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Messroboter unter freiem Himmel

Stäubli-Modell besteht beim wohl härtesten Einsatz weltweit
Messroboter unter freiem Himmel

Prüftechnik | Auf dem Dach des European Technology Innovation Center von John Deere in Kaiserslautern zieht ein eiserner Werker seine Kreise. Im Sommer, im Winter, bei Regen, Hitze, Kälte und Schnee. Diesen mörderischen Outdoor-Einsatz hat sich nur der Roboterhersteller Stäubli zugetraut.

John Deere mit Hauptsitz in den USA zählt zu den führenden Herstellern von Maschinen für die Land-, Forst- und Bauwirtschaft. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 60 000 Mitarbeiter in 68 Fabriken und Entwicklungszentren. Allein in Deutschland sind etwa 7000 Menschen an sechs Standorten beschäftigt, 200 davon im modernen European Technology Innovation Center, kurz ETIC, in Kaiserslautern. Hier stehen neue Techniken im Mittelpunkt, die gemeinsam mit den Fabriken zur Serienreife entwickelt und in die Maschinen integriert werden. Der Fokus liegt dabei auf „Precision Farming“.

Georg Kormann, Manager Advanced Engineering bei John Deere, arbeitet mit seinem Team an der Entwicklung hochgenauer GPS-Empfänger. Was man bei John Deere unter hochgenau versteht, liegt dabei weit über den Standards in der Automobilindustrie. „Mit unserem Produkt AutoTrac können wir heute Landmaschinen mit einer Genauigkeit von zwei Zentimetern über das Feld führen“, schwört Kormann. „Das funktioniert nur mit speziellen GPS-Empfängern, die wir hier entwickeln und die harte Prüfungen bestehen müssen.“ In der Qualitätssicherung müssen die Empfänger mit verschiedenen Geschwindigkeiten unter freiem Himmel aufwendige Testreihen durchlaufen. In der Vergangenheit waren die notwendigen realen Testfahrten sehr aufwendig und nahmen viele Stunden in Anspruch. Außerdem war die Vergleichbarkeit der Messerdaten aufgrund abweichender Parameter bei diesen Feldversuchen teilweise eingeschränkt.
Hinzu kam eine weitere Herausforderung, die Kormann Kopfzerbrechen bereitete: „Für die Referenzierung unserer Low-Speed-Receiver brauchen wir eine Präzision, die zehnmal höher ist als die Genauigkeit der Geräte“, so der Manager. „Die Messmethoden müssen demnach im Toleranzbereich von einem Millimeter liegen. Deswegen haben wir uns entschlossen, die Messfahrten von einem Präzisionsroboter reproduzierbar durchführen zu lassen.“
Eine gute Idee, deren praktische Umsetzung aber nach ersten konkreten Überlegungen nahezu unmöglich schien. Hauptproblem war der geplante Outdoor-Einsatz des Roboters. Für einen uneingeschränkten GPS-Empfang musste der Roboter auf dem Dach des Entwicklungsgebäudes installiert werden und wäre dort ganzjährig allen Witterungsbedingungen ausgesetzt.
Dennis Dispot, der im Rahmen seiner Diplomarbeit bei John Deere mit der Umsetzung der Aufgabe betraut war, erinnert sich noch gut an diese Phase: „Auf unsere Anfrage bei Roboterherstellern nach einem allwettertauglichen Sechsachser ernteten wir lediglich Kopfschütteln.“ Nur Stäubli Robotics war bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen. Ein voll gekapselter Sechsachser des Typs TX200L in HE-Ausführung sollte mit dem Einsatz unter freiem Himmel klar kommen. „Für uns war das vielversprechend und wir machten uns gemeinsam mit Stäubli an die Arbeit“, so Dennis Dispot.
Die Zusatzbezeichnung HE bei den Sechsachsern steht für Humid Environment. Die Modelle sind für Einsätze in Feuchträumen speziell modifiziert. Der komplett gekapselte Roboter ist dabei in der Schutzart IP 65 ausgeführt. Durch eine spezielle Überdruckeinheit lässt sich diese Schutzart-Klassifizierung noch steigern. Mit dieser Option wurde der Outdoor-Einsatz bei John Deere überhaupt erst möglich. Bevor der Roboter seine endgültige Lackierung bekommt, wird die Oberfläche noch einer speziellen Behandlung unterzogen, welche die Korrosionsbeständigkeit zusätzlich erhöht. Besonders beanspruchte Teile sind aus Edelstahl gefertigt. Die abschließende Lackierung erfolgt in hoher Oberflächengüte, so dass der eiserne Werker für härteste Einsätze gerüstet ist. Ein weiterer Pluspunkt ist die vertikale Kabeldurchführung. Alle Anschlüsse befinden sich unter dem Roboterfuß und sind vor Regen und Schnee geschützt.
„Als wir die HE-Version auf den Markt brachten, fokussierten wir uns auf Einsätze beim Wasserstrahlschneiden oder in der Lebensmittelindustrie mit ihren harten Reinigungsprozessen“, sagt Gerald Vogt, der die Roboterentwicklung am Stammwerk in Faverges leitete und der kürzlich die Geschäftsführung von Stäubli Robotics in Bayreuth übernahm. „An ganzjährige Einsätze unter freiem Himmel hatten wir ganz sicher nicht gedacht.“ Aber die HE-Version biete auch für diesen Fall gute Voraussetzungen.
Obgleich das Modell also genetisch bestens für das Vorhaben geeignet war, gab es noch viele ungeklärte Punkte: Wie kommt der Roboter aufs Dach? Welche Anforderungen werden an die Statik des Gebäudes gestellt? Wie sind die Themen Blitzschutz, Zutrittskontrolle und Sicherheit zu regeln? Welche zusätzlichen Modifikationen sind am Roboter erforderlich? Wie geht man mit Temperaturschwankungen und Kondenswasser um? Planung und Realisierung des Projekts nahmen entsprechend viel Zeit in Anspruch. Allerdings konnte sich Dennis Dispot immer auf die Unterstützung aus Bayreuth verlassen. Gemeinsam ließen sich alle technischen Detailfragen lösen.
Was man bei John Deere auch schätzt ist die hohe Flexibilität der Prüfanlage. Mit dem Roboter lassen sich unterschiedliche Fahrzyklen von Traktoren einschließlich Hangneigung und weiterer Parameter simulieren. Mit seiner Traglast bis maximal 80 kg lässt sich das Modell auch für Vergleichstests nutzen. Der Sechsachser kann mehrere GPS-Empfänger gleichzeitig inklusive Prüfequipment mitführen, ohne bei der Traglast an die Grenze zu stoßen. (ub) •
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