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Projekt Zukunft

Forschungsförderung: Studie zeigt mögliche Reise der Produktion bis 2020 und darüber hinaus
Projekt Zukunft

Wohin die Reise in der Produktion und Produktionsforschung bis 2020 führen könnte, hat eine Studie ermittelt. Auf Basis dieser Erkenntnisse und Ideen will das BMBF Anfang nächsten Jahres den Nachfolger des Förderprogramms „Forschung für die Produktion von morgen“ starten.

Beim Energieverbrauch ist die „Mutter aller Maschinen“ kein Vorbild. Eine Werkzeugmaschine emittiert beim Spanen, Fräsen oder Bohren aufs Jahr gerechnet so viele Schadstoffe wie zehn Mittelklassefahrzeuge. Lausig ist auch ihr Wirkungsgrad: Nur 5 % der zum Betrieb eingesetzten Energie fließen dorthin, wo Späne entstehen.

Gut die Hälfte des Strombedarfs eines Bearbeitungszentrums zehrt die Hauptspindel auf. Deren Energiehunger um mindestens 25 % drosseln will jetzt eine Allianz aus Unternehmens- und Institutsforschern. Hierfür haben sieben Partner, koordiniert von der Franz Kessler GmbH aus Bad Buchau, im September vergangenen Jahres das Projekt EnergieMSP gestartet – der Name steht für „Energiebedarfsoptimierte Motorspindel und angepasster elektrischer Antriebsstrang“. Mit dem Ergebnis sei in zwei bis drei Jahren zu rechnen, steckt Kessler-Geschäftsführer Dr. Uwe Rondé den Zeitrahmen ab.
Auf ihrem Weg zur „perfekten Welle“ müssen die Entwickler etliche Hindernisse ausräumen: die Antriebsspeisung soll optimiert, die Reibung minimiert und die gesamte Spindel leichter werden. Verbrauchssenkung und Effizienz sind die Wegweiser. In diesen Punkten muss sich abheben, wer im künftigen globalen Wettbewerb die Nase vorn haben will.
Damit erfüllt das Verbundprojekt exakt die Vorgaben der staatlichen Förderer, die vor allem eines umtreibt: dauerhafte Wettbewerbsvorteile der heimischen Industrie als beste Versicherung für den Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen in Deutschland.
Mit seinem Ziel, Energiebedarf und Effizienz zu optimieren, trifft das eher kleinere Bad Buchauer Spindelprojekt ebenso ins Schwarze wie die geplante Innovationsallianz Green Carbody Technologies (InnoCaT). 62 Industriepartner und Forschungseinrichtungen sind darin seit Jahresbeginn aktiv. In fünf großen Verbundforschungsvorhaben mit einem Projektvolumen von rund 30 Mio. Euro entwickeln sie ein Effizienzprogramm für Karosseriefertiger. Presswerk, Werkzeugbau, Karosseriebau und Lackierung sollen zusammen bis zu 50 % weniger Energie verbrauchen als bisher. Auf dieses Ziel arbeiten die Forscher bis zum Jahresende 2012 hin. Dass gerade hier der Hebel angesetzt wird, liegt auf der Hand: Etwa ein Fünftel des Gesamtenergieverbrauchs während eines Autolebens geht auf das Konto der Fahrzeugherstellung.
InnoCaT ist eine von zehn Innovationsallianzen, die das Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mitfinanziert, EnergieMSP eines von insgesamt 407 Verbundprojekten, die von 1999 bis Ende 2009 das BMBF-Rahmenprogramm „Forschung für die Produktion von morgen“ mit Fördermitteln von 633 Mio. Euro auf den Weg gebracht hat. Einen vergleichbar hohen Betrag investierten die beteiligten Partner, von denen 51 % kleine und mittlere Unternehmen sind.
Trotz aller Fortschritte drängt die Zeit. Damit die heimischen Leitmärkte für innovative Produkte gehalten werden und neue entstehen können – und nicht vermehrt in Asien –, will die Bundesregierung ihre Hightech-Strategie auf fünf gesellschaftliche Bedarfsfelder konzentrieren. Neben Gesundheit und Ernährung sowie Energie und Klimaschutz sind dies die Themen Sicherheit, Mobilität und Kommunikation. Mit der Schwerpunktförderung verfolgt der Bund ein doppeltes Anliegen: Während die konkreten Bedürfnisse der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken, sollen die Schwerpunkte vor allem signalisieren: Deutschland stellt sich den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Eine der tragenden Säule dieser Strategie ist die Produktionstechnologie mit ihrer überragenden Bedeutung für den heimischen Arbeitsmarkt. Für die Experten ist klar: „Nur ein starker Produktionsstandort kann Deutschland letztlich aus der Krise führen.“
Den Handlungs- und Forschungsbedarf produzierender Unternehmen für die nächste Dekade ließ das BMBF im Vorjahr ermitteln. Unter der Leitung der Professoren Eberhard Abele vom PTW der TU Darmstadt und Gunther Reinhart vom iwb der TU München arbeiteten zahlreiche Arbeitskreise den Handlungs- und Forschungsbedarf produzierender Unternehmen heraus. Die Ergebnisse fließen in eine Studie ein. Weitere 14 Institute haben ihre Expertise eingebracht, im Schulterschluss mit über einem Dutzend Verbänden und etwa 300 Unternehmen. Aus ihren Einschätzungen zeichneten sie das Bild der absehbaren Trends, die auch über das Jahr 2020 hinausreichen.
Demnach sind die Randbedingungen, welche die Produktion in den nächsten Jahren beeinflussen, die
  • Globalisierung
  • Durchdringung mit neuen Technologien, etwa Informationstechnik und generative Verfahren
  • Dynamisierung der Produktlebenszyklen und die
  • Ressourcenverknappung.
Als weitere, für die Produktion und innovative Produkte chancenreiche Megatrends gelten neben den fünf Bedarfsfeldern analog der Hightech-Strategie der
  • Klimawandel (Clean Products) und der
  • demografische Faktor (Innovationen für die alternde Gesellschaft).
Auf Basis der Studienergebnisse, die im Rahmen der „Karlsruher Arbeitsgespräche Produktionsforschung 2010“ präsentiert wurden, und deren Evaluierung durch weitere Expertenkreise will das BMBF laut Staatssekretär Dr. Georg Schütte voraussichtlich zum Jahresende ein neues Förderprogramm ankündigen.
Das Ziel: Innovative Produkte aus Deutschland schnell auf die Märkte bringen, um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Produzenten nachhaltig zu stärken. Deutschland soll weiterhin auch international ein attraktiver Fertigungsstandort bleiben, sagt der BMBF-Staatssekretär. Treiber dafür ist die industrielle Produktion.
Gleichwohl stehe Deutschland als führendes Land der Produktionstechnik „auf dem Prüfstand“, sieht Studienleiter Abele dringenden Handlungsbedarf. Dies sei im Rahmen der Studie erkannt worden. Sicher ist der Vorsprung also nicht. Es sei „fünf vor zwölf“, warnt der Produktionsforscher. Der Standort Deutschland habe viel verloren. Neue Wachstumsfelder würden in Asien sehr aktiv erschlossen, etwa bei Solartechnik oder Windkraft. Deutschland hingegen sei am Wendepunkt angekommen. Jetzt gehe es darum, nationale Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu gestalten, eventuell auch zurückzuholen, plädiert Abele für einen stärkeren Netzwerkgedanken. Hierfür müsse man sich auf erfolgversprechende Branchen und Felder konzentrieren. Wichtig dabei wären Kooperationen auch über die Prozessketten hinaus, zudem sollten entsprechende Ressourcen in der Industrie aufgebaut werden.
Mit Blick auf die Fabrik der Zukunft müssen die Unternehmen vor allem adaptiver werden und auf Veränderungen blitzschnell reagieren. Nach wie vor sind Herstellkosten und Qualität zwei wesentliche Treiber – die beiden anderen aber, Geschwindigkeit und Wandlungsfähigkeit, „sind Herausforderungen, die produzierende Unternehmen in jüngster Zeit immer stärker spüren“, betont Abele. Schneller werden im Umlauf- wie im Innovationsprozess ist das Gebot der Stunde. Überlebenswichtig wird auch die Bereitschaft zur Veränderung: neue Technologien, Produkte, Organisationsformen und Netzwerke müssten schneller entstehen.
Was soll die Zukunftsfähigkeit absichern? Wie kann Deutschland seine Spitzenposition im Bereich der Produktionsforschung halten? Antworten darauf gibt der gut 1000 Seiten umfassende Abschlussbericht für das BMBF. Abgeleitet von den Bedarfsfeldern der Gesellschaft und den erkennbaren Megatrends haben die Experten den Forschungsbedarf in den verschiedenen Themenfeldern eines produzierenden Unternehmens untersucht. Dabei trugen sie mehr als 200 Ideen für zukunftsorientierte Ansätze in der Produktionsforschung zusammen (Beispiele siehe Kästen auf dieser und der nächsten Seite).
Ideen mit der größten Wirkung auf Beschäftigung, Innovationssprünge und Standortsicherung gruppierten sie in vier bis zehn Themenkomplexe. Im Detail ist das Spektrum möglicher Themen, die zu herausragenden, punktuellen Innovationen führen sollen, breit gefächert, sagt Abele. Da sich hier viele eher kleinere, mittelstandsorientierte Themen finden, sieht er auch dort besonderen Handlungsbedarf in puncto Forschungsförderung.
Aus Sicht der Produktionstechniker sind die wichtigsten Innovationsgebiete die ganzheitliche Simulation, hybride Fertigungsverfahren sowie selbstüberwachende und -optimierende Maschinen und Anlagen. Bei der digitalen Welt sieht Prof. Christian Brecher großen Nachholbedarf. Obwohl von ihr immer leichtfertig gesprochen werde, sei sie in vielen Bereichen der Praxis noch weit entfernt, gibt der Aachener WZL-Professor zu bedenken. Dabei könne die Simulation helfen, Zusammenhänge besser zu durchdringen. Überdies sollte der Industrie der Zugriff auf einfach bedienbare Simulationstechniken anwendungsnah ermöglicht werden.
Eine zentrale Evolutionslinie geht für die Experten in Richtung Multitechnologieplattformen. Bei der Verfahrensintegration spielt der Laser auch weiterhin eine wichtige Rolle. Wünschenswert für die Forscher sind neue Ansätze etwa bei kompletten Wärmebehandlungsschritten. Aber auch mit den richtigen Fertigungstechnologien, um neue Werkstoffe und -verbünde zu bearbeiten, lässt sich laut Brecher etliches Potenzial heben.
Ein großes Handlungsfeld sehen die Forscher auch bei Maschinen und Anlagen, die sich selbst überwachenden und optimieren. Mit kognitiven Ansätzen soll die „Intelligenz“ in die Produktionsanlagen einziehen. Da sich Produktionstechnik immer komplexer weiterentwickelt, sollen künftige Systeme Fehlbedienungen erkennen und sich dem Werker transparent anbieten. Dies werde bereits wegen des demografischen Wandels in Deutschland und Europa immer wichtiger.
Auch der Fertigungsplaner bleibt davon nicht verschont. In den nächsten Jahren erwarten die Experten eine Vielzahl neuer Produktionstechnologien, was die möglichen Prozessketten vervielfacht. Das Wissensmanagement wird deshalb ebenso zur Herausforderung wie die Verweildauer der Fachkraft in der Fertigungsplanung. Nur mehr vier Jahre statt acht, wie in den 1980ern, verweilt heute ein Planer in seiner Abteilung. Während dieser in immer kürzerer Zeit eine Vielzahl von Fertigungstechnologien beherrschen müsse, zeigt Studienleiter Eberhard Abele das Risiko auf, sei er zudem mit wesentlich kürzeren Produktlebenszyklen konfrontiert. „Diese immense Dynamik im Mitarbeiterbereich fordert die Industrie in den nächsten Jahren besonders heraus“, betont der PTW-Chef. Die Lösung: Das Wissen muss schneller in die Köpfe hinein, optimale Prozessketten sind schneller zu verknüpfen. Auch hierfür liefert die Studie Erkenntnisse.

Vorschläge für Ansätze künftiger Produktionsforschung

Neue Produktionstechnologien für zukünftige regenerative Energiesysteme
  • Entwicklung hochproduktiver Anlagen zur Herstellung von Photovoltaik, Windkraftanlagen und Wärempumpen
  • Internationale Standards für Produktionsanlagen und -prozesse entwickeln und etablieren
  • Innovationsführerschaft durch Know-how-Cluster und Zuliefernetzwerke
Wertschöpfungsketten und Produktionstechnologien für die Mobilität
  • Standards setzen etwa für den Elektroantrieb der Zukunft
  • Basis schaffen für den Aufbau einer nationalen Wertschöpfungskette (Strategie, Cluster, Technologie) für Batterie und Antriebe
  • Entwickeln neuer notwendiger Produktionsverfahren und -maschinen für die wettbewerbsfähige Produktion
  • Automatisierungskonzepte
Produktionstechnologien für die Märkte von morgen
  • Hightech-Produktionstechnologien auch für Low-Cost-Produkte
  • Kulturraumspezifisches Produktdesign und zugehöriger Produktionstechnologien
  • Nutzen- statt Produktverkauf, Integration von Produkt und Dienstleistung
Digitale Fabrik/IT in der Fabrik von morgen
  • Fortschritte durch integrierte MES-, PPS- und ERP-Systeme
  • Ganzheitliche Simulation von Produkt und Produktionssystemen
  • Augmented & Virtual Reality
  • PLM-Integration
Zukunftsorientierter Prototypen- und Formenbau am Beginn der Wertschöpfungskette
  • Generative Verfahren zur materialschonenden und kundenindividuellen Produktion
  • Prozessketten für individuelle Produkte
Ausbau des Automations-Know-how
  • Kognition in Planung und Programmierung
  • Robotik für Dienstleistung, Logistik
  • Low-Cost-Automation, Mensch-Maschine-Schnittstelle
  • „Intelligente“ Antriebstechnik, Sensor-Aktor-Technik
Neue Formen des Lernens für die Produktion von morgen
  • Lernfabriken zur exzellenten produktionstechnischen Aus- und Weiterbildung
  • Lernfelder und Didaktik für die Produktion von morgen
  • Konzepte für virtuelle und reale Produktionsumgebung
Neue Produktionstechnologien für die künftige Medizintechnik
  • Produktion von kundenspezifischen Implantaten
  • Komplettausrüster für Krankenhäuser
Die demografiegerechte Fabrik
  • Altersgerechte Arbeitssysteme
  • Qualifizierungskonzepte
Hochleistungsfertigungsverfahren zur Sicherung des Fortschritts in den Kernbranchen
  • Verfahrensstabilität am Produktivitätslimit
  • Simultaneous Engineering, Fertigungsverfahren, Betriebsmittel und Produkt
Beherrschen von Hochleistungsprozessketten für zukünftige Wachstumskerne
  • „Intelligente“ Prozessketten, Best Practice
  • Integrierte Qualitätssicherung, Prozessregelung
  • Simulationswerkzeuge, geschlossene Simulationskette
Vorausschauende und systemorientierte Produktentwicklung
  • Produktinnovationen strategisch entwickeln
  • Innovationsgeschwindigkeit erhöhen durch Verzahnen von Materialwissenschaft, Entwicklungsmethodik und Produktionstechnik
  • Methoden zur integrierten Produkt- und Produktionssystementwicklung
Das atmende und wandlungsfähige Produktionsnetzwerk
  • Verknüpfen von flexiblen Kapazitätsstrukturen und wandlungsfähigen Netzwerken
  • Rekonfigurierbare Gebäude- und Produktionstechnik
  • Wandlungsfähige Organisationsstrukturen
  • Supply Chain Management
Know-how-Schutz in dynamischen Märkten
  • Produktionstechnik mit integriertem Plagiatschutz
  • Fertigungstechnologien für Kennzeichnung
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