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Mekka-Uhr tickt schwäbisch-badisch

Uhren- und Antriebstechnik des weltweit zweithöchsten Gebäudes stammt aus deutscher Produktion
Mekka-Uhr tickt schwäbisch-badisch

Die größte Uhr der Welt im saudi-arabischen Mekka avancierte für zwei süddeutsche Mittelständler zum Leuchtturmprojekt. Zum Erfolgsrezept wurde dem Turmuhrenbauer Perrot und der Zahnradfabrik Kownatzki ihr enger Schulterschluss. Selbst die Unternehmensgrenzen verwischten bisweilen.

Pünktlichkeit, die wohl deutscheste aller Tugenden, hat im islamischen Wallfahrtsort Mekka einen besonderen Stellenwert. Die gewaltige Turmuhr des 601 m hohen Abraj Al-Bait Towers, besser bekannt als The Mecca Royal Clock Hotel Tower, zeigt Millionen von Gläubigen, die jährlich zur Kaba pilgern und um das Heiligtum kreisen, die genaue Zeit für die täglichen fünf Gebete an. Für eine exakte Zeitangabe sendet eine eigens installierte Atomuhr die Signale.

Das für sich genommen ist bereits ein Superlativ. Doch weitere kommen hinzu: etwa die Tatsache, dass die Uhrzeit noch aus 8 km Entfernung lesbar ist, bei Tag wie bei Nacht – Solar- und LED- Technik sei Dank. Für diese Anforderung ließ der saudische König Abdul Aziz dicht an der wichtigsten heiligen Stätte des Islam einen Gebäudekomplex mit einer in 426 m Höhe angebrachten Uhr errichten, mit im Durchmesser 43 m langen Zifferblättern auf allen vier Seiten des Turmes, der dem Londoner Big Ben nachgebildet ist. 22 m misst ein Minutenzeiger, 17 m ein Stundenzeiger. Sie bestehen aus CFK, sind für die Beleuchtung mit LED bestückt und innen begehbar. Die Zifferblätter mit ihren 7 m langen Zahlen sind wegen der Windverhältnisse in dieser Höhe konkav nach innen gewölbt. Sonst könnten Wirbelstürme die Uhrzeiger aus ihren Verankerungen reißen.
Die in jeder Hinsicht überdimensionale Uhren- und Antriebstechnik des zweithöchsten Gebäudes der Welt stammt aus dem Schwarzwald. Wenn es um Turmuhren geht, entwickelt die Perrot GmbH & Co. KG aus Calw seit rund 150 Jahren außerordentliche Ideen. Für ein Projekt dieser Größe bestand für den hochspezialisierten Handwerksbetrieb die größte Herausforderung jedoch darin, den Antrieb so zu konstruieren, dass er eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren erreicht und sowohl die hohen Gewichte der Zeiger als auch die Windlasten aufnehmen kann. Rund 7,5 t bringt jeder der Zeiger auf die Waage.
Mit stattlichen Dimensionen hatte das in fünfter Generation geführte Familienunternehmen schon weltweite Erfahrungen gesammelt. Doch mit dem Planungsfortschritt dieses Auftrags, initiiert von der SL-Rasch GmbH aus Leinfelden-Echterdingen, wuchsen auch die Anforderungen.
Aus den ursprünglich 16 m für den Durchmesser des Zifferblattes wurden bald 46 m. Für den nötigen Antrieb der Zeiger kalkulierten die Planer schlussendlich ein Gewicht von stattlichen 21 t. Doch wie sollten die Elemente für die Kraftübertragung ausgelegt sein? Und wer sollte dies schultern? Perrots eigene mechanische Fertigung war auf Verzahnungen des geforderten Kalibers maschinell nicht vorbereitet. Immerhin ging es um Zahnräder aus besonders zäher Schmiedebronze mit einem Durchmesser zwischen 800 und 1400 mm und einem Gewicht von bis zu 1000 kg.
Im Jahr 2006 fragte SL-Rasch-Geschäftsführer Dr. Bodo Rasch, ein schwäbischer Architekt, Leichtbauexperte und im arabischen Raum hoch angesehener Geschäftspartner, bei Perrot an, „eine sehr große Uhr zu bauen“. Beauftragt hatte Rasch der Bauträger Saudi Binladen Group. Die Calwer Spezialisten fanden bei sich „nichts, was wir verwenden konnten, das war, wie wenn eine Firma neu in die Formel 1 einsteigt“, erinnert sich Christoph Perrot, einer der Geschäftsführer. Was nicht heißt, dass der renommierte Turmuhrenbauer, der den damals noch unbekannten Dichter Hermann Hesse als einstigen Mitarbeiter aufzählen kann, bei diesem Projekt ganz von vorn hätte beginnen müssen. Im Gegenteil. Dass Perrot in vielerlei Hinsicht sein Know-how einsetzen konnte, war für den Architekten Rasch die Voraussetzung schlechthin, den Auftrag an die Calwer Uhrenmanufaktur zu vergeben und ihr die Verantwortung über die gesamte Planung, Konstruktion, Fertigung und Montage der „Makkah Clock“ zu übertragen.
Während sich die Perrots und ihre Mitarbeiter in der vier Jahre währenden Projektrealisierung in zahlreichen weiteren Bereichen ein enormes zusätzliches Wissen aneigneten, suchten sie dort den Schulterschluss mit Partnern, wo absolutes Spezial-Know-how gefordert war. So auch bei der Fertigung der riesigen Zahnräder. Der gesuchte Spezialist kam Anfang 2008 ins Spiel: Was Perrot im Turmuhrenbau, ist die Kownatzki GmbH & Co. KG aus dem südbadischen Wehr in der Zahnrad- und Getriebefertigung. „Wir sind unter den Spezialisten ein Universalist“, definiert Geschäftsführer Michael Kownatzki das Selbstbild seines Unternehmens. Gefertigt werde „von 20 mm bis 2000 mm Durchmesser alles, was Zähne hat und nicht in den Mund gehört“.
Für Perrot galt Kownatzki als erste Wahl. Eine Referenz hatte die Schwaben hellhörig werden lassen. Wobei die zwischen Hochrhein und dem Fuß des südlichen Schwarzwalds ansässige Zahnradfabrik wenig über Kundenprojekte preisgibt. Es geht diskret zu. „Wir handeln für unsere Kunden, reden aber nicht über sie“, formuliert Michael Kownatzki sein Credo. Mit entsprechend ausgelegten Verzahnungsteilen wie auch passgenau entwickelten Fertigungsverfahren für Verzahnungen erzielen seine Kunden Verbesserungen, mit denen sie im Wettbewerb die Nase vorn haben. Folglich ist ihm wenig zu entlocken. Immerhin steckt im Airbus A380 ebenso Kownatzki-Know-how wie bei der Mondlande-Mission, als die Erdbeobachtungsstationen spezielle Ausgleichsgetriebe benötigten, um die Raumkapsel trotz Erdbewegung wackelfrei beobachten zu können.
Entsprechend fiel die Antwort auf die Frage von Andreas Perrot aus, der mit seinen zwei Brüdern das Unternehmen leitet: Durchaus, so Kownatzki, sehe er sich in der Lage, Schneckenradsätze beziehungsweise Verzahnungsteile mit besonderen Anforderungen herzustellen. Das gehört zu seinem Geschäftsmodell.
Was muss funktionieren, damit ein internationales Projekt wie jenes in Mekka von Mittelständlern überhaupt aufgesetzt werden kann? Beide, Perrot wie Kownatzki, widmen sich mit Inbrunst ihrem Metier. Schon diese Haltung verbindet. Hinzu kommt, dass die Chemie zwischen beiden Unternehmen auf Anhieb gestimmt hat. „Als Andreas Perrot und sein Vater Heinrich zu uns kamen, war vom ersten Moment an klar, dass wir zusammenpassen“. Sofort sei spürbar gewesen, dass hier zwei inhabergeführte Familienunternehmen mit einem synchronen Puls agieren. Von beiden Seiten sei „die Lust da gewesen, eine große Herausforderung zu meistern“, schildert der studierte Betriebswirt, der beim ersten Treffen gleichfalls seinen Vater, den Firmengründer Günter Kownatzki, hinzugezogen hatte. Jeweils ein Vater und ein Sohn hätten die Herausforderungen des Auftrags gemeinsam analysiert. Wer Michael Kownatzki zuhört, spürt den Respekt, den er vor den Uhrenspezialisten hat. Mit den Seniorchefs im Boot – der 82-jährige Heinrich Perrot zeichnete Konstruktionspläne –, erfolgte der Rückgriff auf das gesamte Erfahrungspotenzial beider Unternehmen, hebt Kownatzki einen unvergleichlichen Vorteil hervor.
Von dieser Atmosphäre, verbunden mit beiderseitigem Vertrauen, habe das Projekt sehr stark profitiert. Während die Perrots die grundlegende Idee des Präzisionsgetriebes lieferten, machten sich die Wehrer Zahnradspezialisten an die Auslegung und Berechnung der Verzahnungsteile für das weltgrößte Uhrwerkgetriebe. Die durch die Größe bestimmten Gewichte stellten die Entwicklungspartner vor gewaltige Herausforderungen. So ergaben sich Fragen nach der Lagerung ebenso wie nach der Hebelwirkung der Zeiger, der Windbelastung und der Temperaturen in über 400 m Höhe bis hin zu möglichem Eintritt von Sand durch orkanartige Stürme. Da die 17 und 22 m langen Zeiger jeweils 7,5 t wiegen und jedes der vier Uhrgetriebe es auf 21 t bringt, belasten mehr als 100 t die Spitze des wuchtigen Uhrenturms. Dort ist ein weiteres, fünftes Getriebe untergebracht – zu Schauzwecken im angegliederten Museum. Bei diesen Größen- und Gewichtsverhältnissen ist das Zifferblatt des Uhrwerks nicht nur Teil der Gebäudefassade, das Gewicht der Antriebe beeinflusst auch die Statik des gesamten Gebäudes.
Viele Gedanken machten sich die Ingenieure auch über die Frage der Schmierung. Oberstes Gebot ist die Langsamkeit der Bewegung: die Stundenwelle läuft mit zwei Umdrehungen pro Tag, die Minutenwelle mit 24. Bei diesem Zeitlupentempo hätte die in der Antriebstechnik häufig angewandte Tauchschmierung neben Trockenlauf auch eine extreme Flächenpressung zur Folge.
Da Kownatzki reichlich Erfahrung mit speziellen Konstruktionen hat und dies die Erfolgsformel des Zahnradherstellers ist, war für ihn weder die Schmierung noch die Größe der Stücke ein Problem, schließlich bietet er Fertigungen von bis zu 2 m Durchmesser an. Für jedes der Getriebe lieferte er zwölf Zahn- und Schneckenräder mit einem Durchmesser von bis zu 1,4 m samt einiger großen Zahnstangen aus einer speziellen Bronzeknetlegierung. Aufgrund ihrer hohen Zähigkeit hält die Sonderbronze extremen Belastungen stand. Dadurch können die Zahnräder auch nicht brechen – höchstens eine Deformierung halten Experten für möglich.
Anfang 2008 war die Konjunktur überhitzt, die Bankenkrise noch nicht in den Fabrikhallen angekommen. Auch in Wehr hatte man mit völlig ausgelasteten Kapazitäten zu kämpfen. Flattert in einer solchen Situation ein Auftrag herein, der sich als „Leuchtturmprojekt“ für das eigene Unternehmen entpuppt, wie Michael Kownatzki sagt, ist langes Zögern keineswegs opportun.
Hilfreich waren Erfahrungswerte aus bisherigen Großprojekten. Kownatzki rechnete die zusätzlichen Kapazitäten auf eine vierstellige Zahl hoch. Doch kann ein Familienbetrieb mit knapp 100 Mitarbeitern dieses Volumen schultern, ohne seine Kunden zu verprellen? Er wusste, dieser Auftrag würde die Kapazitäten überbelasten. Für die rund 1000 Stunden innerhalb eines Jahres, die das Gesamtprojekt sein Unternehmen in Beschlag nehmen sollte, einigte sich der Chef mit der Belegschaft auf Sonderschichten.
Am stärksten eingebunden war der Verzahnungsbereich. Aufwendig, zeitraubend und überaus werkzeugverschleißend gestaltete sich die Bearbeitung der Bronzelegierung. Da der Werkstoff eine hohe Zähigkeit aufweist, kann er extremen Belastungen standhalten. Getrieben war die Materialwahl von der Vorgabe, die Uhr solle den Mekka-Pilgern mindestens 100 Jahre lang zuverlässig die Zeit anzeigen.
Dieser Aspekt war mit ein Grund dafür, den Antrieb ein Jahr lang einem Härtetest zu unterziehen. Unter definierten und kontrollierten Bedingungen simulierte ein eigens dafür konstruiertes System die Windlasten und externen Kräfte. Statt der Zeiger bewegten große Betonräder die Getriebewelle. Der Langzeitprobelauf in einem Gebäude des Architekten Dr. Bodo Rasch bestätigte die Leistungsfähigkeit des Meisterstücks. Die Antriebstechniker zerlegten das Getriebe komplett und überprüften Lager, Zahnräder und weitere Elemente auf Verschleißspuren. „Das Ergebnis hat die Erwartungen mehr als erfüllt“, blicken die Projektpartner erleichtert zurück.
Einen vorgefertigten Fahrplan gab es beim Projektstart nicht. An Vorgaben erhielten die Zahnradspezialisten die angepeilte Größenordnung der Uhr wie auch die Deadline. Perrot und Kownatzki tauschten sich je nach Entwicklungsstand und Notwendigkeit aus. „Da jeder hohes Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen hatte, genügten oft ein Anruf oder eine E-Mail, um auf die nächste Planungsstufe zu kommen“, lobt Michael Kownatzki die partnerschaftliche Zusammenarbeit. Der Fokus, gemeinsam das Ziel zu erreichen, habe ungeheure Energien freigesetzt.
Die waren auch bei der Montage vor Ort gefordert. Ihr Meisterwerk konnten die Erbauer jedoch nicht ans Ziel begleiten. Der Zutritt zur Stadt des Propheten ist nur Muslimen gestattet. Der türkische Anlagenbauer, der auch den oberen Teil des Gebäudes montierte, leistete schließlich die von Perrot geforderte Präzisionsarbeit. Ein von den Calwern extra eingestellter Ingenieur organisierte diese logistische Höchstleistung. Der Rest wurde per Telefon, Skype oder E-Mail koordiniert. Da die Kräne an dem wuchtigen Hauptturm maximal 16 t heben konnten, mussten die 21 t schweren vormontierten Uhrengetriebe zerlegt werden. In zwei Teilen – das 10 t wiegende Unterteil mit Schneckenwelle und Vorgelege, das Oberteil mit Antriebswelle und aufgesetzten Schneckenrädern brachte es auf 11 t – gelangte das Uhrwerk auf den Turm und wurde dort mit einer Genauigkeit von 0,1 mm zusammengefügt.
Trotz des Besuchsverbots können die Firmenchefs ihr Prestigeprojekt jederzeit betrachten. Im Videoportal YouTube ist die Makkah Clock nur wenige Mausklicks entfernt. Allein die Zahl der eingestellten Filme beweist: in einer Höhe von 426m ist Großartiges entstanden.

Zeitzeichen für die muslimische Welt

Der Turm, in dem sich das 5-Sterne-Hotel „Makkah Clock Royal Tower“ der Fairmont-Kette befindet, ist volumenmäßig das größte Gebäude der Welt. Er ist Teil eines 1,7 m² großen Hotel- und Shopping-Komplexes, der für die Millionen Pilger in Mekka ab 2004 gebaut wurde. Im August 2011 übergab König Abd al-Aziz die Uhr ihrer Bestimmung. Angetrieben wird sie mit Solarenergie. Hierfür wurden auf dem Turm unscheinbare Solarzellen installiert. Ein in die Uhr integriertes Blitzableitersystem schützt die Technik vor Unwettern. Teleskop-Blitzableiter lassen sich aus dem Zifferblatt herausfahren. Im Zifferblatt selbst und in den Zeigern sorgen 2 Mio. LEDs für eine besondere Illumination in grün. Dadurch lässt sich die Zeit auch nachts noch in 8 km Entfernung ablesen. In der Turmspitze befinden sich mehrere Atomuhren, die die Mekka-Zeit generieren – das arabische Pendant zur Greenwich Mean Time in Europa.

Rekord-Wolkenkratzer auf einen Blick

Mit dem wie ein Pfeil spitz aufragenden Kingdom Tower in Saudi-Arabien will Prinz Walid Bin Talal, einer der reichsten Geschäftsmänner des Nahen Ostens, die 1000-Meter-Grenze knacken. Rund 860 Mio. Euro soll der künftig höchste Wolkenkratzer der Welt nördlich vom Zentrum der Hafenstadt Dschidda kosten. Der Vertrag zum Bau ist bereits unterschrieben. Bis auf den Willis Tower in Chicago befinden sich die Top Ten der Baugiganten in Asien. Derzeitiger Rekordhalter ist der Burj Kalifa in Dubai, gefolgt vom Abraj Al-Bait Towers in Mekka, dem höchsten Uhrenturm der Welt.
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