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Guter Leichtbau braucht die Digitalisierung

Impulsiv: 6. Technologietag Hybrider Leichtbau
Leichter wird’s mit Digitalisierung

Können Know-how und technischer Vorsprung auch zum Hindernis werden? Diese Sorge trieb die Visionäre auf dem 6. Technologietag der Leichtbau BW GmbH. Sie ließen den Treff zum Impulsgeber für die Digitalisierung werden und rüttelten wach für neue Wege.

Olaf Stauß

Ein Special Guest war angekündigt, gleich zu Beginn. Von Raum und Zeit befreit, ließ sich Captain Dr. Hubert Zitt in den Tagungssaal beamen, direkt von der Enterprise. Der Commander wurde nicht müde, futuristische Errungenschaften von Star Trek zu erwähnen, die inzwischen real sind. Der Bordcomputer gab seine Analysen in den 60ern auf Papier aus – 20 Jahre bevor das Fax kam. Die Crew operierte mit Spracheingabe, Flachbildschirme hatte sie schon 1966. Sogar Vorläufer des i-Pad waren auf dem Raumschiff zu sehen. Nicht zuletzt sorgte Lieutenant Uhura für Aufregung – eine schwarze Frau in einer Führungsriege war bis dahin undenkbar in der US-Gesellschaft. „Science Fiction dient nicht nur zur Unterhaltung, sie erweitert die menschliche Vorstellungskraft“, zitierte der Officer den Physiker Stephen Hawking. „Wir haben Star Trek bei weitem überholt.“

Sein Fazit: „Wir kommen nur weiter, wenn wir über den Tellerrand schauen.“ Dr. Zitt, im richtigen Leben Informatik-Dozent an der Hochschule Kaiserslautern, setzte damit den erwünschten Impuls zum Start des 6. Technologietag Hybrider Leichtbau: Was heute unvorstellbar erscheint, kann schnell selbstverständlich werden. Was wir jetzt nicht anpacken, könnte die vorderen Ränge kosten in naher Zukunft – auch im Leichtbau, so die Botschaft. „Lassen Sie es uns versuchen“, meinte Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer des Veranstalters Leichtbau BW. Die richtigen Zugänge aufzuzeigen, insbesondere für KMU, nannte er das Ziel des Technologietags.

Materialentwicklung passiert künftig auf Rechnern

Worum es geht, schilderte gleich im Eröffnungsplenum Prof. Heinz Voggenreiter vom DLR im Beitrag „Digitalisierung im Leichtbau – Chancen und Herausforderungen“: In den USA werde daran gearbeitet, neue Materialien auf dem Computer zu entwickeln. Die Zeit für die Werkstoffentwicklung könne sich in Zukunft halbieren. „Stellen Sie sich vor, wir könnten alle Elemente aus dem Periodensystem berücksichtigen. Daraus ergeben sich 26 Millionen neue Legierungen als Option.“ Die erforderliche Rechenleistung lasse sich nur mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und Quantencomputing (QC) erbringen. Voggenreiter rechnet damit, dass das QC schon ab 2025 bis 2030 nutzbar sein wird. Für alle derartigen Fortschritte aber ist Digitalisierung eine selbstverständliche Grundvoraussetzung.

Die Cloud liefert Designvorschläge auf Basis von KI

Für den Leichtbau sieht der DLR-Professor den technologischen Wandel schon im Gange. Voggenreiter verweist auf den neuartigen Ansatz von Autodesk, Designvorschläge via Cloud verfügbar zu machen – mit hunderten von Entwurfsoptionen, basierend auf KI. Für einige hundert Euro im Jahr könne jedes Unternehmen diese Dienstleistung nutzen. Die Besonderheit ist, dass der Ingenieur keine konstruktiven Vorgaben mehr macht, die das Lösungsspektrum nur begrenzen. Vielmehr beschreibt er lediglich die Problemstellung und erhält Designvorschläge, an die er selbst nicht gedacht hätte – der Industrieanzeiger berichtete bereits darüber: http://hier.pro/FkQQF.

„Das ist eine Revolution, die gerade stattfindet“, meinte Voggenreiter auf dem Technologietag in Leinfelden bei Stuttgart. „Die Digitalisierung entwickelt sich rasant und eröffnet neue Möglichkeiten. Wenn wir weiter nur optimieren, wie wir es gewohnt sind, werden wir abgehängt.“ Selbst profundes Know-how könne zum Hindernis werden, warnte der Wissenschaftler. Setze etwa ein Werkstoffentwickler nur auf sein Erfahrungswissen, könnten ihn Newcomer schon bald überholen, die von vornherein auf Tools wie KI zugreifen.

Die im Saal versammelten Leichtbau-Experten stimmten mehrheitlich zu. Die simultan erhobene – digitale – Publikumsumfrage ließ den Handlungsdruck erkennen: Nur rund ein Drittel der Umfrageteilnehmer teilte die Einschätzung, im globalen Wettbewerb gut aufgestellt zu sein – 58 % votierten dagegen. „Noch stehen wir gesamtwirtschaftlich gut da“, sagte Dominic Lutz von Gaugler & Lutz. „Aber wir müssen raus aus der Komfortzone und aktiv etwas tun.“ Wobei sein Unternehmen zu den wenigen KMU gehört, die über eine „komplett digitalisierte Prozesskette in CAD/CAM-Technologie“ verfügt – und die Vorteile in Form von Zeitgewinnen nutzt. Gaugler & Lutz produziert hochwertige Schaumstoff-Komponenten mit rund 150 Mitarbeitern. Kaum ein Produkt gleicht dem anderen. „Wir können unseren Betrieb nahezu in Echtzeit über verschiedene Standorte hinweg steuern“, bekräftigte Lutz.

Digitalisierung ist möglich – auch für KMU

Leichtbau BW wäre nicht Leichtbau BW, hielte die Landesagentur nicht auch Lösungsvorschläge bereit. Im Blick auf das noch futuristisch anmutende QC gab Seeliger bekannt, mit dem kanadischen Quantencomputer-Hersteller D-Wave an einer Netzwerkbildung zu arbeiten. Das Kick-off findet schon im Juli statt. Und noch vor Voggenreiter stellte Bernd-Ulrich Hapke im Eröffnungsplenum den „Weg von der digitalen Entwicklungskette zum digitalen Zwilling“ vor, den die Accelerated Innovation GmbH anbietet – und zwar für KMU.

Der Dienstleister ist vor einem Jahr aus dem Leichtbau-BW-Netzwerk heraus entstanden. Es ist ein Verbund der Mitgliedsfirmen Cassini, Intec und Tecosim und zielt darauf ab, die digitale Prozesskette nach individuellem Bedarf maßzuschneidern. Er bedient sich dazu des Tool-Baukastens der Firmen als offene Plattform. Es gehe darum, „Systeme, Firmen und Menschen zusammenzubringen“, erklärte Hapke. „Nur so lässt sich das gesamte Potenzial des Leichtbaus ausschöpfen.“

Ihren Demonstrator präsentierten die Partner schon auf der Hannover Messe 2018, vor der Firmengründung: einen Pisten-Sitzschlitten. Innerhalb von drei Monaten entwickelten sie dafür ein parametrisches Modell. Beim Probesitzen des Athleten (Messebesucher) nimmt das System Gewicht und Größe auf, errechnet umgehend die individuellen konstruktiven Abmessungen, ermittelt die Lieferdaten und kalkuliert den Endpreis des Schlittens für den Kunden. Bei einem realen Projekt wird es länger dauern und sehr viel komplexer sein – aber machbar. Mehr dazu in Industrieanzeiger 19–20/2019.

Bevor Captain Zitt wieder in die endlosen Weiten der Galaxien entschwand, spielte er eine Star-Trek-Szene ein, die heute noch utopisch anmutet. Sie verdeutlicht, dass Visionen immer Mut brauchen und es für die Umsetzung keine Gewähr gibt. In den Geburtswehen einer Schwangeren aus der Enterprise-Crew gab es Komplikationen. Das medizinische Personal holte das Baby per unblutigem Kaiserschnitt – durch Beamen. Wer weiß, was noch alles möglich wird.

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