer Partner
5. Materialhersteller – Strategische Ziele und Partnerschaften
6. Anlagenhersteller – Strategische Ziele und Partnerschaften
7. AM-Dienstleister – Strategische Ziele und Partnerschaften
8. Fazit
Die jährliche Wachstumsrate des AM-Marktes von über 20 % muss mit immer weiteren Akteuren, die in den AM-Markt drängen, geteilt werden, sodass eine große Konkurrenz herrscht. Dabei konnten die Akteure entsprechend ihrer Tätigkeiten auf dem AM-Markt in der Vergangenheit grundsätzlich verschiedenen Kategorien zugeordnet werden: Neben den End-Usern, die AM-Bauteile nutzen und den AM-Dienstleistern, welche die Fertigung von Bauteilen anbieten, bilden die Anlagen-, Material- und Softwarehersteller den Grundstein für einen funktionierenden AM-Markt.
Wer den Markt beherrschen will muss die Prozesskette beherrschen
AM verändert dabei nicht nur die Fertigungsindustrie, sondern der AM-Markt selbst befindet sich in einem Umbruch. Um Bauteile zuverlässig herstellen und immer weitere Anwendungsfälle ermöglichen zu können, ist es notwendig, das Zusammenspiel von Material, Anlage und Software zu beherrschen. Durch die steigende Anzahl von Akteuren gibt es dabei für AM-Dienstleister und End-User immer mehr Auswahl und mögliche Kombinationen für eine AM-Prozesskette.
Zwar sorgt die zunehmende Auswahlmöglichkeit für weitere Erschließungsmöglichkeiten von Anwendungsfällen, zugleich steigt dabei jedoch auch die Komplexität einer geeigneten Systemauswahl. Um sich hier von der Konkurrenz abzuheben und weiter im Markt zu etablieren, haben die Akteure auf dem AM-Markt begonnen, statt einzelner Bausteine einer AM-Prozesskette nun erweiterte Angebote bis hin zu Komplettlösungen anzubieten.
Neben der Reduktion der Komplexität für mögliche Kunden ermöglicht dies den einzelnen Akteuren im AM-Markt zudem, in verschiedene Bereiche der Wertschöpfungskette, insbesondere in die mit den höchsten Gewinnspannen, vorzudringen und durch das Fachwissen in der eigenen Kernkompetenz Synergieeffekt zu erzeugen. Im gleichen Maße ergeben sich für AM-Dienstleister und End-User durch ein Vordringen in vorgelagerte Bereiche der Wertschöpfungskette die Möglichkeit, die AM-Prozesse auf ihre Bedarfe und Anwendungsfälle anzupassen.
Strategische Partnerschaften führen zur Schaffung von Mehrwert
In den meisten Unternehmen sind die benötigten Fähigkeiten und das Fachwissen für die Teilnahme an mehreren Teilen der Wertschöpfungskette jedoch nicht vorhanden. Der eigene Erfahrungsaufbau in weiteren Bereichen der Wertschöpfungskette ist zudem mit viel Aufwand verbunden und passt häufig nicht zur Kernkompetenz des Unternehmens. Um trotz eigener Fokussierung und fehlendem Fachwissen in anderen Bereichen der Wertschöpfungskette mitzuwirken, müssen die Akteure des AM-Markts entlang der Wertschöpfungskette in strategischen Partnerschaften zusammenarbeiten. Dies ermöglicht die Schaffung eines Mehrwerts und die Erfüllung der Kundenwünsche in einer Weise, die im Alleingang nicht möglich sind. Partnerschaften erleichtern z.B. den Markteintritt, die Produktverbesserung oder die Angebotserweiterung, müssen für den Erfolg jedoch auch zur eigenen strategischen Ausrichtung passen.
Strategische Ziele klar definieren
Das Identifizieren von geeigneten strategischen Partnern bedarf deshalb einer klaren und definierten Vorgehensweise, die bei der Betrachtung der eigenen strategischen Ziele des Unternehmens beginnt. In einem ersten Schritt sollte dazu ermittelt werden, welches Marktbedürfnis bedient werden soll. Dazu ist der Zielmarkt und die Marktlücke zu definieren. Weiterhin müssen die eigenen Alleinstellungsmerkmale betrachtet werden, um eine Abgrenzung zur Konkurrenz sicherzustellen. Für die Betrachtung der zukünftigen Entwicklung können abschließend zukünftig relevante Strategische Erfolgspositionen identifiziert und mit den eigenen Fähigkeiten abgeglichen werden. Wenn die strategischen Ziele klar definiert wurden, können aus dem Abgleich von Ist- und Sollzustand Kompetenzlücken abgeleitet werden. Diese bilden die Grundlage zur Suche von strategischen Partnern.
Sieben Punkte zur Auswahl geeigneter strategischer Partner
Bei der Wahl von Partnern und der Art der Partnerschaft ist es entscheidend, sorgfältige Überlegungen anzustellen. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Partnerschaftsformen, die jeweils spezifische Ziele und Intensitäten der Zusammenarbeit verfolgen. Diese reichen von lockeren Kooperationen, die sich auf den Austausch von Informationen und Erfahrungen beschränken, über strategische Allianzen, die auf eine langfristige Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinsamer strategischer Ziele abzielen, bis hin zu Fusionen, bei denen zwei Unternehmen zu einer rechtlichen und wirtschaftlichen Einheit verschmelzen (Mergers & Acquisitions).
Bei der Auswahl von Partnern sollte auf folgende Punkte geachtet werden:
- Wie hilft mir die Partnerschaft meine strategischen Erfolgspositionen zu erreichen?
- Haben die potentiellen Partner ihrerseits Partner, von denen ich in einem Partnernetzwerk profitieren kann?
- Passen die Unternehmensziele und Kulturen der Partner zusammen?
- Besitzt der potentielle Partner für mich die notwendigen Fähigkeiten und Branchenkenntnis?
- Warum würde ein potenzieller Partner seinerseits eine Partnerschaft eingehen?
- Was sind die Risiken dieser Partnerschaft?
- Welche Art von Partnerschaft sollte verwendet werden (Kooperation, Joint Venture, Strategische Allianz, etc.)?
Materialhersteller – Strategische Ziele und Partnerschaften
Für die einzelnen Akteure im AM-Markt gibt es unterschiedliche Ziele, die mit dem Aufsetzen einer Partnerschaft verfolgt werden können. Für Materialhersteller bestehen die strategischen Ziele zumeist darin, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch verbesserte oder wirtschaftlichere Materiallösungen zu steigern. Darunter fallen beispielsweise die Erweiterung des angebotenen Materialspektrums in Zusammenarbeit mit End-Usern, die Reduzierung der Materialkosten in Zusammenarbeit mit Zulieferern oder Forschungsinstituten oder die Erhöhung der Bauteilqualität und Optimierung von Materialien für die Serienproduktion in Zusammenarbeit mit Anlagenherstellern. Ein namhaftes Industriebeispiel für eine strategische Partnerschaft von Materialhersteller und Anlagenhersteller ist z.B. die Partnerschaft von Henkel und HP.
Anlagenhersteller – Strategische Ziele und Partnerschaften
Anlagenhersteller versuchen durch strategische Partnerschaften häufig ihre bisherigen Alleinstellungsmerkmale zu verteidigen und gleichzeitig neue Wege der Wertschöpfung zu finden. Partnerschaften, insbesondere mit End-Usern, können dabei helfen, Anforderungen aus der Produktion zu verstehen und Anlagen physisch und digital in eine bestehende Produktion zu integrieren oder die Effizienz und Zuverlässigkeit der Maschinen zu erhöhen. Aber auch Partnerschaften mit Material- und Softwareherstellern können entscheidenden Input liefern, beispielsweise durch die gemeinsame Bereitstellung von Zusatzleistungen wie maßgeschneiderte Materialprofile, die Kommunikation zwischen Drucker und Material zur Optimierung der Einstellungen und eine detaillierte Unterstützung bei der Materialauswahl. Partnerschaften wie von EOS und PostProcess zeigen, wie wichtig es ist, durch gezielte Kooperationen die Integration zu verbessern und umfassende Lösungen anzubieten.
AM-Dienstleister – Strategische Ziele und Partnerschaften
Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette eingehen und sich auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren, die der Kunde nicht selbst durchführen kann, sind strategische Ziele von AM-Dienstleistern. Die Ausrichtung der Partnerschaften sind daher zumeist End-User-zentriert, um Problemstellungen und Anwendungsfälle tiefer zu verstehen und weiteren End-Usern anbieten zu können. Beispielsweise können durch Partnerschaften die Ausweitung von Design und Simulationstätigkeiten, die gezielte Optimierung von AM-Bauteilen, die Erweiterung des angebotenen Materialportfolios oder die Identifikation von geeigneten Anwendungsfällen für den Kunden angeboten werden. Bei fehlenden Kompetenzen sind zusätzliche Partnerschaften mit Material- oder Softwareherstellern denkbar. Die strategische Partnerschaft zwischen Protiq und Sartorius im Bereich der Zerspanungswerkzeuge oder die Übernahme der AM-Sparte von Covestro durch Stratasys sind Beispiele, wie durch Kooperation in der Wertschöpfungskette zusätzliche Wertschöpfung generiert werden kann.
Fazit
Partnerschaften entlang der AM-Wertschöpfungskette bieten umfangreiche Potenziale zur Wissensentwicklung, Innovationsförderung und strategischen Positionierung. Die Partnerschaften können mit Akteuren innerhalb und außerhalb der AM-Wertschöpfungskette bestehen. Wichtig für erfolgreiche Partnerschaften sind sorgfältige Planung, klare Zielsetzung und eine systematische Vorgehensweise. Die Auswahl von geeigneten Kooperationspartnern ist somit entscheidend, um die Herausforderungen der additiven Fertigung zu meistern und gleichzeitig die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. (eve)