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Interview mit Lothar Horn, Vorsitzender des VDMA-Präzisionswerkzeuge

Lothar Horn, Vorsitzender des VDMA-Präzisionswerkzeuge, über Trends und die Branchenlage
„Wir brauchen intelligente Konzepte “

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Auch bei den Präzisionswerkzeugen werden die Vernetzung und die Digitalisierung zentrale EMO-Themen sein. Lothar Horn, Vorsitzender des VDMA-Fachverbands, rechnet mit grundsätzlichen Entwicklungen, um das Thema Industrie 4.0 weiter voranzutreiben.

Herr Horn, welche Themen werden die EMO in diesem Jahr prägen?

Jede unserer Teilbranchen hat ihre eigenen Schwerpunkte. Im Werkzeug- und Formenbau wird ein spannendes Thema sein, wie man noch mehr Intelligenz ins Werkzeug bringen und Prozesse digitalisieren kann – Stichwort Werkzeugbau 4.0. Bei den Spannzeugen geht es vor allem darum, den Leichtbau zu nutzen, um die Prozesse noch energieeffizienter zu gestalten. Außerdem wird integrierte Sensorik künftig mehr Informationen über den Prozess liefern und helfen, die Zuverlässigkeit weiter zu verbessern. Und bei den Zerspanwerkzeugen ist weiterhin die Kühlung und die Art der Kühlmittelzufuhr ein großes Thema. Aber auch die Schneidstoffe, die Geometrien und vor allem die Beschichtungen bieten noch viel Potenzial, speziell beim Bearbeiten von Hochleistungswerkstoffen. Moderne Beschichtungsverfahren ermöglichten Quantensprünge bei den Standzeiten. Und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende. In allen Bereichen spannend ist, welche Möglichkeiten der 3D-Druck künftig noch bieten wird.

Welche Rolle spielt der 3D-Druck heute in Ihrer Branche?

In gewissen Anwendungsbereichen hat er sich als zusätzliches Fertigungsverfahren etabliert – etwa bei Formeinsätzen mit konturnaher Kühlung oder dort, wo besonders leichte und steife Strukturen gefordert sind. Der 3D-Druck eröffnet konstruktive Freiheiten, die mit klassischen Verfahren nicht denkbar wären. Andererseits sind wir noch immer hinsichtlich der verarbeitbaren Werkstoffe und der Aufbauraten eingeschränkt. Außerdem müssen generativ hergestellte Komponenten in der Regel spanend nachbearbeitet werden. Die zentrale Frage lautet: Bietet der 3D-Druck einen Mehrwert, oder ist ein ähnlich gutes Ergebnis schneller und kostengünstiger mit konventionellen Verfahren zu erreichen.

Welche Trends sehen Sie über die EMO hinaus?

Unsere Branche wird wesentlich getrieben durch neue Werkstoffe, die es zu bearbeiten gilt. Die Materialvielfalt und die Innovationskraft der Werkstoffentwickler ist in Deutschland besonders groß. Das stellt uns immer wieder vor Herausforderungen und treibt uns zu Höchstleistungen. Beispiele dafür sind das Bearbeiten von bleifreiem Messing, von Kobalt-Chrom-Werkstoffen in der Medizintechnik oder von Titan- oder Faserverbundmaterialien. Oft gilt es zunächst zu klären: Lässt sich ein Werkstoff überhaupt zerspanen? Und im zweiten Schritt: Wie lässt er sich wirtschaftlich zerspanen?

Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Trends wie die Elektromobilität auf die Präzisionswerkzeug-Branche?

Die Elektromobilität hat mit Sicherheit Auswirkungen auf unsere Branche. Ein Verbrennungsmotor hat rund 1600 Teile, von denen das Gros spanend bearbeitet wird. Ein E-Motor hat vielleicht 200 Teile, von denen nur wenige spanend zu bearbeiten sind. Da kann viel Potenzial für uns wegbrechen. Dafür wird der Zerspanungsaufwand in anderen Bereichen steigen. Ein Beispiel dafür ist die Medizintechnik. Unsere Lebenserwartung steigt und wir wollen bis ins hohe Alter fit bleiben. Wir werden künftig also viel mehr Hilfsmittel und sogenannte menschliche Ersatzteile brauchen, die in der Regel schwer zu bearbeiten sind.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, die auf die Branche zukommen?

Zu unseren größten Herausforderungen gehört die Elektromobilität. Die Zielsetzung muss sein, die Ökobilanz insgesamt zu verbessern. Wir haben nur diese Welt und die gilt es zu erhalten. Ob allerdings die E-Mobilität der richtige Weg ist, das bezweifle ich. Die Ingenieurskunst ist in Deutschland stark ausgeprägt, und der Automobilbau ist für mich nach wie vor das Rückgrat der deutschen Industrie. Bereits heute hat ein Auto mit Verbrennungsmotor selbst in Deutschland eine bessere Gesamt-Ökobilanz als ein Elektrofahrzeug – wenn man den ganzen Lebenszyklus von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung betrachtet. In Ländern wie China ist das noch viel extremer. Das hängt einfach damit zusammen, wie die benötigte Energie erzeugt wird. Wir brauchen intelligente Lösungen, die es ermöglichen, in stark verkehrsbelasteten Zonen emissionsfrei zu fahren, die aber auch die unbestreitbaren Vorteile klassischer Antriebe nutzen. Unterm Strich halte ich hybride Konzepte für sinnvoller. Sollten sie sich durchsetzen, dann würde der Zerspanungsaufwand sogar steigen. Wir wollen es aber gerne genauer wissen. Deshalb hat der VDMA eine Studie namens „Antrieb im Wandel?!“ bei FEV Consulting in Auftrag gegeben. Diese wird uns im Januar des kommenden Jahres detailliert darüber informieren, wie sich die Antriebstechnologien zukünftig voraussichtlich entwickeln und welche Auswirkungen dies auf die jeweiligen Geschäftsbereiche hat.

Welche Erwartungen verbinden Sie mit der EMO?

Ich habe die Hoffnung, dass wir dort einige grundsätzliche Entwicklungen sehen werden, um das Thema Industrie 4.0 voranzutreiben. Auf der Maschinenseite könnten das neue Fertigungstechniken sein, die bekannte Verfahren kombinieren oder verschmelzen. Bei den Präzisionswerkzeugen bin ich gespannt, welche Ideen oder Ansätze neu hinzukommen. Gibt es Bearbeitungsstrategien, die neue Werkzeugkonzepte erfordern? Interessant finde ich auch, wie sich der 3D-Druck weiterentwickelt.

Wie haben sich die Anforderungen verändert, die Ihre Kunden an Sie stellen?

Die waren und sind geprägt davon, das Preis-Leistungs-Verhältnis stetig zu verbessern. Gleichzeitig sind die Anforderungen hinsichtlich der Gleichmäßigkeit und der Präzision unserer Prozesse und unserer Produkte höher denn je. In den letzten 15 Jahren haben sich die zulässigen Toleranzen mindestens halbiert.

Was bedeutet das für die Hersteller von Präzisionswerkzeugen?

Wir müssen heute Bearbeitungen prozesssicher und wirtschaftlich durchführen, die vor wenigen Jahren nicht vorstellbar waren. Beispiele dafür sind absolut scharfe Schneidkanten oder definierte Verrundungen im Mikrobereich.

Was hat sich im Bereich Industrie 4.0 in der Branche seit der letzten EMO getan?

Auf Firmenebene ist sicher einiges in Bewegung gekommen. Man denkt heute weiter. Statt der klassischen Einzelautomatisierung werden Maschinen und Prozesse zunehmend in übergeordnete Systeme eingebunden. Wer künftig erfolgreich sein will, der muss seine Abläufe vom Auftragseingang bis zur Auslieferung vollständig vernetzen. Deshalb möchte ich auch auf das Vortragsforum ‚Innovative Lösungen für Industrie 4.0“ auf dem VDMA Stand in Halle 4 hinweisen. Dort erhalten Interessierte Besucher einen schnellen Überblick über aktuelle technische Trends und Entwicklungen.

Und welche Möglichkeiten bieten Zerspanwerkzeuge hinsichtlich Industrie 4.0?

Es gibt viele Ansätze und Ideen. So wird beispielsweise in Forschungsprojekten untersucht, ob und wie sich mit Hilfe intelligenter Schichten Temperaturen und Verschleiß ermitteln lassen, um daraus Rückschlüsse auf den Prozess ziehen oder den optimalen Zeitpunkt für den Werkzeugwechsel ableiten zu können. Das ist derzeit aber noch Zukunftsmusik. Der Ansatz, über einen aufgeklebten Chip Intelligenz ins Werkzeug zu bringen, ist nicht zielführend. Denken Sie an mehrschneidige Wendeplatten, bei denen jede einzelne Schneide mit einem Chip ausgestattet werden müsste. Die Aufnahme der Schnittkräfte, die ja schon länger genutzt werden, um daraus Informationen über den Prozess abzuleiten, betrifft eher die Spanntechniker und die Maschinenhersteller.

Immer mehr Werkzeughersteller bieten Software- und Digitalisierungslösungen an. Wird das Werkzeug künftig nur noch eine Zugabe zu anderen Angeboten sein?

Nach wie vor steht die Bearbeitung und damit die Werkzeugtechnologie im Mittelpunkt des Kundeninteresses. Der gesamte Bereich Präzisionswerkzeug war und ist aber geprägt vom Servicegedanken. Die Anforderungen und Wünsche der Kunden sind sehr vielschichtig. Dem tragen diese Anbieter Rechnung und erleichtern dem Anwender die Arbeit so weit als möglich. Hier sind Themen wie das Toolmanagement geradezu prädestiniert.

Wie sehen Sie die aktuelle Branchenlage?

Das Geschäftsjahr 2017 verläuft für uns sehr gut. Zu Beginn des Jahres haben wir ein Wachstum von etwa vier Prozent prognostiziert. Das werden wir sicher übertreffen. Derzeit gehe ich von einem Ergebnis im oberen einstelligen Prozentbereich aus.

Welche Auswirkungen hat Industrie 4.0 für die nötige Qualifikation der Mitarbeiter?

Wir werden in den kommenden Jahren eine Verschiebung der Tätigkeiten erleben, weg von der klassischen Fertigung, hin zu planenden, steuernden und überwachenden Aufgaben. Hier sind auch die Betriebe gefordert, ihre Mitarbeiter zu qualifizieren und in diese neuen Positionen zu führen, denn die Anforderungen ändern sich schneller, als entsprechende Fachkräfte ausgebildet werden können. Hilfreich können in diesem Zusammenhang auch Weiterbildungs- und Nachwuchsförderprogramme – etwa der Verbände – sein.

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