Dass Digitalisierung einen signifikanten Beitrag zur Überwindung der Covid-19-Pandemie leistet, ist seit Mitte März 2020 kein Geheimnis mehr. Wo dies für Büroangestellte in Form von Remote-Arbeit mittlerweile Teil das „New Normal“ ist, sind die Lösungen für die Industrieproduktion weniger selbstverständlich und stark vom konkreten Use Case abhängig. Dabei verfolgen alle Industrieunternehmen ein gemeinsames Ziel: Liefer- und Produktionsketten transparenter, belastbarer, agiler und automatisierter zu gestalten.
Stabile Lieferketten sichern Überlebensfähigkeit im Lockdown Light
Die Coronakrise hat offengelegt, wie verletzlich die Liefernetzwerke der Fertigungsindustrie gegenüber externen Einflüssen sind. Das Zusammenbrechen der auf Effizienz und Minimierung von gebundenem Kapital ausgerichteten JIT/JIS-Lieferketten (Just-In-Time / Just-In-Sequence) in der Automobilindustrie zeigten diese Schwäche am deutlichsten. Kann ein Zulieferer seinen Beitrag nicht in der eng getakteten und über mehrere Stufen aufgebauten Lieferkette „just in time“ liefern, reißt die komplette Kette ab. Unternehmen müssen im Rahmen des Lockdown Light Maßnahmen ergreifen, um überleben zu können.
Belastbare Nachfrageplanung ist ein Muss
Eine realistische und zeitnahe Einschätzung der zu erwartenden Kundennachfrage ist essenziell für die Steuerung der gesamten Lieferkette sowohl im eigenen Unternehmen als auch im Lieferantennetzwerk. Dies erfordert die Expertise der Vertriebsmitarbeiter wie auch ein fortlaufendes Monitoring der wirtschaftlichen Entwicklung in den von der Krise betroffenen Absatzmärkten. Im Zuge einer Pandemie bedeutet das unweigerlich: Eine globale Sicht auf die Entwicklung haben.
Zulieferer sind in besonderem Maße auf die Forecasts und Prognosen ihrer direkten Kunden angewiesen, da ihnen der unmittelbare Kontakt zum Kunden des Endproduktes im B2B-Geschäft fehlt. Folglich kommt dem kontinuierlichen Informationsaustausch zur Steigerung der Transparenz zwischen allen Unternehmen entlang der Supply Chain eine hohe Bedeutung zu.
Mithilfe zunehmender digitaler Touchpoints können Änderungen des Nachfrageverhaltens nahezu in Echtzeit erfasst und entlang der Lieferkette weitergegeben werden. Das betrifft auch die zunehmend digitalen Bestandteile der Produkte und Services an sich, die es zum Beispiel Automotive OEMs ermöglichen, im direkten Kundenkontakt zu sein und nicht ausschließlich indirekt über das selbständige Netz von Händlern und Werkstätten. So kann eine Abschätzung der Nachfrageentwicklung für Sales und Aftersales zeitnaher und direkter erfolgen.
Supply Chain benötigt Transparenz
Für produzierende Unternehmen muss die Gewinnung von Transparenz darüber, welche Komponenten und/oder Dienstleistungen unverzichtbar für die Aufrechterhaltung der eigenen Produktion sind, an erster Stelle stehen. Das ist die Basis für die nachfolgende Analyse hinsichtlich der Versorgungssicherheit sowie darauf aufbauend der Ableitung, welche Endprodukte gegebenenfalls nur noch in reduzierter Menge oder gar nicht mehr produziert werden können.
Dabei muss auch berücksichtigt werden, welchen Wertbeitrag die betreffenden Teile für das Unternehmen liefern, um bei Engpässen entscheiden zu können, welche Endprodukte für welche Kunden gefertigt werden sollen. Digitale Supply-Chain-Lösungen gepaart mit Vertrauen eines partnerschaftlichen Zusammenarbeitsmodells können diese Transparenz schaffen. Dabei haben alle Teilnehmer einer Kette Zugriff auf Daten, auf deren Basis sie digitaler zusammenarbeiten, ihre Produktion besser planen, eigene Lagerbestände verwalten und wiederum ihre Zulieferer genauer steuern können.
Ausbau der Automatisierung
Viele Produktionsbereiche der Fertigungsindustrie arbeiten schon zu überwiegenden Teilen automatisiert oder sogar vollautomatisiert. Zumindest gilt dies für Teilstrecken der Produktion. Doch es gibt noch weiteres Potenzial durch das IIoT, mit dem sich zum Beispiel Maschinen remote steuern lassen. Dadurch könnten Produktionsprozesse auch ohne Präsenz von Menschen an der Maschine weiterlaufen. Für die Endmontage gilt dies zwar nur bedingt, doch in der Fertigung von Vorprodukten und Komponenten ist noch Luft nach oben für die durch Digitaltechnologie vernetzte Vollautomatisierung.
Eine besondere Rolle spielt hierbei der digitale Zwilling, der eine vollständige virtuelle Abbildung der realen Welt ist. Dies kann sowohl die Produktionsmaschinen und ihre Abläufe betreffen als auch die Komponenten, Werkstücke und fertigen Produkte. So lassen sich Logistik- und Produktionsabläufe simulieren, Schwachstellen frühzeitig erkennen und die Steuerung der Produktion optimieren – auch über Unternehmen hinweg über die gesamte Liefer- und Produktionskette.
Remote Maintenance und Over-the-Air-Updates
In der Fertigungsindustrie spielt die Wartung und Instandhaltung von Maschinen eine entscheidende Rolle für den reibungslosen Produktionsablauf. Durch entsprechende Sensorik und digitale Verarbeitung der Sensordaten kann der Bedarf für Wartung frühzeitig erkannt und präventive Wartung vorgenommen werden, ohne dass ein Mensch in der Werkshalle den Zustand der Maschinen und Werkzeuge in Augenschein nehmen muss.
Sind die Funktionalitäten der Maschinen Software-gesteuert, kann deren Anteil an der Wartung vollständig remote erfolgen. Die Software wird dann bei entsprechender Vernetzung der Maschinen aktualisiert, gegebenenfalls sogar mobil durch Over-the-Air-Updates (OTA). In der Automobilindustrie wird OTA zunehmend nicht nur in der Produktion eingesetzt, sondern auch für die Produkte selbst.
Produktion auch ohne Mitarbeiter aufrechterhalten
Cyber-physische Systeme (CPS) steuern heute komplexe Produktionsabläufe. Sie sind anpassungs- und wandlungsfähig, wodurch sie ihren Teil zur Effizienzsteigerung beitragen. So lässt sich die Geschwindigkeit von Abläufen steigern. Zum anderen laufen die Prozesse überwiegend automatisiert und weitgehend autonom ab. Menschen übernehmen nur noch Kontroll- und Steuerungsfunktion. CPS bilden damit einen zentralen Baustein von Industrie 4.0. und können die Produktion auch ohne die Anwesenheit der Mitarbeiter aufrechterhalten.
Autonome Systeme werden über den Echtzeitaustausch von Daten gesteuert. Bisherige mobile Netztechnologien stießen dafür an Grenzen. Dies ändert sich nun mit dem Einsatz von 5G-Mobilnetzen in der Produktion, den 5G-Campus-Netzen. Erste Hersteller planen bereits, Industrial 5G in ihren Produktionsstätten einzusetzen. Sie wollen damit flexibler produzieren und auch den Automatisierungsgrad weiter erhöhen, zum Beispiel mit fahrerlosen Transportsystemen (AGV). Immer häufiger sind autonome Transportsysteme und intelligent reagierende Fahrzeuge im Einsatz, die das Layout von Standorten kennen und im Problemfall eigenständig Ausweichrouten wählen, um die Produktion weiter mit Material zu versorgen.
Remote Work und Video Conferencing
Auch in der Fertigungsindustrie tragen digitalisierte Büroarbeit und Ansätze von New Work etwas dazu bei, dass das Management und die Verwaltung des Unternehmens nahtlos weiterlaufen können. Anteile der Wertschöpfung, die nicht in der Produktionshalle mittels Maschinenparks erfolgen müssen, können auch ohne persönliches Zusammenkommen weitgehend im Homeoffice erfolgen. Vorausgesetzt, Kollaborationstools wie Video-Conferencing sowie die hierfür erforderliche Kommunikationsinfrastruktur stehen zur Verfügung – gepaart mit dem erforderlichen Mindset und den Fähigkeiten der Mitarbeiter. Wie für die Digitale Transformation insgesamt, gilt auch für das „New Normal“: 20 % Technik, 80 % (mental) Change.
Wenngleich die Fertigungsindustrie mit zu den am stärksten betroffenen Branchen der Coronakrise zählt, so hat sie andererseits auch die Chance zu lernen und insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung verstärkt einzusetzen. Nicht nur als Tool im Krisenmanagement, sondern auch, um die Vorteile der digitalen Technologien und dazugehöriger Organisationen und Prozesse generell nutzen zu können. So kann die Krise am Ende vielleicht auch etwas Gutes bewirken: Die Beschleunigung der digitalen Transformation in der Automobil- und Manufacturing Industrie.
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