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„Wer weltweit aktiv ist, hat auch in Krisen gute Chancen“

Schuler-Chef Jürgen Tonn über Aussichten und Trends in der Umformtechnik
„Wer weltweit aktiv ist, hat auch in Krisen gute Chancen“

„Wer weltweit aktiv ist, hat auch in Krisen gute Chancen“
„Die Servoantriebstechnik wird konventionelle Antriebe in Pressen und Stanzen mehr und mehr ersetzen.“
Besonders in den BRIC-Staaten sieht Jürgen Tonn derzeit gute Erfolgschancen – auch bei einer kriselnden Weltkonjunktur. Der Diplomingenieur ist Vorsitzender des Vorstands der Göppinger Schuler AG.

Herr Tonn, die Banken- und Finanzkrise beschäftigt derzeit alle. Mit welchen Auswirkungen auf den Maschinenbau rechnen Sie?

Ich will und kann nicht für den gesamten Maschinenbau sprechen. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass sich die Krise auf die Konjunktur auswirken wird. Wir bei Schuler haben nach wie vor einen guten Auftragseingang, und alle Standorte sind voll ausgelastet. Daher können wir bereits heute sagen: Das laufende Geschäftsjahr 2008/2009 wird seinen Weg gehen. Aber ich rechne damit, dass auch wir in den nächsten zwölf Monaten etwas zu spüren bekommen werden. Welche Konsequenzen das haben wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Da wir derzeit jedoch durchweg unsere Kapazitäten mehr als ausnutzen, würde sich ein Auftragsrückgang in einem gewissen Rahmen bei uns sicher nicht negativ auswirken. Dazu kommt: Ein Unternehmen, das wie wir international aufgestellt ist und von den positiven Entwicklungen in Brasilien, China oder Indien profitiert, wird sicherlich weniger von einer sich insgesamt abschwächenden Konjunktur betroffen sein.
Gerade die Automobilindustrie scheint schweren Zeiten entgegen zu gehen. Wie groß ist der Anteil der Branche bei Ihnen?
Der Bereich Automotive macht bei uns etwa ein Viertel bis ein Drittel des Umsatzes aus, der Non-Automotive-Bereich – dazu gehören unter anderem die Elektro-, die Sanitär- und die Verpackungstechnik, die Haushaltswaren- oder die Münzindustrie – liegt bei über 40 Prozent. Wir sind also breit aufgestellt und insofern nicht von einer einzelnen Branche abhängig. Zudem darf ich sagen, obwohl der amerikanische Automarkt derzeit schlecht geht, erhalten wir von US-Konzernen nach wie vor Aufträge. Nicht für die Werke in den Vereinigten Staaten, aber für jene in Mexiko oder der Türkei zum Beispiel.
Wie ist der Stand der Integration von Müller Weingarten?
Die ist weit fortgeschritten. Organisatorisch ist sie abgeschlossen und sie funktioniert. Sicher gibt es noch die eine oder andere Schraube, an der wir noch etwas nachjustieren müssen, aber das ist normal. Ein solcher Prozess dauert zwei bis drei Jahre und erst eineinhalb liegen jetzt hinter uns. Besonders freue ich mich darüber, dass auch die Mitarbeiter miteinander können. Das ist ja auch nicht selbstverständlich. Zudem hatten wir den großen Vorteil, dass die Überlappung unsere Produktlinien viel geringer war, als das von außen gesehen wurde. Beim Massivumformen beispielsweise haben sich beide Unternehmen zu 100 Prozent ergänzt. Durch den Zusammenschluss sind wir in diesem Bereich heute der einzige Full Liner weltweit.
Wie weit sind die Produktprogramme inzwischen zusammengewachsen?
Auch da sind wir bereits sehr weit. Es gibt gemeinsame Plattformen, in die wir die besten Lösungen beider Häuser einfließen ließen. Die früheren Schuler- und Müller-Weingarten-Leute diskutierten intensiv über Vor- und Nachteile von Konzepten und Komponenten und definierten gemeinsam den neuen Standard.
Wie soll das Unternehmen Schuler in fünf Jahren aussehen?
Wir sehen uns als Technologieführer und das wollen und müssen wir bleiben. Um unseren Kunden den bestmöglichen Service zu bieten, bauen wir immer mehr global verteilte Servicestandorte auf. Wir gehen in die Märkte und platzieren uns vor der Tür unserer Kunden. Unser Slogan ist: Weltweit vor Ort. Das wird zukünftig eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg sein. Besonders in den zukunftsträchtigen BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China.
Welche Rolle spielt für Sie der deutsche und der europäische Markt?
Beide sind nach wie vor zentral für uns und werden auch entsprechend behandelt. Deutschland liefert einen Anteil von etwa 40 Prozent unseres Umsatzes, jeweils rund 20 Prozent entfallen auf das europäische Ausland, auf den amerikanischen Kontinent und auf Asien.
Planen Sie weitere Akquisitionen?
Wenn das so wäre, würde ich es nicht sagen. Nein. Einen Brocken wie Müller Weingarten muss man erst verdauen. Derzeit macht es deshalb keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Wollen Sie ihr Portfolio weiter ausweiten, beispielsweise im Bereich Laserschneiden?
Wir haben solche Lösungen ja bereits im Programm. Aber nur dort, wo wir sie im Zusammenhang mit der Umformtechnik brauchen, um eine komplette Fertigungslinie aus einer Hand bieten zu können. Also etwa zum Beschneiden von Karosserieteilen nach dem Umformprozess. Wir werden nicht mit den Trumpfs dieser Welt in Wettbewerb treten. Da ist mein Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten.
In welcher Richtung wird sich die Umformtechnik in absehbarer Zeit entwickeln?
Es wird immer mehr in Richtung Hightech gehen. Viele Betriebe, die heute noch mit vergleichsweise einfachen Anlagen arbeiten, werden sich umstellen müssen. Es wird immer mehr in Richtung schnellerer Pressen und höheren Hubzahlen gehen. Darin sehe ich auch unsere Chance als Hightech-Anbieter. Lediglich eine schnelle Anlage zu bauen ist dabei nicht das Problem. Das können auch andere. Aber die Platinen und immer komplexeren Teile in der erforderlichen Geschwindigkeit und Präzision zu positionieren, das erfordert eine Menge Know-how.
Die Servoantriebstechnik in Pressen und Stanzen ist mittlerweile etabliert, aber noch nicht überall akzeptiert. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Insbesondere bei komplexen Anwendungen wird die Servotechnik konventionelle Anlagen zunehmend ablösen. Bis wann das der Fall sein wird, darüber möchte ich allerdings keine Aussage machen. Einfach deshalb, weil wir es hier zum Teil mit recht konservativen Kunden zu tun haben, die seit vielen Jahren von ihren mechanischen oder hydraulischen Anlagen überzeugt sind. Für den einen oder anderen ist der Umstieg noch ein großer Schritt. Aber mittlerweile sprechen sich die klaren Vorteile hinsichtlich der fertigungstechnischen Möglichkeiten und der Produktivität immer weiter herum. Jedem, der das sehen und erleben will, demonstrieren wir das gerne.
Spielen bei den Vorbehalten der Energieverbrauch und die nötigen Spitzenleistungen eine Rolle?
Dafür gibt es keinen Grund mehr. Die Servotechnik hat sich deutlich weiterentwickelt. Wichtig ist, dass das komplette Antriebssystem darauf abgestimmt ist. Der Verbrauch als solches ist nicht mehr wesentlich höher als bei konventionellen Anlagen. Außerdem erreichen Servopressen und -stanzen eine um rund 30 Prozent höhere Produktivität. Und das wiederum hat zur Folge, dass der Energieverbrauch pro produziertem Teil sogar niedriger ist. Auch die erforderlichen Energiespitzen sind kein Thema mehr. Wir bieten beispielsweise einen Energiespeicher an, der den Energieeinsatz und -verbrauch optimiert und den der Kunde platzieren kann, wo es für ihn günstig ist.
Asiatische Anbieter wie Komatsu streben eine höhere Präsenz auf dem europäischen und dem deutschen Markt an. Welche Auswirkungen hat das für Schuler?
Keine nennenswerten. Egal wo wir uns um einen Auftrag bewerben, wir treffen überall auf Wettbewerb. In Europa sind das vor allem Kollegen aus Deutschland, Italien und Spanien, in Asien sind das eher japanische Unternehmen. Lediglich in Brasilien haben wir einen gewissen Vorteil. Dort sind wir als einziger Anbieter mit einer eigenen Produktion vertreten, und das macht sich aufgrund der Importzölle in Höhe von 14 Prozent positiv bemerkbar. Allerdings gleicht sich dieser Vorteil gegenüber asiatischen Wettbewerbern derzeit durch Währungseinflüsse zum Teil wieder aus.
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