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Vernetztes Fahren: Car2X-Kommunikation rangelt um Standards

Vernetztes Fahren
Car2X-Kommunikation rangelt um Standards

Um den Verkehr sicherer zu machen, sollen Autos untereinander und auch mit der Infrastruktur kommunizieren. Praktische Einsätze gibt es bereits, aber keinen Standard – noch.

Tobias Meyer
Freier Reporter bei Nürnberg

Um das autonome Fahren sicher zu machen, müssen die Fahrzeuge soviel Information wie möglich über ihre Umgebung erhalten. Daher verlassen sie sich künftig nicht mehr nur auf ihre eigene Sensorik, sondern stehen auch mit der Infrastruktur selbst in Kontakt: Von der kleinen Fußgängerampel über Positionsmeldungen von Wanderbaustellen bis zum umfassenden städtischen Verkehrsleitsystem. Das ganze nennt sich Car2X, womit in etwa „Auto-zu-allem-Übertragung“ gemeint ist.

Die ersten Projekte laufen bereits. So errichten Volkswagen und Siemens auf einer Hauptverkehrsstraße in Wolfsburg derzeit einen Testabschnitt, in dem zehn Signalanlagen die Ampelphasen im lokalen Umfeld digital übermitteln. Künftige Fahrzeuge können diese Informationen verarbeiten: So können sie etwa automatisch über grüne Wellen reiten, indem die Person am Steuer entsprechend instruiert wird und so ihr Fahrverhalten anpassen kann. Assistenzfunktionen können die nötigen Brems- und Beschleunigungsmaßnahmen in naher Zukunft auch ohne das Zutun des Fahrers übernehmen. Die vorausschauenden Ampelfunktionen verbessern einerseits den innerstädtischen Verkehrsfluss.

Sensorik erfasst Fußgänger und Radfahrer sicher

Zudem soll das Projekt vor allem zur Verkehrssicherheit beitragen. Dafür werden zwei Straßenkreuzungen mit Radarsensorik ausgestattet, um Fußgänger und Radfahrer zu erfassen. Manfred Fuhg, Leiter Siemens Mobility Deutschland, sagt dazu: „Insbesondere an komplexen Kreuzungen und Unfallschwerpunkten werden so Informationen bereitgestellt, die die Fahrzeuge selbst nicht erfassen können.“ Insbesondere Fußgänger und Radfahrer sollen dadurch besser geschützt werden.

Auch Parkhäuser werden bald über eigene Sensorik verfügen und ankommende Fahrzeuge mit Daten versorgen. Unter der Federführung des Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) der TU Braunschweig wurde kürzlich das Projekt SynCoPark gestartet. Es nutzt das am Forschungsflughafen erbaute Parkhaus als Testzone für automatisierte Parkvorgänge, bei denen der Fahrer das Fahrzeug verlassen kann und dieses sich selbstständig in die Parkposition begibt. Das spart Zeit.

„Unser Ziel ist es, Parkvorgänge in unterschiedlichen Automatisierungsgraden durchzuführen, und einen Standard zu entwickeln, der es erlaubt, Parkvorgänge unabhängig vom Fahrzeughersteller, Infrastrukturdienstleister und Parkhausbetreiber anzubieten“, erläutert Roman Henze vom NFF. Durch die standardisierten Lösungen sollen automatisierte Fahrzeuge in der Lage sein, sich auch in baulich sehr unterschiedlichen Parkhäusern zu orientieren und auf die Fahrmanöver anderer Fahrzeuge zu reagieren. „So kann nicht nur die technische Ausstattung von Neubauten, sondern auch die Nachrüstung bereits bestehender Parkhäuser geplant werden“, so Henze. Die Ergebnisse aus dem Projekt sollen 2021 im Rahmen des ITS Weltkongresses in Hamburg auf das Parkhaus der Elbphilharmonie übertragen und demonstriert werden.

Erste Projekte zur Digitalisierung laufen bereits

Da die Digitalisierung der Straße nicht an der holländischen oder dänischen Grenze zu Kompatibilitätsproblemen führen darf, wird ein europaweiter Standard angestrebt. Die übergeordnete C-Roads-Plattform arbeitet an einheitlichen Spezifikationen, vernetzt die nationalen Pilotprojekte und fördert das EU-weite Testen, um die Interoperabilität der Systeme und Dienste über Ländergrenzen hinweg sicherzustellen. In Deutschland werden dazu in Hessen auf 280 km Autobahn verschiedene Dienste realisiert, als einfachster die Überwachung der Fahrzeugdaten selbst: Die von einer Roadside-Station empfangenen Meldungen werden an eine Zentrale weitergeleitet und ermöglichen dort eine Ergänzung und Verbesserung der bislang auf stationäre Detektoren gestützten Verkehrslageanalyse. Das ist insbesondere dort vorteilhaft, wo die stationären Erfassungsstellen weit auseinanderliegen oder nicht vorhanden sind. Außerdem sollen eine Baustellenwarnung und ein Warnsystem vor langsamen Fahrzeugen implementiert werden.

Niedersachsen testet die Erfassung von Verkehrszeichen

In Niedersachsen will man auf einem Straßenabschnitt die Verkehrszeichen – auch temporäre – digitalisieren und so als Information im Fahrzeug verfügbar machen. Aktuell erkennen moderne Fahrzeuge bestimmte Schilder bereits über Kameras und warnen den Fahrer, wenn er etwa die Geschwindigkeit überschreitet. Allerdings erkennen diese Systeme auch die rotumrandeten 80-Plaketten an LKW-Hecks und interpretieren sie als Geschwindigkeitsbegrenzung. Eine Übermittlung aller Verkehrszeichen würde ein Übersehen ebendieser erschweren und so den Verkehr sicherer machen.

Es kann nur einen geben

Für das alles aber wird ein Kommunikationsstandard gebraucht, von dem aktuell zwei parat stehen: C-V2X (Cellular Vehicle-to-everything) basiert auf Mobilfunk, gilt als moderner, aber noch nicht ganz marktreif; ITS-G5 dagegen ist mit der WLANp-Technologie bereits komplett verfügbar und kommt auch bei den aktuell hierzulande aufgebauten Projekten zum Einsatz. Für beide wird keine SIM-Karte benötigt. Wie sehr sich hier die Meinungen hinsichtlich der jeweiligen Vorteile unterscheiden, macht Volkswagen deutlich: Die Marke VW setzt auf die ältere Technik und will diese schon bald in aktuelle Modelle einpflegen, Audi dagegen setzt auf den neueren Standard. Nicht einmal innerhalb des Konzerns ist man sich also einig, auf welche Technologie gesetzt werden sollte.

Generell gilt WLANp als etabliert, auch in Amerika wurde ein darauf basierender Standard entwickelt, dieser hat sich aber nie wirklich durchgesetzt. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die US-Autobauer wohl eher C-V2X implementieren. Auch in Europa sind nicht alle Autobauer mit dem in Brüssel favorisierten WLANp glücklich: Bis vor kurzem galt als relativ sicher gesetzt, dass eben dieses als Standard länderübergreifend in Europa festgelegt werden sollte. Die EU-Pläne könnten zwar später um Mobilfunksysteme erweitert werden, gleichzeitig sollten neue Technologien aber mit den alten – also WLANp – kompatibel sein. Das aktuell auf LTE und später auf 5 G basierende C-V2X kann sich aber nicht mit dem von der EU favorisierten Protokoll unterhalten, Experten des Mobilfunkverbandes GSMA vergleichen das damit, später einmal eine DVD in einen Videorekorder stecken zu wollen. Sie sehen es daher als schwierig, künftig einfach und unkompliziert weitere neue Standards einbinden zu können, sobald einer auf diese Weise festgeschrieben steht. Daher drängte man darauf, diesen Schritt nicht zu gehen, auch wenn bereits viel Geld in Projekte auf WLANp-Basis geflossen sei. Statt in rein straßenverkehrsspezifische Hardware zu investieren, könne man auch direkt das 5 G-Netz ausbauen, was vielseitiger genutzt werden könnte.

Kampf der Kommunikationsprotokolle: Car2X versus WLANp

„Europa darf beim autonomen Fahren nicht falsch abbiegen. Wenn andere Länder auf den Mobilfunk von morgen setzen, können wir keinen europäischen Sonderweg einschlagen“, gab auch Bitkom-Präsident Achim Berg zu bedenken. Schon 2016 gründeten daher BMW, Daimler und Audi zusammen mit Intel, Ericsson, Huawei und Qualcomm die 5G Automotive Association (5GAA), um C-V2X auch in Europa voranzutreiben. Inzwischen stehen über 100 Unternehmen hinter der Initiative, auch Volkswagen hat sich angeschlossen, daneben Bosch, Continental, Airbus, GM, die PSA-Group und einige asiatische Autobauer. Von dort kommt der neue Standard, China stellte damit den Rest der Welt einfach vor vollendete Tatsachen und beschloss, großflächig die auf Mobilfunk basierende Technologie auszurollen. Im Jahr 2020 sollen bereits 90 % der Autobahnen und Städte damit ausgestattet sein. Wollen die hiesigen Autobauer dort also weiter Geschäfte machen, müssen sie entsprechende Systeme an Bord haben.

Technologieoffenheit oder Standardisierung?

Auch BMW und die Telekom sprachen sich gegen die WLAN-Technik aus, sie forderten Verkehrsminister Scheuer auf, sich in Brüssel entsprechend zu engagieren. Mit Erfolg: Etwas überraschend räumte der Europäische Rat Anfang Juli 2019 den Rechtsakt wieder vom Tisch, die neue EU-Kommission steht damit wieder ohne Regelung da, es ist alles wieder offen.

„Mit ihrer Entscheidung macht die EU den Weg frei für eine technologieneutrale Lösung“, sagt Berg. Ein offener Ansatz, der neben WLAN- auch Mobilfunktechniken berücksichtige, böte laut Bitkom große Vorteile für eine ungehinderte technologische Entwicklung. „Jetzt ist die Kommission gefragt, dem Votum zu folgen und zügig einen neuen Entwurf vorzulegen. Dieser muss dem Anspruch von Technologieneutralität und Zukunftsoffenheit Rechnung tragen. Die Konkurrenz aus den USA und China wartet nicht auf Europa.“

Car2X setzt auf Mobilfunk-Infrastruktur auf

Die Fixierung auf das etwas angestaubte WLANp begründeten die EU-Verantwortlichen damit, dass dieser bereits vollständig praxiserprobt und zertifiziert sei, man wolle nicht noch weitere Jahre auf einen neuen Standard aus Asien warten müssen. Die bereits verfügbare Technik hat allerdings ihre Tücken: Sie ist etwa auf 300 m begrenzt und braucht daher ein eigenes, dichtes Netz aus Stationen am Straßenrand. Dafür ist die Übertragung sehr schnell, für sicherheitsrelevante Funktionen können bereits geringe Latenzen im Millisekundenbereich entscheidend sein. Im Gegenzug braucht C-V2X kein großes Netz, es nutzt die bestehende Mobilfunk-Infrastruktur. Dafür muss es aber den Umweg über deren Knotenpunkte gehen, wodurch die Latenz steigt. Laut Experten will man hier – dank Edge Computing – inzwischen aber gleichauf sein, die befürchtete Wartezeit bis zur Marktreife sei ebenfalls nicht mehr relevant: „Vernetzte Mobilitätsstandards sind keine Zukunftsvision“, sagt Maxime Flament, Chief Technology Officer der 5GAA während eines Testlaufs in Berlin Ende Mai 2019. Dort zeigte man anhand von fünf Beispielen die direkte Kurzstreckenkommunikation zwischen den Fahrzeugen und den übergreifenden Informationsaustausch über das Mobilfunknetz. „Die vorgestellten Lösungen sind bereit für den Einsatz. Die Feldtests befinden sich bereits in der Endphase und die ersten Lösungen sind nun bei mehreren Anbietern erhältlich.“

Teilnahme am Verkehrsgeschehen via Smartphone

Über ihr Smartphone können außerdem auch Fußgänger und Radfahrer im vernetzten Verkehr eingebunden werden. Um das per WLANp zu ermöglichen, braucht es eigene Sensoren an Ampeln, wie es im oben beschriebenen Wolfsburger Projekt erprobt wird. Gunnar Koether, Leiter der Fahrzeugsicherheit von Volkswagen hält das für präziser: „Anders als die vergleichsweise ungenauen Positionsdaten eines Smartphones, bietet Sensorik analog zum Fahrzeug hochgenaue Daten eines kritischen Bereiches. Eine wesentliche Bedingung, um Fehlwarnungen zu vermeiden. Daneben ist der Datenschutz ein weiterer Aspekt, der bei der Nutzung privater Smartphones abschrecken könnte.“

Ob Autos schlussendlich für verschiedene Märkte unterschiedlich ausgestattet werden müssen, ist aber nur am Rande ausschlaggebend: Rechts- und Linkslenker sowie viele andere länderspezifische Sonderlösungen sind schließlich ebenso machbar. Daher wäre es auch zumutbar, unterschiedliche Hardware für Europa und den Rest der Welt unter die Haube zu stecken.

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