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Der Durchbruch bei Cobots lässt auf sich warten

Robotik
Der Durchbruch bei Cobots lässt auf sich warten

Trotz überragender Technik und leichter Bedienung steht der Durchbruch in der kollaborativen Robotik noch aus. Viele Anwender haben bereits den Schritt in die Praxis gewagt und werden von der Berufsgenossenschaft wieder zurückgepfiffen. Wann geht es endlich los? Und wohin geht dann die Reise?

Zuerst die gute Nachricht: Im Jahr 2019 ist der Absatz von Cobots laut Weltroboterverband IFR um 11 % gestiegen und das entgegen dem rückläufigen Trend bei Industrierobotern. Jetzt die schlechte: Von den damals 373.000 verkauften Modellen waren nur rund 18.000 kollaborierende Roboter, kurz Cobots. Das entspricht einem Marktanteil von unter 5 %. „Trotz der dynamischen Entwicklung steckt der Cobot-Markt noch immer in den Kinderschuhen.“, kommentierte der IFR trocken.

Beobachter der Branche sind der Ansicht, dass sich echte kollaborative Einsatzszenarien, also die direkte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, wirtschaftlich meist nicht rechnen. „Sicherheitsbedenken und der aktuelle Stand der Normen bremsen bislang innovative Ideen eher aus“, sagt der Cobot-Pionier Dieter Faude. „Das liegt vor allem an den niedrigen Grenzwerten der Cobot-Norm TS15066, die keinen wirtschaftlichen Einsatz von Cobots in einer Mensch-Roboter-Kollaboration zulassen.“ (siehe auch Kurzinterview im Kasten).

Das Dilemma lautet „Sicherheit kontra Wirtschaftlichkeit“. Hier ist es vor allem die Taktzeit, die oft Anlass zur Klage bietet. Befinden sich Menschen im Gefährdungsbereich, dann muss der Cobot seine Geschwindigkeit reduzieren. Das begrenzt zum einen die theoretisch erreichbare Taktzeit erheblich. Zum anderen lässt sie sich nicht mehr planen, weil sie sich ständig verändert – je nachdem wie oft und wie lange der Werker dem Cobot zu nahekommt.

„Nur rund drei Prozent der Applikationen sind tatsächliche, kollaborative Cobot-Anwendungen mit Leistungs- und Kraftbegrenzung“, ergänzt Marc Burzlaff, Managing Director beim Systemintegrator Engrotec-Solutions. „Und das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern.“ Die Cobot-Hersteller sollten sich daher nicht auf den kollaborativen Cobot reduzieren, da dies ein Nischenmarkt bleiben wird. „Es sind letztendlich Leichtbauroboter, die durch ein einfaches Bedienkonzept ihre Daseinsberechtigung haben“, so Burzlaff weiter. „Die Systeme sollten deswegen in dieser Art weitergedacht und dem breiten industriellen Anwendungsfeld verfügbar gemacht werden.“

Auch der Cobot-Pionier Universal Robots (UR) setzt deswegen nicht ausschließlich auf die kollaborative Karte, sondern positioniert seine Cobots als Lösung für konkrete Anwendungsprobleme der Kunden. UR forciert deshalb stark die Anwendungs-Kits aus seinem Partner-Ökosystem UR+. „Für uns ist das ein sehr wichtiges Konzept“, versichert Deutschland-Chef Andrea Alboni. „Unsere Kunden, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, brauchen natürlich einen Roboter, aber vor allem brauchen sie eine Lösung für ihr Problem.“

Ein gutes Beispiel dafür ist die Cobot-Schweißlösung des Partners Fsk Engineering. Auch deswegen, weil es beim Schweißen nicht um die enge Zusammenarbeit zwischen Roboter und Werker geht. „Die Schweißzelle von Fsk ist nah am Plug&Produce-Konzept“, sagt Alboni. Und um den Robotereinsatz möglichst einfach zu gestalten, hat Fsk den leicht bedienbaren UR-Roboter um eine ebenso benutzerfreundliche Smartarc-Applikation ergänzt. „Von Programmieren kann hier nicht mehr die Rede sein, denn dank unsere Smartarc-Software sind keine Spezialkenntnisse mehr erforderlich“, versichert Nils Kühle, Geschäftsführer von Fsk. Jeder könne auf diesem Weg seine Schweißprogramme selber erstellen.

Dass die einfache Bedienung und Programmierung ein wichtiges Argument für Cobots ist, räumt sogar Heiko Röhrig, Vertriebschef beim Robotik-Integrator EGS ein, der als erfahrener Industrieroboter-Experte die Cobots eher skeptisch sieht: „Weil die Hersteller von Cobots keine so lange Historie wie die klassischen Roboterhersteller haben, konnten sie die Programmierung frei von Sachzwängen komplett neu denken.“ Dabei seien teilweise smarte Programmiermöglichkeiten herausgekommen, die den Zugang gerade für Robotik-Einsteiger wesentlich erleichtern. In der Folge wagen sich Mittelständler oft allein an die Umsetzung von Robotiklösungen heran, ohne dabei einen System-Integrator zu beauftragen. Für EGS ist das natürlich kein Grund zum Jubeln.

Das Alleinstellungsmerkmal der einfachen Bedienung sollten die Cobot-Hersteller daher weiter ausbauen und ihre Modelle mit mehr Sensibilität ausstatten, findet Helmut Schmid, langjähriger Deutschland-Chef bei Universal Robots und nun Vorsitzender des neu gegründeten Deutschen Robotik-Verbands. „Der Durchbruch der Cobots begann mit der einfachen Bedienung, der intuitiven Programmierung und einer integrierten Sicherheitstechnik“, so Schmid. „Genau in diesen Bereichen sollten sich die Cobots weiterentwickeln.“ Auf diese Weise könnten sich die Leichtbauroboter zu einer Do-it-yourself-Lösung entwickeln und zusätzliche Robotik-Ersteinsteiger gewinnen.

Olaf Gehrels, Sprecher des Deutschen Robotik-Verbandes und ehemaliger Deutschland- und Europa-Chef bei Fanuc, bestätigt den Trend zum Eigenbau: „Kleine Unternehmen, Handwerksbetriebe und Mittelständler brauchen vor allem einfache Lösungen, die sich schnell implementieren lassen und die sich schnell bezahlt machen.“ Das Stichwort sei „Do-it-yourself“ als schnelle und preiswerte Möglichkeit, einen Roboter in der Firma zu implementieren. „Das ist ein Phänomen, das wir als Verband aufgreifen und in den Fokus rücken wollen“, ergänzt Gehrels.

Doch die einfache Bedienung ist nicht die ganze Miete für den Cobot-Erfolg: „Dafür müsste sich auch der Preis noch weiter nach unten bewegen“ ergänzt Schmid. „Und die Risikobeurteilung muss deutlich einfacher werden.“ Das Thema Sicherheit und die weitere Entwicklung der zugrundeliegenden Normen und Regeln ist auch aus Sicht von EGS-Vertriebschef Heiko Röhrig ein wesentlicher Faktor für Attraktivität und Erfolg von künftigen Cobot-Anwendungen. Denn gerade bei einer Kooperation oder Kollaboration könnten Kollisionen mit dem Menschen nun mal nicht vermieden werden. „Daher braucht es eine entgegenkommende Veränderung und Vereinfachung der aktuellen Vorschriftenlage, damit der Einsatz von Cobots wirklich attraktiv und wirtschaftlich möglich ist“, so Röhrig. Die Cobot-Hersteller können hier nicht direkt Einfluss nehmen, sondern allenfalls über die Mitarbeit in den Ausschüssen an der Weiterentwicklung der Normen mitwirken.

Hinzu kommt, dass die einfache Bedienung inzwischen nicht mehr nur ein Alleinstellungsmerkmal klassischer Cobots ist. Auch Industrieroboter-Newcomer wie Fruitcore versprechen eine einfache Bedienung über Tablets. Zudem sorgen junge Unternehmen wie Wandelbots, Artminds und Drag&Bot für frischen Wind in der Roboterprogrammierung und bieten Zusatzsoftware an, mit der sich klassische Industrieroboter wesentlich einfacher bedienen lassen – und das sogar herstellerübergreifend. Und schließlich können Industrieroboter mit einer zusätzlichen Sensorik oder einer Schutzhaut-Lösung wie „Airskin“ von Blue Danube aus Wien zunehmend auch im MRK-Bereich zum Einsatz kommen.

Verschmelzen also die Segmente Cobot und Industrieroboter? „Nein“, sagt der Industrieroboter-Experte Heiko Röhrig. „Man muss die klassischen Anwendungen von Industrierobotern klar trennen von den Applikationen mit Kooperation und Kollaboration, denn hier hat ein normaler Industrieroboter nichts verloren.“ Allerdings habe die smarte Programmierung den Weg für die Cobots in die Anwendungsbereiche der Industrieroboter teilweise geebnet.

Zudem kamen viele Unternehmenschefs auf die Idee, einen Cobot statt eines Industrieroboters einzusetzen, um so auf die teuren Schutzeinrichtungen verzichten zu können. Der Schuss ging oft nach hinten los. Röhrig ist regelmäßig in den Produktionshallen im Land unterwegs ist und hat viele Projekte gesehen, die ursprünglich mal als ambitioniertes Vorzeigeprojekt ohne Schutzzaun gestartet wurden und dann nachträglich auf Druck von TÜV und Berufsgenossenschaft kleinlaut eingehaust wurden. „Die anfängliche Freude bei Kunden über die Verheißungen des Cobot-Marketings weicht oft der Ernüchterung, wenn der Blick auf Output und Taktzeiten geht“, weiß Röhrig. „Am Ende sind das nun mal die Parameter, die zusammen mit dem Preis die Wirtschaftlichkeit ausmachen.“

Auch nach Einschätzung von Schmid wird es wohl nur in Teilbereichen zu Überschneidungen von Cobots und Industrierobotern kommen: „Für beide Sparten, ob nun einfach zu bedienen oder traditionell programmiert, gibt es eigenständige Einsatzgebiete und daher genügend Potenzial, um weiter wachsen zu können.“ Am Ende würden die klassischen Größen wie Gewicht, Geschwindigkeit, Reichweite und Preis entscheiden, welcher Roboter für die jeweilige Anwendung am besten geeignet ist.

Cobots sind aber nicht nur einfach zu programmieren und vom Gewicht her leicht, sondern bieten zudem eine Flexibilität, die Industrierobotern mit zusätzlicher Sensorik und Schutzhaut fehlt. „Das Gesamtkonzept des Cobots ist das eigentliche Alleinstellungsmerkmal“, ergänzt Schmid. „Wo Mitarbeiter auf engem Raum einfache, monotone und gesundheitsbelastende Tätigkeiten ausführen, ist der Cobot am rechten Platz.“ (us)

Kontakt:
Deutscher Robotik Verband e.V.
Umweltcampus Birkenfeld
Campusallee
55768 Hoppstätten-Weiersbach
Tel.: +49 67824009790
helmut.schmid@robotikverband.de
www.robotikverband.de


Dieter Faude, Geschäftsführer Cobot Consulting: „Der aktuelle Stand der Normen bremsen Ideen aus.“
Bild: Cobot Consulting

„Die Berufsgenossenschaft findet immer ein Haar in der Suppe“

Herr Faude, wie ist es um den Markt der Cobots bestellt?

Es gibt immer mehr Hersteller und Modelle, aber keinen Markt. Grund dafür sind nach wie vor die niedrigen, biomechanischen Werte der Norm TS15066, die oft keinen wirtschaftlichen Einsatz für Cobots zulassen.

Ist eine Lösung in Sicht?

Ich gehe davon aus, dass alle Marktteilnehmer auf die Integration dieser Norm in die DIN EN ISO 10218–2 warten und somit auf eine deutliche Erhöhung der Grenzwerte. Dann wird sich auch klären, ob man einen Betriebsartenschalter oder einen dreistufigen Zustimmschalter braucht oder nicht. Das sind alles Mehrkosten und verunsichern den Anwender. Bislang bremsen Sicherheitsbedenken und der aktuelle Stand der Normen innovative Ideen eher aus.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Da fällt mir sofort der Schweißtechnik-Spezialist Lorch mit seinem Cobot-Welding ein. Lorch hat es sich mit der Lösung nicht leichtgemacht, wie viele Mitbewerber auch. Es wurden mehre Berater eingeschaltet, um dem Mittelstand eine sichere und preisgünstige Anlage anbieten zu können. Leider hat auch hier die Berufsgenossenschaft wieder ein Haar in der Suppe gefunden. Jetzt muss es doch wieder eine Zelle sein.


Uwe Schoppen, Redakteur Industrieanzeiger
Bild: Tom Oettle

Warten auf Cobot

Die Innovationskraft der Cobot-Hersteller ist gigantisch. Sie haben die Robotik auf ein Niveau gehoben, von denen die Hersteller konventioneller Roboter vor zehn Jahren nicht einmal träumen konnten. Leider wird die Technik ausgebremst durch Sicherheitsanforderungen, die den wirtschaftlichen Einsatz von Cobots verhindern. Natürlich darf dem Werker, der mit dem Cobot zusammenarbeitet, nichts passieren. Aber die Regelung müsste doch auch mit praxistauglichen Normen möglich sein.

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