Herr Kronmüller, Sie sind Maschinenbauer und technischer Betriebswirt. Was macht für Sie Engineering zwischen technischer Innovation und betriebswirtschaftlicher Denke aus?
Konstruktion und Betriebswirtschaft sollten idealerweise zusammenlaufen. Die Herausforderung ist, im Engineering unter Berücksichtigung der Kosten immer wieder Innovationen zu entwickeln. Allerdings ist der Markt nicht immer bereit, für ein Premiumprodukt mit bestimmtem Mehrwert mehr zu zahlen. Der Markt und die Verbraucher diktieren den Preis. Daher ist die Entwicklung stets gefordert – gerade bei Sonder- oder bei angepassten Lösungen für entsprechende Applikationen unter Kostengesichtspunkten zu konstruieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der angemessenen Materialauswahl und dem Materialverhalten.
R+W sieht sich sowohl als globaler Marktführer bei Metallbalgkupplungen als auch als Technologieführer bei Präzisionskupplungen. Wie stellt sich dieser Status quo genauer dar?
Wir stellen mehr als 600.000 Kupplungen pro Jahr her – eine Vielzahl als Metallbalgkupplungen. Bei Entwicklungen zu Metallbalgkupplungen haben wir eine führende Marktposition erreicht und immer wieder Trends gesetzt. Nehmen wir beispielsweise eine steckbare Kupplung, die leichter für den Einbau zu handhaben ist: Hier waren wir die ersten am Markt, die eine derartige Kupplung entwickelt haben. Mittlerweile sind Marktbegleiter nachgezogen, was uns auch ehren kann, weil man ja etwas richtig gemacht haben muss.
Industrieelle Automation setzt präzise Dynamikübertragung voraus. Wie sehen Sie die Performance der Kupplungen und Gelenkwellen, die den Schwerpunkt der R+W-Entwicklungen bilden?
Schwerpunkt unserer Entwicklung in Sachen Dynamik war und ist die Metallbalgkupplung. Nach wie vor ist das Produkt der stärkste Umsatzträger im Haus. In den typischen Applikationen der Handhabungs- oder der Servoantriebstechnik geht es um Dynamik, Verfahrzeiten und den Output der Maschinen. Höhere Dynamiken fordern Kupplungen im Sinne von Zuverlässigkeit und Energieeffizienz. Bessere Effizienz ist verfolgbar, wenn ich kompakter baue und eine höhere Leistungsdichte erziele. Wir haben daher Baureihen entwickelt, wie die BKM – eine steife und kompakte Kupplung mit Klemmnabe, bei denen wir durch einen anderen Aufbau und gleichbleibenden Außendurchmesser mehr als das doppelte an Drehmoment übertragen.
Welche Technologie-Standards setzen Sie aktuell?
Bei Präzisionskupplungen geht es vor allem darum, die Leistungsdichte der Kupplung zu erhöhen. Das heißt, kompakter zu bauen und höhere Verfahrgeschwindigkeiten zu realisieren, also mehr Drehmoment bei gleicher Baugröße zu übertragen. Bei den Motoren ist Kompaktheit im Trend. Getriebe werden kleiner, denn leichte Bauteile für kompakte Maschinen sparen Geld. Leichtbau ist also ein weiterer Trend, der direkt ins Massenträgheitsmoment hinein geht und sich gerade im Bereich der Industriekupplungen niederschlägt.
In der aktuellen Serie gehen Sie mit einer speziellen Lamellenkupplung an den Markt, die auf kleinere Drehmomente ausgelegt ist. Was macht die SCL-Baureihe aus und auf welche Applikationen fokussieren Sie?
Viele Kunden setzen Lamellenkupplungen speziell im kleineren Drehmomentbereich ein. Deswegen haben wir uns dazu entschieden, das Produktportfolio nach unten hin abzurunden. Wir bieten Balgkupplungen von 0,1 bis 10.000 Nm und Lamellenkupplungen ab 300 Nm aufwärts. Die Balgkupplung ist meiner Ansicht nach immer noch das hochwertigere Produkt, aber es gibt Applikationen, in denen die Lamellenkupplungen Sinn ergeben – etwa bei höheren Wellenverlagerungen, um diese auszugleichen. Momentan liefern wir kundenspezifische Einzelserien mit höheren Stückzahlen. Als Katalogprodukt bieten wir die Baureihe derzeit mit Klemmnabe und Konusklemmring von 25 bis 100 Nm an.
Effizienz und Betriebssicherheit sind wichtige Entscheidungsgrößen. Welche Vorteile bringen gerade mechanische Kupplungsfeatures im Antriebsstrang, etwa gegenüber elektronischer/sensorischer Trennung?
Im Bereich der Sicherheitskupplungen, also lasttrennender Kupplungen, geht es uns darum, Stöße in einem Crash-Fall abzufedern. Elektronische Systeme arbeiten dabei als mechanisch lasttrennende Elemente. Die Sicherheitskupplungen reagieren bei einem Drehmomentstoß, der plötzlich in den Bereich von ein bis drei Millisekunden kommt. Es geht darum, angrenzende Bauteile zu schützen. Hierbei wirkt eine mechanisch lasttrennende Sicherheitskupplung bis zu dreimal schneller als ein elektronisches System. Elektronische Systeme muss man abfragen. Diese gehen oft über Drehmomentanstiege. Von daher sehen wir die mechanische gegenüber der elektronischen Lasttrennung immer noch im Vorteil. Oft haben Kunden aber beide Systeme im Einsatz.
Welche Digitalisierungsansätze finden sich bereits heute – und mit Blick auf Industrie 4.0 künftig – in Ihren Produkten?
Wenn wir momentan von Digitalisierung sprechen, dann vor allem von Virtual Reality, die wir etwa in den vergangen vier Jahren umgesetzt haben. Die 3D-Version einer Kupplung lässt sich einfach besser betrachten. Dem Anwender können die Funktionen der Kupplungen wesentlich genauer dargestellt werden als beim bloßen Anfassen und Betrachten in der Hand. Speziell mit unserer App wollen wir außerdem Wege gehen, um Anwendern verständliche Anleitungen zu liefern. Dabei denke ich beispielsweise an die Montage: Wie kann ich das Drehmoment an einer Sicherheitskupplung verstellen? Da kann man viel falsch machen. Das könnten Anwender nun entsprechend nachlesen. Oder sie schauen es sich eben in einem zweiminütigen 3D-Video an. Zudem haben wir einen virtuellen Kollegen geschaffen, Kai Kupplung, der in in kurzen Videosequenzen Wissen rund um Kupplungen vermittelt. Das ist aus unserer Sicht eine zeitgemäße Art und Weise.
Und wo geht der Weg künftig noch hin?
Produkte werden vergleichbarer werden. Daher denke ich, dass es zukünftig um andere Dinge wie digitale Services gehen wird, um sich als Unternehmen noch ausreichend zu differenzieren.
Zum Unternehmen
Seit 1990 besitzt R+W aus dem bayerischen Klingenberg eine separate Entwicklungsabteilung für Neuentwicklungen und Speziallösungen von Präzisions- und Industriekupplungen. In enger Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth und der RWTH Aachen kommen die Innovationen in Testserien auf den Prüfstand. Für die Weltraumstation ISS entwickelten R+W-Ingenieure zum Beispiel eine Sicherheitskupplung. Auch die erste steckbare Metallbalgkupplung und die ultraleichte Sicherheitskupplung gehören zu den Entwicklungen des Spezialisten.