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Die Druckluft wird grün

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Die Druckluft wird grün

Mehr als 70 % der Kosten für die Drucklufterzeugung und -aufbereitung gehen mittlerweile auf das Konto der Stromerzeugung. Höchste Zeit also, hier den Rotstift im Hinblick auf Energieeffizienz anzusetzen.

Druckluft ist nicht gerade die energieeffizienteste Energie: Zwar kann der theoretische Wirkungsgrad eines Kompressors bei bis zu 50 % liegen. Doch in der Praxis wird über das ganze System von der Erzeugung bis zum Werkzeug oft nur ein Gesamtwirkungsgrad von etwa 5 % erreicht. „In anderen Worten: Nur ein Zwanzigstel der eingesetzten, hochwertigen elektrischen Energie wird am Ende in nutzbare Arbeit umgewandelt. Bei der Stromerzeugung aus Brennstoffen wäre ein solcher Wirkungsgrad nicht akzeptabel“, stellt die Deutsche Energie-Agentur (dena) in ihrem Ratgeber „Druckluftsysteme für Industrie und Gewerbe“ klar.

Daher rät sie den Unternehmen, die erzeugte Wärmeenergie etwa für Heizzwecke zu nutzen und auf diese Weise die Energieeffizienz des Druckluftsystems zu optimieren. „Das lohnt sich immer“, bestätigt Thomas Kaeser, Vorsitzender des VDMA-Fachverbands Kompressoren, Druckluft- und Vakuumtechnik sowie Geschäftsführer von Kaeser Kompressoren in Coburg. Die dena rechnet vor: Ein 18,5-kW-Kompressor erzeugt so viel Wärme, dass man damit mühelos ein Einfamilienhaus beheizen könnte. Die zusätzlichen Aufwendungen für eine Wärmerückgewinnungsanlage in dieser Größenordnung amortisieren sich erfahrungsgemäß bereits innerhalb von zwei Jahren, so die Energieexperten. Voraussetzung sei, dass diese korrekt geplant und ausgeführt werde und die Wärme an Ort und Stelle verwendet werden kann.
„Bevor ein solches Konzept zur Wärmerückgewinnung aus Druckluft umgesetzt werden kann, bedarf es in den Unternehmen allerdings einiger Arbeit“, sagt Kaeser. „Die Verantwortlichen müssen ermitteln, wo sie die Wärme einsetzen können. Das kann für die Brauchwassererwärmung sein, etwa für galvanische Bäder, aber auch für die Heizwassererwärmung. Am einfachsten ist sicherlich die Nutzung der Kompressorabwärme zur Luftheizung. Letztlich muss dies immer in das Gesamtkonzept eines Unternehmens integriert werden.“
Dass sich diese Maßnahme technisch und äußerst wirtschaftlich realisieren lässt, sieht man am Beispiel der Robert Bosch Elektronik. Das Unternehmen hat vor zwei Jahren in seinem Werk in Salzgitter, in dem vor allem Motor-Steuergeräte gefertigt werden, seine vier ölfrei verdichtenden Kompressoren mit einer Wärmerückgewinnungsanlage von Atlas Copco nachgerüstet. Alleine dadurch sparte der Automobilzulieferer im Jahr 2009 knapp 100 000 Euro Energie ein. Die Wärmeenergie nutzt Bosch über Wärmetauscher zur Unterstützung des Heizungsnetzes. Dabei wird eine Leistung von bis zu 350 kW erreicht. Speziell im Sommer, wenn auch Wärme zur Nachheizung bei der Entfeuchtung in Spitzenlastkühlanlagen benötigt wird, dreht sich das Rad des Gaszählers nun nicht mehr.
Solche Beispiele könnte es nach Ansicht von Reimund Scherff, Business Line Manager bei Atlas Copco, Essen, noch viel mehr geben. Er ist zugleich Vorsitzender der Fachabteilung Drucklufttechnik im VDMA-Fachverband Kompressoren, Druckluft- und Vakuumtechnik und appelliert daher an die Politik, bessere Rahmenbedingungen für solche Investitionen zu schaffen: „So manch ein Betrieb wird dann beispielsweise auch Kontakt zu benachbarten Unternehmen aufnehmen, um ihnen die Wärme zur Verfügung zu stellen.“
Von Seiten der Kompressoren-Hersteller sind alle Voraussetzungen für die Umwandlung der erzeugten Wärme geschaffen: Sowohl Atlas Copco als auch Kaeser, Almig und Boge bieten mittlerweile Kompressoren mit integrierten Wärmetauschern an. Für ältere Anlagen stehen Standalone-Geräte zum Nachrüsten zur Verfügung.
Doch selbst eine hundertprozentige Wärmenutzung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, um die Druckluft-Versorgung auf Energieeffizienz zu trimmen. „Eine eingesparte Kilowattstunde ist immer besser als eine zurückgewonnene“, so die dena. Das heißt, Unternehmen sollten immer nach Möglichkeiten suchen, den Druckluftverbrauch zu verringern beziehungsweise den Druckluftwirkungsgrad zu erhöhen.
Dies ist heute bislang kaum der Fall, weiß Erwin Ruppelt, Projektingenieur bei Kaeser, aus Erfahrung: „Trotz mancher Verbesserungen ähneln die Druckluftsysteme in nicht wenigen Betrieben noch immer dem Stand der 70er Jahre.“ Dies bestätigt Volker Thomassen, verantwortlich für das Produktmarketeing bei Almig, Köngen: „Die Kosten für Druckluft gelten in den meisten Unternehmen noch als große Unbekannte. Oder aber sie sind schlicht der Meinung: Druckluft ist teuer.“
Dabei schlummert hier ein erhebliches Einsparpotenzial. „Die Druckluftkosten lassen sich im Schnitt bis zu einem Drittel reduzieren – in Einzelfällen sogar noch deutlich darüber hinaus“, sagt VDMA-Experte Scherff. Dabei spielen die Kosten für die Anschaffung von Druckluftanlagen heute nur noch eine Nebenrolle. Mit rund 70 % der Lebenszykluskosten entfällt der Löwenanteil nach VDMA-Erhebungen auf die Stromkosten für die Drucklufterzeugung und -aufbereitung. Die Investitionskosten verschlingen nur noch 20 %, die Wartungskosten 10 %.
Daher muss für Unternehmen laut Thomas Kaeser die Devise lauten: „So viel Druckluft wie nötig, aber nicht mehr als nötig.“ Almig-Experte Thomassen verrät einen simplen Trick: „Oft lässt sich der Betriebsdruck von Anlagen problemlos um 1 bar senken. Da ist in der Vergangenheit einmal ein Soll-Wert eingestellt worden, der nie wieder überprüft wurde. Die Reduzierung um 1 bar bringt 6 bis 8 % Energieeinsparung sowie 10 % weniger Leckagen.“
Doch lohnt es sich, tiefer ins Detail zu gehen, um die Optimierungspotenziale vollkommen auszureizen. Ein Punkt sind die Kompressoren. So statten die Hersteller bereits seit einigen Jahren ihre Kompressoren mit Elektromotoren mit hohen Wirkungsgraden aus. Obwohl Antriebe mit Leistungen von 7,5 bis 375 kW erst ab 2015 die Wirkungsgradklasse IE 3 erfüllen müssen, greifen die meisten Kompressorenhersteller schon heute darauf zurück.
Doch auch mit Hilfe anderer Maßnahmen sind Kompressoren auf Energieeffizienz getrimmt worden. „Moderne 1:1-Antriebe, bei denen Antriebsmotor und Kompressorblock mit gleicher Drehzahl laufen, kommen ohne die Übertragungsverluste eines Getriebes oder Riemenantriebs aus“, erklärt Kaeser-Projektingenieur Ruppelt. „Aber auch die Energieausbeute des Kompressorblocks selbst kann durch weiteres Optimieren des Schraubenläuferprofils, der Nebenaggregate für die Kühlung und durch das Minimieren interner Druckverluste noch erhöht werden.“ Daneben erlauben kompressorinterne Steuerungen auf Industrie-PC-Basis, die Förderleistung des Kompressors genau dem Druckluftverbrauch anzupassen. Scherff: „Kompressoren laufen nicht selten Tag und Nacht im Leerlauf, obwohl sie nicht benötigt werden. Damit muss Schluss sein.“
Auch lassen sich übergeordnete Steuerungen nutzen, um die Energieeffizienz ganzer Druckluftstationen zu erhöhen. Nach Angaben von Boge, Bielefeld, lassen sich damit gut 20 % der Energie einsparen. „Oft reicht es, in Stationen mit älteren Geräten einen energieeffizienten Kompressor zu integrieren. Diese werden hintereinander geschaltet und mit einer übergeordneten Steuerung versehen. Liefert der erste nicht den nötigen Volumenstrom, springt automatisch der nächste an“, erklärt Almig-Experte Thomassen.
Solche Steuerungen bieten die großen Hersteller mittlerweile alle an. Mit der ES-Steuerung von Atlas Copco beispielsweise lassen sich bis zu 30 Kompressoren mit drei unterschiedlichen Druckbändern gleichzeitig steuern. Dabei wählt die Steuerung jeweils das beste Band aus.
Bevor aber Investitionen in energieeffiziente Kompressoren gesteckt werden, raten die Experten: Messen, messen und nochmal messen! Und zwar: Wie arbeiten Kompressoren unter Volllast und im Leerlauf? Wie ist die Auslastung der Kompressoren? Wie hoch sind die Verbräuche?
Daneben empfiehlt die dena die Erhebung von Werten für die Druckluftqualität, den Anteil der Leckverluste im Druckluftsystem austretenden Luft sowie eventuelle Druckabfälle. Für alle Kriterien sollten Zahlen erhoben werden. Dann gelte es, diese zu analysieren, um anschließend eine wirtschaftlich sinnvolle Sanierung festzulegen. In puncto Druckabfälle geht es vor allem darum, zu engen Querschnitten auf die Spur zu kommen. In vielen Unternehmen kommt es vor, dass im Laufe der Jahre an die Druckluftnetze immer mehr Verbraucher an immer längere Hauptleitungen angeschlossen wurden, ohne diese den Anforderungen entsprechend neu zu dimensionieren.
Auch die für die Druckluftqualität wichtige Trocknung der Luft kann zu hohen Energiekosten führen. Sind Adsorptionstrockner beispielsweise nicht korrekt eingestellt, kann die Trockenmittelregeneration laut Parker Hannifin, Kaarst, eine Menge Energie verbrauchen. Der Hersteller hat deshalb energieeffiziente Drucklufttrockner auf den Markt gebracht. Darüber hinaus bietet sich eine Kombination aus Kälte- und Adsorptionstrocknung an. Durch diese Maßnahme spart die Röhren für Pipelines produzierende Mülheim Pipecoatings GmbH im Jahr gut 800 000 kWh und damit ein Viertel ihres Energieaufwands für die Druckluft ein. Dabei kühlt ein der Kältetrocknung vorgelagerter Luft/Luft-Wärmetauscher die eintretende Luft und wärmt die Druckluft, die den Trocknungsprozess durchlaufen hat.
Eine Menge Energie verpufft auch durch Lecks im Druckluftsystem. Nach Angaben von Boge verursacht ein Loch von nur 3 mm Durchmesser einen Energiemehraufwand von 4000 € im Jahr. Bei einem 5-mm-Loch sind es bereits 15 000 € im Jahr. „Den Leckagen auf die Spur zu kommen, ist relativ einfach, erfordert aber Fleißarbeit“, erklärt Thomas Kaeser. „Außerdem sollte es nicht bei einer einmaligen Aktion bleiben. Wir empfehlen, die Leckage-Ortung regelmäßig, mindestens einmal im Jahr durchzuführen.“
Zum Einsatz kommen dabei in der Regel Ultraschall-Messgeräte. Allerdings, so mahnen Experten bei Beko in Neuss, kann man damit nicht jedes Leck hören – etwa dann nicht, wenn es sich unter einem Gehäuse versteckt. Außerdem weiß man dann noch nichts über die Menge der entweichenden Druckluft. Deshalb sollte man zusätzlich immer ein Volumenmessgerät nutzen. Eine Alternative zu solchen Geräten bieten Tools, die bereits in die Kompressor-Steuerung integriert sind. So erfasst der Leckagemonitor von Boge zum Beispiel automatisch die Leckagemengen in Druckluftnetzen und berechnet die daraus resultierenden Kosten, indem er die Leckageluftmenge in Beziehung zur Liefermenge setzt.
Wie viel die Reduktion von Leckagen im Unternehmen bringt, belegt das Beispiel von Edelstahl Witten-Krefeld. Dort wurde vor zehn Jahren bei einer Untersuchung festgestellt, dass rund 28 % der erzeugten Druckluftmenge durch Leckagen im Rohrleitungsnetz, in den Armaturen und in den Anschlussleitungen verloren gingen. Diesen Anteil konnte man durch entsprechende Maßnahmen auf 23 % senken. Mit dem Effekt, dass der Stromverbrauch für das Druckluftsystem um ein Fünftel gesenkt werden konnte.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

 

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