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Vom heißen Teig zum komplexen Teil

Spanlose Fertigung: Thixoforming verbindet Vorteile von Gießen und Schmieden
Vom heißen Teig zum komplexen Teil

Per Thixoforming lassen sich qualitativ höherwertige und belastbarere komplexe Bauteile herstellen als durch Gießen. Dabei sind die Komponenten leichter als Schmiedeteile – und dies bei vergleichbaren mechanischen Eigenschaften.

Die klassischen Formgebungsverfahren wie Schmieden und Gießen wurden in den letzten Jahren durch die sogenannten Thixoforming-Prozesse erweitert. Dabei wird teilflüssiges Metall verarbeitet, das eine teigige Konsistenz besitzt. Das damit einhergehende sehr gute Fließvermögen des Werkstoffs erlaubt es, komplexe Bauteile zu erzeugen, die bislang nur gießtechnisch herstellbar waren. Allerdings werden dabei ähnlich gute mechanische Eigenschaften wie bei Schmiedeprodukten erreicht.

Im Gegensatz zu gegossenen Bauteilen sind thixogeformte Erzeugnisse poren- und lunkerfrei und eignen sich für den Einsatz als hochbelastbare und sicherheitsrelevante Bauteile. Wie beim Gießen lassen sich durch Thixoforming filigranere und dünnwandigere Strukturen erzeugen als durch Gesenkschmieden. Im Vergleich zum Druckgießen bietet vor allem das Thixoforming von Aluminium den Vorteil, dass sich größere Wanddickenübergänge realisieren lassen. Zudem wird durch die geringe Gasaufnahme ein schweißbares Gefüge erreicht. Somit bietet dieses Verfahren ein vielversprechendes Potenzial speziell im Hinblick auf die stetig steigenden Anforderungen der Fahrzeugindustrie, immer leichtere Komponenten bei bestmöglicher Werkstoffausnutzung zu möglichst niedrigen Kosten herzustellen.
Weitere Vorteile liegen in der möglichen Einsparung von Formgebungs- und Nachbearbeitungsschritten, da beim Thixoforming die Umformung stets in einem einzigen Schritt erfolgt und ohne Materialüberschuss in Form von Grat oder Steigern gearbeitet wird. Da die Bauteile bereits ihre Endkontur besitzen, sobald sie aus der Presse kommen, hält sich der erforderliche Aufwand für Nacharbeit in Grenzen. Es müssen gegebenenfalls nur die Funktionsflächen spanend weiter bearbeitet werden.
Die genannten Vorteile macht das Beispiel eines Sekundärluftflansches (SKL-Flansch) aus Stahl deutlich, der derzeit durch Gesenkschmieden industriell hergestellt wird, und der am Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen der Universität Hannover (IFUM) zu Forschungszwecken thixogeschmiedet wurde. Herkömmlich wird das Teil in vier Stufen mit Grat geschmiedet. Die Masse des eingesetzten Rohmaterials beträgt 671 g pro Flansch. Für die Herstellung eines SKL-Flansches mit gleicher Funktion und identischen Anschlussmaßen durch Thixoforming konnte der Rohmaterialeinsatz um 45 % reduziert werden. Dies rührt daher, dass beim Gesenkschmieden pro Flansch ein Grat mit einer Masse von 321 g entsteht, wohingegen das Thixoforming ohne Gratbildung erfolgt.
Um eine gute Gesenkfüllung zu erreichen, muss der Werkstofffluss beim Schmieden exakt über eine optimiert gestaltete Gratbahn gesteuert werden. Beim Thixoforming erübrigt sich die hierzu erforderliche konstruktive Auslegung und Optimierung der Gratbahn, da die gewünschte Gesenkfüllung aufgrund des hohen Fließvermögens des Stahls im teilflüssigen Zustand erreicht wird. Zudem entfällt das Problem des Recyclings von überschüssigem Grat-Material, und eine komplizierte Gratbahnoptimierung bei der Werkzeugauslegung ist ebenfalls nicht erforderlich.
Zulieferer der Automobilindustrie setzen das Thixoforming bereits erfolgreich zum Fertigen von Leichtmetall-Bauteilen ein: Heckklappenscharniere, Strukturbauteile und Gehäuseteile aus Aluminium sind typische Serien-Produkte. Allerdings steht speziell das Thixoforming von Aluminium in starkem Wettbewerb zu neueren Gießverfahren wie Squeeze-Casting oder Vakuumgießen, mit denen sich qualitativ hochwertige Bauteile zu relativ niedrigen Kosten erzeugen lassen.
Ein weiteres Thixoforming-Verfahren ist das sogenannte Thixomolding von Magnesium. Es handelt sich dabei um einen mit dem Druckgießen verwandten Prozess. Hierdurch werden vor allem dünnwandige Gehäuseteile, etwa für hochwertige elektronische Geräte, hergestellt, aber auch dickwandige Strukturbauteile zum Beispiel für Motorräder.
Die Entwicklung industriell geeigneter Thixoforming-Prozesse für die Verarbeitung von Stahl ist derzeit Gegenstand deutschland- und europaweiter Forschungsprojekte. Im Vergleich zur Verarbeitung von Leichtmetallen lässt das Thixoforming von Stahl ein höheres Anwendungspotenzial erwarten, da es wegen der hohen thermischen Belastung der Formen keine kostengünstigen alternativen Dauergießverfahren für Stähle gibt. Die noch zu lösenden Probleme sind allerdings vielfältig, da ein breites Spektrum geeigneter Thixoforming-fähiger Stahlsorten fehlt und prozessbedingte Hürden zu überwinden sind.
Während das Thixoforming von Aluminium bei Temperaturen zwischen 500 und 600 °C erfolgt, liegt die Prozesstemperatur bei Stahl zwischen 1350 und 1450 °C. Hieraus resultieren besondere Anforderungen an die Haltbarkeit der Werkzeuge, für die spezielle hochtemperaturfeste Materialien erforderlich sind. Hierzu werden am IFUM Keramiken verwendet, die ausreichend wärmebeständig und mechanisch stabil sind. Zudem zeichnen sich diese Werkstoffe durch ihre Korrosionsbeständigkeit bei Kontakt mit dem teilflüssigen Stahl aus. Bisher stehen jedoch noch keine serientauglichen Werkzeuge für das Thixoforming von Stahlbauteilen zur Verfügung, da die verfügbaren geeigneten Materialien nicht zu konkurrenzfähigen Preisen hergestellt werden können.
Die für das Thixoforming als Bauteilwerkstoff geeigneten Stahlsorten sind im Wesentlichen hochlegierte Wälzlager- oder Schnellarbeitsstähle ohne nennenswertes industrielles Anwendungspotenzial. Daher wurde vom französischen Stahlhersteller Ascometal, Paris, ein kohlenstoffarmer Stahl speziell für eine Weiterverarbeitung durch Thixoforming entwickelt. Praktische Untersuchungen am IFUM in Zusammenarbeit mit der Universität Lüttich, Belgien, zeigten, dass es prinzipiell möglich ist, klassische Schmiedestähle Thixoforming-gerecht anzupassen.
Neben Untersuchungen zu den Themenkomplexen Werkzeug- und Bauteilwerkstoffe wurden am IFUM in Zusammenarbeit mit der Universität Lüttich große Fortschritte bezüglich der Prozesstechnik gemacht. Besonders die induktive Erwärmung der Rohteile ist kritisch in Bezug auf das Thixoforming- Ergebnis. Hierzu wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um die Prozesstemperatur möglichst schnell bei gleichzeitiger homogener Durchwärmung des Rohteils zu erreichen. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, Temperaturen von über 1400 °C reproduzierbar auf wenige Grad Kelvin genau einzustellen. Da im Gegensatz zu Laborversuchen in Serienprozessen die Temperatur aufgrund der Unzugänglichkeit der Messstellen nicht gemessen werden kann, wurde eine Methode entwickelt, um die Temperatur während der Erwärmung rechnerisch anhand verfügbarer elektrischer Anlagenparameter zu bestimmen.
Da die Prozessparameter genau eingehalten werden müssen, lassen sich Thixoforming-Prozesse nur vollautomatisiert reproduzierbar steuern. Eine entsprechende Thixoschmiedelinie zur Produktion von Serienbauteilen wurde im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes mit dem IFUM an der Universität Lüttich installiert.
Da der Einsatz des Verfahrens bei Stahl noch nicht industriell etabliert ist, können hinsichtlich der Kosten derzeit nur Prognosen abgegeben werden. Eine vergleichende Kalkulation für die Herstellung einer Radnabe mittels verschiedener Verfahren – Schmieden, Thixoschmieden und Austempered-Ductile-Iron- oder ADI-Gießen – zeigt, dass das Thixoforming wirtschaftlich wird, sobald eine Werkzeugstandmenge wie beim Gesenkschmieden bei vergleichbaren Taktzeiten erreicht wird.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sollte das Thixoforming von Stahl aufgrund der anspruchsvollen Prozessführung und der Anforderungen an den Werkzeugwerkstoff nicht als ein Verfahren angesehen werden, um rationell konventionelle Schmiede- oder Gießprozesse abzulösen. Es ergänzt vielmehr die bestehenden Verfahren und könnte langfristig zur wirtschaftlichen Herstellung speziell hochbelastbarer dünnwandiger Bauteile mit langen Fließwegen dienen.
Dr.-Ing. Dirk Fischer Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen der Leibniz Universität Hannover, Abteilung Massivumformung
Thixoforming ergänzt die bestehenden Verfahren
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