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„Naturfaser-Spritzguss hat riesiges Potenzial“

Christian Gahle vom Nova-Institut stellt eine neue Materialklasse mit neuen Möglichkeiten vor
„Naturfaser-Spritzguss hat riesiges Potenzial“

Naturfaser-verstärkter Spritzguss nutzt eine neue Rohstoffbasis. In einer zweijährigen Kampagne informierte darüber das nova-Institut, Hürth, gefördert von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe. Über Ergebnisse der Aktion und Chancen berichtet Projektleiter Christian Gahle.

Nach zwei Jahren ist die Info-Kampagne über Naturfaser-Spritzguss zum Abschluss gekommen. Mit Erfolg?

Ja, im Dezember gingen zwei Jahre Wissenstransfer über die Möglichkeiten und Potenziale von Naturfaser-verstärkten Kunststoffen und Holz-Polymer-Verbundwerkstoffen zu Ende, bekannt auch unter der englischen Bezeichnung Wood-Plastic Composites. NFK und WPC werden im Spritzguss verarbeitet, wie er in der Kunststoff-Industrie üblich ist. Nachweislich haben über 1200 Experten Kontakt zur Kampagne gehabt. Daraus sind viele Kontakte, neue Entwicklungen und Ideen entstanden.
Was war das wichtigste Ziel?
Im Mittelpunkt stand der Wissenstransfer. Vor allem die Kunststoffbranche sollte auf die biobasierten Werkstoffe aufmerksam gemacht werden. Auf Kongressen und Seminaren wurden insgesamt fast 200 Stunden Vorträge gehalten. Über 25 Firmen erhielten persönliche Beratung vom Team des nova-Institutes, der Hochschule Bremen/Bionik, der M-Base Engineering + Software GmbH aus Aachen und von der Kommunikationsagentur Scheben Scheurer & Partner (SSP) aus Hürth. Dabei wurde diskutiert und „genetzwerkt“, auf Messen präsentiert, Produktkataloge wurden verteilt und Fachartikel publiziert.
Warum überhaupt Spritzgießen mit Naturfaser-verstärktem Material? Was sind die Vorteile?
Die Gründe für den Einsatz von Naturfaser-verstärkten oder -gefüllten Kunststoffen sind vielfältig und individuell: Viele schätzen das positive Image des Natur-basierten Werkstoffs als Verkaufsargument, verstärkt durch die Diskussionen um CO2-Einsparung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Weitere Gründe sind gute akustische Eigenschaften und Vorteile im Arbeitsschutz, weil keine Glasfaserstäube als Abrieb entstehen. Naturfasern sind außerdem elektromagnetisch verträglich. Die Autoindustrie wiederum ist vor allem an einer breiten Verfügbarkeit von Rohstoffen interessiert, und an Kosten- und Gewichtsvorteilen im Vergleich zu Glasfaser-verstärkten Kunststoffen oder technischen Kunststoffen.
Können auch Designer dem Material etwas abgewinnen?
Designer von Konsumgütern sind bisweilen begeistert von der pixeligen Struktur. Materialbedingt ist die Faserstruktur an der Oberfläche in der Regel gut erkennbar. Und ein vorheriges Einfärben der Fasern oder das Beimischen von metallischen oder mineralischen Pulvern führt zu völlig neuen Erscheinungsbildern. Werden sehr feine Holz- oder Zellulosefasern eingearbeitet, können Wurzelholz-ähnliche Farbverläufe realisiert werden. Die angenehme Haptik und der natürliche Geruch tun ihr übriges.
Wo liegen die Stärken und Schwächen bei den mechanischen Eigenschaften?
Es gibt bereits Rezepturen mit Hanffasern, die in den unteren Zugfestigkeits-Bereich der glasfaserverstärkten Kunststoffe vordringen. Die Steifigkeit dieser Naturfaser-verstärkten Werkstoffe ist denen talkumgefüllter Polypropylene weit voraus. Schwindung und Temperaturwechselbeständigkeit liegen sogar im Bereich technischer Kunststoffe wie PC/ABS. Kritisch ist jedoch noch immer die Schlagzähigkeit. Verbesserungen bringt das Beimischen von elastischen, natürlichen Fasern, beispielsweise Baumwolle oder speziellen Zellulosefasern.
Die Kosten liegen noch über denen konventionell verstärkter Kunststoffe. Was spricht dann für Naturfaser-Spritzguss?
Auch wenn die Naturfasern als Rohmaterial recht günstig zu haben sind, entstehen höhere Kosten durch weitere Additive wie Haftvermittler oder Gleitmittel und durch die übliche zusätzliche Compoundierung. Kostenvorteile gibt es daher nur, wenn höherwertige Werkstoffe substituiert werden, wenn beispielsweise WPC-Kassettenelemente tropisches Holz bei Terrassen ersetzen, oder PP-Hanf einen technischen Kunststoff im Automobil.
Bei welchen Anwendungen bietet sich Naturfaser-Spritzguss an?
In der Regel werden heute konsumentennahe Produkte in NFK oder WPC realisiert. Das Portfolio reicht von Sitzmöbeln, die es weltweit bei IKEA zu kaufen gibt, über Schleifscheiben mit Vorteilen im Arbeitsschutz und bei der Entsorgung bis hin zu kleinteiligen Konsumgütern wie Stiele für Make-Up-Pinsel, bunt eingefärbtem Spielmaterial und Werbeartikel. Die guten akustischen Eigenschaften prädestinieren das Material für Musikinstrumente und Lautsprechergehäuse. Profanere – aber mengenmäßig relevantere – Anwendungen sind zum Beispiel Verpackungsmittel oder Bauanwendungen.
Welche Tonnagen werden bereits umgesetzt, welche Perspektiven sehen Sie für die Zukunft?
Der Markt für NFK-Spritzguss liegt derzeit noch weit hinter seinen Potenzialen zurück, daher auch die Kampagne. Die letzte Untersuchung des nova-Instituts konnte für das Jahr 2006 einen Gesamtmarkt von 3000 bis 4000 Tonnen in Deutschland nachweisen. Da aber das Spritzgießverfahren innerhalb der Kunststoffverarbeitung ein riesiges Potenzial bietet, lohnt es, diesen Weg intensiv weiter zu gehen. Es gibt Prognosen, die für den NFK-Spritzguss bis 2020 einen Umsatz bis von 250 000 Tonnen erwarten lassen, mehrheitlich Holz-Polymer-Verbundwerkstoffe.
Was sagen Sie zu der Kritik an Agrarrohstoffen im Blick auf die globale Lebensmittel-krise und die bedrohten Wälder?
Hier darf ich unseren Geschäftsführer Michael Carus zitieren: Konkurrenzsituationen zwischen Naturfasern und Lebensmitteln gibt es nur in Ausnahmefällen. Und die sind mariginal im Vergleich zu denen bei Biokraftstoffen. Aber selbst Biokraftstoffe haben einen Einfluss von maximal 5 Prozent auf die Agrarpreise. Aktuell sehen wir steigende Biokraftstoffproduktionen bei fallenden Agrarrohstoffpreisen. Weltweit wurde die Produktivität gesteigert, gleichzeitig werden neue Flächen erschlossen. Durch Biowerkstoffe wird es zu keinen Engpässen bei der Lebensmittelversorgung kommen!
Wie gut sind NFK verfügbar?
Die Zulieferstruktur – und damit die Verfügbarkeit guter Compounds – ist tatsächlich noch ein Nadelöhr. Wenige sind bereit, diese fertig gemischten Granulate als Zwischenprodukt am Markt anzubieten. Der Grund liegt darin, dass sie das Know-how zum Herstellen der Compounds und das Detailwissen über die optimale Weiterverarbeitung nicht einfach zum Kilo-Preis abgeben können. Erst recht kann das Angebot nicht günstiger sein als das von Standardkunststoffen, die jahrelang optimiert wurden und mit ungleich größeren Kapazitäten produziert werden. Einen Überblick über die heutigen Produzenten bietet der gerade erst erschienene „Branchenführer Innovative Biowerkstoffe BIB’09“
Wie prozesssicher ist die Spritzgieß-Verarbeitung von Naturfaser-Kunststoff?
Sobald ein Hersteller entsprechendes Wissen aufgebaut hat, kann er den Prozess des NF-Spritzgusses sicher und stabil fahren. Dass die Holzbranche mit dem Spritzguss nicht vertraut ist, hält sie vom Einsatz der neuen Materialien noch ab, auch die Kosten für die Investitionen in die neue Technik und zur Qualifizierung des Personals hindern sie. Aber auch die Kunststoffverarbeiter müssen ihr Wissen um die Besonderheiten der Naturfaserverarbeitung noch erweitern.
Welchen Aufwand muss ein Spritzgießer betreiben, um NFK verarbeiten zu können?
In der Regel muss er seine Werkzeuge zumindest dahingegend optimieren, dass sich die Kavitäten vollständig und ohne allzu große Scherungen in der Schmelze füllen lassen. Grundsätzlich wichtig ist eine verlässliche Temperaturregelung, damit die Naturfasern nicht geschädigt werden. Viele Details der Verfahrensoptimierung sind noch Spezialwissen der Unternehmen. Die Datenbank www.n-fibreBase.net sowie Veröffentlichungen der Forschungseinrichtungen und Institute erleichtern den Einstieg.

Marktchancen
Eine neue Materialklasse, die sich genau in dem Stadium befindet, in dem Findige und Mutige die Marktchancen erkennen und umsetzen: Naturfaser-verstärkter Kunststoff für den Spritzguss. Das Zug kommt jetzt ins Rollen. Das nova-Institut musste den Branchenführer erweitern, weil jetzt viele aufspringen. Die Vorteile hängen von der Anwendung ab: Weniger Gewicht als GFK, preiswerter als technischer Kunststoff, Design mit Öko-Touch, CO2-neutrale Fasern, EMV-Verträglichkeit, gute akustische Eigenschaften usw…
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