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Leichtgewichte durch Materialverbund

Neue Anwendungen setzen standardisierte Produktionsketten voraus
Leichtgewichte durch Materialverbund

Faserverstärkte Kunststoffe verringern das Gewicht von bewegten Bauteilen drastisch und senken damit den Energieverbrauch. Doch um neue Anwendungen im kostensensiblen Fahrzeug- und Maschinenbau erschließen zu können, braucht es standardisierter Produktionsketten. Hierfür soll im sächsischen Dreiländereck ein Faserverbund-Netzwerk entstehen.

Vier Tage lang dauert es, ein Rotorblatt für die Enercon-Windkraftanlage E-101 zu bauen. In riesigen Formen legen die Arbeiter eine Glasfaserschicht nach der anderen, tränken sie unter einer Vakuumfolie mit Epoxidharz und härten sie bei Temperaturen von 85 °C über mehrere Stunden aus. Wenn die übereinander liegenden Schichten 30 cm dick geworden sind, ist eine von zwei Schalen für ein Rotorblatt fertig. Dann wird sie mit der anderen Schale und einem Mittelsteg zu einem 49 m langen Rotorblatt verklebt. Dieses Rotorblatt soll später gemeinsam mit zwei weiteren Rotorblättern in 100 m Höhe einen Generator antreiben.

Der Glasfaser-Kunststoff (GFK) der Rotorblätter ist stabil genug, dass die E-101 auch bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 34 m/s die großen Kräfte überträgt und Strom produziert. Für Volker Ziem, Geschäftsführer der Rothenseer Rotorblattfertigung GmbH in Magdeburg, ist der Umgang mit dem Faserverbund-Material eine jahrelang geübte Praxis. „Wir arbeiten schon immer mit Glasfasern und Epoxidharz“, berichtet er. Enercon stellt seit 1995 serienmäßig Rotorblätter her, seit 2001 auch im Werk Rothensee. Auch die Formen baut das Unternehmen selbst.
Die Fertigung der riesigen Rotorblätter bei Enercon ist mit viel Handarbeit verbunden. Kleinere GFK-Bauteile können auch mit automatisierten Fertigungsschritten hergestellt werden. Das zeigt die Produktion von Blattfedern für Transporter und Lkw bei IFC Composite in Haldensleben, unweit von Magdeburg. Das Unternehmen produziert bereits seit 2004 GFK-Blattfedern unter anderem für die Transporter Mercedes-Benz Sprinter und Volkswagen Crafter. Bei diesen beiden Typen ersetzt jeweils eine 5 kg leichte Blattfeder ein 26 kg schweres Stahlteil. Mittlerweile hat IFC insgesamt 1,3 Mio. GFK-Blattfedern ausgeliefert und ist auf diesem Gebiet nach eigenen Angaben Marktführer in Europa. In der Entwicklung sind derzeit noch Blattfedern für Zwölftonner.
Für schwere Lkw arbeitet IFC derzeit mit vier europäischen Fahrzeugherstellern an serienreifen Blattfedern, berichtet Entwicklungsleiter Matthias Voigt. Hier ist die Gewichtseinsparung noch einmal deutlich größer als bei Transportern: Eine Blattfeder aus GFK mit 17 kg Gewicht ersetzt eine Stahlfeder, die 66 kg auf die Waage bringt. Da in den Zugmaschinen für schwere Lkw jeweils zwei vordere Längs-Blattfedern eingesetzt werden, summiert sich die Gewichtseinsparung auf knapp 100 kg. Damit wird eine höhere Zuladung im Lkw oder ein geringerer Kraftstoff-Verbrauch möglich. Das feine Ansprechverhalten der Hochleistungsfeder soll auch die Abrollgeräusche der schweren Lkw dämpfen. Außerdem rechnet IFC mit einer deutlich längeren Haltbarkeit gegenüber Stahlfedern.
Den Faserverbund-Werkstoff stellt das Unternehmen selbst im sogenannten Prepreg-Verfahren her. Dabei werden endlose, superdünne Glasfasern kaskadenförmig und kontinuierlich in einen dünnen, duroplastischen Harzfilm eingelegt. So entstehen zunächst 500 m lange Stränge aus jeweils 4000 Einzelfasern, die dem Material seine spätere Widerstandsfähigkeit verleihen. Danach werden die Stränge geschnitten und zu Rohlingen geschichtet. Nach einem Vorformprozess erhalten sie in einer Druckpresse ihre endgültige Form und härten bei 130 °C aus. Eine anschließende Wärmebehandlung verleiht den Blattfedern ihre thermische Stabilität, bevor sie für letzte Feinheiten mechanisch bearbeitet werden.
IFC produziert neben den Blattfedern auch Kupplungsteile für Windkraftanlagen aus GFK. Diese sogenannten Compolinks verbinden Rotoren und Generatoren miteinander. Außerdem hat das Unternehmen gemeinsam mit einem Technologiepartner eine Kardanwelle aus Faserverbund-Werkstoffen wie GFK und Carbonfaser-verstärktem Kunststoff (CFK) entwickelt. Hier wurde das Gewicht nach Unternehmensangaben von 12 kg auf 1,9 kg reduziert. Inzwischen gibt es auch eine Kardanwelle auf Hanfbasis, die am Ende ihrer Lebensdauer Kohlendioxid-neutral verbrannt werden kann.
Für Gewichtseinsparungen im Fahrzeugbau sind Faserverbund-Werkstoffe, auch Composite genannt, offenbar besonders gut geeignet. Den Beweis dafür tritt Ackermann Fahrzeugbau in Oschersleben an. Ackermann produziert bereits seit 2009 den Baustoff-Anhänger Heavy-Light (deutsch: Schwer-Leicht). Hier wird ein Boden aus einem speziell konstruierten GFK-Material eingesetzt, der im Vergleich zu herkömmlichen Böden sehr leicht ist. Die 25 mm dicke Sandwich-Struktur besteht aus zwei Platten, zwischen denen sich Waben befinden. Der Anhänger, der auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 18 t ausgelegt ist, kommt so auf ein Leergewicht von knapp 3 t. Das ist Ackermann zufolge 1 t weniger als das Gewicht eines vergleichbaren konventionellen Anhängers. Damit kann beim Transport schwerer Güter mehr zugeladen werden. Bei leichten Ladungen oder Leerfahrten sinkt der Kraftstoff-Verbrauch.
Ein noch anspruchsvolleres Projekt mit Compositen hat der Fahrzeugbauer in der ersten Hälfte dieses Jahres umgesetzt. Gemeinsam mit mehreren Partnern entwickelte er einen Kühl-Sattelanhänger, bei dem das Fahrgestell zu 98 % und der Aufbau zu 77 % aus Carbonfaser-Kunststoff (CFK) besteht. Müller zufolge ist der „CFKingsize-Trailer“ mit 6,7 t etwa 4 t leichter als normale Kühlsattel-Anhänger. Hinzu kommt eine günstige Aerodynamik, so dass ein Viertel des eingesetzten Diesel-Kraftstoffs eingespart werden kann.
Allerdings ist dieses Fahrzeug laut Geschäftsführer Thomas Maasberg derzeit „fast unbezahlbar“. Die ersten drei Trailer wurden mit Fördermitteln gebaut, ein großer Lebensmittel-Einzelhändler hat sie inzwischen in seinen Fuhrpark übernommen. Dennoch sieht der Ackermann-Gesellschafter eine Möglichkeit, den leichten Trailer künftig zu erschwinglichen Kosten zu produzieren: Dazu müssten standardisierte CFK-Bauteile industriell in großen Stückzahlen gefertigt werden.
Leichtbau-Werkstoffe aus Verbundfaser-Kunststoffen sind in den vergangenen Jahren vor allem durch den Flugzeugbau einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Das bekannteste Beispiel ist wohl der „Dreamliner“ des US-amerikanischen Konzerns Boeing, der zu einem großen Teil aus CFK gefertigt wird und dessen erste Auslieferung sich um drei Jahre verzögerte. Auch der deutsch-französische Konkurrent Airbus arbeitet an einem neuen Flugzeug A350 XWB mit CFK-Elementen.
Grundsätzlich können Verbundfaser-Werkstoffe auch im Maschinen- und Anlagenbau genutzt werden, um das Gewicht von bewegten Bauteilen zu senken und damit Energie einzusparen. So hat das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) schon vor drei Jahren in Dresden eine Bewegungseinheit für eine Laserschneidanlage von Trumpf entwickelt, bei der Stahl durch ein Sandwich-Material aus CFK und gefaltetem Aluminium ersetzt wurde. „Damit haben wir die Masse halbiert und die Steifigkeit verdoppelt“, erklärt Oberingenieur Eberhard Kunke. Weil auch der Preis des Sandwich-Materials doppelt so hoch ist wie bei Stahl, wird die leichte Bewegungseinheit nur selten verbaut.
Es kommt also darauf an, die oft noch hohen Kosten für die leichten Werkstoffe zu senken, damit sie breiter angewendet werden können. Das IWU sieht die Lösung dafür in standardisierten, funktionsoptimierten Verbund-Werkstoffen aus Fasern, Kunststoffen und Metallen. Sie sollen kostengünstig in großen Mengen als Halbzeuge hergestellt werden, die dann von einzelnen Anwendern zu speziellen Bauteilen verarbeitet werden können. Um solche Halbzeuge praxisnah zu entwickeln, hat das IWU gemeinsam mit der Hochschule Zittau/Görlitz und Industriepartnern eine Projektgruppe „Technologietransfer Produktionstechnik im Dreiländereck“ gegründet. Sie soll über fünf Jahre mit 5 Mio. Euro vom Freistaat Sachsen gefördert werden.
Diese Grundfinanzierung will IWU-Institutsleiter Reimund Neugebauer nutzen, um über gemeinsame Projekte ein Faserverbund-Netzwerk mit Hochschulen, Instituten und Unternehmen aufzubauen. Es soll sich auf Sachsen und die benachbarten Regionen, das polnische Schlesien und das tschechische Böhmen erstrecken. Das IWU arbeitet heute schon an gemeinsamen Projekten mit Unternehmen in der Lausitz, wie dem Schneidmaschinen-Hersteller Trumpf und dem Blechbearbeitungs-Spezialisten Käppler & Pausch in Neukirch, dem Schienenfahrzeug-Hersteller Bombardier und dem Gasturbinen-Werk von Siemens in Görlitz. Hinzu kommen intensive Kontakte mit der Hochschule Zittau/Görlitz und Hochschulen im polnischen Wroclaw (Breslau) sowie in den tschechischen Städten Liberec, Brno und Prag.
„Das Ganze zusammenzuführen und auf europäischer Ebene in eine neue Qualität zu bringen, das muss unser Ziel sein“, sagt Neugebauer. „Meine Vision wäre, dass wir in fünf bis zehn Jahren mit Schlesien, Böhmen und Sachsen als ein Dreibund auftreten, der zu den Spitzen-Netzwerken Europas zählt.“
Ein Industriepartner der Zittauer Projektgruppe ist der Blechbearbeitungsspezialist Käppler & Pausch in Neukirch/Lausitz. Geschäftsführer Gabriel Pausch sieht gute Chancen dafür, dass sich die zahlreichen Metall- und Kunststoff-verarbeitenden Unternehmen der Region auch die Produktion von Verbundmaterialien aus Kunststoff und Metall erschließen können. „Wir haben konkrete Ideen für den Einsatz von CFK-Halbzeugen in Maschinenverkleidungen“, berichtet Pausch. Um sie umzusetzen, müsse gleichzeitig mit der noch notwendigen Grundlagenforschung die Entwicklung von Anwendungen betrieben werden. „Wir wollen neue Produkte entwickeln, die die Energieeffizienz von Metallen und Kunststoffen auf eine neue Stufe heben“, deutet Pausch an.
Das Lausitzer Unternehmen arbeitet bereits seit einigen Jahren mit der Hochschule Zittau/Görlitz und mit dem IWU zusammen. Seit zwei Jahren beschäftigt es einen Mitarbeiter, der eine Hälfte seiner Arbeitszeit in Neukirch und die andere Hälfte an der Hochschule in Zittau verbringt. Diese „Personalunion“ hat Pausch zufolge die Kommunikation bei zwei Entwicklungsprojekten deutlich verbessert. Bei einem dieser Projekte ging es darum, wie Metall mit Kunststoff verklebt werden kann. Das Resultat lässt sich inzwischen an Informationsterminals besichtigen, die Käppler & Pausch in die saudi-arabische Religionsmetropole Mekka geliefert hat. In einem anderen Projekt haben die Lausitzer gemeinsam mit dem IWU neuartige Verfahren für die Blechumformung untersucht und getestet. Die ersten Ergebnisse will das Unternehmen in diesen Tagen präsentieren.
Stefan Schroeter Journalist in Leipzig

Fasern bestimmen die mechanischen Eigenschaften

  • Faserverstärkte Kunststoffe (FVK) bestehen aus Fasern, die in eine Matrix aus Kunststoff eingebettet sind. Indem verschiedene Kunststoffe und Fasern miteinander kombiniert werden, können gezielt Werkstoffe mit bestimmten Eigenschaften entwickelt werden.
  • Als Matrix werden häufig Duroplaste eingesetzt, zu denen auch das von Enercon verwendete Epoxidharz zählt. Duroplaste sind vor dem Aushärten sehr dünnflüssig und lassen sich deshalb relativ einfach mit Fasern verarbeiten. Für bestimmte Einsatzzwecke dienen auch thermoplastische und elastomere Kunststoffe. So können thermoplastische Kunststoffe gut geschweißt und umgeformt werden, elastomere Kunststoffe wiederum eignen sich als Werkstoffe für verstärkte Schläuche, Keilriemen und Autoreifen.
  • Die mechanischen Eigenschaften der FVK werden entscheidend von den verwendeten Fasern bestimmt. Am häufigsten werden die preisgünstigen und leicht zu verarbeitenden Glasfasern verwendet, um Kunststoffe zu verstärken. Glasfaser-verstärkter Kunststoff eignet sich besonders gut für großflächige Teile, die möglichst leicht und wetterfest sein sollen.
  • Carbonfasern bestehen zu 95 % aus Kohlenstoff, sind sehr leicht und zeichnen sich durch eine hohe Festigkeit und Steifigkeit aus. Carbonfaser-verstärkter Kunststoff ist allerdings auch sehr teuer und wird daher bevorzugt in hoch beanspruchten Bauteilen eingesetzt, die gleichzeitig wenig wiegen dürfen. Sie eignen sich für Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt, in Fahrzeugen und im Maschinenbau. Bekannt sind sie auch von hochwertigen Sportgeräten wie Rennrädern und Ski.
  • Aramidfasern, auch als Nomex oder Kevlar bekannt, sind sehr zäh. Sie werden daher bei Werkstoffen eingesetzt, bei denen extreme Anforderungen gelten. Dazu zählen Schlagzähigkeit, Materialdämpfung, Verschleißfestigkeit und geringe Entflammbarkeit. Beispiele dafür sind kugelsichere Westen, Polizeihelme und Sportkajaks.
  • Naturfasern aus Baumwolle, Hanf, Wolle und Seide können ebenfalls in FVK eingesetzt werden. Sie haben etwas schwächere mechanische Eigenschaften als andere Fasern, gleichen dies aber durch ihr geringeres Gewicht wieder aus.
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