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Recycling von Hartmetall: nachhaltige und sichere Rohstoffversorgung

Ceratizit-Vorständin Melissa Albeck über Nachhaltigkeit in der Werkzeugbranche
Recycling von Hartmetall ist nachhaltig und sichert die Rohstoffversorgung

Recycling von Hartmetall ist nachhaltig und sichert die Rohstoffversorgung
Melissa Albeck ist Mitglied des Vorstands bei Ceratizit und von der Notwendigkeit der Nachhaltigkeitsmaßnahmen überzeugt. Bild: Ceratizit
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Nachhaltigkeitsaspekte haben bereits heute einen großen Einfluss auf die Werkzeugindustrie. Die Anforderungen der Kunden sind vorhanden, und über kurz oder lang rechnet Ceratizit-Vorständin Melissa Albeck auch mit gesetzlichen Vorgaben für die Branche. Im Interview erklärt sie, wie der Hartmetall-Spezialist seine Nachhaltigkeitsziele erreichen möchte und welche Lösungen heute schon erfolgreich im Einsatz sind.

» Susanne Schwab, Redakteurin Industrieanzeiger

Frau Albeck, wie beeinflussen Nachhaltigkeits- und Ressourcen-Aspekte die Werkzeugbranche?

Hartmetallwerkzeuge haben aufgrund ihrer Zusammensetzung einen relativ hohen CO2-Fußabdruck und benötigen nur begrenzt verfügbare Rohstoffe wie Wolfram und Kobalt. Das Recycling von Hartmetall erfüllt daher eine doppelte Funktion. Es ist nicht nur nachhaltiger, sondern sichert auch die Rohstoffversorgung. Allein dadurch haben Nachhaltigkeitsaspekte bereits einen großen Einfluss auf die Branche. Das Thema betrifft aber die gesamte Wertschöpfungskette.
Der Einsatz von recycelten beziehungsweise recyclingfähigen Materialien in der Produktion, ressourcenschonende und energieeffiziente Produktionsprozesse, Produktlebensdauer, nachhaltigere Verpackungen und Kreislaufwirtschaft werden immer wichtiger. Auch das Thema nachhaltige Zerspanung gewinnt weiter an Bedeutung. Ein effizienter Prozess verkürzt die Durchlaufzeiten und spart dem Kunden nicht nur Geld, sondern reduziert durch den geringeren Energieeinsatz auch den ökologischen Fußabdruck. Monetärer Vorteil und geringere Umweltbelastung gehen so Hand in Hand.

Die Digitalisierung der Produktion spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Entwicklung und der gezielte Einsatz additiver Fertigungsverfahren und anderer neuer Technologien.

Warum ist es wichtig, sich frühzeitig mit den damit verbundenen Herausforderungen zu beschäftigen?

Wir wollen in Sachen Nachhaltigkeit Branchenführer sein, das geht nicht von heute auf morgen. Natürlich gibt es Quick Wins wie die Umstellung auf Ökostrom. Aber viele andere Maßnahmen oder Projekte brauchen einen langen Atem bei der Planung und Umsetzung. Seien es Infrastrukturprojekte, Maßnahmen zur Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz, zirkuläre Geschäftsmodelle oder die Weiterentwicklung von Recyclingprozessen.
All das funktioniert nicht von heute auf morgen. Aber es sind Projekte, mit denen Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil werden kann. Dass dies gelingen kann, wird langsam sichtbar. Die entsprechenden Kundenanforderungen sind bereits vorhanden.
Über kurz oder lang werden auch gesetzliche Vorgaben auf die Branche zukommen. Deshalb ist es besser, sich den Herausforderungen frühzeitig zu stellen, um später nicht in Bedrängnis zu geraten und Nachteile zu riskieren.

Ceratizit hat bereits zur AMB 2022 eine Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt und angekündigt, bis 2025 in der Hartmetall- und Zerspanungsindustrie die Führungsrolle im Bereich der Nachhaltigkeit übernehmen und CO2-neutral werden zu wollen. Wo stehen Sie heute?

Wir sind auf dem richten Weg. Gegenüber dem Basisjahr 2020 konnten wir die Emissionen im vergangenen Jahr bereits um 25 Prozent senken. Dazu haben neben der Umstellung auf Ökostrom aus nachhaltigen Quellen auch verschiedene Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz beigetragen. Wir sind zuversichtlich, dass wir die noch fehlenden 20.000 Tonnen CO2e in diesem und im nächsten Jahr erreichen werden. Bei der Recyclingquote für Wolfram sind wir sogar weiter als geplant: Sie lag im vergangenen Geschäftsjahr bei 95 Prozent. Künftig wollen wir mit Hilfe zirkulärer Geschäftsmodelle dafür sorgen, dass möglichst viel dieses Hartmetalls nach dem Einsatz der Werkzeuge direkt von den Kunden wieder zu uns zurückkommt. Mit den ProAct-Mill-Fräsern steht nun auch unser erstes Zerspanungswerkzeug auf Basis der nachhaltigeren upGrade-Hartmetallsorten für die AMB in den Startlöchern. Durch den Einsatz von über 99 Prozent wiederaufbereitetem Hartmetallpulver bieten sie einen besonders niedrigen PCF (Product Carbon Footprint) bei gleichzeitig hoher Leistung. Gemeinsam mit den Mitgliedern des VDMA-Fachverbandes Präzisionswerkzeuge arbeiten wir zudem an einem brancheneinheitlichen Standard zur Berechnung des PCF-Wertes, um unseren Kunden mehr Transparenz und Informationen zur Berechnung ihres eigenen Scope 3 Footprints zu bieten.

Welche Maßnahmen setzt Ceratizit ein, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, insbesondere in Bezug auf Hartmetallsubstrate und Beschichtungen?

Wir sind dabei, unsere Forschung und Entwicklung auf möglichst recyclingfähige Sorten auszurichten. Durch eine Codierung wird es in Zukunft noch einfacher sein, verschlissene Hartmetallprodukte sortenrein zu trennen. Aber auch die Weiterentwicklung der eigentlichen Recyclingprozesse steht im Fokus, um die Qualität, Reinheit und Zusammensetzung der Sekundärrohstoffe weiter zu verbessern.
Als eine der ersten Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit haben wir unsere Energieversorgung auf Ökostrom aus nachhaltigen Quellen umgestellt und damit unseren CO2-Fußabdruck deutlich reduziert. Der nächste Schritt ist die Umstellung auf grünen Wasserstoff, hier sind wir bereits am Anfang der Umsetzung. Ebenso wichtig ist die Entwicklung innovativer Werkzeugsysteme zur Einsparung von Werkzeugen und zur Verkürzung der Bearbeitungszeiten in der Zerspanung.

Die Entwicklung von Unterstützungssystemen in den Bereichen Anwendungstechnik, Prozessauslegung und Werkzeugauswahl trägt ebenfalls dazu bei, hocheffiziente Systeme aus Hartmetallsubstrat und Beschichtung zu erhalten, die eine möglichst lange Produktlebensdauer ermöglichen.

Was sind Ihre langfristigen Ziele für den Einsatz neuer Rohstoffe?

Wir wollen und müssen den Einsatz von Primärrohstoffen so weit wie möglich reduzieren. Zum einen werden so die direkten Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt vermieden und Ressourcen geschont. Zum anderen benötigt das Recycling von Hartmetall mit dem richtigen Prozess einfach deutlich weniger Energie und verursacht weniger Emissionen als die Aufbereitung von Erzen. Die Umwelt wird also gleich auf zwei Ebenen entlastet. Darüber hinaus sehen wir auch in unserem chemischen Recyclingprozess noch Optimierungspotenzial, um den CO2-Footprint weiter zu reduzieren

Wie lässt sich in der Produktionskette der Anteil recycelter Rohstoffe erhöhen?

Wir haben im letzten Jahr bei Wolfram eine Recyclingquote von 95 Prozent erreicht, das ist schon außergewöhnlich und wird auch nicht jedes Jahr zu erreichen sein. Im Moment geht es vor allem darum, dass das Hartmetall am Ende des Produktlebens in möglichst vielen Fällen wieder zu uns zurückkommt. Deshalb arbeiten wir derzeit an verschiedenen zirkulären Geschäftsmodellen, mit denen wir unsere Kunden stärker in den Recyclingkreislauf einbinden wollen.
Rein technisch ist es für uns keine Herausforderung, mit einem hohen Recyclinganteil zu fahren, das machen wir schon seit Jahren. Mit unseren beiden Recyclingverfahren und dem Know-how entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die wir im eigenen Haus abbilden, können wir sicherstellen, dass die Qualität unserer Hartmetallsorten mit einem hohen Anteil an Sekundärrohstoffen von anderen gar nicht zu unterscheiden ist. Die neuen ProAct-Mill-Fräser zeigen zudem, dass die Leistungskurve mit den upGrade-Sorten nach oben zeigt.

Welche Rolle spielt die neue ProAct-Mill-Serie in ihrer Gesamtstrategie zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks?

Sie ist für uns sehr wichtig, da die Fräser unser erstes Endprodukt aus dem upGrade-Pulver sind. Bisher haben wir mit unseren Stäben und Produkten für die Holzbearbeitung vor allem den Bereich Toolmaker adressiert. Jetzt können wir die gesamte Wertschöpfungskette vom Pulver bis zum fertigen Werkzeug abdecken. Die ProAct-Mill-Serie ist aber erst der Anfang, in den nächsten Monaten und Jahren werden wir das Werkzeugportfolio auf Basis der nachhaltigeren upGrade-Sorten weiter ausbauen.
Die upGrade-Produkte sind natürlich nur ein Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie, auch wenn sie mit einem Anteil von 50 bis 99 Prozent wiederaufbereitetem Pulver im Substrat und damit einem besonders niedrigen CO2-Footprint derzeit die Speerspitze auf der Produktseite darstellen. Unser Ziel ist es aber ganz klar, über das gesamte Portfolio nachhaltiger zu werden. Eine Reduktion von über 90 Prozent CO2e, wie wir sie für unser Net Zero Ziel bis 2040 erreichen müssen, lässt sich nicht mit einzelnen Produkten erreichen.

Dass wir unsere Recyclingquote im vergangenen Jahr auf über 95 Prozent steigern konnten, ist ein wichtiger Schritt. Aber wir arbeiten weiter daran, den Einsatz fossiler Energieträger zu reduzieren, Prozesse effizienter zu gestalten und an allen möglichen Stellschrauben zu drehen. Grüner Wasserstoff, nachhaltigere Beschaffung – die Liste ist lang und der Aufwand enorm. Aber es ist der einzig richtige Weg in die Zukunft.

Wie beeinflusst die Nachhaltigkeitsstrategie von Ceratizit die Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten entlang der gesamten Wertschöpfungskette?

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt auch bei unseren Geschäftspartnern zunehmend an Bedeutung. Insbesondere Großkunden sind selbst mit dem Thema konfrontiert und zeigen entsprechendes Interesse an Transparenz und nachhaltigeren Lösungen auf Basis unserer upGrade-Sorten. Einige langjährige Partnerschaften sind durch das Thema Nachhaltigkeit und unsere Vorreiterrolle in der Branche in jüngster Zeit noch enger geworden. Darüber hinaus ist das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile auch in unserem Supplier Code of Conduct verankert.

Über den VDMA arbeiten wir derzeit zudem gemeinsam mit anderen Unternehmen der Branche an einem Industriestandard zur Berechnung des PCF (Product Carbon Footprint). Dies verspricht einen großen Schritt hin zu mehr Transparenz, da wir so untereinander vergleichbare Werte erhalten.

Welche digitalen Anwendungen und Tools unterstützen Ihre Nachhaltigkeitsstrategie?

Wir können die Berechnung jetzt direkt in SAP durchführen und die PCF-Werte werden direkt in unsere Materialstammdaten übernommen. Dies erleichtert die Darstellung der korrekten Klassifizierungen im Online-Shop und auf den Verkaufsunterlagen. Neu ist auch der Data-Matrix-Code auf unseren Werkzeugen. Er ermöglicht es, nicht nur die Anzahl der Nachschliffe, sondern auch die Materialzusammensetzung zu speichern. Das erleichtert wesentlich die Sortentrennung am Ende der Werkzeuglebensdauer.

Mit dem Restart-Service unterstützen Sie Ihre Kunden ebenfalls in Bezug auf Nachhaltigkeit. Wie trägt er zur Ressourceneffizienz bei?

Durch das Nachschleifen mit den Originalgeometrien und -beschichtungen erhalten unsere Kunden ein Werkzeug mit annähernd der ursprünglichen Leistung, wodurch sich die Lebensdauer des Werkzeugs deutlich verlängert und eine Neuanschaffung hinausgezögert wird. Da ein nachgeschliffenes Werkzeug einschließlich des Transports einen wesentlich geringeren CO2-Fußabdruck hat als ein neues Werkzeug, können unsere Kunden mit Restart ihren Scope-3-Fußabdruck reduzieren. Zudem ist nachschleifen günstiger als neu kaufen.

Was sind die größten Herausforderungen, die Ceratizit auf dem Weg zu ‚Net zero‘ bis 2040 erwartet?

Die Reduktion der Scope-3-Emissionen wird die größte Herausforderung, da wir in diesem Punkt in den nächsten Jahren stark von der Marktentwicklung abhängig sind. Auch Themen wie die Emissionen, die durch das Pendeln unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen, sind nur begrenzt beeinflussbar. Aber wir arbeiten daran.


Bild: Ceratizit

Ceratizit auf der AMB

Wer Stähle, Edelstähle oder Gusswerkstoffe zerspanen muss, ist meist dauernd wechselnden Herausforderungen ausgesetzt. Für diese Fälle hat Ceratizit die neuen Performance VHM-Fräser ProAct-Mill aus nachhaltigerem Hartmetall entwickelt. Anwender sollen mit ihnen gleichzeitig ihre Produktivität steigern sowie ihren CO2-Fußabdruck senken können. Auf der Messe AMB 2024 in Stuttgart stellt das Unternehmen die neuen Werkzeuge in Halle 3, Stand B10 vor.

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