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Leichtbau mit hybriden Blechen

Blech war gestern: Mehrschichtverbunde für die Umformpresse
Leichtbau mit hybriden Blechen

Leichtbau mit hybriden Blechen
Ein vorderer Längsträger aus einem maßgeschneidertem hybriden Mehrschichtverbund – vor und nach einem Crashtest. Bild: Bessima Zhiqi, Universität Paderborn
„Leichtbau leicht gemacht“ – dieses Ziel wollen die Forschenden des Verbundprojektes HyOpt mit ihrer neuen Technologie verwirklicht sehen: Sie arbeiten an leichten Mehrschichtverbunden, die sich auf konventionellen Pressen umformen lassen. Das Know-how für Design und rationelle Fertigung wird der Rechner liefern.

Alan A. Camberg
Projektkoordinator HyOpt an
der Universität Paderborn

Am Institut für Leichtbau mit Hybridsystemen (ILH) der Universität Paderborn forschen mehr als 170 Wissenschaftler. Ein Team aus Forschung und Industrie entwickelt im Rahmen von HyOpt eine Leichtbautechnologie, bei der sich hybride Werkstoffe mit maßgeschneiderten Funktionseigenschaften nicht nur automatisiert fertigen, sondern auch automatisiert auslegen und designen lassen. „Eine Werkstoffentwicklung, die bis dato ungenutzte Leichtbaupotenziale erschließt, indem sie konventionelle Materialien beanspruchungsgerecht kombiniert“, umreißt Konsortialleiter Professor Thomas Tröster vom Lehrstuhl für Leichtbau im Automobil der Uni Paderborn den Ansatz. Dieser zielt darauf ab, die Vorteile von bewährten, rationellen Fertigungsmethoden auch mit neuartigen Leichtbaumaterialien zu nutzen.

Die Ausgangssituation: Leichtbau ist unverzichtbar. Das gilt insbesondere auch für moderne Elektromobile mit ihren schweren Antriebsbatterien. Konventionelle Konstruktionswerkstoffe wurden in den vergangenen Jahren bedeutend weiterentwickelt. Doch die hohe Dichte von Stahl und der verhältnismäßig niedrige E-Modul von Aluminium limitieren das Leichtbaupotenzial dieser Werkstoffklassen. Eine Alternative mit hohem Gewichtseinsparpotential bilden Faserverbundkunststoffe (FVK). Hohe Werkstoff- und Produktionskosten und eine komplexe Bauteilauslegung begrenzen jedoch ihren Einsatz zumeist auf Fahrzeuge des Premiumsegments. Eine aktuelle Studie des ILH ergab, dass Bauteile aus FVK bei lediglich 16 von 138 analysierten Karosserien verbaut wurden.

Einen Paradigmenwechsel verspricht der Hybridleichtbau. Durch die gezielte Kombination von Metall und FVK kann er zu hohen gewichtsspezifischen Bauteileigenschaften bei wirtschaftlich vertretbaren Mehrkosten führen. Beispiele aus der Praxis belegen, dass sich dünnwandige Hohlstrukturen mittels FVK lokal so verstärken lassen, dass das Gewicht deutlich sinkt – auch unter Serienbedingungen. Der hybride Dachquerträger des Audi A6 von 2004 gilt als Vorreiter auf diesem Gebiet. Heute kommen hybride Strukturen speziell bei Karosserien von BMW zum Einsatz, wie beispielsweise im 7er, 8er oder auch bei dem neusten E-Fahrzeug von BMW, dem iX. Porsche setzt bei dem aktuellen Modell des 911 Cabrio ebenfalls auf eine A-Säule in Hybridbauweise. Tesla hingegen nutzt die Vorteile des Hybridleichtbaus bei Fahrwerksteilen des Model 3, X und Y.

Hybride Mehrschichtverbunde – bis zu 30 % leichter

Hohe Leichtbaupotentiale bieten die aus der Luft- und Raumfahrt bekannten Mehrschichtverbunde, die auch als Faser-Metall-Laminate (FML) bekannt sind. Sie kombinieren Werkstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften zu einem flächigen Halbzeug. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Werkstoffklasse „Glare“ ist ein Verbund aus mehreren alternierenden Schichten aus Aluminium und Glasfaser-verstärktem Kunststoff und kommt für große Rumpfbereiche des Airbus A380 zur Anwendung. Ein direkter Technologietransfer in die Automobilfertigung ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Die Fertigungstechnologien und Prozesszeiten genügen nicht den automobiltypischen Kosten- und Taktzeitvorgaben. Die Kombination von Werkstoffen mit teils konträren Eigenschaften stellt zudem vor neue Herausforderungen.

Um die Vorzüge hybrider Mehrschichtverbunde auch für Automobilanwendungen zugänglich zu machen, legt das interdisziplinäre Forschungsprojekt HyOpt den Fokus auf eine optimierungsbasierte Entwicklung. Es startete im Mai 2019 am ILH und läuft bis Mitte 2022. Ziel ist es, den anforderungsgerechten Leichtbau mit flächigen Hybridwerkstoffen durch numerische Verfahren und Automatisierung voranzutreiben.

Dafür entwickelt das Projektkonsortium eine Toolbox, die dem Design und der Herstellung neuer Hybridwerkstoffe dient. Getreu dem Credo „der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle“ wird das jeweilige Eigenschaftsprofil direkt aus Simulationen abgeleitet und berücksichtigt neben den Strukturanforderungen an das Bauteil auch die Fertigungsrestriktionen des umzuformenden Halbzeugs. Der Vorteil liegt in einem einfach handhabbaren Prozess, der die in der Blechumformung bewährte Anlagentechnik nutzt. Die erzielbare Gewichtseinsparung gegenüber konventionellen Blechformteilen liegt zwischen 25 bis 30 %.

„Konkret geht es um die Entwicklung von CAE-Methoden sowie smarten und flexiblen Produktionsprozessen, um Hybridwerkstoffe mit maßgeschneiderten Eigenschaften herzustellen“, erklärt Konsortialleiter Prof. Tröster. Unter Hybridwerkstoffen werden dabei Verbunde aus faserverstärkten Kunststoffen und metallenen Blechen verstanden, die sich in ihren Eigenschaften anpassen lassen. Tröster, der auch die Position des Vorstandvoritzenden des ILH bekleidet, betont dabei das hohe Potential, das gerade im Top-Down-Ansatz von solch anforderungsgerecht (in Struktur- wie auch Fertigungseigenschaften) ausgelegten Multi-Materialien liegt. Die konsequente Übertragung auf die Halbzeugebene erfordert jedoch eine ganzheitliche Betrachtung. Neben den Grundwerkstoffen im Verbund schließt sie auch Oberflächeneigenschaften, Haftvermittlersysteme, ökologische Aspekte, Wirtschaftlichkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz ein, die im Projekt ebenfalls thematisiert wird.

Mit HyOpt App zum richtigen Werkstoffverbund

Die Arbeitsgruppe Leichtbau im Automobil (LiA) erforscht in der Prozess- und Methodenentwicklung die ganzheitliche Auslegung durch CAE. Ausgehend von der Endgeometrie und vorgegebenen Randbedingungen wird zunächst in der Struktursimulation eine optimale Materialverteilung für die hybriden Mehrschichtverbunde ermittelt. Das umformtechnische Verhalten dieser werkstoffseitig optimierten Halbzeuge ist in diesem Stadium noch unbekannt. Deshalb wird anschließend die Umformbarkeit evaluiert. Im iterativen Optimierungsprozess entsteht durch die Auswahl von Materialverteilung und Faserorientierungswinkeln ein Entwurf für ein hinsichtlich mechanischen Eigenschaften und Umformbarkeit optimales hybrides Halbzeug.

Aufgrund der hohen Anzahl an Werkstoffparametern und strukturellen Lastfällen erfolgt die werkstoffseitige Auslegung mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen. Effiziente numerische Verfahren automatisieren den Auslegungsprozess und beschleunigen ihn signifikant. Die Bewertung der Umformbarkeit wiederum erfolgt mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) als heute weit verbreitetem Simulationswerkzeug.

Wie die abgewickelte Platine aussehen muss, leitet sich aus der Endgeometrie ab. Hierzu entwickelt das Team eine inverse FE-Methodik, die zudem eine Vorhersage über die Orientierung der Fasern in der Endgeometrie trifft und somit Aussagen über die Umformbarkeit des hybriden Werkstoffsystems macht. Um Umformfehler wie Faltenbildung oder Materialversagen zu vermeiden, passt das CAE-Tool die Faserorientierungen in den kritischen Bereichen der einzelnen Laminatschichten an. Nun kann der eigentliche Fertigungsprozess beginnen. In einem automatisierten Ablege-Verfahren gelangen die optimierten Faserlagen auf die Blechplatinen. Auch diesen Prozessschritt bildet das CAE-System ab.

Für die Produzenten der hybriden Leichtbauteile sollen sich die Abläufe so einfach wie möglich gestalten. Die Wissenschaftler planen daher, alle Teilaspekte der optimierungsbasierten Auslegung in einer benutzerfreundlichen Software zusammenzuführen – der HyOpt App. Die Software wird dabei so konzipiert, dass die Eingabe keine speziellen Anwenderkenntnisse voraussetzt. Die einzelnen Funktionen laufen im Hintergrund ab. Auf diese Weise lassen sich die Forschungsergebnisse einem breiten industriellen Anwenderkreis zur Verfügung stellen.

Angepasste Umformtechnik

Die umformtechnischen Fertigungsanforderungen an die hybriden Halbzeuge stehen allerdings oftmals im Konflikt mit den Anforderungen an die Bauteile im Betrieb. Je nach Endgeometrie kann es zu Umformfehlern kommen, die die Bauteile schwächen. Zum Beispiel können sich Falten bilden oder Verstärkungsfasern verschieben. Um solchen Defekten entgegenzuwirken, werden am Lehrstuhl für Umformende und Spanende Fertigungstechnik (LUF) unter anderem die Wirkzusammenhänge zwischen Prozessparametern und dem Umformverhalten der Hybridplatinen erforscht. Anhand dieser Erkenntnisse werden Maßnahmen erarbeitet, um das Prozessdesign anzupassen. Mit speziellen Zwischenelementen sowie Vorgaben zur Faserpositionierung in kritischen Umformzonen lassen sich Umformfehler deutlich reduzieren und so die Form- und Maßgenauigkeit der hybriden Bauteile steigern. Schließlich forscht das LUF gemeinsam mit der EMS GmbH & Co. KG an einer automatisierten Fertigung der maßgeschneiderten Hybridhalbzeuge, die deren industrielle und wirtschaftliche Nutzbarkeit sicherstellt.

„Click-Chemie“ verbessert Umformeigenschaften

Werden artverschiedene Materialien flächig verbunden, so wird meist auf das Kleben zurückgegriffen. Beim Umformen hybrider Mehrschichtverbunde kann der Klebstoff jedoch in Bereiche niedriger Flächenpressung verdrängt werden. Dies führt zu inhomogenen Wandstärken des Bauteils und erhöht das Risiko von Defekten. Um diesen negativen Erscheinungen entgegenzuwirken, widmet sich der Arbeitskreis Coatings, Materials & Polymers (CMP) der Entwicklung von Klebstoffen, deren Fließfähigkeit sich einstellen lässt. Die sogenannte „Click-Chemie“ steuert die thermisch reversible Vernetzung zwischen Epoxidharz und speziellem Härter. Die wirtschaftliche Herstellung solcher thermoreversibler Härter bildet einen zentralen Schwerpunkt der Entwicklungen.

Wird der Hybridwerkstoff bei erhöhten Temperaturen umgeformt, können die Verknüpfungspunkte schnell geöffnet und nach dem Prozess wieder geschlossen werden. Das Harz erhält kurzfristig thermoplastische Eigenschaften, verhält sich im Bereich der Betriebstemperaturen aber wieder duroplastisch. Die Click-Chemie lässt sich auch für die polymere Matrix von Faserverbunden nutzen: Während des Umformens kann sie das Fasergleiten positiv beeinflussen und auf diese Weise die Faserschädigung minimieren.

Gradierte Oberflächen im Schichtverbund

Eine gradierte Oberflächenstrukturierung der metallischen Komponente bietet die Möglichkeit, die Haftfestigkeit zwischen den einzelnen Schichten und das Umformverhalten des Hybridverbunds zu beeinflussen. Am Lehrstuhl für Werkstoffkunde (LWK) werden dafür Verfahren wie Anodisieren, Laserstrukturieren und Sandstrahlen analysiert und weiterentwickelt. Ein besonderer Fokus liegt darauf, die Verfahren zu beschleunigen und den Materialverzug durch fertigungsbedingte Eigenspannungen zu minimieren.

Auch hier gibt es bereits Ergebnisse. In einer eigens für das Projekt entwickelten Anlage werden zum Beispiel verzinkte Stahlbleche anodisiert. Auf der Blechoberfläche bildet sich eine poröse Zinkoxidschicht. Diese Schicht besitzt sehr gute Benetzungseigenschaften und ist daher besonders für das adhäsive Fügen mit faserverstärkten Kunststoffen geeignet. Die Forschenden arbeiten daran, die Zinkoxidschicht gezielt lokal zu variieren und dafür die Anlagentechnik weiterzuentwickeln.

Durch vorangegangene Forschungsvorhaben ist das Laserstrukturieren der Bleche mit Pulslasern bereits etabliert. Die Methode wird zusammen mit der Clean-Lasersysteme GmbH weiterentwickelt. Bei diesem Verfahren erhält das Grundmaterial durch kurzes Aufschmelzen und Wiedererstarren sowie Verdampfen und Deposition eine völlig neue Oberflächenstruktur. Die Scangeschwindigkeit mit dem Laser beträgt bis zu 42 m/s. Durch gezielte Einstellung der Laserparameter lässt sich eine präzise Gradierung der Hafteigenschaften bei hoher Zeiteffizienz erreichen.

Die D&S Holding GmbH hingegen erzeugt gradierte Oberflächenstrukturierungen durch Substratstrahlen. Evaluiert wird derzeit, wie sich Strahldruck und Körnung auf Oberflächenstrukturierung, Hafteigenschaften und den potentiellen Materialverzug auswirken.

Fazit: Umformteile werden leichter

Die in HyOpt entwickelte Auslegungs- und Prozesstechnik macht die Vorzüge hybrider Mehrschichtverbunde auch außerhalb der Luft- und Raumfahrt zugänglich. Sie hebt das Leichtbaupotential von Umformteilen auf ein neues Niveau. Neben der Automobilindustrie bieten sich die neuartigen Hybridverbunde für alle Märkte an, die von leichten Bauteilen profitieren. Zu den zentralen Anforderungen zählen neben dem Gewichtsvorteil immer auch die Kosteneffizienz und eine einfache Prozesshandhabung. Bei HyOpt steht die Prämisse im Vordergrund, dass die Technologien keine speziellen Kenntnisse voraussetzen und einfach anzuwenden sind. Alles Know-how fließt in die HyOpt App ein. Leichtbau leicht gemacht – für die Praxis.

Für die finanzielle Förderung im Rahmen des Forschungsprojektes „HyOpt“ (www.hyopt.de) danken die Autoren dem Europäischem Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) der EU, dem Land Nordrhein-Westfalen sowie dem Projektträger Jülich (PTJ) für die Betreuung.


Die Projektpartner in HyOpt

Industrie

D&S Holding (Strahltechnik), EMS (Werkzeugbau), Thyssenkrupp Steel Europe (Stahlwerkstoffe), Erichsen (Mess- und Prüftechnik), Clean-Lasersysteme (Lasersysteme), Kraiburg (Elastomere)

Forschung

Fachgruppen des Instituts für Leichtbau mit Hybridsystemen: Leichtbau im Automobil (LiA), Werkstoffkunde (LWK), Umformende und Spanende Fertigungstechnik (LUF), Coatings, Materials & Polymers (CMP) – sowie Technik & Diversity (TuD), alle Universität Paderborn

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