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Gradel startet Serienfertigung für raumgewickelte Leichtbauteile.

Neun Roboter-Achsen für das Raumwickeln
Die Leichtbau-Revolution startet in der Raumfahrt

Der Luxemburger Maschinenbauer Gradel hat im Mai 2023 die erste vollautomatisierte Fertigung für ultraleichte Raumwickel-Teile in Betrieb genommen. Dass die Linie primär für die Raumfahrt konzipiert ist, tut ihrer Bedeutung keinen Abbruch: Von den hochgesteckten Vorgaben dieser Branche profitieren alle Anwender der Ultraleichtbau-Technologie „xFK in 3D“.

» Olaf Stauß, Redakteur Konradin Industrie

Es war ein harter Weg bis hierher“, fasste Claude Maack die vier Jahre bis zur Einweihung der Roboter-Anlage zusammen, geschäftsführender Gesellschafter der Gradel Sarl. In diesen vier Jahren hatte das in der Nuklear- und der Raumfahrttechnik tätige Unternehmen alles getan, um bei sich den Ultraleichtbau zu etablieren – die eigene Struktur umgebaut, investiert, Mitarbeiter eingestellt und dem Chef den Rücken freigeschaufelt.

Anlass war die Begeisterung Maacks, als er bei Rainer Kurek die Raumwickel-Technologie „xFK in 3D“ für ultraleichte Teile kennenlernte. Kurek ist Geschäftsführer der Technologieberatung Automotive Management Consulting. Er war schon 2015 auf die Technologie aufmerksam geworden und treibt sie seither voran – vor allem im Automobilbau, der ureigensten Zielrichtung der AMC GmbH. Faszinieren konnte er Maack bei der ersten Begegnung 2018 mit dem manuell gewickelten „Shanghai-Bracket“: Mit rund 180 g hält die grazile Struktur fast 10 t Last stand.

Roboter wickeln Ultraleichtbauteile

Die Inbetriebnahme des roboterisierten Raumwickelns durch Gradel ist nun der Schritt hin zur Industrialisierung für alle Branchen, ein Höhepunkt. „Ein großer Tag für uns“, sagte auch Kurek bei der „Inauguration“ der Roboter-Linie im luxemburgischen Hautcharage.

Die dort installierte Anlage bietet optional neun Achsen und besteht aus drei Robotern, die auf einer 10 m langen X-Schiene verfahren und beim Raumwickeln kooperieren können. Ein weiterer Roboter ist in einem Reinraum untergebracht für Aerospace-Anwendungen. Die Anlage wickelt vollautomatisiert und maßgeschneidert mit Geschwindigkeiten zwischen 25 und 600 mm/s. Zwei große Industrieöfen schließen sich an.

Die Bedeutung dieser Technologie erschließen am besten die Duftmarken, die ihre Akteure immer wieder mit manuell gewickelten Strukturen ‚xFK in 3D‘ gesetzt haben. 2015 begann es mit einem Fahrrad-Flaschenhalter, der nur 9 g wiegt – aber die 500 g des halben Liters Wasser in der Flasche trägt. Später folgte ein Flaschenhalter für Le Mans, der mit 23 g Eigengewicht auch den hohen Beschleunigungen im Motorsport standhält. Und derzeit entsteht ein Schulpavillon mit 3 x 5 m² Grundfläche, der aus 72 Raumwickel-Teilen zusammengesetzt wird und nicht mehr als 80 kg wiegt. Vier starke Männer könnten ihn packen und wegtragen.

Leichtgewichte stemmen Tonnenlasten

Strukturen von klein bis extrem groß. Sie deuten das Potenzial der Technologie an. Allen ist eines gemein: Mit einem Minimum an Masse tragen sie Lasten, die ein hohes Vielfaches ihres Eigengewichts ausmachen. Eine ultraleichte Option für Satelliten und Raketen ebenso wie für Automobile, Flugzeuge und Anwendungen bis in die Architektur hinein.

Gramm-Gewichte stemmen Tonnen-Lasten. In diesem Gewichts-Kontext verdeutlicht eine bloße Zahl, was die Roboter-Fertigung „Gradel Robotic Additive Manufacturing“ (Gram) in Luxemburg zu leisten vermag: „Gram kann pro Stunde bis zu 14 Kilogramm Struktur wickeln, ohne metallische Buchsen“, sagt Claude Maack. Ein ultraleichter Autositz wie ihn Gradel schon gewickelt hat, ließe sich in 15 bis 30 min fertigen, je nach Auslegung.

Was verbirgt sich hinter ‚xFK in 3D‘? Das Prinzip ist leicht erklärt, aber nicht einfach umzusetzen: Dreidimensional im Raum verlegte Fasern folgen den errechneten Lastpfaden eines Bauteils – und verbleiben die einzige Masse der Struktur. Damit dies wirklich funktioniert, mussten Grundlagen erforscht, Know-how aufgebaut und diffizile Fragen gelöst werden bis heute: Wie lässt sich die Struktur aus FEM-Analysen entwickeln, wie entsteht der Wickelplan? Welche Harze und Fasern (für die das „x“ steht) sind möglich? Wie lassen sich die Strukturen auslegen und mit welchen Kennwerten wie reproduzierbar fertigen? Und zuletzt: Mit welchen Faser-Harz-Systemen werden sie nachhaltig, geht Flachs oder Basalt?

Initialzündung durch eine Partnerschaft

Die AMC ertüchtigte diese Technologie mit ihren Partnern in einer digitalen Prozesskette bis in erste Automobilanwendungen hinein, über die aber nicht oder nur schemenhaft geredet wird. Als Maack und Kurek im November 2018 ihre Kooperation beschlossen, begann eine neue Phase. Der Luxemburger entwickelte einen ambitionierten Plan, das Raumwickeln in der Raumfahrt zu etablieren. Man könnte ihn eine Art Marschallplan nennen. Denn der Maackplan zielt direkt auf die Industrialisierung und will nichts dem Zufall überlassen.

Den Anfang machte eine Marktstudie für die Raumfahrt. Aerospace signalisierte, dass automatisiertes Fertigen eine Grundvoraussetzung sei, ohne manuelle Elemente. Also beantragte Gradel ein Förderprojekt mit dem „Luxembourg ‧Institute of Science & Technology“ (List), das die „Luxembourg Space Agency“ (LSA) bewilligte.

ESA unterstützt die Entwicklung

Die ESA begleitete das Forschungsvorhaben. Mit Thales Alenia Space, Airbus und OHB Systems waren renommierte Partner mit an Bord, die AMC liefert weiterhin ihre Unterstützung. Noch 2019 stellte Gradel zwei ausgewiesene Roboterwickel-Experten ein, heute umfasst das Leichtbau-Team bereits 16 Ingenieure. „Durch die Pandemie konnten wir in Ruhe entwickeln“, blickt Maack zurück.

Die jetzt in Betrieb genommene „voll industrialisierte“ Wickelanlage ist die dritte, ihre Vorläufer hatten eher prototypischen Charakter. Bei ihr sind bis zu sechs Faserspulen gleichzeitig im Einsatz. Völlig neu ist der Prozess, die Fasern im Wickelkopf auch gleich zu imprägnieren und „nass“ zu wickeln. Denn bereits vorimprägnierte Tow Pregs finden in der Raumfahrt keinen Einsatz, ebensowenig wie in anderen potenziellen Zielbranchen mit begrenzten Stückzahlen. Patentieren ließ sich Gradel die Prozessüberwachung unter besagtem Namen „Gram“.

Das Ziel: Technik muss nachhaltiger werden

Gradels Plan sieht ein Budget von 12 Mio. Euro inklusive Fördergeldern vor. „In der Raumfahrt kommen wir gut voran“, meint Maack. Doch für einen Mittelständler müssen sich Investitionen schneller amortisieren, als in Aerospace machbar. Darüber hinaus muss der Ultraleichtbau in die Breite gehen, wenn er wirklich Nachhaltigkeitseffekte erzielen soll – das ist Claude Maack äußerst wichtig. Gradel hat daher sein Geschäftsmodell in Absprache mit AMC erweitert: Branchen wie Aerospace bedienen die Luxemburger als Zulieferer direkt mit ‚xFK in 3D‘-Strukturen. Für größere Stückzahlen liefern sie die Anlagen – inklusive Projektierung, Wissenstransfer, Service und intensiver Begleitung. Dies könnte für Industriezweige wie Luftfahrt, Fahrzeugbau, Sportgeräte oder auch Möbel und Architektur der Fall sein.

Diverse Branchen sind angesprochen

Um Absatzfelder ist dem Gradel-CEO nicht bange. „Auf 256 Milliarden Euro schätzt McKinsey den Leichtbau-Markt. Unsere Technologie könnte zehn Prozent abdecken. Bestünde nur zu geschätzten vier Prozent ein Interesse daran, entstünde ein Bedarf an 3700 Anlagen, den wir alleine nie decken könnten.“ Zwei weitere Problemstellungen hält Maack für gravierender, für die Gradel im Rahmen seines Investitionsplans aber schon Lösungen avisiert hat.

Erstens: Wie können ‚xFK in 3D‘-Strukturen im Blick auf die Rohstoffe wirklich nachhaltig sein, wenn hohe Mengen nachgefragt werden? Neben den Fasern betrifft das auch die Harze. Als Lösung hat die Forschungsinstitution List die sogenannten „Vitrimere“ ausgemacht.

Dabei handelt es sich laut Maack um biobasierte Materialien mit Festigkeitswerten nahe denen von Epoxidharzen, aber mit Vorteilen wie bei Thermoplasten: Sie lassen sich thermomechanisch umformen, verschweißen, recyceln und eröffnen produktionstechnisch neue Möglichkeiten. List hat bereits Patente darauf und arbeitet mit Gradel als Maschinenbau-Partner zusammen – ein Zukunftsprojekt.

KI hilft beim Technologietransfer

Die zweite Engstelle ist die zunächst naheliegendere: Wie soll das komplexe Wissen um Raumwickel-Strukturen und ihre industrielle Produktion effizient weitergegeben werden? So dass sich die Kosten für Kunden in Grenzen halten? Denn darin steckt Know-how aus verschiedensten Disziplinen innerhalb der digitalen Prozesskette: FEM-Simulation, Werkstofftechnik, Robotik und Wickeltechnologie, Maschinentechnik und Werkzeugbau etc.. Um dieses Wissen in Software und eine praktikable Bedienoberfläche zu gießen, arbeitet Gradel mit dem südkoreanischen KI-Experten Data Design Engineering Sarl mit Sitz in Luxemburg zusammen. Claude Maack: „Unsere Vision ist es, dass die Software einen geschulten Maschinenbau-Ingenieur durch den gesamten Auslegungsprozess führt, ohne dass er dafür Spezialkenntnisse benötigt.“ Auch dieses F+E-Projekt läuft schon an und ist auf drei Jahre angelegt.

www.gradellw.com

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