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Papierflaschen in der Verpackungstechnik

Pulpex plant über 750 Mio. Flaschen im Jahr
Papier wird Verpackungsmaterial

Compounds auf Basis von Cellulosefasern, die keine Polymere enthalten, gewinnen an Bedeutung für Verpackungen. Sie sind als Material für Flaschen, Verschlüsse und Behälter geplant. Verarbeitet werden sie mit den in der Kunststofftechnik gängigen Prozessen Blasformen, Thermoformen und Spritzgießen. Im „Papierspritzguss“ entstehen sogar schon mechanische Teile.

» David Vink, freier Fachjournalist in Mettmann

Bier aus Papierflaschen? Im Juni 2022 hat die Brauerei Carlsberg ihre Fibre Bottle der „Generation 2.0“ an Kunden und Verbrauchern vergeben – 8000 Stück des neuartigen Flaschenprototypen. Produziert wird die Flasche aus Holzfasern von der Paboco Paper Bottle Company A/S in Dänemark. In der ersten Entwicklungsstufe kombinierte sie Papierfasern mit einem HDPE-Inliner als Barriereschicht. Später folgte ein Inliner aus PET, dann aus 0,1 mm PEF. Dieses pflanzenbasierte Polymer PEF (Polyethylen-2,5-furandicarboxylat) produziert Avantium durch eine chemische Reaktion von Methanol mit Maisstärke. Laut Carlsberg „schützt PEF den Geschmack und die Sprudeleigenschaften von Bier besser als herkömmlicher PET-Kunststoff auf fossiler Basis“.

Entwicklung begann schon 2010

Der Hersteller der Fibre Bottle ist ein Joint Venture. Gegründet wurde Paboco im April 2019 von dem österreichischen Kunststoffflaschen-Produzenten Alpla und dem schwedischen Hersteller von Papier-Verpackungsmaterialien BillerudKorsnäs mit dem Ziel, eine Papierflasche zu entwickeln. Doch die Anfänge reichen weiter zurück. EcoXpac in Dänemark begann schon 2010 mit der Entwicklung von Papierflaschen. BillerudKorsnäs besitzt seit 2015 Anteile an diesem Unternehmen. Carlsberg stieg 2015 als Projektpartner ein. 2019 konnte Paboco einen ersten Erfolg vermelden. Das JointVenture präsentierte eine prototypische Getränkeflasche aus 57 % Papier (außen) und 47 % Kunststoff (innen), entwickelt für The Absolut Company (Gruppe Pernod Ricard).

„Die Papierflaschen bestehen aus langen Weichholzfasern aus Kiefer und Fichte“, erklärt Tim Silbermann, Paboco-Projektleiter Produktentwicklung. Auch heimische Fasern aus anderen Regionen könnten berücksichtigt werden, betont er, zum Beispiel Bambusfasern in China.

Die Fasern werden ausgerichtet und unter extremer Kompression getrocknet, sodass eine robuste Papierflasche mit angenehmer Oberfläche entsteht. Sie ermöglicht es, feine Details einzuprägen. Silbermann beschreibt den Herstellprozess als „Kreuzung aus Streck- und Extrusionsblasformen“. Im Vergleich zur Karton-Umformung biete das Verfahren viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten.

80 % weniger Emissionen als Glasflaschen

Paboco-Flaschen verwenden noch Kunststoff- oder Metallverschlüsse. Für eine dritte Generation der Papierflaschen sollen 2023 alternative Verschlüsse erforscht und entwickelt werden, womöglich mit integriertem Gewindehals. Wenn dies gelingt, verursachen die Papier-Flaschen bis zu 80 % weniger Emissionen als Einweg-Glasflaschen und hinterlassen dann einen ähnlich niedrigen Carbon-Fußabdruck wie wiederbefüllbare Glasflaschen. Paboco untersucht unter anderem mit dem finnischen Beschichtungshersteller Teknos, ob eine biobasierte Beschichtung den PEF-Inliner ersetzen kann.

Zellstoff-Verschlüsse in Arbeit

Ein Unternehmen, das an Zellstoff-Flaschenverschlüssen arbeitet, ist Sacmi Imola. Die Italiener bauen CCM-Maschinen für das kontinuierliche Formpressen von Verschlüssen (CCM = Continuous Compression Moulding). Auf den Messen Drinktec und K 2022 präsentierten sie Zellstoff-Verschlüsse, die sie mit der 2021 gegründeten Blue Ocean Closures AB aus Schweden (BOC) entwickelt hatten.

US-Materialhersteller Glatfelter Corporation und Alpla unterstützen BOC in der Entwicklung eines Zellstoff-Verschlusses, der für Vodka-Glasflaschen von The Absolut Company vorgesehen ist. Diese Verschlüsse entstehen aus dem Papier-Vliesstoff „Airlaid“, einem recycelbaren und „in Wochen“ im Meer biologisch abbaubaren Produkt. Nach aktuellen Planungen sollen sie 2023 auf den Markt kommen.

Laut Sacmi sind Zellstoffe ein „heißes Thema“ in der Getränkeindustrie. Im November 2022 veranstaltete das Unternehmen eigens dazu einen Technologietag für die Italian Association of Science and Macromolecule Technology (AIM) mit Vorträgen von Alpla und BOC.

Papierflaschen für Wein, Whisky, Motorenöl

2020 führte Frugalpac, Großbritannien, eine Getränke-Flasche aus 84 % recyceltem Papier mit Innenbeutel in den Markt ein. Der Beutel besteht aus einem metallisierten Polyesterlaminat – demselben Material, das auch in Bag-in-Box-Weinen verwendet wird. Als erstes Getränk gelangte darin im Juni 2020 der Rotwein 3Q der Cantina Goccia zu Kunden in Kanada. Die Haltbarkeit von Wein soll mehr als 12 Monate betragen.

Die kartonumformte Flasche misst 75 mm x 312 mm, wiegt 82 g und widersteht Lasten von bis zu 20 kg von oben. Frugalpac-Anlagen fertigen 630 Stück dieser kartonumformten Flaschen in der Stunde. Im Sommer 2022 rechnete Frugalpac damit, bis Jahresende die zweimillionste Papierflasche zu produzieren.

Die Pulpex Ltd, Großbritannien, ist als eine F&E-Kollaboration der Diageo BV (Hersteller der Whisky-Marke Johnnie Walker) und dem New Venture „Pilot Lite“ entstanden. Pulpex zielt darauf ab, „von der Industrie für die Industrie“ eine Technologie zur Produktion von nachhaltigen Zellstoff-Flaschen in großem Maßstab zu entwickeln und einzuführen.

Erste Papierflasche ohne jegliche Polymere

Das Verfahren beginnt mit dem Entnehmen von Zellstoff aus einem wässrigen Schlamm und erstreckt sich bis zum Thermoformen in einer geschlossenen Form. Die Flaschen seien „völlig PET- und HDPE-frei“, unterstreicht Pulpex – und bestehen nicht etwa aus Kunststoff, umwickelt mit Zellstoff. Ihre Innenseite wird mit einer Beschichtung besprüht, je nach dem, welches Produkt abgefüllt werden soll. Entwicklungspartner ist daher BASF.

Prototypenflaschen stellte Pulpex beispielsweise schon für Johny Walker Black Label Whisky und Castrol-Motorenöl her. Eine Reihe weiterer globaler Marken haben ihre Absicht erklärt, Pulpex-Flaschen kommerziell zu nutzen. Das Unternehmen äußert sich optimistisch: „Hochgeschwindigkeitslinien werden unsere Flaschen bald in Massenproduktion herstellen mit dem Ziel, bis 2025 über 750 Millionen Flaschen jährlich zu produzieren.“

Thermoformer für Zellstoff

Cellulose wird generell zum Thema in der Verpackungsbranche. Die Kiefel Maschinenbau GmbH zeigte auf der K 2022 eine „Natureformer“-Maschine, die Holzfasern zu Behältern thermoformt. Stora Enso, Finnland, unterstützt diese Entwicklung durch Bereitstellen verschiedener Faserpakete mit „preisgünstigen“ chemischen Zusätzen und Subskriptions-Optionen. Für die Natureformer bietet Stora gebleichten, ungebleichten und behandelten Zellstoff an, darunter auch eine Kombination aus hartem und weichem Holz. Laut dem finnischen Unternehmen lassen sich die Fasern 5- bis 7-mal recyceln.

Die Natureformer-Maschine löst plättchen- oder blockförmig zerkleinerte Holzfasern durch Besprühen mit Wasser in einen Faserstoffschlamm auf und puffert sie in einem Tank. Nach der Entnahme modelliert sie den Schlamm zu Vorformlingen. Mechanisches Vorpressen in aufgeblasenen Silikonkautschukformen senkt den Wassergehalt auf 33 % bis 40 %. Das anschließende Heißpressen im Thermoformprozess drückt den Wassergehalt bis auf 5 % und erzeugt so den Behälter.

Dafür gibt es bereits Anwender. Modiform aus den Niederlanden produziert diverse Teile auf einer Naturformer. Im März 2022 berichtete Kiefel, dass ein amerikanischer Kunde hundert Natureformer bestellt habe und jeden Tag mindestens eine neue Maschine in Betrieb genommen wird. Andreas Staudinger, Global Packaging Director: „Sowohl Kunststoff- als auch Fasertechnologien sind wichtig, um die Verpackungsindustrie zu bedienen. Das Interesse an Fasern nimmt gerade sehr schnell zu“.

Papierspritzguss

„Less plastic, more future” ist das Motto der 2021 gegründeten Nature Compound GmbH. Das Unternehmen hat das Compound „Bioform“ entwickelt. Es zielt laut dem Geschäftsführer und Gründer Niclas Beutler auf „maßgeschneiderte Lösungen für eine Kunststoffindustrie ohne Plastik“ ab. Bioform besteht zu 68 % aus Cellulosefasern und zu 32 % aus einer Kombination von Stärke und Kreide (Calziumcarbonat). In den Eigenschaften gleicht es konventionellen ABS- und PP-Thermoplasten und lässt sich in Spritzguss und Extrusion verarbeiten.

Das Material präsentierte erstmals das Kunststoff Institut Lüdenscheid (KIMW) auf der Messe Fakuma 2021 einer breiten Öffentlichkeit. Das KIMW entwickelt Verarbeitungsparameter, das Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) aus der Schweiz hat das Entformungsverhalten und die rheologischen Kennwerte ermittelt.

Kompostieren lässt sich Bioform laut KIMW-Verkaufsleiter Marius Fedler sowohl in herkömmlichen Industrieanlagen als auch in Heimkompostern, wo ein 3 bis 5 mm dicker Bioform-Löffel innerhalb von fünf Monaten vollständig verschwand. In der freien Natur dauere es „deutlich länger“, sagt Fedler.

Papier-Spritzgussteile für die Medizin

Auch davon gibt es Anwendungen. Die GroMM GmbH bietet Bissschutz für junge Pflanzen und Bäume nicht mehr nur aus Stahl sondern auch aus Bioform an. Produziert werden die Teile auf einer KraussMaffei-Spritzgießmaschine in einem Werkzeug der Zimmermann Formen- und Werkzeugbau GmbH. Die Meding GmbH verwendet Bioform für bioabbaubare medizintechnische Einwegteile.

Auf den „Technologie-Tagen“ des Spritzgießmaschinenherstellers ‧Arburg in Juni 2022 wurden Lochscheiben aus Bioform V12190 in einer Spritzgussform der Herrmann GmbH produziert. Diese Lochscheiben verwendet der Maler- und Stuckateurbetrieb Lehmbau Glück, um Strohdämmungen an Lehm- oder Tonwänden von Gebäuden zu befestigen.

Auch die DE-Pack GmbH verwendet den Begriff „Papierspritzguss“ und beschreibt damit geschäumte, spritzgegossene Verpackungen aus „Reinpapier“. Hier wird aber ein weniger steifes Compound eingesetzt. Zu 12 % enthält es Papierfasern aus Holzhackschnitzeln, zu 70 % Industriestärke und zu 18 % Wasser.

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