Die zunehmend schrillen Töne in der Debatte um den Industriestandort Deutschland sind nach Ansicht von VDMA-Präsident Karl Haeusgen kontraproduktiv. „Deutschland geht nicht unter, und für eine breite Deindustrialisierung des Lands gibt es bisher keine Belege“, sagte er anlässlich der Veröffentlichung des neuen VDMA-Positionspapiers zum Standort Deutschland. Tatsächlich habe die Ampel-Koalition in der ersten Hälfte ihrer Amtszeit der Industrie zugehört und einige wirtschaftsfreundliche Gesetze wie zum Beispiel die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durchgebracht.
„Trotzdem gibt es noch erhebliche strukturelle Baustellen, die jetzt angegangen werden müssen, um den Standort im internationalen Wettbewerb zu stärken. Wir müssen uns vor allem von bürokratischen Fesseln befreien“, betonte Haeusgen. Er forderte die Politik in dieser Debatte auf, ehrliche Ansagen zu machen. „Wir können nicht immer auf alle Rücksicht nehmen; es gibt Zielkonflikte, die klare Entscheidungen erfordern. Man kann nicht die Transformation der Erneuerbaren Energien vorantreiben und dann jeden Schwertransport von Windrädern durch den Artenschutz behindern. Für das große Ziel der Transformation müssen wir wieder lernen, zurückzutreten, statt es immer allen recht machen zu wollen“, sagte er.
In seinem Positionspapier listet der Verband die Stellschrauben auf, an denen schnell gedreht werden muss, um neue wirtschaftliche Kräfte zu entfachen:
- Bürokratie: Benötigt werden einfachere administrative Prozesse und weniger Bürokratie insbesondere für den Mittelstand. Die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen muss beschleunigt werden.
- Unternehmensbesteuerung: Deutschland braucht ein international wettbewerbsfähiges und investitionsfreundliches Steuersystem mit niedrigeren Unternehmenssteuern und verbesserten Abschreibungsbedingungen.
- Arbeitskosten und Fachkräfte: Ein Hochlohnland wie Deutschland benötigt zwingend mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. Angesichts der demografischen Entwicklung müssen Wochen- und Lebensarbeitszeit im Durchschnitt verlängert werden und alle Möglichkeiten der Bildung, Weiterbildung und Kinderbetreuung voll ausgeschöpft werden. Das Land benötigt mehr Fachkräfte aus dem Ausland, hier sind auch Zeitarbeitsfirmen einzubinden.
- Digitale Infrastruktur: Der Ausbau der digitalen Infrastruktur muss deutlich schneller erfolgen, gerade im ländlichen Raum, wo der mittelständische Maschinen- und Anlagenbau zuhause ist.
- Freihandel: Insbesondere die mittelständische Industrie benötigt offene Märkte und den Abbau von Handelshemmnissen. Neue Freihandelsabkommen etwa mit den Mercosur-Staaten sind dringend nötig, ihr Abschluss darf nicht mit überzogenen umwelt- und sozialpolitischen Vorgaben und Zielen torpediert werden.
- Innovationen: Es braucht technologieneutrale Anreize, damit Unternehmen ihr Innovationspotential entfalten können. Dazu gehören eine steuerliche Forschungsförderung ohne Deckel, der Ausbau der Produktionsforschung sowie die Weiterentwicklung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF).
- Erneuerbaren Energie: Wind- und Solarenergie müssen schneller ausgebaut werden, ebenso die Übertragungsnetze. Nur so gelingt der Kampf gegen die Klimawende und Energiepreise können perspektivisch sinken.
Zugleich stellte Haeusgen klar, dass staatliche Subventionen kein geeignetes Mittel sind, um Standortprobleme dauerhaft zu lösen. Wenn Subventionen eingesetzt werden, müssen diese zeitlich klar begrenzt und eng geschnürt sein, forderte er. „Strategische Souveränität und Resilienz lassen sich auch mit marktlichen Instrumenten herstellen. Und ganz besonders müssen Subventionswettläufe innerhalb der Europäischen Union vermieden werden“, betonte der VDMA-Präsident. (eve)